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1. Kapitel

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Als Elli Kappel morgens aus dem Schlaf fuhr, wusste sie plötzlich, was die Stunde geschlagen hat. Ich muss meinen bösen Mann verlassen, ehe es zu spät ist, dachte sie. Ach, hätte ich bloß schon eine Leidensgenossin gefunden, die vom gleichen Schicksal betroffen, sich auch vom widerwärtigen Mann trennen will! Dann könnten wir gemeinsam gegen unsere Unbill kämpfen, was besser ist als im Alleingang.

Ihr Ehemann, Jupp Kappel, ein 60-jähriger, großer, beleibter Mann mit Spitzbart und angegrautem Haar, arbeitete als Aushilfsdozent an der Universität. Am Ende des Wintersemesters 2020, als die Semesterferien gerade begannen, ging er sofort auf Reisen, ohne seine Frau zu informieren, außer dass sie ihm auf Befehl seinen großen Koffer packen musste. Er teilte ihr seit Jahren nichts von Bedeutung mehr mit. War er fort, lebte sie wieder auf. Dann kehrte im Hause Kappel wenigstens eine Zeitlang wieder Ruhe und Frieden ein, wo sie sich vom Ehestress erholen und konzentrierter als sonst in ihrer beruflichen Arbeit als Übersetzerin fortfahren konnte. Ihre Liebe zu ihrem Mann hatte sich erledigt. Hass war an deren Stelle getreten. Aber warum hatte sie das Haus Kappel noch immer nicht verlassen? Dies verstand sie selber nicht.

Wenn sich ihr Mann zuhause aufhielt, gab er sich mit großer Leidenschaft dem Leviten-Lesen hin, so eifrig wie an der Universität seinen Vorlesungen, wiederholte dabei seine immer gleichlautenden unhaltbaren beleidigenden Sprüche und Vorwürfe, die seine Frau jedesmal in Verzweiflung stürzten. Sie konnte seine ungerechtfertigten Anklagen nicht mehr hören. Aber sie musste sich trotz Widerwillen und unter Strafandrohung seine verbalen Angriffe bis zum Ende anhören. „Du machst mein Bett nicht mehr“, fing er an, „räumst mein Schlafzimmer nicht auf! Ordnung kennst du nicht, alles ist schmutzig hier, besonders die Küche, schau dich dort einmal um!, zwei Körbe Schmutzwäsche warten in der Waschküche aufs Waschen, Bügeln kennst du überhaupt nicht, meine Hemden sind nach wie vor knitterig, die Hosen tragen keine Bügelfalten, meine Schuhe werden nie geputzt, an der Universität falle ich wegen unordentlicher Kleidung schon auf. Welche Blamage das für mich ist, verstehst du nicht! Mit einem Wort, ich bin völlig unzufrieden mit dir, denn du erfüllst deine Pflicht als Hausfrau nicht, obgleich ich dich seit langem mahne, was nicht fruchtet. Für was habe ich dich bloß geheiratet, das möchte ich schon wissen. Ich bin geradezu auf dich hereingefallen, ist es nicht so? Auf der ganzen Linie versagst du; kein gutes Wort, kein Lob verdienst du. Umsonst ist es, an dich hin zu reden, dich auf dies und jenes aufmerksam zu machen. Es geht ins eine Ohr hinein und zum andern hinaus. Keine Wirkung zeigen meine Worte; es ist wie gegen den Wind gesprochen. Ach, es ist ein Kreuz mit dir, Weib! Was fange ich bloß mit dir an? Immer sitzt du in deiner Schreibstube, übersetzt Bücher schlecht und recht, die wenig Geld einbringen oder dir völlig misslingen, dein Verlag ist unzufrieden, wie du selber sagst. Du taugst eben zu gar nichts! Gut, dass wir keine Kinder haben, die hättest du nicht großziehen können. Keine gute Mutter wärst du gewesen, so wie du auch keine gute Ehefrau bist. Mit einem Wort gesagt, ich kann mit dir nicht mehr leben!“, so sagte und behauptete er jedesmal beim Leviten-Lesen mehrmals im Monat. Sie musste stillsitzen und sich bis zum Ende seine unlautere Kritik anhören, durfte nicht aufspringen und davonlaufen, was sie brennend gerne getan hätte. Hätte sie ihn jedoch willkürlich unterbrochen, oh, dann wäre sie auf der Stelle bestraft worden; er hätte sie verprügelt ohne Ende, mit Füßen getreten, an den Haaren gezogen, am Boden entlang geschleift und mit Gebrüll in die Waschküche oder ins Bügelzimmer gejagt, wie er schon öfters tat. Mit psychischer Gewalt greift er mich an, dachte sie beim Zuhören. Meine Psyche will er zerstören. Er gibt mir keinen Raum zur Richtigstellung und Gegenrede. Besser ist es allerdings zu schweigen, denn gegen diesen verschlagenen, durch und durch verlogenen Mann ist nicht anzukommen. Gegen seine Willkür bin ich ohnmächtig. Ach, könnte ich mir doch die Ohren zustopfen, dass ich nichts mehr höre! Er will mich erniedrigen und verletzen und psychisch zerstören. Ein Vieh ist er und kein Mensch. Ja, so dachte sie immer, wenn Jupp zuhause weilte und ihr die Leviten las.

