Читать книгу Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper - Agnes Sapper - Страница 23

VII.

Оглавление

Unter der großen Anzahl von Dienstmädchengesuchen konnte man am nächsten Tag im Lokalanzeiger lesen: »Es wird ein recht gutes, freundliches Dienstmädchen gesucht bei stets steigendem Lohn. Näheres um zehn Uhr im Gymnasiumshof.«

Als der Zeitungsträger den Lokalanzeiger wie jeden Tag mittags ins Haus brachte, sah Heinrich ganz begierig nach: richtig, da kam seine Anzeige unter vielen andern. Er war überzeugt, daß niemand außer Stellensuchenden diese Anzeige lesen würde und daß er gewiß ganz unvermerkt während der Unterrichtspause, die von zehn bis ein Viertel auf elf Uhr stattfand, in den Hof des Gymnasiums gehen und sich unter den Dienstmädchen, die da kommen würden, die freundlichste heraussuchen könne. Name und Wohnung der Patin hatte er schön deutlich auf einen Zettel geschrieben, den wollte er dann der Auserwählten geben, damit sie sich Fräulein Stahlhammer anbiete. Nur durfte sie nicht sagen, wer sie geschickt habe; wenn sie ihm nur das gewiß versprach!

Es hatte aber doch noch jemand anders als nur Dienstmädchen die Anzeige gelesen. Der Schuldiener des Gymnasiums hatte eine Frau, die von der ganzen Zeitung nichts las als die Anzeigen, diese aber gründlich. Sie brachte am Abend ihrem Mann das Blatt. »Da sieh doch nur, wer kann das sein, der die Dienstmädchen in unseren Hof bestellt!« Der Schuldiener machte ein ernstes Gesicht. »Das ist ein Unfug,« sagte er »und muß dem Herrn Rektor gemeldet werden!«

»Laß mich nur erst besinnen,« sagte die Frau, »es kommt doch darauf an, wer’s ist; das bring ich schon heraus, es muß ja von unseren Professoren jemand sein. Einer, der nicht will, daß das Mädchen sich in der Wohnung zeigt, weil der alten noch nicht gekündigt ist. Der Herr Rektor selbst ist’s natürlich nicht, der Herr kümmert sich nicht um das Dienstpersonal, und von den alten Herren täte so etwas auch keiner. Weißt du, wer das ist? Niemand anders als der neue Mathematikprofessor. Bei dem ist immer Magdnot, sie ist keine rechte Hausfrau und er ist ein guter Mann und ein absonderlicher. Der macht sich gar nichts daraus, wenn’s seine Frau haben will, und läßt die Mädchen kommen und schaut sie durch seine Brille an und nimmt dann natürlich die ungeschickteste. Da muß ich schon um den Weg sein und zum Rechten sehen, daß er nicht gar so dumm hineintappt. Brauchst dem Rektor nichts zu sagen.«

Aber der Diener kannte seine Pflicht. Er ließ seine Frau reden und brachte das Zeitungsblatt dem Rektor der Anstalt, einem älteren ruhigen Herrn, dem schon Schwierigeres im Leben vorgekommen war. Ihm teilte er auch die Vermutung seiner Frau mit. »Es kann ja sein, daß Professor Graun, der hier noch fremd ist, auf diesen etwas wunderlichen Gedanken kam,« sagte der Rektor, »ich werde ihn vorher fragen, dann kann die Sache noch anders eingerichtet werden. Es wäre mir lieb, wenn sich Ihre Frau nicht einmischte, können Sie das verhindern?« fragte er mit feinem Lächeln.

»Herr Rektor, Sie wissen ja selbst, sie ist ein wenig neugierig, sozusagen gewalttätig; man bringt sie nicht recht aus dem Weg, wenn so etwas los ist.« »Nun es wird sich schon machen lassen,« sagte der Rektor, »die Sache ist ja gar nicht so vieler Worte wert. Wenn Professor Graun morgen früh kommt, so bitten Sie ihn, einen Augenblick zu mir zu kommen.« Damit war der Diener entlassen.

Am nächsten Morgen vor acht Uhr, als der Mathematikprofessor ins Gymnasium kam, wurde ihm der Auftrag des Rektors ausgerichtet.

»Wissen Sie vielleicht, wer diese Anzeige eingerückt hat?« fragte der Rektor.

