Читать книгу Operation Piratenjagd. Von der Antike bis zur Gegenwart - Alain Felkel - Страница 7
Dionysos und die Räuber
ОглавлениеEinzig die griechischen Epen und Mythen erhellen jene dunkle Zeit der Raubzüge der Hellenen, die einst die Insel- und Küstenwelt der Ägäis in erschreckendem Maße verheert haben müssen.
In den Abenteuern von Jason und den Argonauten, der Ilias und der Odyssee lassen sich mannigfach Hinweise auf die Seeräubereien der griechischen Helden und ihrer treuen Gefolgsmänner finden. So erhielt Jason mit seinen Gefährten den Auftrag, das Goldene Vlies zu stehlen, bot die Entführung Helenas durch Paris den Anlass für die Zerstörung Trojas und wurde der Ursprung aller Irrfahrten des Odysseus der unglückselige Gedanke, die in Troja gemachte Beute noch durch weitere Raubzüge an Thrakiens Küste anzureichern.
In Homers Odyssee erzählt der nach Ithaka heimkehrende Odysseus dem Schweinehirten Eumaios von einer schweren Niederlage, die er als Führer hellenischer Piraten im Nildelta erlitten hat. War dies ein Nachruf auf die große Abwehrschlacht von Ramses III. auf dem Nil? Oder eine Hommage Homers an zeitgenössische, historisch verbürgte Piratenangriffe auf Ägypten?
Die Erzählung hält dies offen. Sie ist als eine der Lügenschichten getarnt, die der als Bettler verkleidete Odysseus seinem einfachen Wirt, dem er sich zunächst nicht zu erkennen gibt, als erdichtete Biografie auftischt.
Nun sind Epen und Mythen keine Tatsachenerzählung historischer Ereignisse, doch in einem zeigen sie sich hilfreich. Sie gewähren einen Blick auf die Gedankenwelten und Erfahrungshorizonte der jeweiligen Epoche, die von der Allgegenwart des Seeraubs stark geprägt war. In den griechischen Mythen spielen vor allem die Tyrrhener eine Rolle, die in grauer Vorzeit die Ägäis besiedelten. Ein Teil von ihnen – die pelasgischen Tyrrhener – wurde von den Hellenen an die unwirtlichen Küstenstreifen Nordwestkleinasiens, die Inseln der Nordägäis verdrängt, andere tyrrhenische Stämme ins westliche Mittelmeer nach Sardinien. Dies sollte den Hellenen bald zum Nachteil gereichen. Die Tyrrhener rächten sich durch zahllose Seeräubereien für die Vertreibung aus ihrer ursprünglichen Heimat und wurden so sehr zum Schrecken der Ägäis, dass bald jeder Grieche das Wort »Tyrrhener« mit »Pirat« gleichsetzte.
Ist auch wenig über ihre Raubzüge bis zum 8. Jahrhundert v. Chr. bekannt, so bewahrten doch Mythen die Erinnerung an jene grausamen Küstenräuber, die ihren Gegnern derartig überlegen waren, dass nur noch die griechische Götterwelt in der Lage war, ihren Übermut zu bändigen.
So ergeht es den Tyrrhenern sehr schlecht, als sie das Standbild der Hera aus ihrem unverschlossenen Tempel auf Samos rauben und damit fliehen wollen. Göttlicher Frevel hält das Schiff im Hafen fest, so sehr sich die Piraten auch in die Riemen legen, um den Hafen zu verlassen. Die Tyrrhener verzweifeln. Erst als sie begreifen, dass sie zu weit gegangen sind, tragen sie das Götterbild ans Ufer, opfern Hera eifrig und können so den Hafen wieder verlassen. Aber ein Götzenbild zu rauben ist eine Sache, einen Gott zu stehlen eine andere, womit wir beim zweiten blasphemischen Schurkenstreich der Tyrrhener wären, den Homer in seinen Hymnen ins Gewand des Mythos gekleidet hat. Unbelehrbare Plünderer, die sie sind, scheuen die Tyrrhener nicht davor zurück, während einer Razzia den Fruchtbarkeitsgott Dionysos am Strand zu rauben. Trotz seiner Beteuerung, ein Gott zu sein, verschleppen sie Dionysos und werfen ihn in Banden geschlagen in ihr Schiff. Doch kaum ist die frevelhafte Tat begangen, folgt die Strafe auf dem Fuß. Der Geraubte wirft die Fesselung ab und beschwört mit Götterkraft einen Sturm herauf, der das Schiff der Seeräuber in Seenot bringt. Als die Tyrrhener ihren Irrtum bemerken, bieten sie Dionysos vergeblich die Freiheit an. In Gestalt eines Löwen verwandelt er erzürnt die Piraten in Delfine und verdammt sie dazu, bis ans Ende ihrer Tage im Meer zu schwimmen.
