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Hygienische Totenversorgung:
Zwischen Notwendigkeit und Körperverletzung

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Heute werden die Toten in der Regel nicht mehr gewaschen. Es gibt den Beruf der Leichenwäscherin/des Leichenwäschers nicht mehr (den gab es tatsächlich in den Kliniken bis in die 1970er-Jahre noch). In den Kliniken und Pflegeheimen haben die Pflegekräfte dafür meist zu wenig Zeit. Die reicht ja kaum noch für die lebenden PatientInnen. Es ist ein Skandal, wie wir als Gesellschaft mit der so wichtigen Pflegearbeit umgehen, dass Kliniken wirtschaftlich arbeiten müssen und deshalb vor allem Pflegepersonal einsparen, obwohl seit Jahren klar ist, dass viel mehr Pflegekräfte nötig wären, um dieser verantwortungsvollen Arbeit gerecht zu werden und dabei menschlich zu bleiben: sowohl gegenüber den Pflegenden als auch denjenigen gegenüber, die der Pflege bedürfen. Die unterschiedliche Bewertung von (Lohn-)Arbeit in unserer Gesellschaft ist nicht nur in finanzieller Hinsicht noch lange nicht annähernd gerecht oder nachvollziehbar. Da mit dem Tod auch die Krankenversicherung endet, gibt es kein Geld, mit dem die Arbeitszeit von Pflegekräften finanziert werden könnte, um die Toten zu versorgen und Angehörige in die (meist vorhandenen) Abschiedsräume zu begleiten, wenn sie in Ruhe Abschied nehmen wollen.

Denn in Kliniken müssen die Verstorbenen meist sehr schnell nach dem Tod in die Pathologie gebracht werden oder dorthin, wo sich die Leichenkühlräume (und meist auch die Abschiedsräume) befinden. Diese Räume sind in aller Regel irgendwo ganz abseits im Keller, neben Lagerräumen, Wäscherei, Putzmitteln, Müllentsorgung etc.

Hier beginnt schon deutlich zu werden, dass Tote offensichtlich ähnlich wie Müll eingeordnet werden, etwas, das sicher und schnell entsorgt werden muss – unserem Blick entzogen, möglichst weit weg geschafft. In den medizinischen Ausbildungen kommt der Umgang mit Verstorbenen (außerhalb von Obduktionen) und mit trauernden Angehörigen nicht oder nur sehr rudimentär vor, wie uns von Pflegenden, Ärztinnen und Ärzten in unseren Fortbildungen immer wieder berichtet wird. Im normalen Klinikbetrieb und in den medizinischen Ausbildungen geht es in erster Linie darum, PatientInnen am Leben zu erhalten, und darauf muss sich konzentriert werden. Für Sterbe- oder Trauerbegleitung ist da kaum Raum und Zeit. Erst langsam beginnt hier ein Bewusstseinswandel, der auch die Möglichkeit miteinbezieht, dass es nicht immer nur ein medizinisches Versagen ist, wenn Menschen – trotz aller Bemühungen – sterben, und dass es eine durchaus sehr menschliche Entscheidung sein kann, irgendwann, nach gemeinsamer Beratung mit PatientInnen und Angehörigen, mit der Behandlung aufzuhören. Manche Kliniken haben deshalb Palliativstationen eingerichtet, wo nur noch das medizinisch Nötigste gemacht wird, zum Beispiel eine Schmerzbehandlung, und wo mehr Raum für die notwendige menschliche Sterbebegleitung ist.

Auch wenn sich hier glücklicherweise langsam ebenfalls etwas ändert, bestimmt Ekel noch häufig den Umgang mit toten Menschen, und das Versorgen der Toten gilt bei uns in der Regel noch als eine niedrig bewertete Tätigkeit, etwas, das kaum jemand gerne und freiwillig tut. Dies wird im abgrenzenden Verhalten deutlich: Schutzkleidung und andere „Hilfsmittel“ schaffen eine gewollte (und hygienisch nur in seltenen Fällen notwendige) Grenze zwischen Lebenden und Toten. Die in der Regel schnelle und auf das Nötigste reduzierte „Versorgung“ der Toten und die Angst vor Berührung führen leider oft zu einem gefühllosen und rauen Umgang mit den Toten und dann verkommt diese wesentliche Aufgabe zur würdelosen Müllentsorgung in Leichensäcken aus Plastik – oder im besten Fall zu einer schnellen, sachlich-technischen Abfertigung, der eine Entmenschlichung der Toten zugrunde liegt, die sich auch auf die mit ihnen Umgehenden auswirkt.

Natürlich kommt es auch hier, wie überall, immer auf die einzelnen Personen an und darauf, welchen menschlichen Umgang sie für sich innerhalb dieses Systems der Entfremdung von Tod finden. In letzter Zeit begegnen uns häufiger als früher MitarbeiterInnen in der Pathologie, in Krematorien, auf Friedhöfen und von Bestattungsunternehmen, die einen guten und menschlichen Umgang pflegen.

