Читать книгу Einführung in die Sprachphilosophie - Albert Newen - Страница 29

a) Die Theorie der Implikatur

Оглавление

Das folgende Beispiel dient als Einstieg für die Charakterisierung von Implikaturen: Am Eingang des Supermarktes XY befindet sich eine sehr auffällige Werbetafel für preiswerte Schokolade. Als sie den Supermarkt betreten und vor der Werbetafel stehen, sagt die kleine Anna zu ihrem Vater: „Hier gibt es billige Schokolade.“ Mit dieser Äußerung bittet Anna ihren Vater, ihr eine Tafel Schokolade zu kaufen. Unser Verständnis von Annas Äußerung können wir nur adäquat beschreiben, wenn wir zumindest dreierlei unterscheiden:

(1) die Satzbedeutung (unabhängig vom Äußerungskontext)

(2) den semantischen Gehalt des Satzes (= das wörtlich Gesagte)

(3) die Äußerungsbedeutung (= das Gemeinte)

Satzbedeutung

Äußerungsbedeutung

Die Satzbedeutung kann im obigen Beispielfall durch den Satz „An dem Ort der Äußerung gibt es preiswerte Schokolade“ charakterisiert werden. Dabei werden keine Kontextinformationen berücksichtigt. Der semantische Gehalt des Satzes ist das mit einer Äußerung wörtlich Gesagte. Er kann im obigen Fall durch einen dass-Satz angegeben werden, in dem die Kontextinformation in Bezug auf den kontextabhängigen Ausdruck „hier“ berücksichtigt wird: „Im Supermarkt XY gibt es preiswerte Schokolade.“ Schließlich unterscheiden wir noch die Äußerungsbedeutung. Dabei werden diejenigen Kontextinformationen sowie zusätzliches Hintergrundwissen berücksichtigt, die dazu nötig sind, damit der Hörer das vom Sprecher (mit der Äußerung) Gemeinte erfassen kann. Anna meint mit ihrer Äußerung, dass ihr Vater für sie eine Tafel Schokolade kaufen möge. Dieses Beispiel zeigt, dass Satzbedeutung und semantischer Gehalt einerseits, sowie semantischer Gehalt und Äußerungsbedeutung andererseits auseinanderfallen können.

Betrachten wir zunächst den Zusammenhang von Satzbedeutung und semantischem Gehalt: Allgemein können wir sagen, dass der semantische Gehalt sich ergibt, wenn neben der Satzbedeutung zusätzlich noch Kontextinformationen berücksichtigt werden. Der Zusammenhang zwischen Satzbedeutung und semantischem Gehalt kann somit durch eine Theorie der Kontextabhängigkeit einer Äußerung beschrieben werden. Dazu gehört unter anderem eine Theorie der Referenzfestlegung, die beschreibt, wie das, worüber man mit Hilfe eines kontextabhängigen Ausdrucks redet, festgelegt wird. Außerdem benötigt man eine Theorie der Disambiguierung, die für mehrdeutige Ausdrücke (wie z.B. „Bank“) eine Lesart (z.B. „Geldinstitut“) als die relevante auszeichnet.

