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Erstes bis drittes Bändchen
IV

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Der Reiter, welchen Canolles mit dem Namen Richon begrüßt hatte, war in den ersten Stock des Gasthofes zum Goldenen Kalb hinaufgestiegen und speiste in Gesellschaft des Vicomte zu Nacht.

Er war es, den der Vicomte ungeduldig erwartete, als ihn her Zufall zum Zeugen der feindseligen Vorkehrungen des Herrn von Epernon machte und ihn in den Stand setzte, dem Baron von Canolles den von uns bezeichneten Dienst zu leisten.

Er hatte Paris acht Tage vorher und Bordeaux an demselben Tage verlassen, und brachte also die neusten Nachrichten über die Wirren, die von Paris bis Bordeaux entstanden und ein immer mehr beunruhigendes Ansehen gewannen. Während er bald von der Einkerkerung der Prinzen, der Angelegenheit den Tages, bald von dem Parlament von Bordeaux, der Macht den Ortes, bald von Mazarin, dem König des Augenblicks, sprach, betrachtete der junge Mann stillschweigend sein männliches, gebräuntes Antlitz, sein sicheres, durchdringendes Auge, seine weißen, scharfen, unter dem langen schwarzen Schnurrbart schimmernden Zähne, und alle die verschiedenen Zeichen, welche aus Richon das Musterbild des wahren Glücksritters machten.

»Also,« sprach der Vicomte nach einem Augenblick, »also ist die Frau Prinzessin zu dieser Stunde in Chantilly?«

Bekanntlich bezeichnete man auf diese Art die zwei Herzoginnen von Condé, nur fügte man bei der Herzogin von Condé Mutter den Titel Wittwe bei.

»Ja,« antwortete Richon, »und sie erwartet Euch dort sobald als möglich.«

»Und in welcher Lage ist sie in Chantilly?«

»In einer wahren Verbannung; man bewacht sie wie ihre Schwiegermutter mit der größten Sorgfalt, denn man vermuthet bei Hofe, daß sie sich nicht allein an Klagen beim Parlamente halten werde, sondern etwas Wirksameres zu Gunsten der Prinzen machinire. Leider fehlt es wie immer an Geld. . . Doch bei, dieser Gelegenheit: habt Ihr das, was man Euch schuldig war, eingezogen? Es ist dies eine Frage, die man an Euch zu stellen mich ganz besonders beauftragt.«

»Mit großer Mühen,« antwortete der Vicomte, »brachte ich zwanzigtausend Livres zusammen, die ich in Gold bei mir habe; das ist Alles.

»Das ist Alles! Teufel, Vicomte, man sieht wohl, daß Ihr Millionär seid: so verächtlich von einer solchen Summe in einem solchen Augenblick sprechen! Zwanzigtausend Livres; wir sind minder reich als Herr von Mazarin, aber reicher als der König.«

»Ihr glaubt also Richon, die Frau Prinzessin werde die bescheidene Gabe annehmen?«

»Mit Dankt Ihr bringt Ihr genug, um ein Heer damit zu bezahlen.«

»Glaubt Ihr, daß wir dessen bedürfen werden?«

»Wessen? Eines Heeres? Gewiß, und wir beschäftigen uns damit, eines zu sammeln. Herr von Larochefoucault hat vierhundert Edelleute angeworben, unter dem Vorwande, sie dem Leichenbegängnisse seines Vaters beiwohnen zu lassen. Der Herzog von Bouillon geht mit derselben Anzahl, wenn nicht mit einer größeren, nach Guienne ab. Herr von Turenne verspricht einen Gang gegen Paris zu machen, in der Absicht, Vincennes zu überfallen und die Prinzen durch einen Handstreich zu entführen: er wird dreißigtausend Mann, seine ganze Nordarmee, die er dem königlichen Dienste abspenstig macht, bei sich haben. Oh! seid unbesorgt, die Dinge sind in gutem Zuge,« fuhr Richon fort; »ich weiß nicht, ob wir große Geschäfte machen werden, sicherlich aber machen wir gewaltigen Lärmen. . .«

»Seid Ihr dem Herzog von Epernon nicht begegnet?« unterbrach ihn der junge Mann, dessen Augen funkelten bei dieser Aufzählung von Kräften, welche ihm den Triumph der Partie verhieß, der er angehörte.

»Dem Herzog von Epernon?« fragte der Glücksritter ganz verwundert, »wo soll ich ihm denn begegnet sein? Ich komme nicht von Agen, sondern von, Bordeaux.«

»Ihr könntet ihn einige Schritte von hier getroffen haben,« versetzte der Vicomte lächelnd.

»Ah! Richtig, wohnt nicht die schöne Nanon von Lartigues in der Gegend?«

»Zwei Musketenschüsse von hier.«

»So erklärt mir die Anwesenheit des Baron von Canolles im Gasthofe zum Goldenen Kalb.«

»Kennt Ihr ihn?«

»Wen? den Baron? Ja. Ich könnte mich sogar seinen Freund nennen, wäre Herr von Canolles nicht von vortrefflichem Adel, indeß ich ein armer Bürgersmann bin.

»Bürgersleute wie Ihr, Richon, sind so viel werth als Prinzen, in der Lage in der wir uns befinden. Ihr wißt übrigens, daß ich Euren Freund, den Baron von Canolles, vor Prügeln oder vielleicht vor etwas noch Schlimmerem bewahrt habe.«

»Ja, er hat mir ein paar Worte davon gesagt, aber ich horte ihn nicht sehr aufmerksam an, denn ich hatte Eile zu Euch zu gelangen. Seid Ihr sicher, daß er Euch nicht erkannt hat?«

»Man erkennt diejenigen schlecht, welche man nie gesehen hat.«

»Ich errieth auch nur, was ich ihm erwiedern sollte.«

»In der That,« sagte der Vicomte, »er schaute mich sehr aufmerksam an.«

Richon versetzte lächelnd:

»Ich glaube es wohl, man trifft nicht jeden Tag Edelleute Eurer Art.«

»Er scheint mir ein lustiger Cavalier zu sein,« sprach der Vicomte nach kurzem Stillschweigen.

