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„Nur nichts anmerken lassen!“ – Fehlende Anerkennung und Unterstützung im beruflichen Umgang mit Tod
ОглавлениеÜber den Umgang mit toten Menschen wird hierzulande allgemein wenig gelehrt. Erst seit wenigen Jahren gibt es eine gesetzliche Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. In den existierenden Ausbildungen werden hauptsächlich die abgrenzenden Maßnahmen mit den bereits beschriebenen üblichen Utensilien vermittelt, die auf der Angst und dem Ekel vor dem Kontakt mit toten Körpern und ihrem Verfall basieren, und viele andere, in aller Regel unnötige und meines Erachtens körperverletzende Vorgehensweisen (siehe voriges Unterkapitel).
Andere, die in ihren Berufen regelmäßig und oft mit Toten in Kontakt kommen, wie zum Beispiel Pflegende, Ärztinnen und Ärzte, SanitäterInnen und Feuerwehrleute, haben in ihren Ausbildungen selten genug über den Umgang mit Toten und Trauernden lernen dürfen. MitarbeiterInnen von Friedhöfen und Krematorien bekommen in der Regel keine spezielle Ausbildung. FriedhofsmitarbeiterInnen29 haben uns schon davon erzählt, was sie erleben müssen, wenn sie zum Beispiel in der Mittagspause mit ihren Friedhofsjacken, die mit dem Schriftzug „Friedhof“ bedruckt sind, in den Supermarkt gehen, um sich etwas zu essen zu kaufen: Viele Menschen gehen ihnen dann – auch heute noch! – ängstlich oder gar entsetzt aus dem Weg. Allein die Vorstellung, dass diese Menschen beruflich mit Tod zu tun haben und durch ihr Erscheinen im alltäglichen Leben Tod symbolisch sozusagen unerwartet dort hineinbringen, erschreckt nach wie vor noch viele.
Die meisten wollen in ihrem Alltag nicht mit Tod konfrontiert werden, selbst wenn es nur die Begegnung mit einem Friedhofsmitarbeiter ist, der früher „Totengräber“ genannt wurde. Und genau das gehört auch heute noch zu ihrer Tätigkeit: die Toten zu begraben. Eigentlich eine wichtige und ehrenvolle Aufgabe, auf die FriedhofsmitarbeiterInnen stolz sein können (und manche sind es glücklicherweise auch). Aber das schnelle Zubaggern des Grabes, in der Regel natürlich erst, wenn nach dem Begräbnis alle Trauergäste schon gegangen sind, vermittelt diesen Eindruck nicht wirklich. Und es ist schade, dass auch diese Handlung aus unserem Blickfeld verschwunden ist und uns weitestgehend aus den Händen genommen wurde: das Begraben.
Gleichzeitig ist es völlig normal, dass wir in den Medien sehr häufig mit gewaltsamen, unnatürlichen Todesfällen, teilweise mit sehr erschreckenden Bildern, überflutet werden. Die fiktiven Bilder aus Krimis, reißerischen Thrillern und Horrorfilmen, aber auch die realen Bilder von blutüberströmten Toten aus den Nachrichten über Terroranschläge und Kriegsgebiete haben sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass Menschen oftmals eine völlig unrealistische Vorstellung vom ganz alltäglichen, natürlichen Tod und von toten Menschen haben. Nun kommen aber die Menschen, die beruflich mit Toten zu tun haben, auch aus der Mitte unserer Gesellschaft. Sie haben oft genau dieselben Ängste und auch manchmal Ekel vor der Berührung mit Toten. Es gibt Pflegende, denen es davor graust, nachts alleine Verstorbene nach unten und über die langen Kellerflure in den Kühlraum bringen zu müssen, den Ort, an dem die Verstorbenen in der Klinik bis zu ihrer Abholung durch ein Bestattungsunternehmen bleiben. Dort liegen häufig mehrere Verstorbene in den Kühlfächern (oder dem Kühlraum), auf Stahlblechwannen und mit Leintüchern zugedeckt.
Dass das auch anders zu organisieren ist, zeigen unter anderem seltene Ausnahmen von Kliniken, wie etwa die anthroposophischen Kliniken. In diesen befinden sich die in sehr schönen Farben gestalteten, oft in runden Formen gebauten (und gekühlten!) Abschiedsräume im Erdgeschoss, gut zugänglich für Angehörige und das Klinikpersonal. Denn dort verabschieden sich auch Pflegende, Ärztinnen und Ärzte von ihren verstorbenen PatientInnen. Ein anderer Umgang ist also durchaus möglich, schafft reale Erfahrungen statt medialer Schreckensbilder und tut auch den professionell Betreuenden gut.
