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2.2 Der Olymp nach Homer: Berg, Himmel, Jenseits
ОглавлениеDamit wenden wir uns nun den nachhomerischen Zeugnissen zu. Beginnen wir mit dem griechischen Dichter Hesiod, der im frühen 7. Jh. v. Chr. schrieb. Bei ihm finden wir weitgehend dieselbe Vorstellung vom Olymp wie bei Homer. Hesiod sieht den Olymp gleichermaßen als konkreten nordgriechischen Berg wie auch in einer überweltlich himmlischen Sphäre.48 Ein wichtiger Aspekt, der bei Hesiod neu dazukommt, ist, dass die Musen, die Göttinnen der Künste, in der am Olymp gelegenen Landschaft Pieria geboren wurden und am Olymp leben:
»Gut, dann will von den Musen ich anfangen, die ihrem Vater
Zeus im Olymp den machtvollen Sinn mit Gesängen erfreuen,
wenn sie, die Stimmen harmonisch vereint, von Gegenwart, Zukunft
und von Vergangenheit künden; die lieblichen Töne entfließen
unermüdlich dem Mund. Da lacht der Palast des gewaltig
donnernden Vaters Zeus, wenn die Göttinnen lilienklare
Stimmen weithin verströmen; es hallt der Olymp mit verschneitem
Haupt und die Häuser der Ewigen. Unter den herrlichsten Klängen
Preisen im Sang sie zuerst vom Urbeginn an die gerühmte
Sippe der Götter, die Gaia dem weiten Uranos schenkte,
und die aus ihnen entsprossenen, die Götter, die Gutes uns spenden;
dann aber preisen sie Zeus, den Vater der Götter und Menschen,
(wenn sie beginnen den Sang, die Göttinnen, oder ihn enden,)
Wie er der höchste der Ewigen sei und an Stärke der größte.
Schließlich singen vom Stamm der Menschen und starken Giganten
Rühmend die Mädchen, den Sinn des Zeus im Olymp zu erfreuen,
Töchter des agisschüttelnden Zeus, die olympischen Musen.
Diese gebar Mnemosyne, die Herrin am Hang des Eleuther,
ihm sich vereinend, dem Vater Kronion im Lande Pierien,
als ein Vergessen des Bösen, als Trost bei Not und bei Sorge.
Neun volle Nächte wohnte ihr bei der allweise Herrscher
Zeus, und fern von den Göttern bestieg er ihr heiliges Lager.
Als nun das Jahr verstrich, bei schwindenden Monden die Zeiten
Flohen und viele Tage vollendet waren im Kreislauf,
hat neun Mädchen von gleichem Sinn sie geboren, die einzig
Singen im Busen bewegt – sie tragen ein Herz ohne Sorgen –,
hoch auf verschneitem Olymp in der Nähe des obersten Gipfels.
Schimmernde Tanzplätze haben sie dort und schöne Paläste,
nahe bei ihnen bewohnen auch Himeros und die Chariten
Häuser im Glanz; dem Mund entströmen liebliche Lieder,
tanzend rühmen sie laut Gesetzte und sorgende Obacht
aller Götter, sie lassen gar liebliche Lieder entströmen.
Prunkend in heiligem Tanz und mit herrlichen Stimmen, so eilten
sie zum Olymp hinauf; rings jauchzte die bräunliche Erde
über den Sang, es erhob sich ein zartes Geräusch von den Füßen,
als sie zum Vater schritten. Dieser ist König im Himmel,
selbst gebietet er nun dem flammenden Blitz und dem Donner,
da er den Vater Kronos bezwungen an Kraft. Und den Göttern
gab er für jedes klug eine Ordnung und wies die Bereiche.
Dies nun sangen die Musen, die hoch im Olymp in Palästen,
wohnen, die neun von Zeus, ihrem mächtigen Vater, gezeugten
Töchter: Euterpe, Kleio, Thaleia und Melpomene,
Erato und Terpsichore, Polymnia und Urania
Und Kalliope – sie steht von allen am höchsten in Ansehn,
denn sie gesellt sich achtbaren Königen schützend zur Seite.« (Hesiod, Theogonie 36–80) (Übersetzung: Luise und Klaus Hallof)
Hesiod lokalisiert den Palast des Zeus auf einem als verschneiten Berg vorgestellten Olymp und beschreibt das wohltuende Wirken der Musen im Palast. Die Musen selbst wohnen in Palästen in der Nähe des obersten Gipfels, wo sie auch Tanzplätze haben. Nordöstlich der Gipfelregion des Olymps liegt eine kleine Hochebene, die heute als »Musenplateau« bezeichnet wird ( Abb. 10).49 Ihr Name ist modern, doch passend an die Beschreibung Hesiods angelehnt. Der von Hesiod ausgebreitete Mythos der Vereinigung von Zeus und Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung, und die Zeugung der Musen am Olymp wird später auf dem hellenistischen Marmorrelief des Archelaos thematisch aufgenommen ( Abb. 34).