Jupp war ein ganz und gar versoffener Mann, der gerne Bier und Wein trank, aber manchmal auch scharfe Sachen wie Whisky mit Soda wie Churchill, so wie er sagte, oder Wodka wie die Russen. Aber wenn er fort und verreist war, lebte Elli jedesmal auf; dann war jeder Tag für sie ein sonniger Tag, auch wenn es regnete.

Sie wusste also seit heute früh, was zu tun sei, um ihn, Jupp, endlich loszuwerden. Sie musste ihn verlassen, ohne wenn und aber, weil er sie krank machte. Schuld, ihr so zuzusetzen, war vielleicht seine Trunksucht oder was auch immer. Sie wusste es nicht genau. Nun hatte sie sich endlich entschieden, Widerstand zu leisten. Sie musste es sofort angehen und in seiner Abwesenheit in die Wege leiten. Nach dem Frühstück zog sie sich in ihre Schreibstube zurück und suchte im Internet nach Frauen mit gleichen Eheproblemen, davon gab es viele, suchte geschlagene, missbrauchte Frauen, die Rat suchten, denn sie brauchte Verstärkung. Sie brauchte eine tatkräftige willensstarke Gleichgesinnte, eine Mitstreiterin und Leidensgenossin. Zusammenhalten müssen geschundene Frauen, dies ist das A und O, sagte sie sich. Lange hielt sie sich im Internet auf, recherchierte hier, suchte dort, las dies und jenes, bis sie endlich auf die Fährte einer gleichaltrigen Frau stieß, die ähnliche Ehekonflikte zu haben schien und die in der gleichen Großstadt wohnte wie sie selber. Ideal, dachte sie. Sie hieß Doris Wick. Mit dieser Frau verbündete sie sich jetzt Ende Februar 2020 und merkte bald nach einigen Telefongesprächen, dass sie sich gegenseitig gut verstanden. Nach und nach, Tag für Tag, blätterten sie ihr gegenwärtiges und vergangenes Leben durch, ohne sich zu treffen. Dabei stellten sie innerhalb kurzer Zeit fest, dass sie beide unbedingt ihren Ehepartner aufgeben und ein selbständiges Leben führen müssen. „Du bist die meine, Doris!“, rief Elli schließlich aufatmend ins Telefon aus übergroßer Freude, sie gefunden und für ihren Kampf gewonnen zu haben.

Scheinbar, wie sich im Laufe der Zeit herausstellen sollte, kamen mitunter schlimme Dinge in beider Ehebiografien vor. Sie stimmten darin überein, dass sich unabdingbar und unbedingt etwas ändern müsse, denn die häusliche Gewalt, die sie vom Ehepartner erleben mussten, war unerträglich geworden. Gemeinsam sind wir stark, sagten sie sich wiederholt, also packen wir das Unausweichliche gemeinsam an und lassen wir uns scheiden.