In Pflegeheimen gibt es ebenfalls große Unterschiede, wie damit umgegangen wird, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner gestorben ist. Manchmal ist der Umgang ganz offen und selbstverständlich, es wird ein Bild und eine Kerze aufgestellt, sodass alle anderen, die dort leben, ebenfalls Bescheid wissen. Manchmal dürfen die BewohnerInnen wie auch die Pflegenden noch einmal Abschied nehmen, die ja in einem sehr nahen Kontakt mit den Verstorbenen waren. In anderen Häusern werden wir von der Heimleitung verpflichtet, nur zu genau bestimmten Zeiten still und heimlich den Sarg über die Gänge in den Aufzug zu fahren, damit nur ja kein/e BewohnerIn eventuell beunruhigt werden könnte.
Dabei haben die Menschen, die wir auf diese Weise abholen müssen, manchmal lange Zeit in diesen Heimen gelebt. Es war ihr letztes Zuhause, aus dem sie dann klammheimlich verschwinden müssen.
Im Krematorium haben die MitarbeiterInnen30 jeden Tag mit sehr vielen Toten zu tun. Sie bereiten sie zum Beispiel für die in den meisten Bundesländern vorgeschriebene zweite amtsärztliche Leichenschau vor (mehr dazu in Kapitel VII). In manchen Krematorien haben sie auch häufig Kontakt zu Trauernden, etwa bei dort stattfindenden Feiern oder wenn Angehörige bei der Einäscherung dabei sein dürfen: dem kurzen Moment, in dem die Verstorbenen im geschlossenen Sarg dem Feuer übergeben werden.
Die MitarbeiterInnen eines Krematoriums sind selbst oft berührt, wenn wir einen sehr kleinen Sarg bringen müssen oder bei tragischen Unfällen junger Menschen, und kommen so manches Mal an die Grenzen ihrer emotionalen und körperlichen Belastbarkeit. Ihnen wird viel zugemutet. Sie haben es auch manchmal mit Verstorbenen zu tun, die schon länger tot und sehr weit fortgeschritten in der Verwesung sind. Oder auch mit schwer Verletzten. Das ist für die meisten nicht einfach auszuhalten. In solchen Momenten haben wir schon manchen Mitarbeiter mit den Tränen kämpfen sehen.
Aber für das Äußern von Gefühlen ist dort kaum Raum und Zeit. Es ist eine technische und harte körperliche Arbeit. Und wie die Menschen, die dort arbeiten, damit klarkommen, ist in aller Regel „ihre Sache“. Da wird meist nicht darüber geredet. Da gibt es keine Supervision oder Seelsorge wie bei großen Unfällen. Und mit wem sollten sie außerhalb ihrer Arbeit auch darüber sprechen können, wenn wirklich kaum jemand etwas davon wissen will? Und wenn eher mit Entsetzen reagiert wird, was keine Hilfe ist für diejenigen, die das fast täglich aushalten müssen.
Als Gesellschaft lassen wir diese Menschen allein und würdigen sie nicht angemessen für diese große Aufgabe, die sie für uns alle übernehmen. Das gilt natürlich auch für viele andere Bereiche in unserem Leben und mündet einmal mehr in der großen Frage, wie mit der Aufteilung und Bewertung von – bezahlter und unbezahlter – Arbeit überhaupt umgegangen wird.
Festzuhalten bleibt, dass auch über diesen Bereich der Arbeit mit den Toten bisher noch viel zu wenig gesprochen wird. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft darüber reden und nachdenken, wie wir unsere Bestattungskultur so verändern können, dass sie menschlicher wird. Für alle.
9 Gary Zukav: Die tanzenden Wu Li Meister – Der östliche Pfad zum Verständnis der modernen Physik: vom Quantensprung zum schwarzen Loch. Rowohlt, 2012
10 Silvia Federici: Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. 8. Auflage, Mandelbaum, 2020
11 Altes Testament, Ex 22,17: „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen“: ein Bibelzitat, auf das sich die Hexenverfolger unter vielen anderen häufig beriefen, genauso wie auf hohe Kirchenmänner wie Thomas von Aquin, Augustinus und andere.
