Читать книгу Im Schatten der Corona - Agnes Schuster - Страница 7

6. Kapitel

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Keine Frau hat es leicht auf der Welt gegenüber der langandauernden verfestigten felsigen Männerherrschaft, dem Patriarchat, auch jetzt noch nicht. So war es vermutlich schon zu Beginn der Menschheit und so ist es noch weiterhin, dachte Elli, nichts hat sich geändert, außer einigen minimalen Kleinigkeiten vielleicht, die man der nun ungefähr 100-jährigen Frauen-Emanzipationsbewegung zuschreibt. Das Recht des Stärkeren herrschte schon immer und gegenwärtig auch noch, dies ist gewiss.

Für wen lebe ich eigentlich?, reflektierte Elli. Leider habe ich keine Kinder. Auch mein Stamm wird aussterben. Wie schade doch; meine Kinder, wenn ich sie gehabt hätte, wären jetzt erwachsen und täten mir gewiss zur Seite stehen. Oder Jupp beeinflusste sie zu seinen Gunsten durch teuflische Suggestion und Manipulation und zöge sie so auf seine Seite; indem er ihnen weismachen würde, ich, ihre Mutter, litte an potentieller Paranoia, hätte also bloß Wahnvorstellungen und meine diversen Anklagen wider ihn seien Humbug, Lug und Trug. „Glaubt ihr nicht, Kinder“, würde er vielleicht gesagt haben, sie macht euch bloß etwas vor!“ So ungefähr wäre es vielleicht abgelaufen, falls wir Kinder gehabt hätten. Er würde ihnen Misstrauen eingeflößt und sie von ihrer Mutter ferngehalten haben. Ich muss mich so schnell wie nur möglich aus seinem Hause, seinem Dunstkreis entfernen und darf nichts mehr verschleppen, dachte sie. Was nützen mir Haus und hauseigener Park bei meinem Elend? Ich werde von Tag zu Tag noch schwermütiger, trauriger und depressiver als ich sowieso schon bin. Eigentlich müsste ich weiterhin zu meinem Psychoanalytiker gehen, dem lieben Menschen, dem ich all mein Hundeelend schon dutzendmal geklagt habe, aber der es jedesmal auch auf Paranoia schob, was mir letzten Endes auch keine Hilfe bot bei der häuslichen Gewalt meines Mannes. Außerdem ärgerte mich seine Einstellung außerordentlich. Sonst allerdings tat mir der liebe Therapeut gut, denn ich konnte ihm wenigstens mein Elend schildern und er hörte zu, dies bedeutete mir auch schon eine kleine Hilfe. Einmal sagte er zu mir: „Sie muss man so sehr lieben, Frau Kappel!“, worüber ich mich natürlich sehr freute.

Aber leider, wie schon erwähnt, glaubt auch er, ebenfalls ein Logiker wie Jupp, nur an seine wissenschaftlichen Wahnvorstellungen, seinen Expertisen, die er im Studium wohl begierig als das Übel aller Übel aufgesogen hat, und nicht an reelle böse Einwirkungen durch Ehepartner. Ein gebildeter Akademiker wie Jupp es ist, tut so etwas von Haus aus nicht, glaubt der logisch gebildete Therapeut. Auch er geht von einer falschen Tatsache, einer Fehldiagnose aus, was ich ihm übel nehme. Ich sollte ihn darum vernünftiger Weise aus Frust nicht mehr konsultieren. Deswegen hat wohl meine Therapie bis heute keinen bedeutenden, geschweige denn, absoluten Erfolg und ich leide weiterhin an Depressionen und seelischen Irritationen. Mein Mann wird mit einer Scheidung freilich nicht einverstanden sein, rechne ich mir vor, dachte Elli, allerdings werde ich sie nach und nach durchsetzen müssen und auch können, denn ich bin während meiner langjährigen Ehe bis heute viele Male bedroht und misshandelt worden auf niederträchtigster Art und Weise, was Fakt ist. Ich habe ausgesprochenes Pech gehabt mit ihm, großes Pech! Und das, obschon er für mich vorher, am Anfang unserer Bekanntschaft mein Wunschmann gewesen war. Keinen andern wollte ich haben, ich lehnte alle andern Freier ab, wies sie ungehalten zurück, indem ich ihnen sagte: „Ich bin verlobt!“

