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1.2 »Liturgie« – theologische Begriffsgeschichte

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Letztlich spiegeln sich die genannten Diversifikationen schon historisch wider und machen die Pluralität der Liturgietradition auch innerhalb der katholischen Kirche sichtbar. Die Bezeichnungen für die Vielfalt gottesdienstlicher Feiern haben eine sehr komplexe Begriffsgeschichte durchlaufen, innerhalb derer der Begriff »Liturgie« erst spät gebräuchlich wurde.

So begegnen Begriffe, die auf den Dienst im Gottesdienst abzielen, wie etwa ministerium, munus, officium, opus – vom lateinischen »opus Dei« leitet sich das deutsche Wort »Gottesdienst« ab –, wobei offen bleibt, ob der Dienst Gottes am Menschen oder der Dienst des Menschen für Gott oder beides angesprochen ist. Eindeutiger sieht es bei ebenfalls verbreiteten Bezeichnungen wie mysterium oder sacramentum aus, in denen die Heilszuwendung Gottes (die soterische Dimension oder Katabasis, von griech. καταβαίνειν – hinabsteigen) anklingt, was das Handeln Gottes am Menschen betont, oder bei Begriffen wie cultus, devotio oder religio, welche die Verehrung Gottes oder den seitens des Menschen Gott geschuldeten Kult (latreutische Dimension oder Anabasis, von griech. ἀναβαίνειν – hinaufsteigen) in den Vordergrund stellen. Daneben stehen Bezeichnungen, die stärker auf das Äußere des Gottesdienstes hinweisen, wie caeremoniae und ritus.

»Liturgie« leitet sich vom griechischen λειτουργία ab, einem Kompositum aus ἔργον (Werk) und λαός (Volk). Man bezeichnete damit zunächst Leistungen der Bürger für staatliche und soziale Zwecke, also Dienste für das Gemeinwesen und damit für das Volk insgesamt (Aufwendungen für die Armenspeisung, Finanzierung kultureller und sportlicher Einrichtungen). In kultischen Zusammenhängen taucht der Begriff erst im zweiten vorchristlichen Jahrhundert auf. In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, wird λειτουργία für den Dienst am Jerusalemer Tempel (für עבדה) verwendet. Im Neuen Testament steht die gesamte Wortgruppe für Unterschiedliches, ist auf den alttestamentlichen Priesterdienst bezogen (Lk 1,23; Hebr 9,21; 10,11), trägt aber auch noch die alte Bedeutung von Steuern (Röm 13,6), bedeutet karitativen Dienst (Röm 15,27; 2 Kor 9,12; Phil 2,30) und bildet in der Terminologie des Opferdienstes den Dienst des Apostels ab (Röm 15,16; Phil 2,17). Auf eine christliche gottesdienstliche Versammlung ist nur Apg 13,2 bezogen (»als sie zu Ehren des Herrn Gottesdienst feierten [λειτουργούντων] und fasteten«). Die letztgenannte Bedeutung, also der Bezug auf den Gottesdienst und die liturgischen Ämter, setzt sich in nachapostolischer Zeit durch (1 Clem 41,1 [SUC 1]; 44,2–6; Did 15,1 [FC 1]; Eusebius, hist eccl III, 13,34 [Sources chretiennes 31]; Const Apost II, 25,5.7; VIII, 4,5; 18,3; 47,15.28.36 [Sources chretiennes 320.336]). Schon im Euchologion 11,3, einer Sammlung von Gebeten, die unter dem Namen des Serapion von Thmuis († nach 362) überliefert ist, wird der Terminus nur noch für die Eucharistie verwendet. Diese Engführung setzt sich im Osten und Westen durch. Erst seit dem Humanismus wird das Wort »Liturgie« im Westen gebräuchlich. 1540 verwendet der Humanist Beatus Rhenanus (1485–1547) »Liturgia« in einer Ausgabe der Chrysostomus-Liturgie. Ein Jahr später gebraucht Georg Witzel (1501–1573) den griechischen Begriff im Deutschen und spricht von »Liturgy«. Er wird zunächst noch im engeren Sinn auf die Messe bezogen und steht seit dem 18. Jahrhundert umfassender für alle gottesdienstlichen Vollzüge. Heute ist der Begriff in verschiedenen christlichen Kirchen gebräuchlich (Lengeling/129 u. 131; Gerhards/442).