Das Wälzen von Problemen am Telefon schmiedete sie allmählich mehr und mehr zusammen. Sie beratschlagten sich und kamen zur Einsicht, das, was sie vorhatten, müsse schnell passieren, man dürfe nicht lange zuwarten, nicht säumen, dies wäre ein Rückfall in alte Verhaltensmuster. Ein schneller Schlussstrich müsse gezogen, ein scharfer Schnitt gemacht werden. Man dürfe nichts mehr hinauszögern, weil eine Verschleppung ans Eingemachte rühre. Ein menschliches Wrack würden sie sonst werden und die Lust am Leben verlieren. Vielfache Sorgen nagten an ihnen, nahmen ihnen den Appetit; sie magerten ab. In ihrer beruflichen Arbeit als Autorin und Malerin kam Doris Wick nur noch langsam voran, ebenso Elli Kappel als Übersetzerin von englischsprachigen Büchern ins Deutsche. Laufend wurden beide durch das Zusammenleben mit ihrem jeweiligen Ehemann gedanklich abgelenkt und an ihr trauriges Schicksal erinnert, das vehement seit Jahrzehnten auf ihrer Seele lastete. Am besten gleich zwei zusammenhängende Wohnungen wollten sie sich suchen. Dies wäre ratsam, wünschenswert und ideal, dachten sie beide gleichermaßen, um nicht so alleine zu sein. Zur Selbsthilfe müsse man greifen und hinzu käme dann gegenseitige Aufmunterung, Fürsorge und Solidarität in ihrer engen Verbundenheit als Freundinnen. Stets befassten sie sich jetzt mit ihrem aktuellen Thema und bereiteten sich schon auf die Flucht vom Partner vor. Es wurde nach vielen leidvollen Jahren auch wirklich Zeit, sich endlich auf den Weg zu machen, sich mit der Trennung zu befassen, darin stimmten sie fest überein. Doris sagte: „Immer lieber bin ich alleine. Ich rede eigentlich schon seit Jahren kaum noch ein Wort mit meinem Mann, ziehe mich seit Jahren schon mehr und mehr von ihm zurück, wenn es möglich ist und er mich lässt, und halte mich im Atelier oder Schreibzimmer auf, aber auch hier überfällt er mich, rumpelt ohne anzuklopfen argwöhnisch in meine Räume und schreit vorwurfsvoll, als täte ich etwas Verbotenes: „Was schreibst du da immer?“ Adam will mir ein schlechtes Gewissen machen. Er will mir nämlich damit sagen: Schreibe ja nichts von meinem widerlichen brutalen Verhältnis zu dir, sonst kannst du was erleben! Ich bringe dich sonst noch um!, wenn du dies veröffentlichst! Oder er greift mich im Atelier an, was nicht minder abscheulich ist. „Du bist keine Malerin! Bist es nie gewesen!“, brüllt er, während er von Bild zu Bild schlurft und die Gemälde missfällig und mit herabhängenden Mundwinkeln betrachtet. „Leg den Pinsel aus der Hand! Die Kunstakademie hat dir nichts beibringen können, weil es dir an Talent fehlt! Du sonnst dich wohl in deinem Künstlertum! Wie lächerlich! Lass ab davon! Putz lieber, du faules Aas!“