Woanders brauchte es keine Götter, um Piraten zu bestrafen. Im 8. Jahrhundert v. Chr. suchte die Flotte des Assyrerherrschers Sargon II. die Meereswogen des Mittelmeeres und des Persischen Golfes nach Piraten ab und sorgte so für die Sicherheit zur See. Die Schiffe Sargons II. waren für die Verhältnisse der damaligen Zeit bestens gerüstet zur Piratenjagd. Eine Steinplatte des verfallenen Königspalasts von Nimrud hat die Erinnerung an die Flotte der Assyrer bewahrt, deren Mannschaften hauptsächlich aus Phöniziern bestanden.
Die Phönizier waren eine Seefahrer- und Handelsnation, die seit 1000 v. Chr. das Mittelmeer besiedelte. Sie waren die erste Seefahrernation, die sich nicht mehr davor scheute, über das offene Meer zu navigieren. Grund genug für Sargon II., ihnen die Leitung seiner Marine anzuvertrauen.
Die Schiffe, welche die Phönizier im Dienst des assyrischen Königs steuerten, hießen »Biremen«. Sie hatten zwei Ruderreihen und wurden aus Zedernholz gebaut. Sie waren hochbordig, besaßen einen senkrechten Steven und ein bauchiges Heck. Aus ihrem stumpfen Bug ragte der zu einer kegelförmigen Ramme verlängerte Kiel. Am Heck befand sich ein erhöhtes Verdeck und in der Bordmitte ein Mast mit einem rahgetakelten Segel, das schnell gerefft werden konnte. Back- wie steuerbords schützte ein Schanzkleid zwei Ruderreihen mit mindestens neun bis zehn Ruderern vor feindlichen Geschossen. Über der höchsten Ruderreihe befand sich das Kampfdeck, von dem aus Schwerbewaffnete durch an der Reling befestigte Schilderreihen die Feinde mit Fernwaffen unter Beschuss nehmen konnten. Gesteuert wurde das antike Kampffahrzeug vom Heck aus mithilfe von zwei Steuerrudern, die sich ebenfalls jeweils back- und steuerbords befanden. Die Länge der Bireme betrug nach Schätzungen 30 Meter, der Tiefgang zwei, die Breite höchstwahrscheinlich fünf bis sechs Meter.
Zur damaligen Zeit war die Bireme ein furchtbarer Gegner für jedes Piratenschiff, zumal die phönizischen Seeleute für ihre Geschicklichkeit und die assyrischen Soldaten wegen ihrer Tapferkeit gefürchtet waren.
Mithilfe einer derartig starken Flotte gelang es den Assyrern, das Rote Meer von Piraten zu säubern. Indes, Sargon II. wie auch sein Sohn Sanherib waren zu kriegerisch, als dass ihnen ein langes Leben beschieden gewesen wäre. Beide fanden ein gewaltsames Ende, Sargon fiel im Jahr 705 v. Chr. gegen die Kimmerer, Sanherib 25 Jahre später durch den Mordstahl seiner Söhne. Wieder entstand ein Machtvakuum, erneut wurde der Seehandel vermutlich zum Freiwild raubgieriger Piratenvölker.