Es ist mir sehr wichtig, hier deutlich zu machen, dass sich meine Kritik nicht an einzelne Menschen richtet, die beruflich mit Sterben, Tod und Toten zu tun haben, sondern an unsere gesamte Gesellschaft, die Tod und alles, was damit zu tun hat, noch immer zu sehr aus dem alltäglichen Leben drängt und damit von uns abgetrennt hat. Dadurch wird eine Haltung gefördert, in der Menschen lieber nichts davon wissen wollen und dies an andere dafür Zuständige abgeben. Diese abgespaltene Haltung findet sich dann leider noch zu häufig im praktischen Umgang mit den Toten wieder. Durch die damit leider auch verbundene Abwertung werden Menschen, die beruflich mit Toten zu tun haben, gesellschaftlich damit allein gelassen. Ihre Arbeit wird noch nicht angemessen geschätzt und unterstützt – und es besteht die Gefahr, dass sie in dem von ihnen erwarteten emotional distanzierten Umgang mit den Toten ihr Mitgefühl und ihre Würde verlieren.

Zur allgemein üblichen hygienischen Totenversorgung gehören Utensilien, die im Fachhandel für Bestattungsunternehmen gekauft werden können. Dazu zählen unter anderem chemische Geruchsumwandler, Augenklappen aus Plastik, Klebstoff für das Verschließen von Augenlidern und Lippen, Kinnstützen aus Plastik und vieles mehr. Diese oben und im Folgenden genannten Mittel benutzen wir in unserer Bestattungsarbeit in der BARKE nicht und führen auch keine entsprechenden Handlungen an den Verstorbenen aus, weil wir diese grundsätzlich als unnötig erfahren haben und als zu körperverletzend empfinden. Wir gehen davon aus, dass die meisten dieser und anderer „Hilfsmittel“ dafür vorgesehen sind, um die Anzeichen des Todes weniger sichtbar, weniger wahrnehmbar zu machen: Die Plastikaugenklappen sind mit kleinen Dornen versehen und werden unter die Augenlider geschoben, damit das Einsinken der Augen von außen nicht mehr sichtbar ist. Und auch, damit die Lider geschlossen bleiben. Doch die Augen der Toten sinken in aller Regel sehr langsam ein. Oft ist das in den ersten Tagen nach dem Tod kaum wahrnehmbar. Es ist einfach eines der vielen sichtbaren Zeichen von Tod. Normaler Sekundenkleber wird benutzt, um Augenlider und Lippen von Verstorbenen zu verschließen, denn manchmal ist dies ohne solche Hilfsmittel einfach nicht möglich. Aber beim Schlafen ist der Mund auch manchmal entspannt und leicht geöffnet und auch leicht „blinzelnde“ Augen müssen bei den Toten nicht erschreckend wirken, vorausgesetzt, dass die Angehörigen dabei gut begleitet werden, mit ihnen darüber gesprochen wird und somit eine unbefangene Begegnung mit ihren Toten unterstützt wird. Wenn wir als Bestatterinnen ganz natürlich damit umgehen, erleben wir, wie viele Angehörige bei den leicht geöffneten Augen ihrer Toten schmunzeln können und Bemerkungen machen wie: „Sie wollte ja auch im Leben immer genau mitbekommen, was um sie herum geschieht. Warum sollte das jetzt anders sein?“

Die verschiedenen Kinnstützen aus Plastik, damit der Kiefer fest geschlossen bleibt, hinterlassen sichtbare Eindrücke in der Haut und graben sich tief unter das Kinn ein, sehen meist unbequem und selten schön an den Verstorbenen aus. Der Mund wird auch manchmal mithilfe einer kaum sichtbaren Technik zugenäht.

Es ist in Bestattungsunternehmen auch oft üblich (und dies wird in der Ausbildung zur Bestattungsfachkraft gelehrt,) Drähte zu benutzen, mit deren Hilfe die Körperöffnungen der Verstorbenen (Mund-, Nasenhöhlen, Genitalbereich) mit Zellstoff ausgestopft werden, damit schon im Voraus verhindert wird, dass eventuell Körperflüssigkeiten austreten können. Solche „Hilfsmittel“ werden auch in so manchem aufgeschlossenen Institut verwendet, das ansonsten eine gute und unterstützende Begleitung der Trauernden und den Abschied von den Verstorbenen in eigenen, schön gestalteten Abschiedsräumen anbietet. Dieser Umgang mit den Toten gilt nach wie vor als „seriös und fachlich kompetent“, um die Lebenden vorsorglich vor allen Anzeichen des Todes zu bewahren.