12 Eine der Grundlagen für die Vernichtung, das Buch Malleus Maleficarum (zu Deutsch: Hexenhammer) von 1487, welches ausschließlich von der „naturgegebenen Boshaftigkeit und Schlechtigkeit der Frau“ handelt, wurde ebenfalls in diesem Land 1487 von zwei Mönchen geschrieben: „[…] so ist auch das Prozeßbuch Hexenhammer‘ eine Sammlung bereits bestehender, zum Teil jahrhundertealter Ansichten über Dämonen und ebenso alter Vorurteile gegenüber Frauen […], eine Aneinanderreihung von Zitaten von Heiligen Aposteln, Kirchenvätern und antiken Denkern, die in die Form scholastischer Disputation gezwängt wurden.“ Erika Wisselinck: Hexen – Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist. Frauenoffensive, 1986, S. 15
13 Vergleiche hierzu Rune Blix Hagen: Witchcraft Criminality and Witchcraft Research in the Nordic Countries aus: The Oxford Handbook of Witchcraft in Early Modern Europe and Colonial America. Oxford University Press, 2013
14 Mona Chollet: Hexen – Die unbesiegte Macht der Frauen. Edition Nautilus, 2020, S. 20
15 ebenda, S. 19
16 ebenda, S. 20; vergleiche hierzu ebenfalls: Silvia Federici: Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. 8. Auflage, Mandelbaum, 2020; Barbara Ehrenreich und Deirdre English: Hexen, Hebammen und Krankenschwestern. Frauenoffensive, 2001
17 Gunnar Heinsohn und Otto Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen – Hexenverfolgung, Menschenproduktion, Kinderwelten, Bevölkerungswissenschaft. 14. Auflage, Area Verlag, 2005; Erika Wisselinck: Hexen – Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist. Frauenoffensive, 1986
18 Gunnar Heinsohn: Lexikon der Völkermorde. Rowohlt, 1998
19 Heute sind die Verhältnisse in der Bundesrepublik besser, jedoch lange noch nicht gut. Die Anzahl rassistischer und antisemitischer Angriffe steigt ebenso wie die der Femizide: Morde an Frauen, weil sie Frauen sind.
20 Martina Böhmer: Erfahrungen sexualisierter Gewalt in der Lebensgeschichte alter Frauen – Ansätze für eine frauenorientierte Altenarbeit. 2. Auflage, Mabuse, 2000
21 medica mondiale e. V., https://www.medicamondiale.org/nc/nachrichten/transgenerationales-trauma-wir-haben-so-viel-in-uns-vergraben.html (25.11.2020)
22 Diese schöne Frage stellte mir Franziska Brugger, eine meiner Lektorinnen, während der Entstehungsphase des vorliegenden Buches.
23 LAG Hospiz Brandenburg e. V., https://www.lag-hospiz-brandenburg.de/themen_hospizidee_geschichte.html (25.11.2020)
24 Brigitte Tag: „Aber auch die Straftatbestände des Diebstahls, § 242 StGB, oder der Unterschlagung, § 246 StGB, kommen nicht in Betracht. Diese das Eigentum schützenden Straftatbestände sind u. a. deswegen nicht anwendbar, weil es sich bei den Leichen zwar um Sachen handelt [Hervorhebung von A. H.], sie aber anders als im Tatbestand vorausgesetzt herkömmlicherweise nicht im fremden Eigentum stehen, sondern herrenlos sind.“ Brigitte Tag: Rechtliche Aspekte im Umgang mit dem toten Körper. Eine thematische Einführung aus: Dominik Groß, Andrea Esser, Hubert Knoblauch, Brigitte Tag (Hg.): Tod und toter Körper – Der Umgang mit dem Tod und der menschlichen Leiche am Beispiel der klinischen Obduktion. Kassel University Press, 2007, S. 104, https://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-3-89958-338-0.volltext.frei.pdf (25.11.2020)
25 Beim Wort „Mensch“ im Singular haben wir in der Regel vor unserem inneren Auge nicht alle Geschlechter präsent, daher spreche ich manchmal von „Person“; das meine ich jedoch ganz gewiss nicht unpersönlich.
26 Giulia Enders: Darm mit Charme – Alles über ein unterschätztes Organ. Ullstein, 2017; Robynne Chutkan: Das Mikrobiom – Heilung für den Darm: Der revolutionäre Weg zu neuer Gesundheit von innen heraus. Unimedica, 2017; Emeran Mayer: Das zweite Gehirn – Wie der Darm unsere Stimmung, unsere Entscheidungen und unser Wohlbefinden beeinflusst. Riva, 2016
27 Ute Manan Schiran: Am Küstensaum der Zeit – Gedanken zu einer sinnlich-spirituellen Praxis jenseits bestehender religiöser/säkularer Systeme/2 Essays. München, 2008, S. 53
28 Eine Essenz; von mir aufgeschrieben nach den ersten sieben Jahren BARKE (2006).
29 In diesem Bereich sind bisher, außer im Verwaltungsbereich, noch sehr wenige Frauen tätig. Ich habe noch nie eine Friedhofsmitarbeiterin gesehen, die ein Grab geöffnet und wieder geschlossen hat („Grab öffnen und schließen“ sind Friedhofsfachbegriffe für: ein Grab ausheben und dieses später wieder mit Erde auffüllen).
30 Ich schreibe dies hier inklusiv für alle Geschlechter, aber leider ist mir noch in keinem Krematorium eine Mitarbeiterin begegnet, die sich um die Toten kümmert und für die Einäscherung zuständig ist. Es ist zu wünschen, dass auch hier bald mehr Frauen tätig sein werden und diese Arbeit die Anerkennung bekommt, die ihr gebührt.