»Lustig und gut; ein reizender Geist und ein großes Herz. Der Gascogner ist, wie Ihr wißt, nie mittelmäßig: entweder ist er vortrefflich oder er taugt nichts. Dieser ist von gutem Gehalt. In der Liebe wie im Kriege ist er zugleich ein Petit-maitre und ein braver Kapitän; es thut mir leid, daß er gegen uns hält. Ihr hättet in der That, da der Zufall Euch in Verbindung mit ihm brachte, diesen Umstand benutzen sollen, um ihn für unsere Sache zu gewinnen.«

Eine flüchtige Röthe zog wie ein Meteor über die bleichen Wangen des Vicomte hin.

»Euer Freund kam mir unbedeutend vor,« sagte der Vicomte.

»Ei, mein Gott,« erwiederte Richon mit der schwermüthigen Philosophie, die man zuweilen bei Männern von kräftigem Schlage trifft, »sind wir denn so ernsthaft und vernünftig, wir, die wir in unseren unklugen Händen die Fackel des Bürgerkrieges halten, wie wir es mit einer Kirchenkerze thun würden? Ist der Herr Coadjutor, welcher Paris mit einem Worte beschwichtigt oder in Aufruhr bringt – ein sehr ernster Mann? Ist Herr von Beaufort, der einen so großen Einfluß in der Hauptstadt ausübt, das man ihn den König der Hallen nennt, ein sehr ernster Mann? Ist Frau von Chevreuse, welche nach Belieben Minister macht und absetzt, eine sehr ernste Frau? Ist Frau den Longueville, welche drei Monate im Stadthause gethront hat, sehr ernst? Ist endlich die Frau Prinzessin von Condé, welche sich gestern noch mit Kleidern, Juwelen und Diamanten beschäftigte, eine sehr ernste Frau? Ist der Herr Herzog von Enghien ein sehr ernster Parteiführer, er, der noch unter den Händen von Frauen mit Puppen spielt, und vielleicht seine erste Hose anzieht, um ganz Frankreich umzuwälzen? Ich selbst, wenn man mir erlaubt, meinen Namen nach so vielen erhabenen Namen anzuführen, bin ich eine so ernste Person, ich, der Sohn eines Müllers aus Angoulême, ich, ein ehemaliger Diener des Herrn von Larochefoucault, ich, dem eines Tages mein Herr statt einer Bürste oder eines Mantels ein Schwert gegeben hat, das ich, mich zum Kriegsmanne improvisierend, muthig an meine Seite schnallte? Und dennoch ist der Sohn des Müllers von Angoulême, der ehemalige Kammerdiener von Herrn den Larochefoucault, Kapitän geworden. Er bringt eine Compagnie auf die Beine, welche vier bis fünfhundert Mann vereinigt, mit deren Leben er spielt, als hätte ihm Gott das Recht dazu gegeben. Er steht auf der Leiter zur Größe, wird Oberster, Gouverneur, und wer weiß was sonst noch werden. Es geschieht vielleicht, daß er zehn Minuten lang, eine Stunde, sogar einen Tag das Geschick des Königreichs in seinen Händen hält. Ihr seht, das hat große Aehnlichkeit mit einem Traume, und doch werde ich es für eine Wirklichkeit halten, bis zu dem Tage wo irgend eine mächtige Katastrophe mich erweckt . . .«

»Und an diesem Tage,« versetzte der Vicomte, »wehe allen Denen, welche Euch erwecken, Richon, denn Ihr werdet ein Held sein . . .«

»Ein Held oder ein Verräther, je nachdem wir die Stärkeren oder die Schwächeren sind. Unter dem vorigen Cardinal hätte ich die Augen zweimal aufgemacht, denn der Einsatz beim Spiele wäre mein Kopf gewesen.«

»Stille, Richon, sucht mich nicht glauben zu machen, Betrachtungen dieser Art halten einen Mann wie Euch zurück, Euch, den man als einen der bravsten, Soldaten des Heeres anführt.«

»Ei, allerdings,« entgegnete Richon, mit einer unübersetzbaren Bewegung der Schultern, »ich war brav als König Ludwig XIII. mit seinem bleichen Gesichte, seinem blauen Ordensbande und seinem wie ein Karfunkel glänzenden Auge, an seinem Schnurrbarte kauend, mit schriller Stimme uns zurief: »»Der König sieht Euch, vorwärts; meine Herren!«« Aber wenn ich nicht, mehr hinter mir, sondern mir gegenüber auf der Brust des Sohnes dasselbe blaue Band, das ich noch auf, der Brust des Vaters sehe, wiederfinden und meinen Soldaten zurufen sollt: Feuer auf den König von Frankreich!«« an diesem Tag,« fuhr Richon den Kopf schüttelnd fort, »an diesem Tag, Vicomte, fürchte ich bange zu haben und schief zu schießen . . .«

»Was ist Euch denn heute Unangenehmes widerfahren, das Ihr die Dinge in so schlimmem Lichte betrachtet, mein lieber Richon?« fragte der junge Mann. »Der Bürgerkrieg, ich weiß wohl, ist, eine traurige Sache, zuweilen aber sehr nöthig.«

»Ja, wie die Pest, wie das gelbe Fieber,wie das schwarze Fieber, wie das Fieber aller Farben. Glaubt Ihr z.B., Herr Vicomte, es sei sehr nothwendig, das ich, der ich diesen Abend mit so großem Vergnügen dem Baron Canolles die Hand gedrückt habe, ihm morgen den Degen in den Leib renne, weil ich der Frau Prinzessin diene, die meiner spottet, und er Herrn von Mazarin, der seiner spottet, und dennoch wird es so sein.«

Der Vicomte machte eine Bewegung des Abscheus.

