Читать книгу Endora - Alegra Cassano - Страница 7
5. Schweren Herzens
ОглавлениеSeit dem Tod seiner Eltern vor einigen Jahren wohnte Lando allein. Das Zusammenleben mit Ayda und den Kindern würde eine große Umstellung für ihn bedeuten. Die Häuser wurden den Menschen vom Rat zugeteilt und waren kein Eigentum der Bewohner, es sei denn, man war so reich wie Rubion, dann konnte man sich ein Haus kaufen. Diese Möglichkeit lag weder in Landos noch in Jarons Reichweite. Trotzdem waren sie, wie die meisten Menschen in Endora, zufrieden mit dem, was sie hatten. Jeder Mensch wurde in eine Schicht hinein geboren und nur die wenigsten schafften es, in eine höhere Kaste aufzusteigen.
Lando betrat sein Heim, das in der unteren Hälfte aus Steinen und in der oberen aus Holz bestand. Es hatte nur einen Raum, war aber für ihn völlig ausreichend. Eine Meute kleiner Hunde tapste ihm entgegen. An sie hatte er gar nicht gedacht! Was sollte er nur mit ihnen machen?
Lando bückte sich und hob eins der kleinen, flauschigen Tiere hoch. Der Welpe leckte ihm übers Gesicht und fiepte vor Freude. Lando musste lächeln. Mit Tieren konnte er viel besser umgehen, als mit Menschen. Sie ließen sich nicht von Oberflächlichkeiten blenden, sondern folgten ihrem Instinkt.
Er setzte das Tierchen vorsichtig wieder zu seinen Geschwistern auf den Boden. Mitnehmen konnte er sie nicht, aber der Rat würde ihm wohl nicht sofort seine Behausung wegnehmen und diese neu vergeben, oder? Füttern würde er die Welpen erst einmal weiter hier, doch er musste sich bald etwas einfallen lassen.
Tiere waren im Ort verboten. Sie hatten in früheren Zeiten Seuchen verbreitet und viele Menschen waren daran gestorben. Es ging so weit, dass alle Tiere innerhalb der Stadtmauern getötet wurden. Die Tierzuchtbetriebe, die sich außerhalb der Mauer befanden, wurden geschlossen als die Seuche sich nicht eindämmen ließ. Notgedrungen waren viele Menschen auf pflanzliche Kost umgestiegen, vor allem die Armen. Wild war nach einer Weile wieder heiß begehrt und wurde teuer bezahlt, deshalb gab es auch sehr viele Jäger unter den Dorfbewohnern.
Lando hatte ebenfalls Jäger werden wollen, genau wie Jaron, aber das war nach seinem Unfall unmöglich geworden. Er begnügte sich damit, Fallen aufzustellen, was gefährlich war, denn es lohnte sich nicht, diese dicht an der Stadtmauer auszulegen. Lando musste dazu weit in den Wald hinein. Das gleiche galt zwar auch für die Jäger, aber diese waren schneller oder konnten sich auf einen Baum retten, wenn es nötig war. In den Wäldern lebten gefährliche Tiere, die den Männern immer wieder das Wild streitig machten. Deshalb war es auch nichts Besonderes, wenn ein Mann nicht mehr von der Jagd nach Hause kam. Nur selten traute sich jemand hinaus, um nach dem Vermissten zu suchen. Es war meistens zwecklos, da von demjenigen oft nichts mehr zu finden war. Die wilden Tiere fraßen alles, sogar die Kleidung, oder sie schleppten diese in ihre Höhlen, um Nester daraus zu bauen.
In der Regel wartete der Rat ein halbes Jahr, bevor ein verschwundener Jäger für tot erklärt wurde. Das warf wieder die Frage auf, warum man bei Jaron nicht so lange gewartet hatte. Was war mit ihm geschehen?
Er war ein guter Jäger, stets aufmerksam und bestens ausgerüstet. Von seinem Fang konnte die Familie leben. Seit es in einer Jagdgruppe zu einem heftigen Streit um das erlegte Wild gekommen war, ging Jaron alleine auf die Pirsch, was sich nun als Unglück herausstellte. Wären andere Männer bei ihm gewesen, hätten diese berichten können, was geschehen war. So waren es nur Vermutungen, die sie aufstellen konnten.
Lando machte sich Sorgen, während er seine wenigen Habseligkeiten in eine Ledertasche packte. Am liebsten wäre er losgegangen, um den Freund zu suchen, aber das war unmöglich. Er hatte sich gerade erst verpflichtet, für dessen Familie zu sorgen. Außerdem hatte er keine Waffen, um ein größeres Tier zu erlegen, und da draußen gab es riesige Kreaturen. Lando war in seiner Bewegung behindert und körperlich nicht in der Lage, ein weiträumiges Gebiet abzusuchen. Außerdem hatte er nicht die geringste Ahnung, in welchen Bereich Jaron wollte. Das Land hinter der Stadtmauer war riesig, und selbst die erfahrensten Jäger kannten nicht jeden Ort.
Lando konnte nur hoffen, dass sein Freund von alleine wieder auftauchte, und gleichzeitig fürchtete er sich vor diesem Tag.
Er tätschelte der Hündin den Kopf, die auf der Seite lag und an deren Zitzen die Welpen saugten. Sie war schwach und hatte nicht genug Milch, weshalb Lando dafür sorgte, dass jeder Welpe etwas abbekam. Sie waren jetzt alle groß genug, um auch etwas Nargamilch zu bekommen.
Nargas waren Tiere, die mittlerweile wieder im Ort geduldet wurden. Sie waren friedlich, brauchten kaum Futter und gaben trotzdem genug Milch für eine kleine Familie. Ihr dichtes Fell eignete sich sehr gut zur Herstellung von Kleidung, und die Tiere gingen einem Erwachsenen lediglich bis zum Knie, weshalb sie nicht viel Platz benötigten. Da Lando sich kein eigenes Narga halten wollte, kaufte er die Milch seinem Nachbarn ab, der sich zwar wunderte, wozu Lando sie brauchte, der aber gerne die funkelnden Steine nahm, die der Nachbar ihm dafür anbot.
In Endora gab es verschiedene Möglichkeiten der Bezahlung. Oft tauschten die Bewohner einfach ein Nahrungsmittel gegen ein anderes. Auch Kleidung aus Fell oder Leder und selbstgemachte Schuhe waren begehrte Tauschobjekte. Seit einer Weile waren diese funkelnden kleinen Steine im Umlauf. Lando fragte sich zwar, was die Leute damit wollten, aber als er einige dieser Steine für sein Wild bekam, nahm er sie an. Sie wogen nicht viel in seiner Hand, und außer, dass sie verführerisch funkelten, konnte er nichts Besonderes an ihnen entdecken. Sein Nachbar war jedoch sehr erfreut, als Lando ihm bei nächster Gelegenheit einen Funkelstein für die Milch anbot. Für einen weiteren Stein vergaß der Mann sogar, dass er manchmal seltsame Geräusche aus Landos Hütte vernahm, die auch anhielten, wenn Lando nicht anwesend war.
„Mach`s gut, altes Mädchen“, flüsterte Lando und streichelte der Hündin ein letztes Mal über den Kopf. „Morgen komme ich wieder.“
Es war kein gutes Gefühl, seine Hütte und vor allem die Hunde zu verlassen, doch er musste diesen Schritt jetzt tun, auch wenn ihm das Herz schwer wurde.