Mit den Begriffen »Katabasis« und »Anabasis« wurden die beiden wesentlichen Seiten des Handlungsgeschehens Liturgie bereits genannt. Es gab Phasen der Liturgiegeschichte, in denen die Anabasis und damit die kultische Dimension des Gottesdienstes sehr stark in den Vordergrund gerückt wurden. Zwei ältere, für das Verständnis von Liturgie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil einflussreiche Definitionen von Liturgie machen das deutlich. Der Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917 definiert in den Canones 1256f., derjenige Kult werde »öffentlich« genannt, der im Namen der Kirche von rechtmäßig dazu beauftragten Personen und durch Akte vollzogen werde, welche die Kirche eingesetzt habe. Andernfalls werde er »privat« genannt. Es sei allein Sache des Apostolischen Stuhls, sowohl die heilige Liturgie zu ordnen als auch liturgische Bücher zu approbieren. Der Begriff »cultus« (vom lateinischen »colere« – »pflegen«, »verehren«), der hier anstelle von »Liturgie« verwendet wird, hebt allein die Verehrung Gottes hervor. Kult gehört zum Habitus von Religion. Die Aktualisierung von Heilsgeschichte im Gottesdienst, das Handeln Gottes am Menschen und damit vor allem die Heiligung des Menschen (vgl. Kap. 4) als im Gottesdienst gegenwärtig geglaubtes Geschehen bleiben unausgesprochen oder treten zurück. Zudem ist öffentlicher Kult nur das, was die kirchliche Autorität hinsichtlich der handelnden Personen und der zu vollziehenden Handlungen festgelegt hat. Ludwig Eisenhofer (1871–1941) formuliert in seinem bedeutenden »Handbuch der katholischen Liturgik«, das 1941 in zweiter Auflage erschien: »Die katholische Liturgie ist der äußere, öffentliche Kult, der in seiner Grundlage von Christus gegeben, in den Einzelheiten seiner Ausführung von der Kirche geregelt ist« (Eisenhofer/43: I 6). Hier ist eine weitere Zuspitzung zu beobachten: Bis in die Einzelheiten der Ausführung hinein ist festgelegt, wie Liturgie zu verlaufen hat. Nur eine so vollzogene Liturgie gilt als gültig und als Gott angemessener Kult. In der Konsequenz solch klarer Umgrenzungen lag, dass man öffentlichen und privaten Kult, Liturgie, Paraliturgie und »fromme Übungen« (»pia exercitia«) voneinander abzugrenzen suchte. Die Vorstellung des Gott geschuldeten Kultes förderte außerdem die Vorstellung, dass vor allem das Messopfer allein vom Priester darzubringen und die Teilnahme der Gemeinde zwar sinnvoll, aber nicht zwingend notwendig sei: »Zum gültigen Vollzug desselben genügt der Priester allein, ohne daß die Anwesenheit der Gläubigen hierzu erfordert wäre.« Notwendig sei lediglich, »daß derjenige, welcher den Gottesdienst ausübt, in Wahrheit als rechtmäßiger Repräsentant einer Körperschaft, hier der Kirche, angesehen werden muß« (Eisenhofer/43: I 18).

Die heutige Liturgietheologie setzt deutlich anders an. Sie hat sich im Gefolge der Liturgischen Bewegung entwickelt und drückt sich vor allem in der Liturgiekonstitution »Sacrosanctum Concilium« des Zweiten Vatikanischen Konzils aus, dem für die römisch-katholische Liturgie der Gegenwart maßgeblichen Dokument (vgl. Anhang 4). Der Begriff »Liturgie«, der Katabasis und Anabasis zusammenbindet, ist dafür ein Programmwort. Der dritte Absatz von SC 7 beschreibt das Geschehen der Liturgie folgendermaßen: »Durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen (sanctificatio hominis) bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d.h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult (cultus publicus) vollzogen.« Primär ist Liturgie – so deutet es die Liturgiekonstitution – das Handeln Gottes am Menschen, woraus gleichsam als Konsequenz die Verehrung Gottes, die kultische Dimension der Liturgie, erwächst. Die Verherrlichung Gottes ist Antwort auf die neue Wirklichkeit, die Gott dem Menschen eröffnet. Die Konstitution verbindet dies in SC 7 mit der Gegenwart Christi im Gottesdienst. Sie macht deutlich, wie sowohl Katabasis als auch Anabasis im Gottesdienst ein Geschehen durch und mit Christus sind. Liturgie ist damit in besonderer Weise ein Ort der Präsenz Christi. Als sinnstiftende Mitte der Liturgie nennt das Konzil das Pascha-Mysterium, insbesondere Leiden, Tod, Auferstehung und Erhöhung Christi (dazu Schrott/146).

Will man sich dem Gefeierten sprachlich annähern, kann man das Grundgeschehen der Liturgie also als »Dialog zwischen Gott und Mensch« (Lengeling/130), als Kommunikationsgeschehen oder Begegnungsereignis beschreiben. Wichtig ist, dass es um ein Geschehen zwischen Gott und Mensch geht, dessen rituelle Grundvollzüge das Hören auf Gottes Wort und das Antworten auf dieses Wort sind. Man hat deshalb als Grundstrukturen der Liturgie die Lesung als Zeichen der Gegenwart Christi und das Gebet als Zeichen der hörenden und antwortenden Gemeinde genannt (Häußling/118: 902). So komplex Liturgie auch wirkt, im Kern lassen sich sehr grundlegende und einfache Vollzüge »elementarisieren«.

Die Liturgiekonstitution unterstreicht, dass Liturgie ein Geschehen ist, welches die ganze Kirche betrifft und von der ganzen Kirche getragen wird. So heißt es im vierten Absatz von SC 7: »Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht.« Nicht mehr allein die geweihten Priester, sondern alle Getauften tragen die Liturgie mit. Dem entspricht das für die heutige Liturgie wesentliche, in der Liturgiekonstitution wie ein Leitgedanke auftauchende Axiom der »tätigen Teilnahme«: Die Getauften sollen die Liturgie feiern und darin ihre Würde als Getaufte erfahren. Es handelt sich um eine Liturgie, die Sache der ganzen Kirche ist.

Die Konstitution hebt zudem hervor, dass die Liturgie wesentlich ein Geschehen in Zeichen ist, die nicht nur hinweisenden, sondern vor allem bewirkenden, realisierenden Charakter tragen. SC 7 spricht von sinnenfälligen Zeichen. Sie korrespondieren mit der Sinnenhaftigkeit menschlicher Wahrnehmung. Die nachkonziliare Liturgiereform nahm sich besonders der Erneuerung der Zeichendimension von Liturgie an und gewichtete neben dem Verbalen das Nonverbale neu.

Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft

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