»Nein, davon habe ich keine Ahnung.« Der Rektor ging in den großen Gang, der in dem alten Gymnasiums-Gebäude auf drei Seiten den Hof umschloß. Durch diesen Gang hatten die Klassenzimmer ihren Eingang. Mit dem Anzeiger in der Hand stellte sich der Rektor an eines der Fenster. Um diese Zeit herrschte hier lautes Leben, alle die Schüler polterten die Treppe herauf und trabten über den Gang nach ihren verschiedenen Zimmern, dazwischen war der langsamere, festere Tritt der Lehrer hörbar. Heute wurde von letzteren ein jeder abgefaßt; der Rektor fragte nach der Anzeige, aber keiner wollte etwas davon wissen. Unter diesen Professoren war auch Heinrichs Onkel. Professor Kuhn aber ahnte ebensowenig wie die andern den Urheber der Anzeige und konnte darüber keinen Aufschluß geben. Allmählich kamen nur noch vereinzelte Schüler, jetzt schlug es 8 Uhr, und die größte Stille herrschte in dem noch eben so belebten Gebäude, der Unterricht begann.

Schlag 10 Uhr ertönte unten in des Dieners Wohnung ein zweimaliges Glockenzeichen; dies war der verabredete Ruf, dem die Frau des Dieners in das Rektoratszimmer zu folgen hatte. Sie stand schon am Posten am Eingang des Hoftors, ihre Neugierde war aufs höchste gespannt. Nein, wie fatal, gerade in dem Augenblick klingelte ihr der Rektor. Diesmal sollte nur ihr Mann an ihrer Stelle gehen. »Peter!« rief sie, Peter!« Von Peter kam keine Antwort, dagegen wiederholte sich noch etwas stärker das Glockenzeichen; da gab es kein Besinnen mehr. Sie ging die Treppe hinauf, so schnell als es ihr, der wohlbeleibten Frau, möglich war. Einen Blick warf sie noch zurück, ehe sie den Hof aus dem Auge verlor, und da glaubte sie gerade noch ein Mädchen, ein ganz fein gekleidetes, durch das Hoftor kommen zu sehen. Der Rektor wartete schon unter der Türe seines Zimmers auf sie.

»Gehen Sie sogleich hinauf in die Bodenkammer und holen Sie mir aus dem Kasten Nr. 5 alle diejenigen Hefte, die mit Klasse IX Jahrgang 88 bezeichnet sind.«

Ach, das war bitter! Bis diese Hefte ausgesucht waren, ging jedenfalls eine Viertelstunde hin! Eine so bedeutsame Viertelstunde! An eine Widerrede war nicht zu denken, sie mußte hinauf in die Bodenkammer. Aber etwas Glück ist doch meist beim Unglück, der Kasten Nr. 5 stand nahe bei der Dachlücke, und aus dieser herunter konnte man den Hof überblicken. Und da sah denn die gute Frau von ihrer Höhe aus was vorging. Die Schüler rannten wie alle Tage während der Pause in den Hof hinunter, der Herr Rektor und die Herren Professoren blieben aber nicht wie sonst in der kalten Jahreszeit in ihren Zimmern; einer nach dem andern erschien auf dem Gang, offenbar war jeder neugierig zu sehen was im Hof vor sich ging; auch Professor Kuhn war unter ihnen; und hinter seinem Fenster im Erdgeschoß blickte der Schuldiener hervor.

Nun kam von der Straße herein durch den Torweg ganz unbefangen ein Dienstmädchen und sah sich um, nicht ahnend, daß sie von so vielen gestrengen Herren beobachtet wurde, denn sie traten alle etwas zurück, um nicht bemerkt zu werden. Unter den herumtollenden Knaben trat einer auf das Mädchen zu. Es war Heinrich. »Das ist der kleine Schubert,« sagte einer der Lehrer zu dem andern. »Ihr Kostgänger, nicht wahr, Herr Professor Kuhn?«

»Mein Neffe und Pflegesohn. Sie sind verwaist, die beiden Schuberts.«

»Ein aufgeweckter, netter Bursche; von allen merkt keiner außer ihm, daß dies Mädchen jemanden sucht.«

»Ja, er ist immer dienstfertig, und wie eingehend er Bescheid gibt!«

»Der betreffende Herr oder Dame, die die Mädchen hierher bestellt hat, scheint sich verspätet zu haben; aber da kommt schon wieder eine, das ist eine stattliche Person; und richtig, der kleine Schubert nimmt sich ihrer wieder an.«

Die Herren Professoren lachten. Hätten sie das Zwiegespräch zwischen dem Dienstmädchen und Heinrich gehört, so wären sie wohl erstaunt gewesen.