»Wenigstens, wenn ich mich nicht täusche,« fuhr Richon fort, »und er mir nicht auf irgend eine Weise die Brust durchbohrt. Ah, Ihr begreift den Krieg nicht, Ihr Andern, Ihr seht nur ein Meer von Intriguen und stürzt Euch darein als in Euer natürliches Element. Ich sagte es einst Seiner Hoheit und man gab mir Recht, Ihr lebt in einer Sphäre, von der aus das Artilleriefeuer, das uns tödtet; Euch nur wie ein einfaches Feuerwerk erscheint.«

»In der That, Richon,« Ihr macht mir bange,« sagte der Vicomte, »und wenn ich nicht überzeugt wäre, das ich Euch zu meinem Schutze hätte, würde ich es nicht wagen, mich auf den Marsch zu begeben. Aber unter Eurem Geleite,« fügte der junge Mann, dem Parteigänger seine kleine Hand reichend, bei, »fürchte ich nichts.«

»Unter meinem Geleite,« sagte Richon, »ah! ja, Ihr erinnert mich daran. Ihr müßt meines Geleites entbehren, Herr Vicomte, und die Partie ist abgebrochen.«

»Sollt Ihr denn nicht mit mir nach Chantilly zurückkehren?«

»Das heißt, ich sollte in einem Fall zurückkehren, wenn ich hier nicht nothwendig wäre. Aber meine Wichtigkeit hat, wie ich Euch sagte, so sehr zugenommen, daß ich bestimmten Befehl von der Frau Prinzessin erhielt, die Gegend des Fort, auf welches man eine bestimmte Absicht zu haben scheint, nicht zu verlassen.«

Der Vicomte stieß einen Ausruf des Schreckens aus.

»So reisen ohne Euch!« rief er, »reisen mit dem würdigen Pompée der noch tausendmal mehr Hasenfuß ist, als ich, die Hälfte von Frankreich allein oder beinahe allein durchziehen! Oh! nein, ich reise nicht, das schwöre ich Euch, ich würde vor Angst sterben, ehe ich ankäme.«

»Oh, Herr Vicomte,« versetzte Richon in ein schallendes Gelächter ausbrechend, »Ihr denkt also nicht mehr an den Degen, der an Eurer Seite hängt?«

»Lacht immerhin, ich reise nicht. Die Frau Prinzessin hat mir versprochen, Ihr würdet mich geleiten, und nur unter dieser Bedingung machte ich mich anheischig.«

»Wie Ihr wollt, Vicomte,« versetzte Richon mit geheucheltem Ernste. Jedenfalls zählt man auf Euch in Chantilly, und nehmt Euch in Acht, die Prinzen verlieren leicht die Geduld, besonders wenn sie Geld erwarten.«

»Und zu allem Unglück,« sagte der Vicomte, »soll ich noch in der Nacht abreisen.«

»Desto besser,« sprach Richon lachend, »man wird nicht sehen, daß Ihr bange habt, und Ihr findet am Ende noch Feigherzigere, als Ihr seid, und schlagt sie in die Flucht.«

»Ihr glaubt?« sagte der Vicomte, trotz dieser Verheißung nur schlecht beruhigt.

»Ueberdies gibt es ein Mittel, Alles auszugleichen,« sagte Richon. »Ihr habt wegen des Geldes Furcht, nicht wahr? Gut, so laßt es mir, und ich schicke es durch drei bis vier sichere Männer ab. Alles wohl beachtet, ist es übrigens doch das sicherste Mittel, das Geld an Ort und Stelle gelangen zu lassen, wenn Ihr es selbst dahin bringt.«

»Ihr habt Recht, ich reise, Richon, und da man, völlig wacker sein muß, so behalte ich das Geld. Ich glaube, daß Ihre Hoheit nach dem, was Ihr sagt, noch mehr des Geldes bedarf, als meiner. Käme ich ohne Geld, so würde mir vielleicht nicht der beste Empfang zu Theil.

»Ich sagte Euch schon von Anfang, Ihr hättet das Aussehen eines Helden. Auch gibt es überall Soldaten des Königs, und wir sind noch nicht im Kriege begriffen. Traut indessen nicht zu viel und befehlt Pompée seine Pistolen zu laden.«

»Ihr sagt mir das, um mich zu beruhigen?«

»Allerdings, wer die Gefahr kennt, läßt sich nicht überraschen. Geht also, die Nacht ist schön und Ihr könnt vor Tag in Monlieu sein.«

»Und wird unser Baron unsere Abreise nicht bespähen?«

»Oh, in diesem Augenblick thut er, was wir gethan haben, das heißt, er speist zu Nacht, und wenn sein Abendbrod dem unserigen gleich kommt, so ist er ein zu guter Gast, um die Tafel ohne einen mächtigen Beweggrund zu verlassen. Ueberdies will ich hinabgehen und ihn zurückhalten.«

»Dann entschuldigt mich wegen meiner Unhöflichkeit gegen ihn. Er so nicht, wenn er mich eines Tags in minder edelmüthiger Stimmung als heute trifft, Streit mit mir anfangen. Euer Baron muß in dieser Beziehung ein raffinierter Mensch sein.«

