Читать книгу Im Schatten der Corona - Agnes Schuster - Страница 4
3. Kapitel
ОглавлениеAm nächsten Morgen verkündete er ihr eine Neuheit: „Ich brauche eine neue Frau, denn mit dir kann ich nicht mehr leben! Du engst mich ein, würgst alles ab. Dein Starrsinn bringt mich noch um den Verstand. Auch das Reisen fällt jetzt flach, was immer meine Flucht aus der häuslichen Enge darstellte. Ach, welch großes Unglück mich jetzt trifft! Es ist geradezu zum Verzweifeln, ja, unerträglich, bei dir zuhause zu bleiben. Das halte ich einfach nicht aus. Ich muss fort. Das Leben hat sich für mich seit der Pandemie verkehrt und total verschlechtert. Mein Leben ist sinnlos geworden. Ich ertrag es nicht mehr.“
Elli schwieg. Warum sollte sie ihn jetzt trösten, ihn, der sie ein Leben lang quälte und vernachlässigte? Alles zog er ihr vor. Er hatte sich nie bemüht, ein gutes eheliches Verhältnis mit ihr aufzubauen. Vor keiner Freveltat schreckte er zurück. Von nichts kommt nichts! Er hatte sie zutiefst beleidigt, beleidigt an einem Stück. Sie hatte kein Herz mehr für ihn, den sie doch einmal so feurig geliebt, aber nun möglichst schnell loshaben wollte. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie in ihr Schreibzimmer. Er rief ihr noch nach: „Ja, du bist es gewohnt, zuhause hinter deinem Schreibtisch zu sitzen und deine Übersetzungen zu machen, ohne jegliche soziale Kontakte. Eine Solidarität zu andern kennst du nicht. Hauptsache, dir geht es gut und man lässt dich in Ruh. Darum fällt dir die Quarantäne auch leicht, mir jedoch nicht, der ich täglich aus dem Haus muss, im Universitätsleben beheimatet bin, der viel mit der Studentenschaft und Kollegschaft verkehrt und eine Menge noch andersartiger schwieriger Kontakte pflegt, von denen du gar keine Ahnung hast. Mir fehlt jetzt der Umgang mit Menschen ganz empfindlich. Ich könnte schreien! Ich bin nämlich im Grunde ein ungewöhnlich leutseliger Gesellschaftsmensch, anders als du auf Gesellschaft getrimmt und angewiesen wie der Wald auf Bäume und Regen.“
Auch mir fällt es schwer, Quarantäne einzuhalten, dachte sie, während sie in ihre Schreibstube eintrat und die Türe hinter sich schloss. Zweimal drehte sie den Schlüssel herum. Er soll mich nicht wieder überfallen können und zum Sex zwingen, dachte sie. Dann trat sie ans Fenster und sah hinaus, während sie dachte: Oft stehe ich hier am Fenster, starre hinaus auf ungewohnt verödete Straßenverhältnisse, beobachte mit Sorge die wenigen Vorgänge und Abläufe, die sich draußen noch abspielen, als stehe uns der Weltuntergang bevor, sehe nur vereinzelt und selten noch Mitmenschen, die wahrscheinlich zum Supermarkt eilen oder zum Arzt gehen oder vielleicht Sport betreiben. Jeder hat seinen besonderen Grund nach draußen zu gehen. Ohne triftigen Grund geht niemand mehr nach draußen. „Gehe doch auch nach draußen und treibe Sport, sagte ich gestern zu Jupp, weil er mir trotz allem erbarmte, „mache einen kleinen Dauerlauf, das darfst du doch. Sport darf man betreiben, wurde am Radio gesagt, oder ergehe dich öfters im Garten, so wie ich das täglich tue, hole dort tief Luft oder lese in einem spannenden Buch, was dich auf andere Gedanken bringt, dich vom Alltagsdruck befreit. Du befasst dich nur mit Fachliteratur, mit Expertisen, das ist zu wenig und auch in unserer jetzigen angespannten Situation abwegig und nicht wünschenswert, weil sie nicht entspannt und auch nicht in Bann schlägt, oder du schaust fern, nicht wahr, das kann dich auf Dauer auch nicht befriedigen.“
„Mich interessiert kein fachfremdes Buch mehr, ob es mich entspannt oder nicht“, hatte er daraufhin frostig erwidert. „Meine Fachwelt hat mich ganz aufgesaugt. Darin bewege ich mich, darin ruhe ich mich aus. Romane sind seltsame Gebilde aus Fiktion und Traum. Sie langweilen mich Wissenschaftler tödlich, und halte ich einen Roman zufällig in der Hand, überkommt mich ein Ekel, es würgt mich geradezu, daraufhin muss ich ihn schnell zurück ins Regal stellen, bevor mir übel wird und ich erbrechen muss. Wahrheiten will ich lesen, denn ich bewege mich in der realen wirklichen Welt. Fantasie und Fantastereien sind nicht mein Fall.“
Elli sah ihn später sein Fahrrad aus der Garage schieben und wegfahren. Er hatte also ihren Rat befolgt. Sie aber ging in den kleinen Park hinaus, der zum schönen großen umfangreichen Anwesen gehörte. Sie wusste, alles, was sich jetzt zwischen ihnen noch abspielte, war Schein und Rauch. Eine Feindschaft, Gegnerschaft und Rivalität herrschte zwischen ihnen. Ihre einstige Liebschaft war längst erkaltet und zu Eis gefroren. Ein Dauerzustand, der nicht mehr überwunden werden konnte. Er will sie nicht mehr und sie will ihn auch nicht mehr. Die Zeit der Ehe ist vorbei. Die Ehe ist gescheitert am Unwillen beider und an ihr Ende gekommen. Die Ketten sind gesprengt, die Fesseln durchschnitten. Sie nahm ihr Smartphone zur Hand und rief ihre Wahlverwandte Doris Wick an.