Читать книгу Operation Piratenjagd. Von der Antike bis zur Gegenwart - Alain Felkel - Страница 4

Prolog

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»Dies verfluchte Gewerbe besteht schon so lange und ist so umfänglich, dass sie wie Unkraut oder Hydraköpfe ebenso rasch wieder emporschießen, wie wir sie niederhauen können.«

Dieses Zitat aus dem Jahr 1672 stammt aus der Feder von Sir Thomas Lynch. Es beschreibt ein Phänomen, das überall und zu jeder Zeit auf hoher See und in Küstennähe herrschte, wenn ein Seekrieg, der vor allem mit Freibeutern geführt worden war, beendet wurde: das sprunghafte Anwachsen von Piraterie nach Beendigung der Kampfhandlungen. Es zeigt deutlich die Resignation des damaligen Gouverneurs von Jamaika, der seit seinem Amtsantritt hart gegen die Seeräuber vorging, aber nur begrenzten Erfolg mit seinen Maßnahmen hatte. Offensichtlich hatte Lynch die Anhänglichkeit seiner Landsleute an das einträgliche Gewerbe der Piraterie unterschätzt. Die Raubzüge Henry Morgans und der Seekrieg gegen Spanien hatten viele Freibeuter reich gemacht. Nach dem 1670 geschlossenen Frieden mit Spanien hatten sie nicht von ihrem alten Metier lassen können und waren Seeräuber geworden. Zu dem Zeitpunkt, als der Gouverneur jene oben zitierten Zeilen schrieb, hatten sie keine Kaperbriefe mehr, die sie als Parteigänger Englands auswiesen und vor dem Henker schützten. Doch die Gefahr, geschnappt zu werden, war in ihren Augen nicht besonders groß. Die wenigen Schiffe des Gouverneurs konnten nicht überall sein. Wo ein Pirat aufgeknüpft wurde, fanden sich sofort mehrere, die ihn ersetzten. Kein Wunder, dass sich der zermürbte Repräsentant Englands einem Herkules gleich im Kampf mit der schlangenköpfigen Hydra wähnte. Schlug man dieser einen Kopf ab, wuchsen zwei neue Häupter nach. Herkules fand jedoch im Gegensatz zu Sir Thomas Lynch einen Weg, sich seines Problems zu entledigen. Jedes Mal, wenn er dem Untier einen Kopf zerschmetterte, brannte sein Neffe Iolaos sofort die Wunde mit einer Fackel aus, sodass der Bestie bald keine Köpfe mehr nachwuchsen und sie unter seinen Hieben verendete. Der Gouverneur Jamaikas versetzte den Seeräubern der Karibik viele harte Schläge, erlebte jedoch den Sieg der britischen Krone über die Bukanier nicht mehr.

Heute stehen die führenden Handelsnationen der Welt wieder vor einer ähnlichen Herkulesaufgabe wie Sir Thomas Lynch. Weltweit bleckt ein vielköpfiges Untier die Zähne, das ungleich schwerer zu bezwingen ist als damals die Bukanier: die moderne Piraterie. Im Gegensatz zur Hydra des Herkules-Mythos reißt sie keine Viehherden, sondern Containerschiffe, Massengutfrachter und Supertanker – und zwar in solchen Mengen, dass der Welthandel schweren Schaden nimmt.

Wie die antike Schlangengestalt hat auch die moderne Piraterie viele Köpfe. Einer der gefährlichsten war der Somalier »Big Mouth«, der mit bürgerlichem Namen Mohammed Abdi Hassan heißt.