Abb. 10: Das sogenannte Musenplateau auf dem Olymp. Im Hintergrund der Gipfel Stefani (Zeusthron).
Die bei Homer bereits angelegte Gleichsetzung von Olymp und Himmel (ouranos), die auf eine Universalisierung des Olymps hinausläuft, findet sich dann auch bei dem griechischen Dichter Pindar, der im 6./5. Jh. v. Chr. wirkte, und im 6. und 5. Jh. v. Chr. bei den sogenannten Vorsokratikern sowie bei dem Tragödiendichter Sophokles.50 Der etwas ältere Tragödiendichter Aischylos erwähnt den Olymp nur einmal.51 Der Dramatiker Euripides setzt ebenfalls Olymp und Himmel gleich, und in seinen Werken spielt der Olymp eine größere Rolle als bei den übrigen Tragikern. Gelegentlich, etwa bei dem Komödiendichter Aristophanes, ist noch von dem konkreten Berg die Rede, doch dominiert nun immer mehr der überweltliche Olymp.52
Blicken wir auf die Folgezeit und die Art und Weise, wie der Olymp wahrgenommen und vorgestellt wurde, so ist bemerkenswert, dass einerseits der überweltliche Olymp dominiert.53 Andererseits kann man beobachten, dass am nordgriechischen Berg eine Fokussierung auf die Geographie und den Naturraum des Olymps stattfindet. Auf diese Weise wird der Olymp geradezu säkularisiert, verweltlicht und seiner mythologisch-religiösen Bedeutung beraubt. So ist etwa im Kontext der Perserkriege und des Einmarschs des Perserkönigs Xerxes (486–465 v. Chr.) nach Griechenland 480 v. Chr. bei Herodot zu lesen wie Xerxes das südlich des Olymps gelegene Tempetal bestaunte:
»Als Xerxes von Therma aus die thessalischen Berge erblickte, den Olympos und den Ossa, die gewaltig hoch sind, und als er erfuhr, dass mitten zwischen ihnen eine enge Schlucht liege, durch die der Peneios strömt, und hörte, dass dort der Weg nach Thessalien führe, da wollte er gern hinfahren und die Mündung des Peneios ansehen; denn er wollte mit dem Heer den Weg weiter im Inneren durch das obere Makedonien einschlagen (…).« (Hdt. 7,128) (Übersetzung: Josef Feix).
Es ist bemerkenswert, dass Herodot, der sonst immer wieder lokale Kulte und religiöse Verhältnisse beschreibt, hier die mythologische Bedeutung des Bergs Olymp mit keinem Wort erwähnt.54
Eine ähnlich nüchterne Beschreibung, bei der jeder Hinweis auf den Sitz der Götter fehlt, können wir einige hundert Jahre später bei Pausanias im 2. Jh. n. Chr. lesen, der Folgendes über Löwen in Thrakien berichtet:
»Diese Löwen streifen auch oft in das Gebiet um den Olymp; von diesem Gebirge schaut die eine Flanke gegen Makedonien, die andere gegen Thessalien und den Fluß Peneios. Hier bezwang Pulydamas einen Löwen im Olymp, ein großes und wehrhaftes Tier, ohne mit einer Waffe ausgerüstet gewesen zu sein. Er machte sich an dieses Wagnis in Nacheiferung der Taten des Herakles, da auch von Herakles erzählt wird, daß er den Löwen in Nemea so bezwungen habe.« (Paus. 6,2,5,5) (Übersetzung: Ernst Meyer)
Auch hier ist erstaunlich, dass der nordgriechische Berg Olymp nicht mit dem Göttersitz in Verbindung gebracht wird, sondern ausschließlich ein nüchterner Jagdbericht abgelegt wird.55
Diese säkularisierte Betrachtung des Olymps ist allerdings ein Nebenzweig der Vorstellungen über den Olymp. Denn es kommt seit dem 5. Jh. v. Chr. und verstärkt im Hellenismus und in den nachchristlichen Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit zu einer Entwicklung, in der der Olymp mit dem Himmel gleichgesetzt wird und dieser himmlische Olymp, der weiterhin als Berg gedacht ist, Sitz der Götter ist. Parallel dazu ist der tatsächliche makedonisch-thessalische Olymp ein realexistierender Berg, doch wird die Verbindung dieses realen Berges in der Literatur nur vergleichsweise locker auf den Göttersitz bezogen.