„Ich bin nämlich auch eine akademische Malerin, Elli“, sagte sie, „und nicht bloß Autorin. Ich habe zwar schon allezeit gemalt, auch schon als Kind, aber als Amateurin und Autodidakt wollte ich mich nicht zufrieden geben, sondern wollte mehr hoch hinaus, wie es so ist als heranwachsender Mensch. Darum studierte ich Malerei an der Kunstakademie, um eher als Künstlerin Anerkennung zu erlangen, stellte ich mir damals vor. Es kam mir auch auf Prestige drauf an, nämlich. Aber Adam, der mich nach dem Kunststudium gleich heiratete, hielt nichts von meiner Kunst, ließ mich nicht hochkommen; indem er manche meiner Kunstausstellungen mit Gewalt verhinderte. „Koche, putze, pass auf deine Tochter auf!“, schrie er wiederholt im Zorn. Ich musste mich ihm schweren Herzens fügen und Ambition und Liebe zum Malen hintanstellen. So ist es bis heute geblieben. Er wirft mir unsoziales Verhalten vor, was aus der Luft gegriffen ist, denn ich habe mich immer bestens in der Familie integriert und engagiert, mich darin bestens bewährt und alle familiären Aufgaben erfüllt. Meine Tochter war glücklich mit mir und lobte mich. Es ist bloß Bosheit, mir Gegenteiliges vorzuwerfen. Als meine Tochter noch zuhause war, hielt er sich in ihrer Gegenwart mit Angriffen mir gegenüber meistens zurück, aber nicht immer. Wenn er mich im Beisein des Kindes angriff, weinte es und bat: „Bitte, Papa, sei nicht böse zur Mama!“ Dass meine Tochter mich mochte, war mir immer ein großer Trost. Ich war für sie immer eine gute Mutter, die sie niemals vernachlässigt hat, sondern gefördert, geliebt und erfreut. Ich schluckte seine aggressiven Angriffe wie bittere Pillen hinunter. Trostlos verliefen meine Ehejahre bis heute wie für Menschen im Gefängnis, glaube mir. Nein, dieser Vergleich hinkt nicht, Elli. Und als meine Tochter aus dem Haus ging und heiratete, machte mich dies sehr traurig und furchtsam, denn jetzt wurde Adam noch viel grausamer zu mir. Die häusliche Gewalt nahm vermehrt zu. Neulich sagte ich zu ihm: „Du bist ganz unmöglich zu mir geworden, Adam. Warum nur? Was feindest du mich so ungeheuer an! Du schlägst mich zu viel! Wenn es in unserer Ehe nicht mehr klappt, müssen wir auseinandergehen. Das ist die Regel. Wir müssen uns daher so schnell wie nur möglich trennen!, schlage ich dir vor.“

„Was, du muckst auf!“, schrie er voll Zorn. „Was fällt dir ein!, gleich schlage ich dir den Schädel ein!“

Ach, so gemein kann er sein, so bedrohlich in seiner Ausdrucksweise, die von Jahr zu Jahr noch mehr zu wünschen übrig ließ. Sie wurde vulgär, als käme er, der Architekt, aus der Gosse und nicht aus gutem Hause.“

Beim miteinander Telefonieren stießen sie unter anderem auch auf ihre gemeinsame leidenschaftliche Liebe zur Natur. Sie freuten sich auf den kommenden Frühling, der schon vor der Tür stand. „Dann treffen wir uns endlich“, sagte Doris, „und machen Spaziergänge durch Frühlingsalleen.“

„Ja, das machen wir“, antwortete Elli, „denn wir haben jetzt voneinander viel erfahren und festgestellt, wir verstehen uns prächtig und wollen uns mit vereinten Kräften von unserem Ehepartner trennen, nicht wahr.“