»Ich habe mir ja gleich gedacht, daß das nichts Rechtes ist,« sagte die große stattliche Köchin, »nur weil ich gerade vom Markt komme, hat mich die Neugier hereingetrieben, wer sich denn die Mädchen in den Gymnasiumshof bestellt. Daß es nur so ein kleiner Lausbub ist, hätte ich mir aber doch nicht gedacht.«

»Es ist aber eine ganz gute Stelle,« sagte Heinrich, »und ich hab’s getan wegen meiner kleinen Schwester.«

»Was wär’ denn hernach der Lohn?« fragte die Köchin von oben herab.

»So genau weiß ich das nicht,« sagte Heinrich und dann, da hierauf das Mädchen höhnisch lachte und so gar nicht gutmütig aussah, fügte er offenherzig hinzu: »Ein besonders gutes Mädchen müßte es aber sein!«

»Ja, ja, und eine rechte dumme dazu! Sieh, da kommt so was, das sieht dumm genug aus, um auf deinen Leim zu gehen.« Die Große verschwand, ein kleineres, vielleicht siebzehnjähriges Mädchen erschien im Hof, und diesmal ging Heinrich gleich auf sie zu.

Oben bemerkte der Rektor: »Man könnte meinen, der kleine Schubert habe sie bestellt.«

»Ja, wahrhaftig,« sagte sein Klassenlehrer, »er ist oft ein rechter Schelm und hat närrische Einfälle.«

»Es kommt mir auch wunderlich vor,« meinte Professor Kuhn, dem es schon geraume Zeit unbehaglich zu Mute war, während er seinen Neffen beobachtete. Inzwischen hatte Heinrich in eiligen Worten – denn er fürchtete, das Ende der Pause möchte seine Unterhandlungen unterbrechen – dem Mädchen gesagt, er wisse eine feine Stelle bei einem alten Fräulein und einem herzigen kleinen Mädchen. Und dann schilderte er so rührend sein verwaistes Schwesterchen, daß er des Mädchens Teilnahme erregte. »Ich habe meine Mutter auch schon lange verloren,« sagte sie, »und deshalb bin ich schon seit meinem fünfzehnten Jahr im Dienst und hab’s so hart als Spülerin in einer Schenke. Wenn ich in ein so feines Haus kommen könnte!«

»Freilich können Sie, da ist Name und Wohnung aufgeschrieben. Fahren Sie nur gleich am Sonntag hinaus, aber ja nicht sagen, daß ich Sie geschickt habe, bloß: Sie hätten’s gehört, nicht von wem. Und wenn Sie erst mein Klärchen sehen, dann werden Sie sich gar nimmer besinnen!«

»Wie ist denn die Wohnung? Viele Zimmer und weiße Böden?«

»Ja freilich, Platz genug und alles sauber und rein.«

»Ich meine nur so, wenn’s so viele Zimmer sind, wegen dem Putzen, wenn alle Böden weiß sind –«

»Ja so, ich glaube, sie sind doch nicht weiß, mehr so bräunlich –«

»Vielleicht Parkett?«

»Ja, ja wahrscheinlich.«

»Parkett ist zum Reinigen fast noch anstrengender.«

»Ich glaube auch gar nicht, daß sie Parkett sind, wie heißt man die Böden, die so bequem sind zum Putzen?«

»Die angestrichenen.«

»Ja, ja, angestrichen sind glaube ich alle.«

»Und wie ist denn der Lohn?«

»Der ist hoch und alljährlich wachsend, so viel ich weiß. Fräulein Stahlhammer wird Ihnen das alles sagen.«

»Ist’s ein gutes Fräulein? Ich frage ja nur, weil’s das Kind nicht gut hat.«

»Ja so, ja das Fräulein ist in allen wohltätigen Vereinen und schreibt sehr schöne Briefe.«

»Ich wollte schon hinaus am Sonntag und mir’s ansehen, aber ums Fahrgeld ist mir’s halt.«

»Ach, ans Fahrgeld habe ich gar nicht gedacht; aber warten Sie nur, ich kann Ihnen schon etwas geben; dreißig Pfennig kostet die Fahrkarte, so viel habe ich vielleicht noch Taschengeld, aber die Anzeige war so teuer.« Heinrich zog sein Beutelchen. »Nein, siebenundzwanzig sind’s nur noch, aber drei können Sie wohl darauflegen?«

»Ja,« sagte das Mädchen gutmütig, »den letzten Pfennig will ich Ihnen auch nicht abnehmen, wenn ich nur zwanzig bekomme.«

»Gut,« sagte Heinrich, »dann habe ich doch noch sieben im Beutel, die Woche ist noch lang!«

Die Professoren hatten von Heinrichs Worten nichts verstehen können, aber als sie sahen, daß sich allmählich eine ganze Anzahl Schüler neugierig um die Beiden sammelte und daß Heinrich seinen Geldbeutel hervorzog, machten sie der Sache ein Ende; Professor Kuhn rief seinen Neffen herauf, gerade in dem Augenblick, als das kleine Dienstmädchen durch den Torweg verschwand.