Für ein weiteres Jahrhundert erfahren wir kaum etwas über Raubzüge zur See sowie deren Ahndung. Wahrscheinlich liegt dies am Umstand, dass der organisierte Kampf gegen Seeräuber auf der Rechtsauffassung beruht, dass Piraterie überhaupt ein Verbrechen ist. Diese Ansicht setzte sich in der Antike erst spät durch, genauso wie der Begriff »Peirates«, den heute jeder in seiner latinisierten Form »Pirat« kennt. Die Bezeichnung fand erst ab dem dritten vorchristlichen Jahrhundert Verwendung und leitet sich vom griechischen Wort πειραν (peiran), »versuchen, unternehmen, auskundschaften«, und πεĩρα (peira), »Wagnis, Unternehmen, Überfall«, über πειρατής (peiratēs) ab.
Doch so schnell setzte sich der Piratenbegriff nicht durch. Noch bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. bezeichnete man im griechischen Kosmos die Seeräuber als »Leistes«, als »Plünderer« beziehungsweise »bewaffnete Räuber«. Dies weist eindeutig darauf hin, dass damalige Piraterie wie schon all die Jahrhunderte zuvor dem Küstenraub huldigte.
»Die alten Hellenen ... hatten kaum damit begonnen, mit Schiffen häufiger zueinander hinüberzufahren, als sie sich auch schon auf den Seeraub verlegten, wobei gerade die tüchtigsten Männer sie anführten, zu eignem Gewinn und um Nahrung für die Schwachen; sie überfielen unbeteiligte Städte und offene Siedlungen und lebten so fast ganz vom Raub. Dies Werk brachte noch keine Schande, eher sogar Ruhm.«9
Angesichts solcher Rechtsauffassung wundert es nicht, wenig von Piratenjägern und Strafexpeditionen zu hören. Erst ab dem 6. vorchristlichen Jahrhundert blitzen Glanzlichter der Piratenjagd auf. Als die griechische Kolonisation im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. ihre maximale Ausdehnung erreichte, veränderte sich langsam die Auffassung der Griechen von Piraterie. Gezwungen, ihren Seehandel zu verteidigen, ging insbesondere das aufblühende Athen ab dem 6. Jahrhundert gegen Piratenstützpunkte auf Limnos, Kythnos, Mykonos und den Sporaden vor.
Etwa zur selben Zeit vollzog sich ebenfalls im westlichen Mittelmeer ein Wandel. Hier waren es Karthager und Etrusker, die sich von den Phokäern bedroht fühlten. Diese waren vor den Persern unter Kyros ins westliche Mittelmeer geflohen und hatten sich auf Korsika niedergelassen. Von dort aus schädigten sie den karthagisch-etruskischen Seehandel, wo sie nur konnten. Dies blieb nicht ungestraft. Um 540 v. Chr. schlugen die vereinigten Seeflotten der Karthager und Etrusker die Flotte der Phokäer vor Korsika, was eine der ersten großen Piratenplagen der Antike beendete.
Eine weitere bekannte Strafaktion ist die des athenischen Flottenführers Kimon, der in der Glanzzeit des von Athen beherrschten 1. Attisch-Delischen Seebundes um 475 v. Chr. die alte Pirateninsel Skyros eroberte und mit Athenern besiedelte.
Athen war es nicht lang vorbestimmt, als Hegemonialmacht das östliche Mittelmeer zu beherrschen. Im fast dreißigjährigen Peloponnesischen Krieg gegen Sparta und dessen Verbündete erlitt es eine entscheidende Niederlage im Kampf um die Vormacht in der Ägäis.
Um 400 v. Chr. war der 1. Attisch-Delische Seebund nur noch Geschichte. Nach der katastrophalen Niederlage der Athener auf Sizilien reckte die Piraterie erneut ihr Haupt im östlichen wie westlichen Mittelmeer.
