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Tarot als Einweihungsweg

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Der Papst

Ihren Anfang nahm diese Entwicklung 1781 in einem Pariser Salon, in dem der Gelehrte Antoine Court de Gébelin das Tarocchi-Kartenspiel kennen lernte. Es war der Tarot de Marseille, der ihn zu der Erkenntnis veranlasste, es könne sich hierbei nicht nur um gewöhnliche Karten handeln. So glaubte er in den Bilderwelten der Trümpfe alte verborgene Erkenntnisse des Altertums, das so genannte Buch Thoth, zu entdecken. Jene geheimnisvolle Schrift galt unter Freigeistern als Wiege der Weisheit und verschlüsselte Bildersprache, die die geheimen Lehren dieses ägyptischen Gottes in Symbolen und Allegorien offenbarten. Thoth, der nach der gegenseitigen Beeinflussung der griechischen und ägyptischen Kultur eine Symbiose mit Hermes einging und zu Hermes Trismegistos, dem dreifach großen Hermes, wurde, spielte nicht nur in der Mystik des Altertums, sondern auch in den Geheimlehren des gesamten Abendlandes eine tragende Rolle. Ihm wurde die Erfindung des Wortes zugeschrieben. Weiterhin galt er als Gott des Mondes, der Zauberei und gleichzeitig auch als Seelenbegleiter, der die Einweihung in die verborgenen Mysterien gewährte, was nach Auffassung der Autoren auch ein Hinweis darauf sein könnte, dass er ursprünglich der alten dreifaltigen Göttin entsprang. Als Gott der Magier finden wir ihn im Trumpf I der Großen Arkana versinnbildlicht. Seine Werke sind vielfältig, und die okkulten Mysterien, deren Wissen ihm zugeschrieben werden, tauchen in der abendländischen Kultur als Geheimlehren immer wieder auf. Ihren Höhepunkt hatte die Hermetik in der Renaissance und Reformation, in der Denker wie Agrippa (1486-1535) oder Paracelsus (1493-1541) unter ihrem Einfluss standen. Danach wurde sie zur Randerscheinung, bis Court de Gébelin ihre mystische Weisheit wieder entdeckte und mit dem Tarotspiel in Verbindung brachte. Er glaubte auch zu wissen, dass der Tarot aus Ägypten stammte und von den Zigeunern nach Europa gebracht worden war. Ebenso schuf er die Verbindung zwischen der Großen Arkana und der jüdischen Religion, indem er feststellte, dass die großen Trumpfkarten eine bildhafte Entsprechung der 22 hebräischen Buchstaben waren, eine Behauptung, die später bei nachfolgenden okkult engagierten Gelehrten, Mystikern und Magiern reichlich Früchte tragen sollte und heute noch die spirituelle Betrachtungsweise der Karten tief beeinflusst, auch wenn sämtliche von Court de Gébelin aufgestellten Behauptungen aus heutiger Sicht zumindest als sehr fragwürdig erscheinen. Eine Erklärung seines ausgeprägten Sinnes für Eingebungen und Visionen mag die von zwei gegensätzlichen Strömungen geprägte Zeit sein, in der er lebte. Auf der einen Seite bildete sich der Siegeszug der Aufklärung und des Materialismus in Form der industriellen Revolution, und auf der anderen entfaltete sich eine immer stärker werdende Hinwendung zu Mystik und spiritueller Sinnsuche. Gébelin gehörte zu jenen Pionieren seiner Epoche, die dem Glauben frönten, man könne die materielle Welt nicht erobern, wenn man ihr tiefstes Wesen und das innere Wirken nicht begriffen hätte. Aus dieser Haltung schaffte er den Spagat zwischen den beiden Welten der Mystik und Ratio, indem er den Fortschritt mit klassischem Altertum zu verknüpfen suchte und damit einer der Vorreiter der Idee wurde, der Gesellschaft das verborgene oder verloren gegangene