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5. Kapitel

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Immer gab es jetzt Telefonate zwischen den zwei geschundenen Frauen und manchmal gleich mehrere am Tag. Elli wohnte mit Jupp in einem villenähnlichen Gebäude mit Garten und Parkanlage. Sie besaßen wenige Verwandte und Bekannte, die zu Besuch kamen. Sowohl Jupp als auch Elli waren Einzelkinder. Jupp besuchte an Wochenenden gelegentlich Freunde und Bekannte. Elli nahm er kaum mit und stellte sie nur selten jemandem vor. Langsam aber sicher lebten sie sich auseinander. Sie traf früher manchmal noch ihre alten Freundinnen, besonders die Junggesellinnen unter ihnen, bei denen sie auch manchmal über Nacht blieb, um jemandem ihr übervolles Herz auszuschütten, um dies ging es ihr eigentlich. Der Kummer trieb sie um, den sie mit gleichaltrigen Freundinnen besprechen wollte. Jupp war oft auf Reisen und wenig daheim. Man hatte sich nichts mehr zu sagen, die Redethemen gingen ihnen aus und deshalb schwieg man meistens, ging aneinander von morgens bis abends grußlos vorbei, ohne sich anzuschauen. Jupp Kappel, ein gelehrter prätentiöser willensstarker, durchsetzungsfähiger Dozent, lehrte offenbar auch als Gastdozent an anderen Universitäten der Welt. „Überall auf der Welt halte ich meine Vorlesungen“, betonte er mit großer Genugtuung in seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck, „auf die ich mich bestens vorbereiten muss, denn von nichts kommt nichts.“ Ja, er schien ein sehr ambitionierter Lehrer an der Universität zu sein.

Das Leben Ellis ging weiter trotz allem. Der Auszug zog sich hin, verschleppte sich. Sie tauschte sich täglich telefonisch mit Doris aus, um so an der Stange zu bleiben, am Entschluss festzuhalten und an ihrer Auszugsplanung zu arbeiten trotz Corona-Pandemie, während der sich die Ehekrise der Freundinnen noch verschärfte. Sie harrten aus ohne Widerstand zu leisten. Eine friedliche Revolution betrieben sie wie Gandhi oder wie 1989 in der DDR. Der Nachbar beobachtete manchmal Streit und Gewaltszenen im Haus gegenüber, sah und hörte wie Jupp seine Frau schimpfte und tadelte und auch ein paarmal, wie er auf sie einschlug oder sie am Haar riss, bis sie vor Schmerzen laut aufschrie. Gelegentliche blaue, blutunterlaufene Flecken an Ellis Augenpartien rührten davon her. Der ängstliche Maler fand dies unerhört. Dann erbarmte sie ihm ungeheuer, denn sie stellte für ihn einen lieben Menschen dar. Der schlanke große gut aussehende Maler zählte vielleicht 65 Jahre und lebte allein. Er trug bereits schlohweißes Haar und war irgendwie in Elli verliebt. Dies vermutete Elli stark. Vor Corona kam er manchmal, wenn ihr Mann fort war, am Nachmittag mit einem Blumenstrauß vorbei und dann tranken sie gemeinsam Kaffee zum Kuchen und unterhielten sich ein Weilchen über Kunst und Natur. Diese zwei Themen genügten ihnen für ein ausgiebiges Gespräch. Er gab sich schüchtern und sehr zurückhaltend, dafür mochte sie ihn. Er bedrängte sie niemals, sich ihm anzuvertrauen, ihm ihre prekären potentiellen Eheprobleme zu schildern oder mit ihm ins Bett zu gehen, obgleich er dieser Sache als Junggeselle sehr bedürftig schien. „Bis zum nächsten Mal“, sagte er jedesmal, wenn er sich nach kurzem Aufenthalt verabschiedete. So war es vor der Corona-Krise lange Zeit gewesen und Elli hatten seine seltenen Kurzbesuche nie gestört. Er wohnte in einem ärmlichen Einfamilienhaus direkt gegenüber der Villa Kappel. Er frönte seit seiner Jugend der Blumenmalerei. Nachdem er festgestellt hatte, dass sich die Eheleute Kappel nicht mehr gut verstanden und viel miteinander stritten, sogar bei offenen Fenstern, erschrak er aufs Tiefste, denn der Single liebte den Verkehr mit diesen Nachbarn. Bei Einladungen in früheren Zeiten beschauten sie gegenseitig ihre Gartenpflanzen, den Park und die diversen Blumen im Garten, die teils in Beeten, teils in Töpfen eingepflanzt in Reih und Glied dastanden. Sie tranken abwechselnd auf ihren Hausterrassen an Nachmittagen Kaffee zu Kuchen oder an lauen Sommerabenden Wein zu belegten Brötchen, während sie eine gepflegte Unterhaltung führten, die sich hören lassen konnte, wenn der Professor aus seinem Berufsleben, der Maler von seiner exklusiven Malerei und Elli über ihre tolle Übersetzungsarbeit referierte. Der gebildete Maler verstand sich mit Jupp außerordentlich gut, worüber sich Elli verwunderte, denn ihre Unterschiedlichkeit hätte nicht größer sein können. Der Maler erzählte ihnen, die Malerei habe er von kleinauf gepflegt, doch sei er kein Amateur, kein Autodidakt geblieben, sondern habe tatsächlich die Malerei von der Pike auf gelernt auf einer großartigen Kunstakademie der Großstadt. Dies verdanke er seinen toleranten Eltern, die ihn dabei sehr unterstützt und gefördert hätten, als sie sein Talent erkannten, obgleich sie einfache, schlichte Leute gewesen seien. Nun jedoch wegen der staatlich vorgeschriebenen Quarantäne, dem Lockdown, existierten keine gegenseitigen Einladungen mehr zwischen den Nachbarn, man hielt keine Plauderstündchen, keine Kaffeekränzchen mehr ab und er brachte Elli keinen Blumenstrauß mehr vorbei. Alle Leute der Großstadt und der ganzen Welt schienen plötzlich, von heute auf morgen, in einen Dornröschenschlaf gefallen zu sein. Ruhige Zeiten herrschten auf dem sonst immer so unruhigen Planeten.

Im Schatten der Corona

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