349 v. Chr. durchzog eine griechische Seeräuberflotte sengend und mordend das westliche Mittelmeer, sodass sich die zwei rivalisierenden Großmächte Karthago und Rom dazu genötigt sahen, im darauffolgenden Jahr einen Vertrag abzuschließen. Diese vertragliche Vereinbarung regelte einerseits die karthagisch-römischen Zwistigkeiten zur See und versuchte andererseits, eine gemeinsame Richtlinie im Kampf gegen Piraten festzulegen. Dass sich mithilfe derartiger Verträge der zunehmende karthagisch-römische Gegensatz nicht aus der Welt schaffen ließ, ist bekannt. Was die Piratenbekämpfung anbetrifft, zeigt der Vertrag eindrucksvoll die Verflechtung von Seeraub, Seekrieg und Seehandel und die ambivalente Haltung der antiken Seemächte gegenüber der Piraterie.
Noch im vierten vorchristlichen Jahrhundert ist Seeraub selbstverständlich und nur ein Verbrechen, wenn Angehörige eines anderen Staates ihn betreiben. Wenn es für sie nützlich war, griffen die antiken Staaten selbst zum Mittel der Piraterie oder bedienten sich der Seeräuber.
Für Staaten ohne große Kriegsmarine hatte dies den Vorteil, sofort über eine schlagkräftige Armada zu verfügen. Für die Seeräuber rechneten sich Militärbündnisse, weil sie unter dem Deckmantel kriegerischer Operationen umso ungehinderter die feindlichen Küsten und Seefahrtswege plündern konnten. So nimmt es aus heutiger Sicht nicht wunder, dass es bei derartigen politischen Verhältnissen unmöglich war, die Seewege dauerhaft vor Piratengeschwadern zu schützen.
Überall herrschte ein Zustand kriegerischer Anarchie. Durch die zerrütteten politischen Verhältnisse traten Piraten immer selbstbewusster auf. Sie kannten keine moralischen Skrupel und zeigten das Machtbewusstsein von Kleinkönigen, wie das folgende moralische Traktat belegt, das von einer legendären Begegnung Alexanders des Großen mit einem unbekannten Seeräuberhäuptling handelt:
»Was anderes sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden? Sind doch auch Räuberbanden nichts anderes als kleine Reiche. Auch da ist eine Schar von Menschen, die unter Befehl eines Anführers steht, sich durch Verabredung zu einer Gemeinschaft zusammenschließt und nach fester Übereinkunft die Beute teilt. Wenn dies üble Gebilde durch Zuzug verkommener Menschen so ins Große wächst, dass Ortschaften besetzt, Niederlassungen gegründet, Städte erobert, Völker unterworfen werden, nimmt es ohne Weiteres den Namen Reich an, den ihm offenkundig nicht etwa hingeschwundene Habgier, sondern erlangte Straflosigkeit erwirbt. Treffend und wahrheitsgemäß war darum die Antwort, die einst ein aufgegriffener Seeräuber Alexander dem Großen gab. Denn als der König den Mann fragte, was ihm einfalle, dass er das Meer unsicher mache, erwiderte er mit freimütigem Trotz: Und was fällt dir ein, dass du den Erdkreis unsicher machst? Freilich, weil ich’s mit einem kleinen Fahrzeug tue, heiße ich Räuber. Du tust’s mit einer großen Flotte und heißt Imperator.«10
Die moralische Anekdote ist bezeichnend für das Wechselspiel zwischen Großmachtpolitik und Piraterie zur Zeit Alexander des Großen.
Die bekanntesten Piratenjäger dieser Ära waren die makedonischen Admiräle Hegelochos und Amphoteros. Ihnen gelang es 332 v. Chr., den mit den Persern verbündeten Erzpiraten Aristonikos – der von den Persern eingesetzte Tyrann von Methymna – mitsamt seinen Gefährten im Hafen von Chios gefangen zu nehmen. Kurz darauf wurden die Piraten hingerichtet.
Für kurze Zeit gelang es den Admirälen Alexanders des Großen, im östlichen Mittelmeer für Recht und Ordnung zu sorgen. Mit dem Tod Alexanders des Großen endete jedoch der Versuch der Makedonen, mithilfe einer straff geführten Seepolizei die Seeräuberei des Mittelmeers in den Griff zu bekommen.