»Ihr habt das rechte Wort gesagt, und er wäre in der That der Mann, Euch bis an das Ende der Welt zu folgen, nur um den Degen mit Euch zu kreuzen. Doch seid ruhig, ich werde Euch entschuldigen.«

»Ja, wartet aber nur, bis ich abgegangen bin.«

»Ich werde nicht verfehlen, dies zu thun.«

»Und Ihr habt keinen Auftrag an Ihre Hoheit?«

»Ich glaube wohl, Ihr erinnert mich an den allerwichtigsten Auftrag.«

»Habt Ihr geschrieben?«

»Nein, es sind ihr nur zwei Worte zu überbringen.«

»Welche?«

»Bordeauxja

»Sie weiß, was dieß bedeutet?«

»Vollkommen. Auf diese zwei Worte kann sie ganz sicher abreisen. Ich stehe für Alles.«

»Vorwärts, Pompée,« sagte der Vicomte zu dem, alten Diener, der in diesem Augenblick den Kopf durch die halb geöffnete Thüre streckte, »vorwärts, mein Freund, wir müssen reisen,«

»Oh, oh! Reisen!« rief Pompée, »der Herr Vicomte denkt nicht daran. Es kommt ein furchtbarer Sturm.«

»Was sagt Ihr da; Pompée?« versetzte Richon, »es ist keine Wolke am Himmel.«

»Aber in der Nacht können wir uns verirren.«

»Das wäre schwierig; Ihr braucht nur der Landstraße zu folgen. Ueberdies ist prächtiger Mondschein.«

»Mondschein! Mondschein!« murmelte Pompée, »Ihr begreift wohl, daß ich dies nicht meinetwegen sage, Herr Richon.«

»Allerdings,« versetzte Richon, »ein alter Soldat!«

»Wenn man den Krieg gegen die Spanier mitgemacht hat, und in der Schlacht von Corbie verwundet worden ist . . .« fuhr Pompée, sich brüstend, fort.«

»So hat man vor nichts mehr Furcht, nicht wahr? Gut, das kommt vortreffliche denn der Herr Vicomte ist nicht in jeder Beziehung beruhigt, das sage ich Euch wohl.«

»Oh, oh,-»rief Pompée erbleichend, »Ihr habt Furcht?«

»Mit Dir nicht, mein braver Pompée,« erwiederte der junge Mann, »ich kenne Dich und weiß, daß Du Dich tödten lassen würdest, ehe man an mich käme.«

»Allerdings, allerdings,« sprach Pompée, »wenn Ihr aber zu sehr Angst hättet, so müßte man warten bis morgen.«

»Unmöglich, mein guter Pompée; packe also dieses Gold auf Dein Pferd. Ich folge Dir sogleich.«

»Das ist eine schwere Summe für einen Nachtritt,« sprach Pompée den Sack abwägend.

»Es ist keine Gefahr dabei, wenigstens behauptet es Richon. Sind die Pistolen in den Holftern, ist der Degen in der Scheide, die Muskete am Haken?«

»Ihr vergeßt,« antwortete der alte Diener, »daß man sich, wenn man sein ganzes Leben Soldat gewesen ist, nicht aus einem Versehen ertappen läßt. Ja, Herr Vicomte, Alles ist an seiner Stelle.«

»Seht,« sagte Richon, »kann man mit einem solchen Gefährten Furcht haben? Glückliche Reise also, Vicomte!«

»Ich danke für den Wunsch, aber der Weg ist lang,« antwortete der Vicomte, mit einem Reste von Angst, den das martialische Gesicht von Pompée nicht zu zerstreuen vermochte.«

»Bah!« sprach Richon, »jeder Weg hat einen Anfang und ein Ende. Meine unterthänigste Empfehlung an die Frau Prinzessin. Sagt ihr, ich gehöre ihr und Herrn von Larochefoucault bis zum Tode, und vergeßt nicht die zwei fraglichen Worte: Bordeaux – ja! Ich suche Herrn von Canolles auf.«

»Sagt mir doch, Richon,« sprach der Vicomte, diesen beim Arme in dem Augenblick zurückhaltend, wo er den Fuß auf die erste Stufe der Treppe setzte, »wenn dieser Canolles ein so braver Soldat und ein, so guter Edelmann ist, wie Ihr sagt, warum macht Ihr nicht einen Versuch, ihn für unsere Partei zu gewinnen? Er könnte uns entweder in Chantilly oder schon auf der Reise einholen. Da ich ihn bereits ein wenig kenne, so würde ich ihn vorstellen.«

Richon schaute den Vicomte mit einem so seltsamen Lächeln an, das, dieser, welcher ohne Zweifel an den Zügen des Parteigängers erkannte, was in seinem Geiste vorging, rasch beifügte:

»Uebrigens will ich nichts gesagt haben, macht unten, was Ihr machen zu müssen glaubt. Gott befohlen!«

Und er reichte ihm die Hand und kehrte rasch in sein Zimmer zurück, sei es aus Furcht, Richon könnte die plötzliche Röthe sehen, die sein Gesicht bedeckte sei es, daß er bange hatte, von Canolles gehört zu werden, dessen schallendes Gelächter bis in den ersten Stock drang.

Er ließ also den Parteigänger die Treppe hinabsteigen, gefolgt von Pompée, welcher das Felleisen mit einer scheinbaren Nachlässigkeit trug, um nicht errathen zu lassen, was es enthalten könnte. Nachdem einige Minuten vorübergegangen waren, betastete er sich, um zu sehen, ob er nichts vergessen hatte, löschte seine Kerzen aus, stieg ebenfalls behutsam die Treppe hinab, wagte einen schüchternen Blick durch den erleuchteten Spalt einer Thüre des Erdgeschosses, hüllte sich in einen Mantel, den ihm Pompée reichte, setzte seinen kleinen Fuß auf die Hand des Stallmeisters, schwang sich leicht auf sein Pferd, brummte einen Augenblick über die Langsamkeit des alten Soldaten und verschwand im Schatten.