Geheimwissen wiederzubringen. So legte er nicht nur die Grundlage für den Tarot als spirituellen Einweihungsweg, sondern war mit seinem Bedürfnis, den Menschen die alten Weisheitslehren wieder zugänglich zu machen, zugleich auch einer der geistigen Väter der heutigen esoterischen Bewegung. Die Gegenströmung zum Rationalismus gewann in der ersten Hälfte des anbrechenden 19. Jahrhunderts immer mehr an Macht. Während im Sturm und Drang-Deutschland Goethe seinen von hermetischem Gedankengut durchtränkten Faust zu Papier brachte und Geheimgesellschaften wie die Rosenkreuzer oder Freimaurer aus dem Boden schossen, nahm auch das Wahrsagen mit Spielkarten an Beliebtheit ungeheuer zu. Zurückzuführen war dies unter anderem auf die berühmte Wahrsagerin Madame Lenormand (1772-1843), die das Kartenorakel aus dem verpönten Dunstkreis der Hinterhöfe in den Fokus der guten Gesellschaft brachte. Diese Sitten missfielen einem gewissen Abbé Alphonse Louis Constant (1810-1875), der sie in einem 1853 erschienenen Zeitungsartikel aufs Schärfste monierte. Darin beklagte er den Verfall der wahren Weisheit des Gottes Thoth zu Zigeuner- und Wahrsagekarten. Später nannte er sich Éliphas Lévi, mauserte sich zum größten Okkultisten Frankreichs und wurde nicht nur zu einem der geistigen Hauptbeeinflusser von Waite (1857-1942) und Crowley (1875-1947), sondern auch zu einem der wichtigsten Weichensteller der heutigen Esoterik und Auffassung von Magie überhaupt. Er begann seine berufliche Laufbahn als Diakon und wurde nach seinem Ausschluss aus der Kirche zum politischen Aktivist, der in der Revolution 1848 an vorderster Front kämpfte. Nach dem Scheitern seiner politischen Ideale änderte er Leben und Namen radikal. Als ehemaliger Revoluzzer und Idealist glaubte er daran, dass Spiritualität das Recht eines jeden sei und veröffentlichte im Laufe der nächsten Jahrzehnte mehrere Bücher, die heute noch als Standardwerke der Magie angesehen werden. Unbeirrt von der Tatsache, dass seine Kenntnisse der Kabbala, wie böse Zungen raunten, ähnlich bescheiden waren wie bei seinen späteren Erben Papus und Crowley, sah er den Tarot als Bilderschlüssel zum Verständnis dieser Geheimlehre und untermauerte Court de Gébelins Verknüpfung mit den 22 hebräischen Buchstaben mit einer durchdachten und sehr leidenschaftlich vertretenen Theorie. Lévi vervollständigte die Idee von der Übereinstimmung der 22 Trümpfe mit dem jüdischen Lebensbaum. Er behauptete ferner, dass die zehn Sephirot und die 22 Karten der Großen Arkana die 32 Wege absoluten Wissens für Kabbalisten darstellen und ordnete die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabetes in einer neuen Reihenfolge den 22 Trümpfen des Tarots zu. Damit lieferte er zugleich den Nährboden für Generationen begeisterter Forscher und Stubengelehrter, die bis heute immer wieder die Verbindung zwischen Kabbala und Tarot neu durchleuchten, ordnen, ausbauen und zu Deutungszwecken nutzen. Vom Gebrauch des Spiels zu Divinationszwecken hielt der rebellische Magier jedoch wenig und schenkte seine schreibfreudige Aufmerksamkeit ausschließlich dem den Karten innewohnenden großen Mysterium. Gerard Encausse (1865-1916) schließlich, der unter seinem Pseudonym Papus gemeinsam mit dem höchst exzentrischen Baron Stanislas de Guaita den Kabbalistischen Orden des Rosenkreuzes gründete, intensivierte Lévis hermetisches Konzept und war der Letzte der französischen Linie.

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