Durch die Kriege um Alexanders Thronfolge versanken die östliche Mittelmeerwelt und das Schwarze Meer in Chaos und Elend, auch der Seeraub nahm wieder zu. Einzig dem bosporanischen König Eumelos gelang es 304 v. Chr., die Piraten des Schwarzen Meeres niederzuringen. Dies brachte ihm nach Diodors Schilderungen »in fast allen Ländern der Erde den herrlichsten Ruhm ein, da die Kaufleute seine Hochherzigkeit verkündeten«.11
Heldentaten wie diese fanden kaum Nachahmer. In den folgenden Jahren wurden Piratengeschwader erneut zum Schrecken der Küste. Angesichts einer derartigen Bedrohungslage blieb den Bewohnern reicher Inseln und Küstenregionen nur die Defensive übrig.
Ein wirksames Mittel gegen Piratenüberfälle war, einige Kilometer landeinwärts von der Küste zu siedeln. Dies hatte den Vorteil, dass den Bewohnern im Falle eines rechtzeitig bemerkten Angriffs noch genug Zeit zur Verteidigung oder Flucht blieb. Eine andere Defensivmaßnahme war, eine Siedlung so anzulegen, dass sie vom Meer aus nicht bemerkt werden konnte. Dies schützte zwar nicht vor einem zielgerichteten Angriff, aber vor streunenden Piratenbanden, die keine Ortskenntnis besaßen. Die meisten Küstenbewohner befestigten jedoch ihre Städte. Zusätzlich legten sie ihre Siedlungen auf schwer zu erstürmenden Höhen an, sodass die Piraten kein leichtes Spiel hatten.
Was die Seeräuber anbetraf, so gingen sie meist nach folgendem Schema vor. Nachdem Späher die Lage an den Küsten sondiert hatten, landeten sie meist nachts an unbewachten Stellen der Küste und griffen die Stadt völlig überraschend im Morgengrauen an. Dabei erfolgte der Angriff entweder mit Stoßtrupps von der Landseite oder mit der gesamten Flotte von der Seeseite, je nachdem, was den Piraten opportun schien.
Eine besondere Angriffstaktik entwickelten die Heniochen, die wie Taurier, Zygen und Achäer Seeräuber waren und an der nordöstlichen Schwarzmeerküste lebten, was Strabo, der antike Historiker und Geograf, in seinen »Geographika« berichtet.12
Dies lag an dem von ihnen verwendeten langen und schmalen Bootstyp (»kamarai«) der in der Lage war, 30 Mann zu fassen. Das brachte folgende Vorteile mit sich: Dank der leichten Bauweise konnte die Mannschaft ihre Schiffe nach der Landung an der Küste auf den Schultern in die Wälder tragen und sie so vor den Augen Neugieriger verbergen. Während nur ein kleiner Teil der Mannschaft zur Bewachung zurückblieb, griff der andere den Ort an und überrumpelte die Bewohner. Beim Überfall rafften die Piraten alles an Menschen, Vieh und beweglicher Habe zusammen, bevor sie den Ort verwüsteten und sich wieder mit ihrer Beute zurückzogen.
Erwiesen sich ihre Gefangenen als reich, so setzten sich die Seeräuber direkt mit ihren Verwandten in Verbindung, um Lösegeld zu erpressen. Waren die erbeuteten Gefangenen arm, so wurden sie unbarmherzig zu den Sklavenmärkten der Ägäis und des Schwarzen Meeres verschleppt und dort verkauft.
Dies zeigt an, dass ab dem 4. vorchristlichen Jahrhundert aufgrund der unablässigen Kriege und des erhöhten Arbeitskräftebedarfs eine Professionalisierung des piratischen Gewerbes eingesetzt hatte. Aus Küstenraub war Menschenjagd geworden, aus gelegentlichen Überfällen zur See ein regelrechter Raubkrieg. Durch den Kriegszustand und den allgemeinen Mangel an regulären Kriegsflotten bedingt, waren Piratenführer zu regelrechten Söldnerhauptleuten geworden, die entscheidenden Einfluss auf das Kriegsgeschehen nahmen.