Schnell sprangen sie im Gespräch hin und her, von der widerwärtigen Gegenwart zurück in alte, verweste, aber noch nicht ganz verblasste Zeiten, die ihnen noch weiterhin zusetzten. „Hätte ich dich nicht, Elli, verzagte ich“, gestand ihr Doris, „denn du bist die tragende Figur, du gibst mir Kraft durch deinen Beistand und deine Zuwendung. Mein undankbarer Mann, Adam Wick, lässt sich seit eh und je von mir verwöhnen wie ein Pascha; er besteht darauf, bedient zu werden wie ein Kleinkind. Nichts trägt er bei im Haushalt, auch finanziell nicht; da nützt er mich richtig aus, ja, presst mich aus. All mein Geld will er haben. Im Beruf sitzt er am Zeichentisch und schmiedet Baupläne am laufenden Band, sagt er, nichts als Baupläne bis tief in die Nacht hinein, was ich nicht glauben kann, vielmehr verbringt er vermutlich Abend für Abend und auch die Wochenenden bei seiner Geliebten. Wenn er daheim ist, liegt er meistens faul auf dem Sofa, guckt freudlos in die Luft und trinkt seine Mass Bier Schluck für Schluck. Er weiß noch gar nicht, konfrontierte ihn noch nicht damit, dass ich jetzt endlich vorhabe, ihn zu verlassen, sobald sich eine günstige Gelegenheit auftut. Dies will ich auf keinem Fall mehr verschieben. Nichts soll in dieser Richtung verschleppt werden, dafür plädiere ich. Eine Verschleppung bringt abermals eine Verschleppung hervor, so die Erfahrung zeigt, nämlich eine Reihe von Verschleppungen, was von großem Übel ist, weil dies zur Stagnation führt. Dann würde nichts aus unserem Vorhaben. Mein ausgeheckter Plan steht so fest wie der deinige, Elli, das musst du wissen. Ich habe genug von meinem Mann! Dem Betrüger und Schläger! Meine Unzufriedenheit wächst und steigt von Tag zu Tag und dies fällt Adam stark auf, das schon. Er nennt mich bereits Feministin und Emanze, wenn ich anspreche, dass Frauen auch Rechte haben.“

„Mein Mann, Jupp Kappel, ist der gleiche wie deiner, Doris, kein bisschen besser“, antwortete Elli, „sie ähneln sich offenbar in ihren Gewohnheiten, Verhaltensweisen und im Benehmen. Sie sind Wahlverwandte auf schlechter Basis, was einfach die Wahrheit und kein Vorurteil ist. Bei uns beiden, Doris, existiert nur eine Schlechtigkeit, nämlich Mutlosigkeit und Unterwürfigkeit und vielleicht auch ein Stück Feigheit. Von Tapferkeit kann bei uns keine Rede sein, schon eher von Schmerzbereitschaft und Ausdauer und Friedfertigkeit, denn was wollten wir anderes, als Frieden mit unseren Männern schließen, die jedoch lehnten dies ab und blieben weiterhin gewaltbereit. Also ist eine Scheidung unabdingbar. Es bleibt uns kein anderer Ausweg mehr. Tapfer erzeigten wir uns nicht, weil wir uns vor ihnen kontinuierlich geduckt haben, nicht wahr. Nie haben wir uns aufgelehnt, nie revoltiert gegen ihre ungerechtfertigten Maßnahmen und Widrigkeiten. Widerspruchslos haben wir alles Widerwärtige und Boshafte, das uns von ihnen kam, hingenommen, als sei dies Normalität uns Frauen gegenüber. Wir ließen ihnen unsere Verachtung nicht spüren. Gefahr drohte uns von ihnen, gewiss, wir hatten Furcht und große Angst auf der Strecke zu bleiben. Dadurch verstärkten sich unsere Vorsicht und Achtsamkeit und dies wurden zu unseren Stärken. Wir ahnten intuitiv, was sie Böses im Schilde führen. Um sie zu sänftigen, gaben wir uns äußerlich freundlich und nicht nachtragend, auch wenn es in unserem Innern kochte. Einmal warf ich ihm vor: „Ich muss für alles im Haushalt aufkommen, alles muss ich aus meiner eigenen Tasche bezahlen, sogar die anfallenden Reparaturen am Haus, das dir gehört und nicht mir. Dies finde ich höchst ungerecht und seltsam!“

Da riss es ihn hoch vom Hocker und schrie aus Leibeskräften: „Ich stelle dir mein schönes Haus mit dem Vorgarten und dem hauseigenen Park zur Verfügung und du meckerst herum! Das ist doch die Höhe! Unentgeltlich lasse ich dich bei mir wohnen! Sei also dankbar, sonst werfe ich dich zuletzt noch hinaus, garstiges Weib!“

