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Ein seltsames Treffen

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In dem verwilderten Garten hinter der Mauer hatte der alte Kater einen Platz zum Ausruhen gefunden. Er war erschöpft von der Jagd, doch sein Mittagessen hatte er gerettet.

Die herrliche Ruhe und die wärmenden Strahlen der Mittagssonne verfehlten ihre Wirkung nicht - in Zeitlupe senkten sich seine Augenlider und mit einer Pfote auf seinem Mittagessen schlief er ein. Kurz darauf befand er sich in einem Traum, den seine Seele aus einer anderen Zeit mitgebracht hatte:

Er spielt auf dem kühlen Marmorboden des Haustempels. Es ist sehr ruhig um die Mittagszeit, da Bewohner die kühleren Abendstunden für ihre Gebete bevorzugen.

Masaru hat bei seiner Menschenfamilie ein schönes Leben. Er wird gut versorgt und genießt absoluten Schutz. Nur eine Einschränkung hat sein Katzenleben:

Er darf nie nach alleine nach draußen.

Wenn die Familie ausgeht, muss er in einem Käfig sitzen und wird spazieren getragen.

Deshalb beneidet er die Straßenkatzen. Die sehen nicht so hübsch aus, haben auch nicht immer genug zu essen, aber dafür sind sie frei. Doch Masaru ist zu wertvoll, um alleine draußen zu leben.

Er hat schon mehrere Zuhause gehabt, denn einer so wertvollen Katze kann es schnell passieren, dass sie als Geschenk den Besitzer wechselt. Seine frühere Besitzerin durfte er sie immer begleiten, wenn sie abends nach Yoshiwara ging. Er hatte dann eine schönes Lederhalsband an und konnte er ein wenig herumlaufen, soweit es die Leine erlaubte.

Es war ein sehr besonderer Stadtteil, es gab hier die besten Gerüche in der ganzen Stadt und es fiel immer etwas Leckeres für ihn ab.

Einer der Herren war oft zu Gast bei seiner Herrin und eines Tages hatte Masaru wieder ein neues Zuhause.

Ein Kitzeln in seinem linken Ohr weckt den alten Kater. Schlaftrunken kratzt er sich, doch es hört nicht auf.

Er hebt seinen Kopf und sieht hunderte Ameisen, die auf dem Weg zu seiner Sardine die Abkürzung über seinen Kopf nehmen.

Sofort springt er auf und schüttelt sich so lange, bis das Kitzeln aufhört. Nachdem er mit viel Mühen sein Mittagessen vor seinen Artgenossen in Sicherheit gebracht, will er es jetzt nicht den Ameisen überlassen: Krachend zerbrechen die Gräten zwischen seinen Zähnen.

Genüsslich leckt er sich die Schnauze und Barthaare, während die Ameisen die wenigen Reste abtransportieren dürfen. Bald ist auch die letzte Schuppe verschwunden.

Frisch gestärkt und unternehmungslustig beginnt er seinen Streifzug durch das hohe Gras des verwilderten Gartens.

Eine alte Scheune weckt seine Neugierde. Tief geduckt schleicht er einmal um sie herum. An der Wand lehnt eine zerbrochene Glasscheibe, die außer der langsam untergehenden Sonne auch sein Spiegelbild zeigt.

Sein schwarzes Fell ist zwar nicht mehr so glatt wie früher, doch wirkt es immer noch gepflegt. Nur seine kleine weiße Blesse ist heute nicht ganz sauber.

Das doppelflügelige Tor ist geschlossen. Gleich daneben jedoch befindet sich eine kleine, ein wenig verzogene Türe.

Mit der Pfote versucht der alte Kater in den kleinen Spalt zu gelangen, endlich öffnet sie mit einem leichten Quietschen.

Sofort weiten sich seine Pupillen und mit aufgestellten Ohren blickt er in den düsteren Raum.

Fahles Mondlicht, fällt durch die Lücken der fehlenden Ziegel.