Sie lag gerade im Bett und dachte angestrengt und lange intensiv darüber nach, wie sie die Scheidung einfädeln, einleiten und anpacken sollte, im Bewusstsein, nach der Trennung würde sich alles Vorherige auf einen Schlag bessern und in Luft auflösen. Sie glaubte fest daran, sie würde wirklich ein ganz neues optimistisches und optimales Leben beginnen und den niederschmetternden Pessimismus ablegen können, der sie schon lange begleitet hatte. Ob Doris und sie überhaupt dann Wohnungen nebeneinander fänden, dies sei dahingestellt, zumindest fraglich, aber doch sehr wünschenswert. Sie hörte vom großen Wohnungsmangel in der Großstadt. Außerdem ist jetzt während der Corona-Krise und der Quarantäne wahrscheinlich kaum ein Vermieter bereit, Wohnungen zu vermieten, dachte sie. Nur unter schwierigsten Umständen und Bedingungen könnte dergleichen stattfinden und abgewickelt werden, vermutete sie. Abwarten und Tee trinken also.

Die strenge Quarantäne machte besonders Jupp arg zu schaffen. Aber was blieb dem unruhigen, cholerisch aufbrausenden Geist auch anderes übrig als sich der desolaten Lage anzupassen. Reisen zu unternehmen war untersagt und wurde darum unmöglich gemacht. So blieb er notgedrungen im Haus, ging beinahe täglich im hauseigenen kleinen Park spazieren, vor sich hin brummend und murrend, rappelte sich plötzlich auf und setzte kleine Birkensetzlinge ein, pflegte den Obstgarten, denn auch der Gärtner tauchte auf einmal nicht mehr auf und blieb zuhause. Aber meistens flegelte Jupp auf dem Sofa herum und ließ sich von Elli, der guten Haut, die zwar innerlich aber nie nach außen hin widerspenstig oder ungehalten ihm gegenüber wurde, verwöhnen, sah stundenlang fern oder las in einem Fachbuch und machte sich Notizen für seine nächste digitale Vorlesung fürs Sommersemester. Elli jedoch vollführte niedrige Arbeiten wie eine frühere Dienstmagd alter Zeiten, wie Aschenbrödel, fuhr zum Einkaufen, trug die sortierten Abfälle zum Komposthaufen und zu den Abfalltonnen, bediente Jupp hinten und vorne, der es von Kind auf gewohnt war, überall bedient zu werden, beispielsweise, wenn er am Nachmittag auf der Couch lag, rief er laut durchs Haus wie ein verwöhntes, ungezogenes Kind und fast im weinerlichen Tonfall: „Bringe mir schnell Kaffee und Kuchen! Du lässt mich ja verhungern!“ Elli musste sofort aufspringen, ihre Übersetzungsarbeit unterbrechen und Jupp bedienen wie einen Pflegefall. „Wenn ich mich nicht melden würde, tätest du nichts für mich tun!“, warf er ihr murrend vor mit bösem anklagenden Gesichtsausdruck, der an Abscheu nicht zu übertreffen war. Schon von seiner Mutter verwöhnt, war er ein verwöhntes Kind geblieben. Verwöhnte und von aller Welt hofierte und bewunderte Personen sind und bleiben meist Egoisten ein Leben lang, fand Elli; Rücksichtnahme, Anstand und Altruismus kennt er nicht, dachte sie. Er wird nach der Trennung aus allen Wolken fallen, wenn er niemanden mehr hat, dem er im Haushalt etwas anschaffen oder an dem er seinen Frust ablassen kann. Überstürzt wird er entweder erneut heiraten oder sich wenigstens um eine Haushälterin bemühen, vermutete sie stark, denn selbständig werden wird dieses Exemplar von Mannsbild niemals.

Man musste ab Anfang April 2020 einen Mund-Nasenschutz tragen und zu andern Leuten einen eineinhalb Meter breiten Abstand einhalten, wenn man einkaufen ging oder auf die Bank beispielsweise. Übers Internet bestellte sie sich gute einwandfreie Mund-Nasenschutzmasken, die sonst sehr knapp waren; auch Apotheken boten keine Gesichtsmasken an, als sie sich erkundigte. In den systemrelevanten Berufen herrschte anfangs großer Mangel, ja, geradezu Notstand an Masken, sodass sich Ärzte, Krankenschwestern und Altenpflegerinnen im Dienst bei Corona-Infizierten selber ansteckten. Die Infizierten mussten 14 Tage in häuslicher Quarantäne verbringen, bis sie wieder in den Dienst gehen konnten. Erst allmählich wurden Masken, Desinfektionsmittel und Schutzkittel allgemein verfügbar in den Krankenhäusern.