Daraufhin antwortete ich: „Ich habe dich nicht wegen deinem schönen Haus geheiratet, Jupp. Ich hätte dich damals aus Verliebtsein auch mit einer kleinen Dachwohnung im verrußten hässlichen Industrieviertel der Großstadt zum Ehemann genommen oder, falls du keine Immobilie gehabt hättest, hätte ich dich in meiner eigenen Wohnung wohnen lassen.“ Hierauf sagte er nichts mehr und zog sich verdrießlich mit hängendem Unterkiefer zurück. Doris, er gibt sein ganzes Geld nur für seine Weltreisen und seine Prostituierten aus, das darfst du glauben. Außerdem hat er im Leben verdammt wenig mit mir geschlafen, was ich sehr vermisste und entbehrte. Seine Libido hat er Nutten geschenkt. Zärtlichkeiten wie Küsse existierten nicht. Außerdem haben wir uns nur wenig unterhalten. Das Gespräch mit mir suchte er nicht. Fing ich ein Gespräch an, verstummte es bald. Ich war ihm nicht eloquent genug, glaube ich. Wenn gesprochen wurde, dann immer nur er im Monolog. Er ließ mir keinen Raum für Gegenrede. Er verbot mir den Mund geradezu. Wir redeten, wenn überhaupt, bloß über Alltägliches. Einmal sagte ich zu ihm: „Ich habe außer der Arbeit einer Wirtschafterin, Dienerin, Gärtnerin, Köchin und Geldgeberin nichts mehr mit dir zu schaffen. Meine Berufstätigkeit als Übersetzerin leidet darunter und kommt viel zu kurz. Den ganzen Tag bin ich mit Hausarbeit beschäftigt. Ich wasche deine Wäsche und bügle sie, putze deine Schuhe, richte dir jeden Morgen das Bett und dein Frühstück zurecht, bereite dir einen Braten und so fort. Wehe mir wenn deine vier Croissants nicht pünktlich auf dem Tisch liegen zum Frühstück, dann brüllst du, dass das Haus wackelt. Du unternimmst während der Semesterferien lange ausgiebige Reisen bis ans Ende der Welt ohne mich und gibst vor, sie seien beruflich bedingt, was ich nicht mehr glauben kann. Du machst mir da was vor.“ Ja, so sagte ich kürzlich zu ihm, wobei er mich links und rechts ohrfeigte, dass es nur so klatschte, weil meine Aussagen ihm gegen den Strich gingen und seinen unbändigen Zorn herausforderten. Ich fiel hinterher ins Bett und weinte stundenlang.“

„Ach, Elli“, antwortete Doris, „unser beider Leben ist verpfuscht, zumindest bitter beklagenswert geworden. Ich selber fühle mich so zerschlagen und alleingelassen. Ich kümmere dahin. So kann es einfach nicht weitergehen. Fast bin ich am Ende meiner Kräfte angelangt, glaube mir. Ich habe genug von Adam Wick! Wir müssen unbedingt etwas dagegen unternehmen und so schnell wie nur möglich. Wir müssen uns von ihnen unabhängig machen. Es gibt keine andere Alternative, keine andere Wahl, keine andere Option für uns beide. Bitte, verschleppen wir nichts. Es ist unsere einzige Chance, die wir noch im Leben haben.“

„Ich habe auch genug!“, sagte Elli, „eines steht definitiv fest, unsere Ehemänner haben uns mit der Zeit psychisch zerstört und uns die Kraft zum Aufbruch geraubt. Rappeln wir uns auf mit unserer letzten Kraft, auch wenn unsere Nerven brachliegen wie ein Stoppelfeld im Herbst nach der Ernte. Ich bebe manchmal schon wie Espenlaub bei geringsten Anlässen und zucke nervös zusammen, so gereizt bin ich schon geworden. Noch liegt ein Berg Horror vor uns, den wir abtragen müssen.“

„Ach, wäre das ganze Drumherum schon vorbei!, Elli. Ach, wäre ich schon geschieden! Darauf freue ich mich schon heute, wenn dieser Schrecken überstanden ist und wir beide in eigenen Wohnungen hausen, wo kein Ehemann mehr das Recht besitzt, uns aufzustören und zu belästigen. Adam ist der geborene Ehebrecher, der sich während der Ehe schon immer herausnahm, sich mit andern Weibern abzugeben, als sei dies das Normalste von der Welt. Nie gab er seinen Ehebruch zu. Einmal unterstand er sich sogar mir zu sagen und dies ist noch nicht lange her: „Eifersüchtiges Weib, höre mir zu, noch nie habe ich dich betrogen!, das schwöre ich dir beim allmächtigen Gott!“