Zwischen 2006 und 2011 entführte er Dutzende Schiffe, unter denen sich so prominente Opfer wie der Supertanker »Sirius Star«, die »Faina« und der belgische Bulk Carrier »Pompei« befanden. Big Mouth wurde am 12. Oktober 2013 zusammen mit einem Vertrauten am Flughafen von Brüssel verhaftet. Belgische Undercoveragenten hatten ihn, als Filmemacher getarnt, nach Brüssel gelockt, um ihn als Experten für eine TV-Dokumentation über die somalische Piraterie zu interviewen. Die Verhaftung Big Mouths wurde zu einem Meilenstein der Piratenbekämpfung. Mit ihm war den Piratenjägern erstmals kein Handlanger, sondern einer der ganz großen Bosse ins Netz gegangen. Die Verhaftung des somalischen Piratenbosses ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die in den letzten drei Jahren eingesetzt hat. Anfang 2014 verzeichnete der Jahresbericht des International Maritime Bureau für 2013 weltweit einen drastischen Rückgang piratischer Angriffe. Im Jahr 2013 wurden 12 Schiffe entführt und 202 überfallen.

22 Schiffe gerieten unter Feuer, 28 Angriffe scheiterten. Dies ergibt in der Summe 264 Vorfälle und bedeutet einen Rückgang um 41 Prozent zu den Vergleichszahlen aus dem Jahr 2011, in dem 445 Schiffsüberfälle stattfanden und Piraten der Weltwirtschaft einen Gesamtschaden von 7 Milliarden US-Dollar zufügten.

Der Grund für die Abnahme der Piraterie liegt hauptsächlich in der erfolgreichen Bekämpfung des somalischen Seeraubs, der seit Beginn des 21. Jahrhunderts fast industrielle Form angenommen hatte. Als eine der wichtigsten Antipirateriemaßnahmen erwies sich die Errichtung eines 480 Kilometer langen Transportkorridors im Golf von Aden, der durch die vor Ort eingesetzten Seestreitkräfte geschützt wird. Hinzu kam die perfektionierte Eigensicherung der Schiffe. Am effektivsten war jedoch das Anheuern privater, bewaffneter Sicherheitsdienste und die seit 2008 intensivierten Seepatrouillen und Militärkonvois der multinationalen Streitkräfte von NATO, EU, UN sowie verschiedener Nationalstaaten wie USA, Russland, Indien, China und Japan. Die frühzeitige Aufklärung und Radarüberwachung des Seeraums verhinderte Piratenattacken, bevor Seeräuberboote sich überhaupt den Beuteschiffen annähern konnten. Die verbesserte strafrechtliche Ahndung von Piratendelikten durch neu gegründete Gerichtshöfe auf den Seychellen und in Kenia half, juristische Zuständigkeiten zu klären und die Seeräuber schneller und effektiver zu verurteilen, als dies bisher geschehen war. All diese Maßnahmen haben dazu beigetragen, die Seefahrt am Horn von Afrika sicherer zu machen. Trotz dieser unbestreitbaren Erfolge gibt es allerdings keinen Grund, sich auf den Weltmeeren in Sicherheit zu wiegen. Piratenbekämpfung ist teuer. 2012 kostete der weltweite Einsatz der Seestreitkräfte die Entsendestaaten nach Angaben des deutschen Bundesministeriums für Verteidigung eine Milliarde Euro. Nach wie vor macht den internationalen Seestreitkräften zu schaffen, dass 80 Prozent der Delikte in den Hoheitsgewässern und Häfen der von Seeraub betroffenen Nationen und nur 20 Prozent auf hoher See begangen werden. Dies erschwert die Bekämpfung von Piraterie durch Seestreitkräfte enorm. Nach Artikel 100 des Seerechtsübereinkommens der UNO von 1982 dürfen Kriegsschiffe Piratenschiffe nur auf hoher See bekämpfen und aufbringen, jedoch nicht in fremden Hoheitsgewässern. Die Bekämpfung von Piraten in den Hoheitsgewässern obliegt der örtlichen Polizei und der Marine des Staates, wo die Delikte begangen werden.

Dies zeigt das Dilemma der Piratenbekämpfung durch Seestreitkräfte. Der Jahresbericht des International Maritime Bureau kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Welthandel heute noch weit von den Verhältnissen von 1994 entfernt ist. Damals wurden nur 90 Attacken zur See offiziell gemeldet, was wohl auch daran lag, dass die Reeder nicht jeden Überfall ihrer Versicherung meldeten. Diese Unsitte herrscht auch heute noch vor. Meldungen von Piratenüberfällen sind nicht förderlich fürs Geschäft. Sie verursachen erhöhte Hafenliegegebühren und verteuern Versicherungspolicen. Bedenkt man, dass der Leiter des International Maritime Bureau, P. K. Mukundan, 1999 den damaligen Stand von 285 Seeräuberangriffen für besorgniserregend hielt, relativieren sich die jüngsten Erfolge schnell.