An den Wänden lehnen hier, wie auch überall im Garten, die Überreste alter Maschinen. Einige werfen gespenstische Schatten.

Von der Decke baumelt eine Kette herunter.

Im Vorbeischleichen bekommt sie mit der Pfote einen Schubs. Leises Rasseln - ein gespenstisches Geräusch in der Dunkelheit.

Macht’s Spaß?“.

Angewurzelt bleibt der alte Kater stehen. Langsam dreht er den Kopf. Er ist sich nicht sicher, ob da wirklich etwas war.

Vorsichtig setzt er eine Pfote vor die andere, als hätte er Angst etwas Unsichtbares zu zertreten.

Keine Angst. Ich kann dir nichts tun. Ich bin nur ein Geist!“ tönt es in seinem Kopf.

Geist?“

Ja, ein Geist! Wenn du willst, erzähle ich dir gerne wie man einer wird!“

Der alte Kater setzt sich unter die Kette und blickt an ihr empor. So hat er wenigstens einen realen Orientierungspunkt, als die Stimme zu erzählen beginnt:

Ich wollte nur die Straße überqueren, da hörte ich das Heulen eines Motors. Zum Reagieren war es zu spät und gleich darauf lag ich unter einem Auto.

Schon im nächsten Augenblick betrachtete ich alles aus einer schwebenden Perspektive, ein ziemlich komisches Gefühl kann ich dir sagen.

Der Fahrer stieg aus, zog mich unter seinem Wagen hervor und steckte mich in den Kofferraum. Es machte ihm überhaupt nichts aus, dass er mich eben getötet hatte. Dann fuhr er mit mir hierher.“

Und wo bist du jetzt? Ich meine, dein Körper?“

Schau mal noch oben!“

Der alte Kater legt den Kopf in den Nacken. Über ihm baumelt, mit dem anderen Ende der Kette verschnürt, ein Paket.

Das bin ich oder besser gesagt, der Rest von mir.“

Wann ist das passiert“, erkundigt sich der Kater.

Gestern, glaube ich!“

Aber was machst du jetzt noch hier?“

Ich bleibe in der Nähe meines Körpers, bis meine Seele abgeholt wird!“

Abgeholt? Von wem ?“

Von Baumgeistern, Engeln oder so! Meine Seele kann doch nicht als Geist einfach hierbleiben, oder?“

Der alte Kater ist wirklich erstaunt über diese Antwort

Bist du denn ganz alleine da oben?“

Ich weiß nicht, aber außer dir hatte ich noch mit niemandem Kontakt. Aber im Schintoismus glaubt man, dass alles eine Seele besitzt. Es gibt heilige Berge, heilige Flüsse, heilige Bäume und verschiedenes andere.“ fährt der Geist auf einmal fort. Anscheinend will er sich selbst Mut zusprechen.

"Manche Japaner glauben, dass die Seelen unserer Ahnen in einem Schattenreich weiterleben, andere wiederum glauben, dass die Seelen in anderen Körpern wiedergeboren werden und sie so in den Kreislauf der Lebenden zurückkehren.“

Wer hat dir denn das alles erzählt?“ fragt der alte Kater erstaunt.

Meine Mutter!“

Deine Mutter?“

Ja, eigentlich war sie meine Stiefmutter. Sie war Halbjapanerin“ fügt der Geist erklärend hinzu.

Sehr interessante Philosophie. Was glaubst du denn, wie es jetzt weitergeht“ stellt der alte Kater die Frage in den Raum und hofft seinen neuen Bekannten von seinem Trübsal etwas abzulenken.

Keine Ahnung!“

Aber aktiv scheinst du ja zu sein“, fährt er fort.

Aktiv? Was meinst du damit?“ erkundigt sich der Geist.

Ich meine damit, dass deine Seele aktiv ist.“

Schweigen.