Als Heinrich in fröhlicher Stimmung, dem Ruf seines Onkels folgend, die Treppe hinaufsprang, war er nicht wenig bestürzt, den ganzen Gang voll Professoren zu sehen, ja sogar den Rektor neben seinem Onkel und dem Klassenlehrer. Ihm ahnte nichts Gutes und sein Herz klopfte angesichts so vieler gestrenger Herren. Es begann auch sogleich ein peinliches Verhör. Der Rektor fragte zuerst: »Was hast du mit dem Mädchen im Hof gesprochen?«

Einen Augenblick zauderte Heinrich. So gewissenhaft wie sein älterer Bruder war er von Natur nicht und nicht immer hatte er bei seinen Streichen der Versuchung widerstanden, sich ein wenig herauszuschwindeln. Diesmal aber, in dem Gefühl, daß er in bester Absicht gehandelt hatte und auch unter dem Eindruck der Würdenträger, die vor ihm standen, hielt er mit der Wahrheit nicht zurück, sondern sagte gerade heraus: »Ich habe das Mädchen gedungen für Fräulein Stahlhammer, bei der meine kleine Schwester ist.«

»So war von dir diese Anzeige verfaßt?« fragte der Rektor.

»Ja,« sagte Heinrich, »die ist von mir.«

»Wer hat davon gewußt?«

»Wem hast du es vorher mitgeteilt?«

»Gar niemand.«

»Heinrich!« sagte der Onkel vorwurfsvoll, »weder der Tante noch Konrad?«

»Niemand,« sagte Heinrich, »sie wären doch alle dagegen gewesen.«

»Damit gibst du zu,« sagte langsam und nachdrücklich Heinrichs Klassenlehrer, »daß du dir wohl einer unrechten oder törichten Handlung bewußt warst.«

»Für unrecht habe ich’s nicht gehalten,« sagte Heinrich, »aber für anders als man’s gewöhnlich macht, und das wollen sie immer nicht.«

»Sie wollen es nicht? Wer ›sie‹?« fragte der Klassenlehrer scharf. »Wen meinst du mit diesem geringschätzigen ›sie‹?«

»Bloß die Menschen,« sagte Heinrich.

»Ich verstehe den Zusammenhang nicht,« sagte der Rektor, sich an Professor Kuhn wendend, »was kann ihn veranlaßt haben, für andere Leute ein Mädchen zu dingen? War er beauftragt?«

»Nein, es geschah offenbar aus Mitleid. Seine kleine Schwester wird in ihrem Kosthaus von dem Dienstmädchen allem Anschein nach nicht gut behandelt und beeinflußt; darüber waren die Brüder – und ich allerdings mit ihnen – sehr betrübt. Meine Frau und ich konnten uns aber der Verhältnisse wegen nicht einmischen, und so scheint er auf diesen Ausweg verfallen zu sein.«

»Nun,« fragte der Rektor, »und was hast du denn ausgerichtet? es sind wie mir scheint mehrere gekommen.«

»Ja, zwei waren nichts, aber die dritte ist fein, sie hat mir versprochen, daß sie nach Waldeck fährt.«

»Man darf vielleicht,« sagte der Onkel, sich an den Rektor und den Klassenlehrer wendend, »die Anhänglichkeit der drei erst kürzlich verwaisten Geschwister als Entschuldigung für Heinrich ansehen. Er hat es gut gemeint mit seiner Schwester.«

»Wenn Sie es so auffassen,« sagte der Rektor, »so schließe ich mich Ihnen an, Sie kennen die Verhältnisse. Ich sehe keine strafbare Handlung in dem Vorgefallenen; du kannst gehen, Heinrich.« Dieser ließ sich’s nicht zweimal sagen; wie ein Wiesel schlüpfte er zwischen den Herren hindurch, möglichst schnell, denn wer konnte wissen, ob die Sache nicht eine andere Wendung nehme; seinem Klassenlehrer traute er nichts Gutes zu, er sah ihn so ungnädig an. In der Tat sagte dieser auch etwas mißbilligend zum Rektor: »Er ist gut durchgekommen für diese unziemliche Handlung, fast zu gut.«