Eine Analyse der aktuellsten Überfälle zeigt ebenfalls deutlich, dass die Seeräuberei noch längst nicht auf dem Rückzug ist, sondern sich zu verlagern beginnt. Aus Angst vor Seeräuberüberfällen sind im letzten Jahr immer mehr Reedereien dazu übergegangen, die Passage durch den Golf von Aden und den Suezkanal zu vermeiden. Stattdessen schicken sie ihre Megatransportschiffe direkt auf die Reise um Afrika herum in die Häfen Europas. Doch die Schifffahrt auf der 5600 Kilometer längeren und 500 000 Euro teureren Route ist seit dem letzten Jahr ebenfalls risikoreich geworden. Denn um die Häfen der westlichen Hemisphäre zu erreichen, müssen die Frachtschiffe um das Kap der Guten Hoffnung entlang die Westküste Afrikas hochfahren und den piratenverseuchten Golf von Guinea passieren. Dies sorgte in der letzten Zeit für weitere Verluste. Im Jahr 2013 fanden allein im Golf von Guinea 48 Seeräuberattacken statt, darunter zwei Schiffsentführungen, 13 Feuerüberfälle und 13 Enterungen, wobei 36 Seeleute gekidnappt wurden und ein Seemann den Tod fand. Damit wird offensichtlich: So leicht lässt sich eine der ältesten Geißeln der Seefahrt nicht bezwingen. Zu krass ist das Missverhältnis zwischen der bitteren Armut der durch Kriege erschütterten Staaten, der sogenannten »Failed States«, und dem Reichtum der vorbeifahrenden Containerschiffe. Zu groß ist die Verlockung, Pirat zu werden. Zu leicht war es in den letzten beiden Jahrzehnten, mit Piraterie schnelles Geld zu verdienen. Viele Seeräuber in den typischen Piratenregionen wie Indonesien und dem somalischen Puntland sind meist einfache Fischer. Sie können kaum von ihrem Gewerbe leben und verdienen sich mit Seeraub ein Zubrot. Auf ihr Kerbholz gehen oft Delikte wie Diebstahl und bewaffneter Raub im Hafen und in der Hoheitszone ihres Heimatlandes. 2013 kam es allein in der Malakkastraße zu 149 Vorfällen, von denen 77 Prozent Diebstähle oder geringfügige Delikte waren. Sie alle wurden im Schutze der Dunkelheit begangen, blitzschnell ausgeführt und endeten damit, dass die Piraten im dichten Inselgewirr Indonesiens untertauchten, was eine Verfolgung meist unmöglich machte.

Dieser Art von Subsistenzpiraterie steht die gewerbliche Seeräuberei organisierter Verbrecherbanden gegenüber. Ihr Portfolio reicht vom Diebstahl ganzer Schiffe, Schiffsentführungen bis zur Erpressung von Lösegeld für Mannschaft und Schiff. Diese Banden sind hervorragend organisiert, ihre taktischen Manöver gleichen Militäroperationen. Im Habitus und Auftreten erinnern sie eher an Milizen als an Piraten, was an ihrer hervorragenden Bewaffnung liegt. Ihre Operationsbasen oder Schlupfwinkel sind entweder gesichert wie Festungen oder befinden sich in völlig unübersichtlichen Inselgruppen. Manchmal ist es die militärische Stärke der Piraten oder, wie im Fall von Somalia, die Gefahr einer politischen Eskalation, welche die Seeräuber vor Verfolgung schützt. Oft vereiteln auch korrupte Staatsorgane und Militärs die Strafverfolgung der Seeräuber, da sie selbst an deren Raubzügen prozentual beteiligt sind. Wer glaubt, dass dies jedoch nur eine Spielart moderner Piraterie ist, irrt sich. Die Geschichte zeigt, dass die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen sich Piraterie entwickelte, stets gleich waren. Zu jeder Zeit fielen Seeräuber über blühende Küstenstriche her, lauerten Piraten an den wichtigsten Handelsstraßen Kauffahrern auf. Stets waren es dieselben Faktoren, unter denen Seeraub stattfand.