In der Sekunde Richon in das Zimmer von Canolles trat, den er unterhalten sollte, während der kleine Vicomte Anstalten zu seiner Abreise traf, erscholl ein Freudengeschrei aus dem Munde des halb auf seinem Stuhl zurückgelehnten Barons, was zum Beweise diente, daß dieser nicht grollte.

Auf dem Tische, mitten zwischen zwei durchsichtigen Körpern, welche volle Flaschen gewesen waren, stand untersetzt und stolz auf ihre Rundheit eine Phiole umflochten von Rohren, durch deren Zwischenraum das lebhafte Licht von vier Kerzen Funken von Topasen und Rubinen hervorspringen ließ. Es war eine Flasche von jenen alten Collioure-Weinen, von denen ein bereits erwärmter Gaumen den honigartigen Saft zu schlürfen liebt; schöne getrocknete Feigen, Mandeln, Biscuite, scharfe Käse, eingemachte Trauben offenbarten die interessierte Berechnung des Wirthes, eine Berechnung, für deren weise Genauigkeit zwei leere Flaschen und eine dritte halbvolle zum Belege dienten. Es war in der That gewiß, das Jeder, der ein solches herausforderndes Dessert berühren würde, so nüchtern er auch war, eine bedeutende Stimme Flüssigkeit aufbrauchen mußte.

Canolles setzte seinen Stolz nicht in ein Einsiedlerleben. Als Hugenott (Canolles war von einer protestantischen Familie und bekannte sich wohl oder übel zu der Religion seiner Väter), als Hugenott, sagen wir, glaubte Canolles vielleicht auch nicht an die Heiligsprechung der frommen Einsiedler, die den Himmel Wasser trinkend und Wurzeln essend gewonnen hatten. So traurig oder so verliebt er auch sein mochte, so war er doch nie unempfindlich für den Geruch eines guten Mittagsbrodes oder für den Anblick jener Flaschen von besonderer Form mit rothem, gelbem oder grünem Wuchse, welche unter getreuem Korke das Reinste vom Gascogner, Champagner- oder Burgunderblute verschlossen halten. Bei diesem Umstande hatte also Canolles wie gewöhnlich den Reizen des Anblicks, nachgegeben. Von dem Anblick war er auf den Geruch, von dem Geruch auf den Geschmack übergegangen, und da von den fünf Sinnen, womit ihn die gute gemeinschaftliche Mutter, welche man Dame Natur nennt, drei völlig befriedigt waren, so fasten sich die zwei andern in Geduld und warteten, bis die Reihe an sie käme, mit einer Resignation voll Glückseligkeit.

In diesem Augenblick trat Richon ein und fand Canolles sich auf seinem Stuhle wiegend.

»Ah!« rief dieser, »Ihr kommt zur rechten Zeit, mein lieber Richon; ich mußte irgend Jemand finden, um das Lob von Meister Biscarros auszusprechen, und war beinahe darauf angewiesen, ihn gegen diesen Schafskopf von Castorin zu rühmen, der nicht weiß, was trinken heißt, und den ich nie essen lehren konnte.« Schaut diese Etagère an, lieber Freund, und werft einen Blick auf diesen Tisch, an dem ich Euch Platz zu nehmen bitte. Ist er nicht ein wahrer Künstler, ein Mensch, den ich meinem Freunde, dem Herzog von Epernon empfehlen will, dieser Wirth zum Goldenen Kalbe? Hört die Einzelheiten meines Mahles und urtheilt selbst, mein lieber Richon, Ihr, der Ihr ein Kenner seid. Kraftsuppe, Hors-d’oevore von marinierten Austern, Sardellen und kleinem Geflügel, Kapaun mit Oliven, nebst einer Flasche Medoc, von der hier der Leichnam steht, ein junges Feldhuhn mit Trüffeln, Erbsen in Caramel, eine Gelèe von Vogelkirschen mit der hier liegenden Flasche Chambertin angefeuchtet; sodann dieses Dessert und diese Flasche Collioure, welche sich zu vertheidigen sucht, aber das Schicksal der andern theilen wird, besonders wenn wir zu zwei Krieg gegen dieselbe führen. Ich bin bei Gott! sehr guter Laune, und Biscarros ist ein großer Meister. Seht Euch hierher, Richon, Ihr habt zu Nacht gespeist, ich habe auch gespeist; doch gleichviel, wir fangen wieder von vorne an.«

»Ich danke, Baron,« sprach Richon lachend, »ich habe keinen Hunger mehr.«

»Streng genommen, will ich das zugeben, man kann keinen Hunger mehr haben, hat aber stets Durst. Kostet einmal diesen Collioure.«

Richon reichte ihm sein Glas.«

»Ihr habt also,« fuhr Canolles fort, »mit Eurem kleinen einfältigen Vicomte zu Nacht gespeist? Ah! ich bitte um Vergebung, Richon, Nein, ich täusche mich, es ist im Gegentheil ein reizender Junge, dem ich das Vergnügen schulde, das Leben von seiner schönen Seite zu kosten, statt die Seele durch drei bis vier Löcher hinzugeben, die der brave Herzog von Epernon meiner Haut beizubringen gedachte. Ich bin also diesem jungen Vicomte, diesem bezaubernden Ganymed zu Dank verpflichtet. Ah, Richon, Ihr habt ganz das Aussehen, als wäret Ihr das, was man den Euch sagt, das heißt, der wahre Diener von Herrn von Condé«

»Stille, Baron!« rief Richon; »habt keine solche Gedanken, Ihr macht mich vor Lachen sterben.«

»Von Lachen sterben! Geht doch, nein, mein Lieber.