Das wörtlich Gesagte und das Gemeinte

Konversationale Implikatur

Der zweite Zusammenhang ist der zwischen dem semantischen Gehalt und der Äußerungsbedeutung. Der semantische Gehalt eines Satzes und die Äußerungsbedeutung können auseinanderfallen, nämlich dann, wenn der Sprecher offensichtlich mehr bzw. etwas anderes meint, als er aufgrund der wörtlichen Bedeutung der Äußerung sagt. In unserem Beispiel sagt Anna, dass es im Supermarkt XY preiswerte Schokolade gibt. Was sie darüber hinaus meint, ist die Bitte an ihren Vater, er möge ihr eine Tafel Schokolade kaufen. Der Unterschied zwischen dem wörtlich Gesagten und dem darüber hinaus Gemeinten lässt sich in diesem Fall besonders deutlich machen, wenn wir eine sprechakttheoretische Darstellung wählen, d.h. es wird jeweils die Art der Sprachhandlung, die sogenannte illokutionäre Rolle, und deren Inhalt, der propositionale Gehalt, angegeben. Das wörtlich Gesagte lässt sich durch das Paar <Behauptung; dass es im Supermarkt XY preiswerte Schokolade gibt> darstellen. Das darüber hinaus Gemeinte dagegen durch das Paar <Bitte; dass der Vater Anna eine Tafel Schokolade kauft>. Diese Darstellung macht deutlich, dass nicht nur der Inhalt (der mit einem dass-Satz repräsentierte propositionale Gehalt) von wörtlich Gesagtem und eigentlich Gemeintem verschieden ist, sondern sogar die Art der Sprachhandlung (die illokutionäre Rolle). Die Theorie der Implikatur ist unter anderem eine Antwort auf die naheliegende Frage, wie die Transformation von wörtlich Gesagtem zu darüber hinaus Gemeintem zu erklären ist. Allgemein ist eine Implikatur eine Transformation vom semantischen Gehalt eines Satzes zu seiner Äußerungsbedeutung. Grice unterscheidet viele Arten von Implikaturen, vorrangig aber zwei Hauptgruppen, nämlich konventionale und konversationale Implikaturen.

Eine konventionale Implikatur stützt sich allein auf Sprachkonventionen. So wird gemäß Grice z.B. der Kontrast, der per Konvention mit dem Ausdruck „aber“ ausgedrückt wird, mit Hilfe einer konventionalen Implikatur erklärt. Wenn wir die folgenden beiden Sätze betrachten, so sagen sie gemäß Grice dasselbe, wenn auch der Sprecher mit den beiden Sätzen Unterschiedliches meint:

(1) „Van Gogh ist ein bedeutender Künstler, und er wurde von seinen Zeitgenossen wenig geschätzt.“

(2) „Van Gogh ist ein bedeutender Künstler, aber er wurde von seinen Zeitgenossen wenig geschätzt.“

Nach Grice haben die beiden Sätze denselben propositionalen Gehalt, da sie dieselben Wahrheitsbedingungen haben: Sie sind genau dann wahr, wenn van Gogh ein bedeutender Künstler ist und er zugleich von seinen Zeitgenossen wenig geschätzt wurde. Der Unterschied, der durch die Verwendung des Junktors „aber“ anstelle von „und“ zum Ausdruck kommt, ist ein Unterschied auf der Ebene der Äußerungsbedeutung. Er kann mit Hilfe einer konventionalen Implikatur erklärt werden. Es gehört per Sprachkonvention zu dem Ausdruck „aber“, dass ein Kontrast ausgedrückt wird. Im obigen Beispiel (2) ist es der Kontrast zwischen der Eigenschaft, ein bedeutender Künstler zu sein, und der Geringschätzung durch die Zeitgenossen. Dieser Kontrast spielt beim propositionalen Gehalt des Satzes keine Rolle.

Bliebe der Unterschied jedoch bei der Interpretation völlig unberücksichtigt, so hätte der Sprecher die Maxime der Quantität verletzt: Sein Beitrag würde den Kontrast als eine Information enthalten, die unnötigerweise aufgenommen worden wäre. Das Verletzen der Maxime der Quantität (auf der Ebene des Gesagten) ist somit der Anlass für die Transformation vom propositionalen Gehalt zu der reicheren Äußerungsbedeutung, bei der der Kontrast erfasst wird. Die Äußerungsbedeutung von (2) kann vollständig erst mit Hilfe einer Implikatur erklärt werden. Die Implikatur ist in diesem Fall konventional, weil der in der Äußerung relevante Kontrast durch eine Sprachkonvention mit dem Ausdruck „aber“ verbunden ist.

Konventionale Implikatur

Annas Äußerung im Supermarkt ist ein Beispiel für eine Äußerung, bei deren Interpretation eine nichtkonventionale Implikatur hineinspielt, und zwar die sogenannte konversationale Implikatur. Sie unterscheidet sich von der konventionalen Implikatur dadurch, dass der Aspekt der Äußerungsbedeutung, der nicht Teil des semantischen Gehalts ist, nicht durch Sprachkonventionen für Ausdrücke charakterisiert werden kann. Während es bei konventionalen Implikaturen nur der Sprachbeherrschung bedarf, um sie zu erfassen, sind dazu bei konversationalen Implikaturen Erwägungen aufgrund der Konversationsmaximen nötig (s. S. 43).