Elli, stelle dir diesen Lügenbold, diese gottverdammte ehebrecherische Kanaille vor!“

„Das ist ja unerhört und beinahe Blasphemie! Doris, wir müssen couragiert an die Sache herangehen und sie mit Bravour meistern. Du wirst sehen, das werden wir, denn zusammen sind wir stark. Verzage darum nicht. Wir müssen es nur gründlich durchdenken, um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und keine leichtsinnigen Fehler zu begehen, die durch Achtsamkeit zu verhindern sind. Vor allen Dingen müssen wir heimlich vorgehen, hinter dem Rücken der Männer. Sind wir dann geschieden, igeln wir uns ein in unseren neuen properen Wohnungen, Tür an Tür, gehen unserer Berufsarbeit nach, lesen Bücher und tun noch so viele schöne Dinge, die sich uns anbieten. Wir werden es uns gut gehen lassen wie Gott in Frankreich, wie man so sagt. Oft werden wir zusammen in gute Restaurants zum Essen gehen, Zugreisen machen, Wanderungen unternehmen, die Natur erkunden, uns in Wäldern aufhalten, um frische Luft zu atmen, aber auch die Kultur wird nicht zu kurz kommen, denn wir werden Ausstellungen, Konzerte und Opern besuchen und manchmal auch ins Kino gehen, so wie es uns gefällt. Wir werden außerdem für dich, Doris, Ausstellungen deiner Gemälde und Lesungen deiner Bücher organisieren, ganz gewiss. Unsere Unabhängigkeit werden wir feiern und auskosten. Mit Männern werden wir vorsichtiger Weise nicht mehr verkehren, unsere Zeit nicht mehr mit ihnen vergeuden, verplempern. Wir sind fertig mit ihnen. Wir werden uns nicht mehr an sie binden und überhaupt an ihnen keinen Gefallen mehr finden, denn viele sind es nicht wert. Lieber halten wir uns Männer ganz vom Leibe, ja, von vorne herein auf Distanz. Dies wird absolut das Beste sein, was wir tun können. Wir sind zwei gebrannte Kinder und haben Schaden erlitten, der kaum noch zu reparieren ist.“

„Elli, du sprichst mir so recht aus dem Herzen! Ich muss dir Recht geben. Auch ich habe wie du genug! Gut, dass meine Tochter schon längst verheiratet ist und nicht mehr bei uns wohnt“, sagte Doris zum Schluss, „das beruhigt mich außerordentlich; sonst hätte ich nämlich ein furchtbar schlechtes Gewissen, mich scheiden zu lassen.“

„Was ich dir noch sagen wollte, Doris, auch Jupp betrügt mich schon seit Anbeginn unserer Ehe, er glaubt, ich hätte von all dem keine Ahnung und nichts mitgekriegt. Aber wir ahnungsvollen Frauen spüren dies intuitiv. Wir schauen nur traurig und hilflos zu, wohl wissend, wir können daran nichts ändern wegen unserer Ohnmacht. Ich verstehe nicht, warum manche Männer fortwährend betrügen müssen. Wer nicht treu sein kann, soll auch nicht heiraten, finde ich und sage und unterstreiche es in aller Strenge. Jupp und Adam hätten Junggesellen bleiben sollen. Sie haben sich auf ein für sie verbotenes Gebiet gewagt, das ihnen nicht zusteht. Sie haben keine Ehefrauen verdient!“

Wir Frauen haben sie nie betrogen“, sagte Doris, „sie nie geschlagen, sondern waren ihnen untertan, immerzu treu, gingen sanft mit ihnen um, warfen ihnen nichts vor und ertrugen alles Schwere in demütiger Weise bis heutzutage, nicht wahr.“

Im Schatten der Corona

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