Spätestens in der Kaiserzeit wird der Olymp dann auch zum jenseitigen Seelensitz bzw. zu einem Ort, in dessen Nähe Seelen im Jenseits verweilen.56 So heißt es in der griechischen Gedichtsammlung Anthologia Palatina in einem Grabepigramm des Dichters Philippos von Thessalonike (1. Jh. n. Chr.):
»Der Sarkophag hier umfängt des Aetios heilige Reste,
der ein Ehrenmann und Meister der Redekunst war.
Nieder zum Hades entglitt nur der Leib, zum Olympos die Seele
Wo sie Freuden genießt ewig im Kreise des Zeus
Und der anderen Seeligen. Unter den Menschen unsterblich
Aber zu machen vermag weder das Wort noch ein Gott.« (Anth. Palat. 7,362) (Übersetzung: Dietrich Ebener)
Ähnlich auch die Grabinschrift eines unbekannten Dichters:
»Ich, Soterichos, der ich Armeen aufstellte, liege
Hier in dem Grab, hinterließ den lieben Kindern die Früchte
Meiner Bemühung. Wie Nestor führte ich Reiterschwadronen;
Niemals erwarb ich mir Schätze durch unrechtes Handeln.
Deswegen sehe ich auch nach meinem Tode den Glanz des Olympos.« (Anth. Palat. 7,678) (Übersetzung: Dietrich Ebener)
Diese Vorstellung des Seelensitzes findet sich auch in einem weiteren kaiserzeitlichen Grabepigramm für die verstorbene Prote. Dort wird zwar zwischen Olymp und Elysium (einer Art Paradies) unterschieden, doch sind die beiden eng räumlich benachbart.
»Du bist nicht gestorben, Prote, sondern übergegangen an einen besseren Ort,
und Du bewohnst die Inseln der Seligen in Heiterkeit
dort in den Elysischen Feldern springst Du in Freude
Du blühst und Du bist sanft, Du ermangelst alles Schlechten:
weder Kälte ist dir lästig, noch weht Wärme Krankheit zu Dir,
Du hast keinen Hunger und keinen Durst; und Du ersehnst nicht
die Menschen aus Deinem fernen Leben; Du lebst nämlich ohne Beschwerde
im reinen Licht des Olymp, der benachbart ist.« (App. II 461) (Übersetzung: Achim Lichtenberger)
Der Olymp als jenseitiger und überirdischer Seelensitz findet sich auch in kaiserzeitlichen und spätantiken Steinepigrammen im griechischen Osten.57 Die Vorstellung, dass der Olymp ein jenseitiger Seelensitz ist, kann vielleicht als eine Art privater Vergöttlichung (Apotheose) verstanden werden.58 Nach dem Modell der Vergöttlichung von Herrschern, wird dies auch für andere Menschen reklamiert. Die Universalisierung des Berges und die Loslösung von einem konkreten nordgriechischen Berg sind die Voraussetzungen dafür, dass der Olymp offen wurde für Verstorbene. Verwandt mit diesen Vorstellungen sind die Herrscherapotheosen, die allerdings eher auf die Vorbilder von Halbgöttern und Heroen zurückgehen, welche in den Olymp aufgenommen wurden; der berühmteste ist Herakles.59 Auch die Apotheose des römischen Kaisers war als Aufnahme in den Olymp unter die Götter gedacht, wie die Satire des Seneca auf die »Verkürbissung« des Kaisers Claudius (41–54 n. Chr.) belegt. Bei dieser kommt Claudius zunächst im Himmel bzw. Olymp an, ihm wird dann aber die Aufnahme unter die Götter verwehrt.60 Seneca überzieht den Kaiser mit Spott, wenn er statt zu einem Gott, zu einem Kürbis wird, der keinen Zugang zum Olymp hat.
In der Zeit nach Homer verschwindet die Vorstellung vom Olymp als einem Berg nie vollständig, doch wird sie immer stärker überlagert von der Idee, dass der Olymp ein überweltlich-himmlischer Ort ist, losgelöst von Nordgriechenland. Daran anknüpfend kann der Olymp in der Kaiserzeit dann im Rahmen einer Privatapotheose zum Seelensitz werden.