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Tarot und der Golden Dawn

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Während die geistige Strömung Frankreichs Ende des 19. Jahrhunderts in der Dekadenz des Fin de Siècle gipfelte, die Theosophie immer mehr Anhänger fand und in den deutschsprachigen Ländern die Psychologie und das Unbewusste entdeckt wurden, verlagerte sich die Beschäftigung mit okkulten Lehren, Magie und dem Tarot von Frankreich zunehmend nach England. In den Fußstapfen zweier der bekanntesten Okkultisten des 19. Jahrhunderts, Levi und Papus, gründeten Alphonsos Woodford und Wynn Westcott zusammen mit S. L. Mathers 1887 den Hermetic Order of the Golden Dawn. Dieser Orden in der Tradition der Rosenkreuzer war in ein strenges hierarchisches System verschiedener Entwicklungsstufen (Grade) gegliedert, die die Mitglieder nacheinander durchlaufen mussten. Tarot galt als eine Übungsdisziplin besonders für Neophyten (Anfängergrad) und diente der Schulung der Imaginationskraft sowie den hellseherischen Fähigkeiten. Anders als heute, wo die Karten auf eher psychologische Art gedeutet werden, orakelte man damals mehr auf Zigeunerart - es ging unter anderem darum, möglichst exakte Vorhersagen für die Zukunft treffen zu können. Zugleich galt der Tarot weiterhin als Buch der Weisheit und kabbalistisches Einweihungssystem in die Bildersprache, das erst Mitgliedern höherer Ordensgrade in seiner wahren und geheimen Bedeutung wirklich offen war. Diese Verbindung des Tarots zur Kabbala wurde in der Tradition Lévis fortgeführt. So prägte der Orden mit seinen vielfältigen Forschungen und Theorien nicht nur die Entwicklung des Tarots, sondern viele der heute verbreiteten esoterischen und okkulten Lehren. Auch A. E. Waite und Aleister Crowley waren Mitglieder des Golden Dawn. Pamela Colman Smith (1878-1951) schuf Anfang des 20. Jahrhunderts nach Vorgaben von E. A. Waite den heute als Rider-Waite bekannten Tarot im damals modernen präraffaelitischen Stil. Crowley trat 1899 in den Orden ein, kletterte in rasanter Geschwindigkeit die Mitgliedsgrade hoch und war schließlich entscheidend daran beteiligt, dass sich der Golden Dawn zerstritt und schließlich auflöste. Den Thoth-Tarot entwickelte er zusammen mit der Malerin Lady Frieda Harris (1877-1962) erst wesentlich später, in den 40er-Jahren, kurz vor seinem Tod. Die Künstlerin ließ in die Gestaltung der Bilder anthroposophische Erkenntnisse über die projektive Geometrie einfließen, während Crowley sein gesamtes magisches Wissen, seine reichhaltige und zuweilen exzentrische Weltanschauung auf der Basis der hermetischen Geheimlehre in die Symbolik der Karten einbrachte. So hat sich Gébelins wilde Theorie vom Weisheitsbuch Thoth ein gutes Jahrhundert später in Crowleys Interpretation des Tarots tatsächlich manifestiert und ist uns als grundlegende Theorie erhalten geblieben.

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