Igne tantum perituri

Quia estis . . .

Landeriri.


Ihr kennt doch den Klagegesang, nicht wahr? Es ist ein Weihnachtslied von Eurem Patron, verfaßt auf den germanischen Fluß Ryenus als er eines Tags einen seiner Gefährten beruhigte, der durch das Wasser sterben zu müssen bange hatte. Teufel von einem Richon! Ich habe einen Abscheu vor Eurem kleinen Edelmanne, der sich auf diese Art um den nächsten besten vorüberziehenden Cavalier bekümmert.«

Und Canolles warf sich in seinem Stuhle lachend und seinen Schnurrbart mit einem solchen Anfalle von Heiterkeit kräuselnd zurück, daß Richon nothwendig daran Theil nehmen mußte.

»Also ernsthaft, mein lieber Richon,« sagte Canolles, »nicht wahr, Ihr conspirirt?«

Richon fuhr zu lachen fort, aber auf eine minder offenherzige Weise.

»Wißt Ihr, daß ich große Lust hatte, Euch und Euren kleinen Edelmann verhaften zu lassen? Bei Gott, das wäre lustig und besondere ganz leicht gewesen. Ich hatte die Stockträger meines Gevatters Epernon bei der Hand. Ah! Richon in der Wachtstube und der kleine Edelmann ebenfalls!«

In diesem Augenblick hörte man den Galopp von zwei sich entfernenden Pferden.

»Oho!« sprach Canolles horchend. »Was ist das, Richon, wißt Ihr es?«

»Ich glaube es zu vermuthen.«

»So sprecht.«

»Der kleine Edelmann reist ab.«

»Ohne von mir Abschied zu nehmen?« rief Canolles. »Das ist offenbar ein armseliger Wicht.«

»Nein, mein lieber Baron, es ist ein Mensch, der Eile hat, und nichts Anderes.«

Canolles faltete die Stirne und erwiederte:

»Was für sonderbare Manieren! Wo ist dieser Junge erzogen worden? Richon, mein Freund, ich sage Euch, daß er Unrecht thut. Unter Edelleuten benimmt man sich nicht so. Bei Gott, ich glaube, wenn ich ihn hier hätte, ich würde ihm die Ohren reiben. Der Teufel hole seinen guten Tropfen von einem Vater, der ihm aus Knickerei ohne Zweifel keinen Lehrer gegeben hat.«

»Ärgert Euch nicht, Baron,« sprach Richon lachend, »der Vicomte ist nicht so schlecht erzogen, als Ihr wohl glauben möget, denn er hat mich bei seinem Abgange beauftragt, Euch sein Bedauern auszudrücken, und mir anempfohlen, Euch tausend schmeichelhafte Dinge zu sagen.«

»Gut, gut,« erwiederte Canolles, »Weihwasser von Hof, das aus einer großen Unverschämtheit eine kleine Unhöflichkeit macht, weiter nichts. Beim Henker, ich bin in einer sehr wilden Laune. Sucht Streit mit mir, Richon! Ihr wollt nicht? Wartet. Gottes Tod, Richon, ich finde Euch sehr häßlich.«

Richon fing an zu lachen und versetzte:

»Mit dieser Laune, Baron, wäret Ihr, wenn Ihr spieltet im Stande, mir hundert Pistolen abzugewinnen. Das Spiel begünstigt, wie Ihr wißt, großen Ärger.«

Richon kannte Canolles und wußte, was er that, wenn er der schlimmen Laune des Barons einen solchen Abfluß öffnete.

»Ah, bei Gott, das Spiel!« rief er, »ja, das Spiel, Ihr habt Recht! Mein Freund, das ist ein Wort, welches mich mit Euch aussöhnt, Richon, ich finde Euch sehr angenehm. Ihr seid schön, wie Adonis, und ich verzeihe Herrn von Cambes. Castorin, Karten!

Castorin lief von Biscarros begleitet herbei. Beide richteten einen Tisch zu, und die zwei Gefährten fingen an zu spielen. Castorin, dem es seit zehn Jahren von einer Martingale träumte, und Biscarros, der das Geld mit gierigem Auge betrachtete, blieben auf jeder Seite des Tisches stehen, um zuzuschauen. In weniger als einer Stunde gewann Richon, trotz dessen, was er prophezeit hatte, seinem Gegner achtzig Pistolen ab. Canolles, welcher kein Geld mehr bei sich hatte, befahl nun Castorin ans seinem Mantelsacke zu holen.

»Unnöthig,« sprach Richon, dem dieser Befehl nicht entgangen war; »ich habe keine Zeit, um Euch Revanche zu geben.«

»Wie! Ihr habt keine Zeit?« sagte Canolles.

»Nein, es ist elf Uhr, und um Mitternacht muß ich auf meinem Posten sein.«

»Geht doch, Ihr scherzt wohl.«

»Mein Herr Baron,« erwiederte Richon mit ernstem Tone, »Ihr seid Militär und kennt folglich die Strenge des Dienstes.«

»Warum seid Ihr dann nicht abgegangen, ehe Ihr mir das Geld abgewonnen hattet?« sprach Canolles, halb lachend, halb mürrisch.

»Macht Ihr es mir vielleicht zum Vorwurfe, daß ich Euch einen Besuch abstattete?« fragte Richon.