Bittere Not, Kriegswirren und völlige Rechtsfreiheit bewirkten zu allen Zeiten einen Boom von Piraterie. Seeräuber wie Wikinger und Vandalen plünderten das Meer und entvölkerten mit ihren Überfällen ganze Landstriche. Meist leiteten ihre über Jahrzehnte währenden Überfälle sogar vorläufige Landnahmen ein, die zu dauerhaften Eroberungen wurden. Den gleichen Weg gingen Sarazenen und Barbaresken. Jahrhundertelang bedrohten sie die christliche Seefahrt, wobei sie sich an den Küsten des Mittelmeeres festsetzten und Staaten bildeten.

Seeräuberbünde wie Vitalier, Likedeeler und Bukanier schufen gefährliche politische Freiräume, in denen sie nach Lust und Laune walteten. Protestantische Seeräuber meist englischer und niederländischer Nation jagten unter dem Deckmantel, den katholischen Antichristen zu bekämpfen, dem spanischen Gold nach. Indische, chinesische und indonesische Seeräuber wurden zur Nemesis westeuropäischer Handelskompanien und Kolonialreiche, bis diese ihre Herausforderer strafrechtlich zu verfolgen begannen und letztendlich besiegten. Die Männer, die im Auftrag der geschädigten Mächte den Kampf mit den Seeräubern aufnahmen, waren oft aus demselben Holz geschnitzt wie ihre Todfeinde. Unter ihnen befanden sich ehemalige Freibeuter, einstige Kapitäne der Handelsmarine und hohe Seeoffiziere. Doch auch ehrgeizige Politiker, Händler und Herrscher kämpften gegen Piraten. Mit äußerster Zähigkeit jagten sie ihre Gegner, die ihnen im Falle der Niederlage genauso wenig Pardon gewährten, wie sie selbst den Seeräubern. Dramatische Zweikämpfe und erbitterte Seegefechte waren ihr tägliches Brot. Trotzdem sind die meisten von ihnen vergessen. Im Gegensatz zu Seeräubern wie Klaus Störtebeker, Henry Morgan und Edward Teach fand kaum ein berühmter Piratenjäger den Weg in die Welt von Volkssage, Lied, Roman und Kino. Versuche, dies zu ändern, scheiterten. Daran konnte selbst staatliche Erinnerungskultur nichts ändern. Obwohl in Hamburg die Kolossalstatuen der Piratenjäger Simon von Utrecht und Ditmar Koel für jedermann sichtbar die Brückenpfeiler der Kersten-Miles-Brücke zieren, kennt sie kaum jemand aus der Bevölkerung. Dies liegt daran, dass die Feinde der Seeräuber weder Mythen noch romantisch verklärte Gloriolen umranken. Noch weniger eignen sie sich zur Projektion sozialutopischer Gegenentwürfe. Das Handwerk des Piratenjägers bestand aus nüchterner Polizeiarbeit, gepaart mit seemännischem Können und militärischem Mut.

Piratenjäger waren stets Repräsentanten der vorherrschenden Gesellschaftsordnung und als solche keine Streiter für soziale Gerechtigkeit. Vielmehr lagen ihrem Handeln machtpolitische und wirtschaftliche Erwägungen zugrunde. Ihre Aufgabe war die Wiederherstellung der Sicherheit auf See, sodass Menschen und Waren wieder sicher ihre Bestimmungsorte erreichen konnten. Viele von ihnen siegten, doch einigen wurde der Kampf gegen die Piraten zum Verhängnis, denn nicht immer verlief die Seeräuberjagd erfolgreich. Aber dies ist genau das stoffliche Spektrum, aus dem das Buch »Operation Piratenjagd« mit Hilfe von Quellen und Sekundärliteratur die Dramatik zieht.

