Читать книгу Im Schatten der Corona - Agnes Schuster - Страница 8
7. Kapitel
ОглавлениеAm Nachmittag ging sie lange im kleinen hauseigenen Park spazieren, während ihr Mann ein Mittagsschläfchen hielt, wie er vorgab. Doch sie hörte ihn durchs offene Fenster lange mit Leuten telefonieren, manchmal in Überlautstärke sogar, doch sie verstand trotzdem kein einziges Wort. Schon lange erregten seine Telefongespräche bei ihr weder Eifersucht, noch Neugierde, sondern bloß noch Indifferenz. Sie ließen sie kalt, da sie ihn nicht mehr liebte. Schade, dachte sie, dass uns jetzt in unserer Ehekrise die verheerende Pandemie überfiel. Gerne hätten Doris und ich uns schnell von unseren Männern getrennt. Wie verschüttet sind wir von Corona geworden und außer Gefecht gesetzt. Sie hält uns in Atem. Unsere Entschlussfreudigkeit wird auf die Probe gestellt. Nun muss ich bei meinem größten Feind, den ich auf Erden habe, noch länger ausharren, ob ich will oder nicht. Doris geht es genauso, sagte sie, oder noch schlechter, weil ihr Mann scheinbar noch ein brutalerer Klotz als Jupp ist, wenn er Entbehrungen einstecken und daheim bleiben muss. Adam Wick, der Architekt, besitzt nicht einmal einen Garten, wo er sich mit Bepflanzung austoben könnte, so wie mein Jupp manchmal. Immer hinge er so herum, ohne rechte Lust auf irgendetwas zu haben, sagte Doris. Sein verdrießliches Gesicht könne sie nicht mehr anschauen. Er nehme kein Buch zur Hand, nur kurz lese er die Zeitung, die sie ihm regelmäßig vom Einkauf mitbringe. Doch lege er sie bald stöhnend aus der Hand. Er ginge nicht einmal rund ums Haus wie sie, sagte sie, sondern läge nur faul am Sofa, so wie mein Jupp eben auch, ließe sich hinten und vorne bedienen mit Kaffee und Kuchen, so wie mein Jupp eben auch. Jederzeit habe er seine Klotze an, von morgens bis tief in die Nacht hinein, was sie unaussprechlich hassen würde. „Mein Mann“, sagte sie am Telefon, „leidet an großem Sexmangel. Dies will ihm überhaupt nicht behagen, darum vergewaltigt er mich trotz mein Widerstreben tagtäglich. Es nützt nichts, wenn ich mich wehre, er schlägt mich halbtot, bis ich vor lauter Schmerzen endlich nachgebe. Glaube mir, ich habe am ganzen Körper blaue Flecken, lauter blutunterlaufende Stellen, sogenannte Hämatome“, sagte sie. „Er kann nicht einmal mehr in den Puff gehen, auch der ist ihm versperrt wegen dem nahen Körperkontakt und der daraus erfolgenden Ansteckungsgefahr. Auch Nutten mussten Bordelle schließen. Sie auch sind wie alle andern in Sekundenschnelle in einen Dornröschenschlaf gefallen. Jetzt muss man sich mit wenigem begnügen, das Laster ablegen, Opfer bringen und sich an Vorschriften und Einschränkungen halten, die uns die Wissenschaft, Vater Staat, das Parlament und der eigene Verstand einem vorschreiben, um mit dem Leben noch davonzukommen. Ich halte Abstand und trage Mund-Nasenschutz wie vorgeschrieben“, kommentierte Doris am Telefon.
„Ich auch“, antwortete Elli, „seien wir also froh, uns wenigstens ein wenig gegen die Ansteckung schützen zu können. Übrigens, Jupp benimmt sich schon sehr eklatant, sehr auffällig, als breche jetzt die Welt für ihn zusammen und als wisse er keinen Ausweg mehr aus dem Elend, dem Desaster und dem Jammer, der uns traf. Manchmal brüllt er mich grundlos an, dass ich erschrecke. „Sei still!“, ruf ich dann, „was willst du schon wieder von mir? Mich kannst du für dein Schicksal nicht verantwortlich machen, du hast es so gewollt, du drängtest mich zur Ehe, ich hingegen wollte noch warten. Ich war mir nämlich noch nicht ganz sicher, ob unsere Ehe auch halten würde, denn ich wusste um deine grenzenlose Untreue schon damals Bescheid. Alle meine Bekannten, aber auch meine Eltern rieten mir deswegen von dir ab. Ich dachte damals schon, du wirst mich betrügen ohne Ende mein Leben lang, und so kam es dann auch wirklich“, so sagte ich zu ihm. Komisch war, dass er daraufhin kein Wort entgegnete. Ich glaube, ihm ist schon lange alles egal. Von Treue hielt er sowieso nie etwas.“
Elli beendete das Telefonat mit Doris und erging sich sportlich im Garten, schritt mit schnellem Schritt weit aus. Sie brauchte Bewegung bei ihrem dauerhaften Stress und dem fortwährenden Sitzen beim Bücher-Übersetzen vom Englischen ins Deutsche, um wegen Bewegungsmangel keine Thrombose oder Embolie und keinen Hirnschlag zu bekommen. Sie hatte noch kein eigenes Buch geschrieben, hatte nicht debütiert, denn sie selber fand sich eklektisch, quasi unschöpferisch, sie konnte nur vom bereits Vorhandenen auswählen oder eben übersetzen, was da schon Schwarz auf Weiß geschrieben stand. Aber auch dies machte ihr unvorstellbaren Spass, so wie sie früher am Gymnasium gerne Mathematik- oder Physikaufgaben löste, deren Resultate für sie Erfolgsmomente darstellten. Sie glaubte auch, durch die ewige Übersetzungsarbeit würde ihr Gehirn trainiert und sie würde dadurch niemals Demenz bekommen, obgleich sie wusste, dass Demenz wohl ganz andere Ursachen habe, die allerdings bis heute noch nicht genau erforscht sind. Einmal hatte sie an die Süddeutsche einen selbstverfassten Essay geschickt, stundenlang hatte sie recherchiert und am Text gefeilt, aber er wurde ihr umgehend ohne Begründung zurückgeschickt, was sie entsetzte. Nie wiederholte sie dergleichen.
An dies und jenes dachte Elli heute, während sie hin und her ging, sich ihre Gedanken machte, reflektierte und zwischendurch die blühenden Bäume und Büsche bestaunte, besonders die kleinen Waldblümchen, die winzigen blauen Veilchen am Boden zu ihren Füßen, die vor ihren harten Tritt ängstlich zu zittern begannen. Zaghaft wuchsen sie aus dem Schoß der Erde mit ihren ersten winzigen Stielen, Blättchen, Knospen und Blüten. Ein kleiner Quell, der im Park entsprang und dem sie gerne lauschte, rann plätschernd und rieselnd vorüber. Dieses Paradies will ich also nach der Corona-Pandemie verlassen, seufzte sie, zu Tränen gerührt. Hier konnte sie sich immer unter den stabilen, mit Efeu umflorten, schutzgewährenden Bäumen bei Gelegenheit abreagieren und entspannen, was einfach wunderbar für sie gewesen war. Ihn zu verlassen, ähnelte ein wenig, sie musste es sich augenblicklich eingestehen, der Vertreibung aus dem Paradies.