Wir verstehen Annas Äußerung „Hier gibt es preiswerte Schokolade“ in den geschilderten Umständen als an den Vater gerichtete Bitte, ihr eine Tafel Schokolade zu kaufen. Das wörtlich Gesagte ist die Behauptung, dass es im Supermarkt XYpreiswerte Schokolade gibt. Würde dies zugleich als die Äußerungsbedeutung, das Gemeinte, aufgefasst, so würde die Maxime der Quantität bzw. die der Relation verletzt. Die Maxime der Quantität verlangt, dass ein Beitrag nicht informativer als nötig zu machen ist, die der Relation verlangt vom Sprecher, nur Relevantes zu äußern. Da die preiswerte Schokolade mit einem sehr auffälligen Schild angepriesen wird, welches jeder Kunde des Supermarktes bemerkt, wäre Annas Äußerung für ihren Vater informativer als nötig bzw. irrelevant. Was Anna ihm sagt, weiß er schon. Wäre das wörtlich Gesagte zugleich die Äußerungsbedeutung, so wäre die Äußerung unvernünftig. Da wir davon ausgehen können, dass Anna eine vernünftige Sprecherin ist, weist das Verletzen der Gesprächsmaximen darauf hin, dass mit der Äußerung noch mehr gemeint ist als gesagt wird. Die Äußerungsbedeutung ist die Bitte mit dem Inhalt, dass der Vater ihr eine Tafel Schokolade kaufen möge. Einige konversationale Implikaturen können somit genauso wie einige konventionale durch das Verletzen von Gesprächsmaximen auf der Ebene des wörtlich Gesagten charakterisiert werden. Wesentlich ist für konversationale Implikaturen, dass die über das Gesagte hinausgehende Interpretation einer Äußerung nicht auf Sprachkonventionen, sondern auf dem Wissen über etablierte Verhaltensweisen oder andere Kontextfaktoren basiert. In diesem Fall ist es das Hintergrundwissen, dass Kinder gerne Schokolade essen und dass Eltern für ihre kleinen Kinder einkaufen, welches uns hilft, die Äußerungsbedeutung zu erfassen. Eine Implikatur lässt sich somit durch zwei Kriterien näher bestimmen: zum einen durch die Art des Wissens, welches beim Übergang von der wörtlichen Bedeutung zum Gemeinten berücksichtigt wird (Wissen von Sprachkonventionen versus Wissen von Kontextfaktoren), und zum anderen gegebenenfalls durch die Angabe der Gesprächsmaximen, die durch das wörtlich Gesagte verletzt werden. Gemäß Grice lässt sich die Äußerungsbedeutung als das auffassen, was der Sprecher meint, wenn er eine Sprachhandlung vollzieht. Der Zusammenhang zwischen dem, was der Sprecher meint, dem wörtlich Gesagten und den verschiedenen Arten von Implikaturen kann durch das folgende Schema verdeutlicht werden, in dem jeweils ein Oberbegriff in zwei Unterbegriffe analysiert wird (vgl. Neale 1992, 524).

Weitere Implikaturen

Dabei können wir abschließend noch ein Beispiel ergänzen, wie etwas weder konventional noch konversational implikiert wird: Angenommen Johannes hat die Aufgabe, die Blumen für eine Preisverleihung während der Veranstaltung bereitzuhalten. Marta, die die Preisverleihung vornimmt, hat offensichtlich die Blumen vergessen. Johannes kann mit dem Ausruf „Hallo!“ zum Ausdruck bringen, dass er möchte, dass Marta jetzt an die Blumen für die Preisverleihung denkt, indem er in Verbindung mit dem Ausruf mit den Blumen winkt. Das, was zum Ausdruck gebracht wird, ist in diesem Fall so stark von nicht konversationalen Maximen, nämlich Maximen der Höflichkeit gegenüber Preisträgern, abhängig, dass es weder konventional noch konversational implikiert wird; für solche Fälle ist es ausschlaggebend, dass andere Maximen als die oben genannten Konversationsmaximen einbezogen werden, z.B. Maximen der Moral, der Religion, der Höflichkeit etc.


Einführung in die Sprachphilosophie

Подняться наверх