»Gott behüte! Ich habe nur nicht die geringste Lust zu schlafen und werde mich hier furchtbar langweilen. Wenn ich Euch den Vorschlag machte, Euch zu begleiten, Richon?«

»So würde ich diese Ehre zurückweisen, Baron. Angelegenheiten, wie die, mit welcher ich beauftragt bin, werden ohne Zeugen abgemacht.«

»Ganz gut; in welcher Richtung geht Ihr?«

»Ich bitte Euch, mich dies nicht zu fragen.«

»In welcher Richtung ist der Vicomte gereist?«

»Ich muß Euch hierauf antworten, daß ich es nicht weiß.«

Canolles schaute Richon an, um sich zu versichern, ob kein Hohn in dieser unhöflichen Antwort läge; aber das gutmüthige Auge und das offenherzige Lächeln des Gouverneur von Vayres entwaffneten, wenn nicht seine Ungeduld, doch wenigstens seine Neugierde.

»Ihr seid diesen Abend ganz aus Geheimnissen zusammengesetzt, mein lieber Richon; doch Ihr habt vollkommene Freiheit. Ich hätte mich vor drei Stunden, wenn man mir gefolgt wäre, auch bedeutend geärgert, obgleich der Folgende nicht minder enttäuscht worden wäre, als ich. Also noch ein Glas Collioures Wein und glückliche Reise.«

Hiernach füllte Canolles die Gläser, und Richon entfernte sich, nachdem er auf die Gesundheit des Barons getrunken hatte, ohne das es diesem nur in den Kopf kam, er wolle zu erfahren suchen, auf welchem Weg er sich entfernte. Aber allein mitten unter halb abgebrannten-Kerzen, leeren-Flaschen und zerstreuten Karten fühlte sich der Baron in eine von jenen traurigen Stimmungen versetzt, die man nur versteht, wenn man sie selbst erlebt hat; denn seine Heiterkeit von dem ganzen Abend war mit einem Verdrusse gemacht worden, über welchen er sich zu betäuben gesucht hatte, ohne daß es ihm völlig gelungen war.

Er schleppte sich also nach seinem Schlafzimmer und warf dabei durch die Scheiben des Ganges einen Blick voll Sommer und Zorn nach dem vereinzelten Hause, von dem ein Fenster mit einem röthlichen Reflexe beleuchtet war, und das von Zeit zu Zeit von Schatten durchzogen wurde, woraus deutlich genug hervorging, daß Fräulein von Lartigues eine Nacht minder einsam als die seinige zubrachte.

Auf der ersten Stufe der Treppe stieß Canolles mit seinem Stiefel an etwas. Er blickte sich und hob einen von den kleinen perlgrauen Handschuhen des Vicomte auf, den dieser bei seinem eiligen Abgange aus dem Gasthause von Meister Biscarros hatte fallen lassen und ohne Zweifel nicht für kostbar genug hielt, um seine Zeit mit Suchen zu verlieren.

Was auch Canolles in einem Augenblicke der Menschenfeindlichkeit, der einem getäuschten Liebhaber wohl zu verzeihen war, denken mochte, es herrschte in dem einen einsamen Hause keine größere Freude, als im Gasthofe zum Goldenen Kalb.

Unruhig und bewegt wälzte Nanon die ganze Nacht hindurch tausend Pläne in ihrem Gehirne umher, um Canolles in Kenntniß zu setzen; sie suchte Alles, was an Geist und List in dem Kopfe einer wohl organisierten Frau enthalten ist, zu benützen, um sich der precären Lage zu entziehen in der sie sich befand. Es, handelte sich nur darum, dem Herzog eine Minute zu stehlen, um mit Francinette zu sprechen, oder zwei Minuten, um eine Zeile an Canolles auf ein Stück Papier zu schreiben.

Aber es war, als vermuthete der Herzog Alles, was in ihr vorging, als läse er die Unruhe ihres Geistes durch die heitere Maske, mit der sie ihr Gesicht bedeckt hatte, und als hätte er sich selbst geschworen, ihr nicht einen Augenblick die Freiheit zu lassen, die ihr doch so nothwendig war.

Nanon hatte Migräne: Herr von Epernon wollte ihr nicht erlauben, aufzustehen, um ihr Riechfläschchen zu holen, und holte es selbst.

Nanon stach sich mit einer Nadel, wodurch plötzlich ein Rubin an der Spitze ihres zarten Fingers erschien; sie wollte in ihrem Necessaire ein Stückchen von dem berühmten Rosataffet holen, den man zu jener Zeit zu schätzen anfing. Unermüdlich in seiner Zuvorkommenheit stand Herr von Epernon auf, schnitt das Stückchen Rosataffet mit einer verzweiflungsvollen Geschicklichkeit ab und verschloß das Necessaire wieder.

Nanon stellte sich, als wäre sie in tiefen Schlaf versunken: sogleich fing der Herzog auch an zu schnarchen; da öffnete Nanon ihre Augen wieder und versuchte es bei dem Scheine der Nachtlampe, welche in ihrer alabasternenden Umhüllung auf dem Tische stand, aus dem in der Nähe ihres Bettes und im Bereiche ihrer Hand liegenden Leibrocke des Herzogs dessen Schreibtafel zu ziehen; aber in dem Augenblick wo sie bereits den Bleistift in ihren Fingern hielt und ein Blatt Papier ausgerissen hatte, öffnete der Herzog ein Auge und sagte:

»Was macht Ihr, mein Herzchen?«

»Ich suchte, ob kein Kalender in Eurer Schreibtafel wäre.«

»Wozu?«

»Um zu sehen, auf welchen Tag Euer Namensfest fällt.«

»Ich heiße Louis, und mein Namenstag fällt auf den 24. August, wie Ihr wißt: Ihr habt also gehörig Zeit, Euch darauf vorzubereiten.«

Und er nahm ihr die Schreibtafel wieder aus der Hand und steckte sie in seinen Rock.