Vorweg vielleicht noch einige klärende Worte zur Stoffauswahl. Wie der Titel des Buches schon sagt, ist dies hauptsächlich ein Werk über Seeräuberbekämpfung und Piratenjagden, kein Generalabriss der Piraterie. Mancher Leser wird berühmte Seeräuber und Freibeuter wie Francis Drake vermissen.

Dies hat den Grund, dass Drake trotz seiner Taten nicht Objekt gezielter Gegenmaßnahmen war. Sein letzter Raubzug gegen die Spanier 1596 war ein von der Englischen Krone und von Privatleuten, unter denen sich auch Drake und Hawkins befanden, finanzierter, regulärer Kriegszug. Auch wenn Lope de Vega später diesem Kampf und damit den spanischen Siegern in seiner Dichtung »La Dragontea« ein Denkmal setzte, fällt dieser Sieg nicht unter den Aspekt Piratenjagd. Die Thematik Drakes führt zu einer anderen Problematik, deren sich der Verfasser durchaus bewusst ist und die in einer Frage kulminiert: Was ist Piraterie? Was ist Korsarentum? Sind beide Phänomene überhaupt trennbar? Im 19. Jahrhundert orientierte sich das Völkerrecht am Piratenbegriff des portugiesischen Strafgesetzbuches von 1886, dessen § 162 die Piraterie folgendermaßen definierte:

»Pirat ist, wer als Führer eines bewaffneten Fahrzeugs auf dem Meer umherfährt ohne Auftrag eines Herrschers oder selbstständigen Staates, um Raub oder irgendwelche Gewaltakte zu begehen.

Diese an sich klare und praktische Definition verlor sich im letzten Jahrhundert. Heute wird im Völkerrecht unter Piraterie etwas anderes verstanden. Am 10. Dezember 1982 trat Artikel 101 der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen in Kraft, der Seeraub folgendermaßen definiert:

»Seeräuberei ist jede der folgenden Handlungen:

1 jede rechtswidrige Gewalttat oder Freiheitsberaubung oder jede Plünderung, welche die Besatzung oder die Fahrgäste eines privaten Schiffes oder Luftfahrzeugs zu privaten Zwecken begehen und die gerichtet istauf hoher See gegen ein anderes Schiff oder Luftfahrzeug oder gegen Personen oder Vermögenswerte an Bord dieses Schiffes oder Luftfahrzeugs;an einem Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, gegen ein Schiff, ein Luftfahrzeug, Personen oder Vermögenswerte;

2 jede freiwillige Beteiligung am Einsatz eines Schiffes oder Luftfahrzeugs in Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass es ein Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug ist;

3 jede Anstiftung zu einer unter Buchstabe a oder b bezeichneten Handlung oder jede absichtliche Erleichterung einer solchen Handlung.«

Diese auf den ersten Blick saubere Definition bietet nicht nur Lösungen, sondern schafft auch Probleme. Die meisten Seeräubereien fanden oder finden nicht auf hoher See, sondern in Territorialgewässern statt – also innerhalb der staatlichen Hoheitszone von 12 Seemeilen (22 Kilometer) –, wo der Begriff der Piraterie seit 1982 keine Anwendung mehr findet. Schiffsüberfälle, die innerhalb der Territorialgewässer begangen werden, werden juristisch als bewaffneter Raub zur See gewertet und unterliegen der strafrechtlichen Ahndung und Rechtsprechung des betroffenen Nationalstaats. Des Weiteren finden sich zusätzliche Einschränkungen, die jenseits des Begriffs der Territorialgewässer den Aspekt der hohen See noch mehr eingrenzen. Auf diese juristischen Spitzfindigkeiten wie die gesonderten Bestimmungen zu Archipelgewässern, Anschlusszonen oder Festlandssockeln soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Elementar für das Konzept des Buches ist der in Artikel 101 des Seerechtsübereinkommens der UNO enthaltene Passus, dass unter Piraterie grundsätzlich ein Delikt verstanden wird, das durch eine private Person mithilfe eines privaten Schiffes zu privaten Zwecken – gemeint ist die persönliche Bereicherung – begangen wird.

