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Fern vom eigenen Zuhause:
Krankenhaus, Heim, Bestattungsunternehmen …

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„Wie kam es, dass das Sterben langsam immer weniger weder örtlich noch zeitlich ins Leben passt, zunächst während das Herz noch schlägt und dann, wenn es nicht mehr schlägt?“22

In den 50er- und 60er-Jahren fanden Geburt, Sterben und Tod mehr und mehr im Krankenhaus statt. Aus Tischlereien, die vorher nur den Sarg angefertigt hatten, weil die Menschen alles andere noch selbst übernahmen, entwickelten sich Bestattungsunternehmen. Zunächst um die Jahrhundertwende in den Städten und nur für reiche Menschen, später für alle BürgerInnen und schließlich auch auf dem Land. Für alle, die vorher noch mitten im Leben eingebettet waren: alte, kranke, sterbende, sogenannte „behinderte“ und kleine Menschen wurden nun mehr und mehr die jeweiligen Institutionen (Krankenhaus, Kindergarten, Alten- und Pflegeheim, Behindertenheim etc.) geschaffen und das Leben wurde weiter aufgeteilt in Lohnarbeit und unentlohnte Hausarbeit (Care- bzw. Sorge-Arbeit), öffentliches und privates Leben. Menschengruppen wurden nach Alter, Fähigkeiten und kategorisierten Bedürfnissen sortiert, voneinander getrennt in Einrichtungen untergebracht und von Fachpersonal betreut. Diese Trennung der Lebensbereiche und die Einteilung der Menschen, die uns heute so selbstverständlich scheint, gehört in dieser Weise also noch nicht lange zu unserem Leben und ist auch eine Folge der zunehmenden Industrialisierung.

Auf dem Land ging diese Entwicklung langsamer voran. Manche erinnern sich sogar noch an die Zeit, als die Menschen zu Hause geboren wurden und zu Hause gestorben sind, an die Zeit der Hausaufbahrung und der Totenwache, über die ich später in diesem Buch noch sehr ausführlich schreiben werde. Damals gab es noch mehr Raum und Zeit für das Sterben mitten in unserem alltäglichen Leben.

Gleichzeitig wird der Glaube an die Wunder der modernen Medizin und ihr Einfluss immer stärker. Waren manche alte Menschen in meiner Kindheit noch der Überzeugung, dass es besser ist, einen Arztbesuch oder gar einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden, um gesund zu bleiben, so hat sich das nach dem Zweiten Weltkrieg drastisch geändert. Verbunden mit einer zumeist sehr unkritischen Fortschrittsgläubigkeit und der allgemeinen Bewunderung der technischen Entwicklungen verloren die Menschen nach und nach viel von ihrem ursprünglichen Vertrauen in alte Hausmittel und ihre eigenen Fähigkeiten, viele Krankheiten zu überstehen, wenn sie zu Hause gut versorgt werden, gesund und zufrieden leben können, ihr Immunsystem stärken und sich genügend Ruhe gönnen können (was alles heute wieder neu entdeckt wird als wesentliche Grundlagen für das, was wir Gesundheit nennen). Die Anforderungen der Arbeitswelt im „Wirtschaftswunderland“ und das Konkurrenzdenken in einer wachsenden Konsumgesellschaft haben die früher funktionierenden Gemeinschaften und Nachbarschaftsnetzwerke geschwächt. Das war vor allen Dingen eine Entwicklung im Westen Deutschlands. Ostdeutsche berichten unter vielem anderen auch von einer größeren Solidarität in einer nicht auf wachsenden Konsum ausgerichteten Gesellschaftsform, die aber trotzdem noch sehr patriarchal (und sehr totalitär) war, denn Frauen konnten zwar in allen Berufen selbstverständlich arbeiten, die Kinder waren währenddessen in Einrichtungen untergebracht, nur leider waren sie auch hier am „Feierabend“ für die (ebenso unbezahlte) Sorge-Arbeit zu Hause weitgehend allein zuständig. Kleinfamilien ersetzten in dieser Zeit immer mehr die Großfamilie, und so war es auch rein praktisch gar nicht mehr so einfach möglich, sich um Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu Hause zu kümmern. Zudem lebten auch immer mehr Menschen allein.

So verschwand sehr viel, was das Leben ausmacht, aus dem alltäglichen Lebensumfeld: wie ein Kind geboren wird, wie ein Mensch zu Hause stirbt und noch drei Tage lang zu Hause aufgebahrt wird, wo sich alle in Ruhe verabschieden können, wie es ist, mit sogenannten „behinderten“ Menschen alltäglich zu leben und zu arbeiten, welche Freude Kinder und alte Menschen zusammen haben können, wie Kranke und Alte zu Hause gepflegt werden, wie Jugendliche mehr und mehr in das soziale Leben integriert werden und verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen können … Auf diese Weise ging immer mehr von dem verloren, was alte Menschen aus ihrer Lebenserfahrung beitragen können – die Ältesten – und was eine Gesellschaft von jungen Menschen und auch kleinen Kindern lernen kann.