Wir beide kommunizieren unsere Gedanken über unsere Gefühle und das funktioniert nur, wenn unsere Seelen aktiv sind. “ führt der alte Kater seine Gedanken zu Ende.

Dann müssen unsere Seelen auf einem ähnlichen Energieniveau schwingen. Vielleicht sind wir sogar Seelenverwandte!“ stellt der Geist erfreut fest. „Oh, wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt: Carlo oder was von ihm noch übrig ist“

Angenehm Don.“

Der alte Kater schließt die Augen. Das macht er immer so, wenn er nachdenkt.

Ich hoffe nur, dass meine Seele nicht irgendwohin geschickt wird, wo ich mich nicht auskenne.“ schreckt ihn sein Gesprächspartner aus seinen Gedanken wieder auf.

Wie meinst du das?“

Ein nettes Tier wäre ja nicht so schlimm, aber als Stein oder Baum, den jeder Hund anpinkelt, möchte ich nicht enden!“ fährt der Geist mit seinen Befürchtungen fort.

Nein, bestimmt nicht!“ beruhigt ihn Don.

Eine menschliche Seele bleibt immer eine menschliche Seele, genauso wie eine tierische Seele immer in einem Tier wiedergeboren wird und die Beseelung anderer physischer Dingen, wie Bergen, Wasser und Luft immer aus einem eigenen Seelenmeer geschieht. An dieses indische Karma Gespenst, das man zur Strafe in einem Stein wiedergeboren wird, glaube ich nicht. Falls es wirklich Strafen gibt, sehen sie bestimmt anders aus.“

Und wieso bist du so sicher?“ fragt Carlo ganz erstaunt.

Wegen des Deja-VUs!“

Wieso das?“ Seine Verwirrung ist ihm anzufühlen.

Bei einem Deja-Vu hast du doch das Gefühl, genau diese Situation schon einmal genauso gelebt zu haben, richtig?“

Richtig!“

Es ist aber nur eine Wirklichkeit für deine Seele gewesen, für dich selbst ist diese Wirklichkeit ganz neu. Bei diesen Deja-Vus erlebst du eben nur Situationen, die in einem menschlichen Leben passiert sind, oder hast du schon mal Erinnerungen an ein Wurmleben oder ein Felsleben gehabt?“

Unsichtbares Kopfschütteln!

Ich bin sicher, dass geht gar nicht, weil deine Seele erst in einem Menschen wieder eine Aufgabe bekommt und sich deshalb auch nur an die Erlebnisse als Mensch erinnern kann. Ich hatte bis jetzt wirklich nur Deja-Vus als Katze“, bekräftigt Don seine Analyse.

Das würde aber bedeuten, dass Seelen wiedergeboren werden und nicht in einem Schattenreich vermodern. Das ist eine angenehme neue Erkenntnis. Aber wieso können unsere Seelen miteinander kommunizieren? Sie stammen doch aus verschiedenen Seelenmeeren“, wendet der Geist nach kurzem Überlegen ein.

Don setzt sich auf. Dabei hält er seinen Kopf etwas schief und fährt sich mit der Pfote über die Nase.

Soweit ich weiß, können sich Seelen weiterentwickeln! Ab einer gewissen Stufe können sie auch in Kontakt mit Seelenwesen einer anderen Kategorie treten.

Hierbei handelt es sich um den empathischen Kommunikationsbereich.“ beschließt Don seinen Vortrag und bemerkt wie müde er sich auf einmal fühlt.

Aufregungen wie die heutigen, steckt er nicht mehr so leicht weg.

Ich brauche jetzt ein bisschen Schlaf. Morgen sehen wir weiter, ok?“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verlässt er die Scheune.

Im Garten, hinter einem Holzstoß, findet er den idealen Schlafplatz. Kaum hat er sich zusammengerollt, ist er auch schon eingeschlafen.

Von der nächtlichen Aktivität um ihn herum, bekommt er nichts mit.

Der neapolitanische Kater

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