Das führt zur Frage, warum in diesem Buch neben somalischen und indonesischen Piraten scheinbar ausgewiesene Freibeuter und Kaperer wie die Barbaresken oder Bukanier auftauchen. Hierzu ist es notwendig, auf die verschiedenen Formen von Seeraub einzugehen. Das Mittelalter und die frühe Neuzeit kannten ein Nebeneinander von staatlich legitimiertem und privatem Seekrieg. Infolge des Mangels von staatlichen Marinen wurde die Seekriegsführung oft an privatwirtschaftlich organisierte Kriegsleute übertragen, die mit der Erlaubnis eines Souveräns als Parteigänger agierten. Im Englischen hießen sie »Privateers«, im Französischen »Corsaires«. Jene Privateers oder Corsaires rüsteten entweder ihre Schiffe selbst zur Kriegsfahrt aus oder wurden von professionellen Ausrüstern, den Armateuren, ausgerüstet, bevor sie auf Beutefahrt gingen. Dieses Phänomen war auch in Deutschland bekannt. Auf Deutsch nannte man Kaperfahrer erst »Utligger« (Auslieger), dann Freibeuter.

Im Gegensatz zu dieser Art maritimer Fehdehilfe beziehungsweise staatlich legitimierten Seeraubs standen die Seefahrer, die auf den Wogen des Meeres auf eigenes Risiko raubten. Sie waren Seeräuber, rechtlos, und lebten in ständiger Gefahr, bei Ergreifung hingerichtet zu werden. In den Augen der Strafjustiz waren Piraten ebenso Abschaum wie Mörder und Straßenräuber. Was sie begingen, waren ehrlose und todeswürdige Verbrechen, da ihnen dem Gesetz nach die Legitimation zum Raub in Form eines Kaperbriefs fehlte.

Der Kaperbrief – auch »Letter of Marque«, »Kommission«, »Bestallungs-« oder »Markebrief« genannt – wurde eigens im Konfliktfall ausgestellt und galt nur zu Kriegszeiten. Er gab dem Parteigänger des Ausstellers im Konfliktfall die Vollmacht, feindliche Schiffe gegen eine vorher vereinbarte Abgabe an den Aussteller zur Kriegsbeute zu nehmen. Außerdem verlieh er dem Kaperfahrer Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung durch die feindliche Macht. Im Normalfall bewahrte er ihn davor, bei Gefangennahme wie ein Pirat behandelt und hingerichtet zu werden.

Doch was auf dem Papier wie eine saubere Trennung der Begrifflichkeiten aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als unrealistisches Konstrukt. Viele Kaperfahrer erlitten den Piratentod, weil die feindliche Macht sie aus kriegstaktischen Gründen als Piraten ächtete, um sie effizienter bekämpfen zu können. Hinzu kam, dass die meisten Freibeuter oder Korsaren sich nach Kriegsbeginn nicht mehr an ihre Kaperbriefe hielten. Ohne Skrupel raubten sie die Schiffe neutraler Mächte aus. Darüber hinaus plünderten sie auch nach Kriegsende wahllos auf dem Meer weiter. Der Gegenschlag ließ nicht lang auf sich warten. Die unrechtmäßig geschädigten Untertanen wandten sich an ihren Souverän um Hilfe, der ihnen Repressalienbriefe ausstellte, mit denen sie sich wiederum an den Untertanen des Kaperbriefausstellers schadlos hielten.

Die daraus entstehende Kette von Piraterien und Repressalien ließ sich auch durch die seit 1373 in Europa auftauchenden Prisengerichte nicht mehr in den Griff bekommen. Immer wenn langwierige Seekriege ausbrachen, verwischten sich die Konturen zwischen Piraten und Kaperern. Das betraf zeitlich vor allem das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit, räumlich besonders das Mittelmeer, die Nord- und Ostsee sowie die Karibik. Aus diesen Gründen ist es undenkbar, ein Buch über Piratenjagd zu schreiben, ohne auch auf Korsaren, Kaperfahrer und Freibeuter einzugehen.

Operation Piratenjagd. Von der Antike bis zur Gegenwart

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