»Ja,« sagte der Rektor, »schicken Sie ihn nach Schluß der Schule noch einmal allein in mein Zimmer.«

Diese Worte waren sehr nach dem Sinn des gestrengen Lehrers; Heinrich aber war bestürzt, als er durch den Lehrer erfuhr, daß noch etwas nachkommen sollte. Er fand sich nach dem Schluß der Schule im Zimmer des Rektors ein. (Auf dem Tisch lagen die Hefte der IX. Klasse aus dem Jahrgang 88.) »Du bist heute ohne Strafe durchgekommen,« sagte der Rektor, »das verdankst du der Fürsprache deines Onkels. Mit väterlicher Treue ist er für dich eingetreten. Einen andern Mann an seiner Stelle hätte es gekränkt, daß du ohne sein Wissen solche Dinge unternimmst. Er hat bewiesen, daß er dich lieb hat. Hast du auch ihn lieb?«

»Ja,« sagte Heinrich, und das kam von Herzen.

»Dann beweise auch du es. Wie, das muß dir dein Herz sagen.«

»Ich will’s tun,« sagte Heinrich.

»Und noch etwas: du hast dich darüber beschwert, daß die Menschen nie etwas anders machen wollen, als man es gewöhnlich macht, und das war der Grund, warum du deine Absicht, ein Mädchen zu dingen, nicht vorher verraten hast, nicht wahr?«

»Ja,« sagte Heinrich, »es heißt immer: das kann man nicht, oder: so macht’s niemand.«

»Da hast du recht. Viele Menschen getrauen sich ihr ganzes Leben hindurch nicht, nach eigenen Gedanken zu handeln. Bei ihnen heißt es: so machen’s alle Leute.« »Ja, ja,« sagte Heinrich von Herzen zustimmend.

»Es soll mich freuen, wenn du einmal nicht zu denen gehörst, sondern wenn du später als Mann sagst: Ich tue, was gut und verständig ist, ob’s nun andere auch so machen oder nicht. Aber wohlverstanden: erst als Mann. So lange du noch jung und unselbständig bist, darfst du dir nicht herausnehmen, nach eigenem Gutdünken zu handeln; kannst auch überzeugt sein, daß es meistens nicht gut ausfallen würde. Also für die nächsten Jahre: Vertraue alles deinem Onkel an, und was du ihm nicht sagen magst, das unternimm auch nicht. Und jetzt gehe und tue was recht ist.«

Heinrich kam später als sein Onkel von der Schule heim. Inzwischen hatte dieser noch über die Sache nachgedacht und war ärgerlich über den Jungen. Wer konnte wissen, was der alles anstellen würde, nachdem er einmal angefangen hatte, hinter seiner Pflegeeltern Rücken solche Dinge zu unternehmen! Und wie sollte diese Sache ausgehen! Fräulein Stahlhammer ließ sich kein Mädchen aufdrängen, am wenigsten, wenn es von dieser Seite kam; Mine würde auch nicht gehen, und bei der ganzen Sache nichts herauskommen als Verstimmung. Der Professor saß eben vor seinem Schreibtisch, in dem er seine Hefte verwahrte, ehe er zu Tisch ging. Die Jugend versammelte sich schon im Eßzimmer, da ging die Türe auf und Heinrich sah herein. Er gehörte nicht zu denen, die ihre Empfindungen schwer über die Lippen bringen. Lebhaft ging er zu seinem Onkel und dessen Hand fassend sagte er: »Das war so fein von dir, Onkel, daß du mir geholfen hast. Mein Professor hätte mich ja am liebsten in den Karzer gesteckt, wenn du mir nicht zu Hilfe gekommen wärst, ich danke dir recht schön dafür! Sogar der Herr Rektor hat etwas von deiner väterlichen Fürsorge gesagt, es war etwas sehr Schönes.«

Den Onkel freute Heinrichs Dankbarkeit, er sah schon wieder ganz freundlich auf seinen Neffen. »Die Hauptsache ist,« sagte er, »daß du nicht noch einmal so etwas tust.«

»Nein, in den nächsten Jahren nicht mehr, das habe ich schon mit dem Herrn Rektor ausgemacht. Aber dann! Gehen wir jetzt zum Essen, Onkel? Ich habe in der Pause nichts essen können, bin furchtbar hungrig.«

»So komm,« sagte der Onkel und sie gingen unwillkürlich Hand in Hand – es war wohl der Rektor, der diese Hände ineinandergelegt hatte.

Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper

Подняться наверх