Dies zeigte sich besonders während der Belagerung von Rhodos durch den Diadochenherrscher Demetrios Poliorketes, der 370 Schiffe vor Rhodos zusammenzog, wovon ein Großteil durch Piraten gestellt wurde. Aber Rhodos trotzte allen Versuchen Demetrios’, der letztendlich geschlagen wurde. Drei Jahre später hatten sich Demetrios’ Heer 8000 Seeräuber angeschlossen, um Beute in Thessalien zu machen.
Mit dem Sieg der Seleukiden 281 v. Chr. über die Makedonen in der Schlacht von Kurupedion13 endeten die Kämpfe um die Nachfolge im Alexanderreich, was zum allmählichen Rückgang der Piraterie führte. In Ägypten bildete sich das Ptolemäerreich, während in Makedonien Antigonos II. Gonatas König wurde.
Obwohl jedes dieser drei Reiche ans Mittelmeer grenzte, und über beachtliche Seestreitkräfte verfügte, stieg in der Folgezeit Rhodos zur ersten Seemacht der Levante auf. Durch ein ausgeklügeltes Flottenbauprogramm und dank der hohen Disziplin seiner hervorragenden Marine gelang es dem Inselreich, mit seinen Wachtschiffen die Piraten trotz aufflackernder lokaler Konflikte niederzuhalten. Der Grund für die eindeutige Frontstellung des Inselstaates gegenüber den Seeräubern war, dass Rhodos in erster Linie keine politische, sondern eine wirtschaftliche Macht darstellte. Der Inselstaat strebte nicht wie die lokalen Großmächte der Levante nach Hegemonie oder territorialen Eroberungen, sondern nach Handelsgewinn. Dies erforderte sichere Seefahrtswege auf dem Meer und die Bekämpfung derjenigen, die Rhodos’ Handel gefährdeten. Im Gegensatz zu den unzähligen Kleintyrannen der Ägäis und den hellenistischen Herrschern bediente sich Rhodos nicht der Piraten, weder als Söldner noch als Bündnispartner.
Durch Anlehnung an Makedonien, das Seleukidenreich sowie das Ptolemäerreich gelang es dem Inselstaat, seine Unabhängigkeit erfolgreich zu behaupten. Erst Rom verdrängte Rhodos, das künftig aber zum ersten Bundesgenossen der Tiberrepublik wurde.
Die römische Republik hatte sich seit dem Abschluss des Kooperationsvertrags mit Karthago im westlichen Mittelmeer zur ersten Großmacht entwickelt. In nur drei Jahrhunderten hatte Rom die italische Halbinsel befriedet, das einst blühende Karthagerreich geschlagen sowie Korsika, Sardinien, Sizilien, Spanien und die Nordküste Afrikas erobert.
Dann war Rom über Istrien an der Adria entlang auf Makedonien vorgestoßen. Nachdem die Tiberstadt im Jahre 228 v. Chr. die illyrischen Piraten unter ihrer Königin Teuta durch einen blutigen Feldzug gebändigt hatte, waren Roms Legionen unaufhaltsam gen Osten marschiert. In mehreren Kriegen zerschlug Rom das Königreich Makedonien, während es gleichzeitig den Einflussbereich des ägyptischen Ptolemäerreiches und des syrischen Seleukidenreiches in der Levante zurückdrängte.
Der endgültige Sieg über Makedonien und das Seleukidenreich lieferte den Römern ab Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts den Schlüssel zur Ägäis. Nun war ein weiteres Ausgreifen nach Asien möglich, vorausgesetzt, Rom beherrschte die Meere.
Doch genau hier stellte sich Rom eine Macht entgegen, die weder Königreich, Polis noch Republik war: die Kilikier, ein verwegenes Seeräubervolk aus Kleinasien.