Selbst die notwendige und wichtige Entstehung von Hospizen und Geburtshäusern ist Bestandteil dieser Trennung in verschiedene Lebensbereiche. Aus der Erfahrung als Bestatterin und Geburtsbegleiterin weiß ich jedoch, wie wichtig Hospizhäuser, (die meist ehrenamtliche) Hospizarbeit, Palliativstationen und Geburtshäuser in der heutigen Zeit sind, denn sie schaffen einen wichtigen Raum zwischen der medizinischen Klinik- und Pflegeroutine und dem Zuhause, in dem die meisten Menschen unter den heutigen Umständen nicht mehr in der Lage sind, sich gleichzeitig, und in der Regel allein, neben der Lohnarbeit um Haushalt, Kinder, alte Menschen, Menschen mit besonderen Bedürfnissen und kranke Menschen zu kümmern (und in der Mehrheit tun das immer noch Frauen). Auch deshalb ist es für viele nicht (mehr) möglich, zu Hause in Ruhe und gut begleitet zu gebären – oder in Ruhe und gut begleitet zu sterben. Leider wurde mit dieser Entwicklung die Angst vor dem Gebären und dem Sterben zu Hause ohne den medizinischen Interventionsapparat einer Klinik immer größer – und diese Angst wird meiner Erfahrung nach bis heute auch bewusst geschürt.

Auch die Hospize, in der Form, wie wir sie heute kennen, wurden aus der dadurch entstandenen Not geschaffen. Die Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz Brandenburg e. V. schreibt dazu:

„Ein starker Impuls kam aus England, wo Ciceley Saunders durch ein Erlebnis im Umgang mit einem sterbenden Patienten die Hospizidee ‬gebar‘ und sich fortan dafür stark machte. Ursprünglich Krankenschwester, absolvierte sie eine Ausbildung zur Sozialhelferin und studierte einige Jahre später noch Medizin, um ihr Ziel, ein Hospiz zu gründen, zu erreichen. Im Jahre 1967 wurde in London das St. Christopher’s Hospice eröffnet, dem sie bis 1985 als medizinische Direktorin vorstand und sich gänzlich als Pionierin der Hospizbewegung einbringen konnte.

Die Schwere des Themas, persönliche Betroffenheit, Ängste und daraus resultierendes Schweigen oder besser eine weit verbreitete Sprachlosigkeit erschweren bis heute den hospizlichen Diskurs. […]

Diese Bürgerbewegung entwickelte sich in den 1970er Jahren noch zaghaft, in den 1980er und 1990er Jahren jedoch stärker zu einer Bewegung, die sich gegen die als unwürdig empfundenen Sterbesituationen, vorwiegend in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, stellte und es sich zur Aufgabe machte, die Tabuthemen Tod und Sterben aufzubrechen und der häufigen Isolation sterbender Menschen etwas entgegen zu setzen: Sowohl durch das persönliche Engagement vieler ehrenamtlicher BegleiterInnen in der Häuslichkeit und in Einrichtungen (ambulante Hospizarbeit) als auch durch den Aufbau von Einrichtungen als Hort eines menschenwürdigen Umgangs mit Sterbenden (stationäre Hospize). Die Einbeziehung und gleichzeitige Begleitung Angehöriger, Nahestehender oder Freunde ist dabei von Anfang an wesentlich. Daher ist es naheliegend, dass auch Trauer und Abschied schnell zum festen Bestandteil hospizlicher Arbeit wurde.“23

Im Grunde gehören all diese Bereiche – vom Beginn bis zum Ende eines Lebens – zusammen. Wie würde eine Welt aussehen, in der Menschen allen Alters in verschiedenen Lebenssituationen und mit ihren unterschiedlichsten Fähigkeiten und Bedürfnissen zusammenleben und sich umeinander kümmern würden? Mehrgenerationenhäuser und Gemeinschaftsprojekte aller Art auf dem Land und in den Städten sind hier schon ein guter Anfang. Und es gibt noch viel zu lernen, wie wir (wieder) ein ganz neues Zusammenleben entwickeln – frei von den Hierarchien, der Enge und den Zwängen, die oft in den früheren Großfamilien herrschten und die besonders das Leben von Frauen erschwerten. Wie würde das wohl aussehen, wenn wir dem Wissen wieder Raum geben, dass die Kleinen sehr gerne und mit großer Freude lernen, wenn wir ihnen die Möglichkeit geben, dies in Freiheit zu tun, wenn wir die kleinen Menschen, unsere Kinder, ernst nehmen, wenn wir uns alle und alles Leben auf dieser Erde ernst nehmen?

Aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu schaffen, in der wir alle gut miteinander leben können … Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns das im Grunde unseres Herzens alle wünschen. Es ist möglich, diesem Herzenswunsch zu folgen und ihn zu unserer Wirklichkeit zu machen. Jetzt ist die Zeit.

Vom Leben getragen

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