Nun musste sie mit einer Gesichtsmaske zum Einkaufen fahren. Sie bekam kaum Luft darunter. Und als sie eingekauft hatte und im Auto sitzend dann die Gesichtsmaske abnahm, stellte sie beim Blick in den Rückspiegel fest, ein hochrotes Gesicht zu haben. Sie dachte, mit mir stimmt etwas mit der Atmung nicht, entweder bin ich mit der Gesichtsmaske zu aufgeregt oder meine Atmung ist defekt, grundsätzlich eingeschränkt, was ich vorher so stark noch nie gemerkt habe.

Zuhause angelangt, wartete schon ihr Mann auf sie; er langweilte sich vermutlich unaussprechlich, weil er nicht an die Uni und auch nicht mehr verreisen konnte wie bisher. Ihm wurde der Hahn zugedreht sozusagen. „Verflucht!“, stöhnte er, „die verdammten Chinesen haben uns die Pandemie aufgehalst!“, und wischte sich den Schweiß von der Stirn, denn es war jetzt Mitte April 2020 plötzlich sehr heiß geworden.

„Geh doch wenigstens in den Schatten, Mann“, fuhr sie ihn an. „Ich habe dir Croissants mitgebracht. Ich gehe jetzt in die Küche, koche Kaffee und bringe dir das Frühstück heraus auf die schattige Terrasse.“

„Alles ist schlecht“, rief der Pessimist, „selbst das Essen schmeckt mir nicht mehr, seit die Corona-Pandemie wütet. Die Universitäten schließen auch. Der Mann braucht seine Arbeit, sag ich. Ohne Beruf ist der Mann wie eine Frau, ein Nichts und Niemand. Freilich hätte ich jetzt Zeit, einige Vorlesungen vorzubereiten, die ich digital ins Internet stellen könnte. Allerdings springt bei meiner Lethargie, Trostlosigkeit, Lustlosigkeit und Trägheit nichts dabei heraus. So packe ich nichts an. Nur wenn ich an der Universität im großen Hörsaal am Katheder stehe und der Studierenden Vorlesungen halte, fühle ich mich als aktiver, tatkräftiger Mann und Gelehrter, der der Menschheit etwas zu sagen hat. Dann weiß ich, wofür ich lebe! Jetzt aber fühle ich mich aufs Abstellgleis gestellt.“

„Dein Leben wird schon wieder lebenswert werden, Jupp, es bleibt doch nicht ewig so“, versuchte sie ihn zu trösten. „Die Corona-Pandemie wird auch vorbeigehen wie so vieles andere auch vorüber gegangen ist. Du wirst sehen, sie wird eines schönen Tages vom Erdboden restlos verschwunden sein wie die Pest oder die Kinderlähmung, besonders wenn es Impfungen gegen Corona gibt. Überall auf der Welt wird jetzt an Impfungen geforscht und gearbeitet. Halte dich an die vorgeschriebenen Maßregeln, Jupp, treffe keine Leute, bedenke, die wollen dich doch auch nicht sehen, sie sind alle aus Vorsicht und Jammer und Angst in einen Dornröschenschlaf gesunken. Schwer wiegt die Bedrohung bei jedem Menschen vor Ansteckung. Nimm Rücksicht auf dich selber und andere.“

Sie frühstückten heute zusammen im Garten. Lange hatten sie nicht mehr zusammen am Tisch gesessen, gemeinsam gegessen oder sich unterhalten. Jetzt während der Pandemie geschah es auf einmal vermehrt, weil Jupp, der arme Teufel, jemanden brauchte und sonst außer Elli niemanden hatte. Ein Notbehelf also. Eine Lückenbüßerin allenfalls war sie für ihn jetzt in der Krise. Die verdammte Corona hatte dies bewirkt. Aber wenn sie vorbei ist, dachte Elli, wird es wieder einen Rückfall geben in alte Verhaltensmuster. Außerdem machte er schon wieder Anspielungen, mit mir zu schlafen, obgleich er schon 10 Jahre lang keinen Sex mehr mit mir hatte. Lieber ging er ins Bordell als mit mir ins Bett. Seine Liebhaberinnen fehlen ihm. Das ist doch klar! Ich habe keine Lust, sie auch nur ausnahmsweise zu vertreten. Mir ist die Lust auf Sex mit ihm vergangen, wobei er mich doch immer so furchtbar grob behandelte.

Im Schatten der Corona

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