Die Angst und der Ekel vor den (möglichen!) sichtbaren Zeichen des Todes, der Veränderung, des Verfalls, der Verwesung ist so groß, dass alles getan wird, um dies schon vorbeugend zu verhindern, wenn die Verstorbenen für eine offene Aufbahrung vorbereitet werden sollen. Sehr häufig aber geschieht diese natürliche Veränderung nach dem Tod sehr langsam und muss nicht erschreckend sein. Unsere Versorgung ähnelt daher eher der Versorgung Lebender, die Pflege brauchen: ein kleines zusammengerolltes Handtuch oder ein anderes Tuch unterm Kinn (und das nur, wenn der Kiefer sonst zu sehr aufgehen würde), aufsaugende, flüssigkeitsdichte Krankenunterlagen im Bett, meistens nur eine Einlage in der Unterhose anstatt der inzwischen obligatorischen Windel.

Wenn, was eher selten der Fall ist, eine Veränderung sehr schnell gehen sollte, so erklären wir auch hier den Prozess den Angehörigen, nehmen die Angst davor und entscheiden gemeinsam, wie die Zeit des Abschiednehmens in angemessener Reaktion darauf beendet wird, zum Beispiel durch das Schließen des Sarges, auch um die Würde der Verstorbenen zu wahren, die in dieser Veränderung nun vielleicht nicht mehr von allen gesehen werden wollen. Unserer Erfahrung nach ist aber in aller Regel genug Zeit für den Abschied.

Mittlerweile werden auch hierzulande Techniken der Konservierung von Verstorbenen angeboten wie das sogenannte „Modern Embalming“ (deutsch: Moderne Einbalsamierung). Dieses Verfahren ist in den Vereinigten Staaten und in England schon seit Jahrzehnten üblich. Dabei wird das gesamte Blut aus dem Körper der Toten abgepumpt und gleichzeitig werden die Adern des toten Menschen mit einer meist formaldehydhaltigen (oder einer anderen chemischen) Konservierungsflüssigkeit gefüllt. Die Verstorbenen sind dadurch für eine unbestimmt lange Zeit konserviert und verändern ihren Zustand nicht mehr. Sie sehen auch nicht mehr tot aus, sondern tatsächlich leblos.

Bei einem toten Mann, der so behandelt wurde, weil er aus dem Ausland mit dem Flugzeug hierher rückgeführt wurde, habe ich diese künstliche Leblosigkeit sehr stark empfunden. Nach dem Öffnen des verlöteten Zinksarges roch es stechend nach Formaldehyd. Sein Körper fühlte sich nicht wie ein natürlicher menschlicher toter Körper an, sondern wie aus einem „Kunststoff“ gemacht. Ich habe etwas an ihm wahrgenommen, das sich wie eingesperrt anfühlte: Seine Seele? Seine Essenz? Ich frage mich: Wie geht ein natürlicher Übergang in solch einem Zustand?

Nun gibt es seit ein paar Jahren auch noch die Thanatopraxie. Hierunter fällt auch die „Wiederherstellungskosmetik“ von Unfallopfern, aber nicht wie in der Medizin bei Lebenden, sondern eher mit Mitteln aus dem Baumarkt. Es kann in Ausnahmefällen Situationen geben, bei denen die Anwendung einer dieser Methoden tatsächlich hilfreich und zum Beispiel das Vernähen von Wunden eventuell erforderlich ist. Aber ich verwehre mich entschieden dagegen, diese (zudem sehr teuren) Behandlungen als einzige oder beste Weise darzustellen, wie ein „guter Abschied am offenen Sarg“ ermöglicht werden kann, ohne den Angehörigen zu erklären, was genau dabei mit ihren Toten geschieht. Unter „Einbalsamierung“ und „Wiederherstellungskosmetik“ stellen sich die meisten Menschen wohl etwas anderes vor: Einbalsamieren wird von vielen mit duftenden Ölen assoziiert und Kosmetik mit abdeckendem Make-up und Schminken.

Wir Bestatterinnen von der BARKE machen die Erfahrung, dass die sichtbaren Zeichen der Veränderung und manchmal auch der – in der Regel wirklich oft nur leichte – Geruch der Verwesung (der übrigens meist erst einige Tage nach dem Tod wahrnehmbar wird, wenn überhaupt) den Angehörigen auch helfen können, zu begreifen, warum sie ihre Toten gehen lassen müssen, warum die Verstorbenen nun bestattet werden müssen.

Wenn sich Verstorbene durch konservierende Methoden nun gar nicht mehr sichtbar und fühlbar verändern, wird uns das Begreifen von Tod erschwert und damit auch das Abschiednehmen. So wird aus einem natürlichen Prozess eine künstlich erzeugte Starre, eine erzwungene Bewegungslosigkeit auf dem bewegten und bewegenden Weg hinaus aus diesem Leben.

Es stellt sich mir die Frage, wie viel wir in diesem kostbaren, lebendigen Leben noch durch „Plastik“ ersetzen wollen. Und warum wir die Erde noch zusätzlich mit Konservierungsmitteln vergiften sollten, wenn wir stattdessen die Möglichkeit haben, ihr nach unserem Lebensende durch unsere Körper wertvolle Nährstoffe zurückzugeben, aus denen neues Leben wächst.

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