Nanon hatte bei dem lebten Manoeuvre wenigstens einen Bleistift und ein Stück Papier gewonnen. Sie steckte Beides unter ihren Kopfpfühl und warf sehr geschickt die Nachtlampe um, in der Hoffnung, in der Finsterniß schreiben zu können; aber der Herzog läutete und verlangte mit gewaltigem Geschrei Licht, indem er behauptete, er könne ohne Licht nicht schlafen. Francinette lief so schnell herbei, daß Nanon nicht Zeit gehabt hatte, nur die Hälfte ihren Satzes zu schreiben, und der Herzog befahl aus Furcht, es könnte sich dieser Unfall wiederholen, die zwei Kerzen auf den Kamin zu stellen. Nun erklärte Nanon, sie könne nicht bei Licht schlafen; drehte ganz fieberhaft vor Ungeduld die Nase gegen die Wand und erwartete den Tag mit einer leicht begreiflichen Bangigkeit.

Dieser Tag begann an dem Gipfel der Pappelbäume zu erscheinen und ließ die zwei Kerzen erbleichen. Der Herzog von Epernon der sich ein Verdienst daraus machte, die Gewohnheiten den militärischen Lebens zu befolgen, erhob sich bei dem ersten Strahle, welcher durch die Fensterläden drang, kleidete sich allein an, um seine kleine Nanon nicht einen Augenblick zu Verlassen, hüllte sich in einen Schlafrock und läutete, um zu erfahren, ob nichts Neues vorgefallen wäre.

Francinette erwiederte diese Frage, indem sie dem Herzog ein Päckchen mit Depeschen übergab, welche Courtauvaux, sein Lieblingspiquer, in der Nacht gebracht hatte.

Der Herzog fing an dieselben zu entsiegeln und las sie mit einem Auge das andere Auge, von der Herzog den verliebtesten Ausdruck zu geben suchte, verließ Nanon nicht.

Nanon hätte den Herzog in Stücke zerrissen, wenn sie es im Stande gewesen wäre.

»Wisst Ihr,« sagte der Herzog, nachdem er einen Theil der Depeschen gelesen hatte, »wißt Ihr, was Ihr thun solltet, liebe Freundin?«

»Nein, Monseigneur,« antwortete Nanon, »aber wenn Ihr Befehle geben wolltet, so wurde man sich darnach richten.«

»Ihr solltet Euren Bruder holen lassen. Ich erhalte so eben von Bordeaux einen Brief, welcher die von mir gewünschte Auskunft enthält; er könnte sogleich abreisen, und bei seiner Rückkehr hätte einen Vorwand, ihm das Commando zu übergeben, das Ihr für ihn nachsucht.«

Das Antlitz des Herzogs drückte das unzweideutigste Wohlwollen aus.

»Auf,« sagte Nanon zu sich selbst, »Muth gefaßt! ich darf hoffen, das Canolles in meinen Augen lesen oder ein halbes Wort verstehen wird.«

Dann antwortete sie laut:

»Schickt selbst, mein lieber Herzog;« denn sie vermuthete, der Herzog würde sie nicht gewähren lassen, wenn sie die Sache besorgen wollte.

Der Herzog von Epernon rief Francinette und beauftragte sie, sich nach dem Gasthause zum Goldenen Kalbe zu begeben, ohne eine andere Instruktion als die Worte:

»Sagt dem Herrn Baron von Canolles, Fräulein von Lartigues erwarte ihn beim Frühstück.«

Nanon warf Francinette einen Blick zu, aber so beredt dieser Blick auch war, so konnte Francinette doch nicht darin lesen: »Sagt dem Herrn Baron von Canolles, ich sei seine Schwester.«

Francinette ging ab; sie begriff, daß ein Betrug hinter dieser Sache verborgen war, der eine gefährliche Wendung nehmen konnte.

Mittlerweile stand Nanon auf und stellte sich hinter den Herzog, um Canolles mit dem ersten Blicke auffordern zu können, er möge auf seiner Hut sein, und zugleich beschäftigte sie sich damit, eine Phrase bereit zu halten, mit deren Hilfe der Baron schon bei den ersten Worten von Allem unterrichtet werden sollte, was er wissen mußte, um nicht falsche Noten in dem Familientrio anzuschlagen, das nun aufgeführt werden würde.

Sie umfaßte mit dem Augenwinkel die ganze Straße bis zu der Biegung, wo sich der Herzog von Epernon am Abend vorher mit seinen Sbirren verborgen hatte.

»Ah!« sagte plötzlich der Herzog, dort kommt Francinette zurück.«

Und er heftete seine Augen, auf die von Nanon, welche nun genöthigt war ihren Blick von der Straße abzuwenden, um den des Herzogs zu erwiedern.

Das Herz von Nanon schlug, daß es die Brust hatte zersprengen sollen; sie hatte nur Francinette sehen können, und hätte so gern Canolles gesehen, um in seinem Gesichte irgend eine beruhigende Linie zu suchen.

Man kam die Stufen herauf der Herzog schickte sich zu einem zugleich vornehmen und freundschaftlichen Lächeln an. Nanon drängte die Röthe zurück, die ihr in die Wangen stieg, und belebte sich zum Kampfe.

Francinette klopfte leicht an die Thüre.

»Herein!« rief der Herzog.

Nanon nahm die Phrase, mit der sie Canolles begrüßen wollte, auf die Zungenspitze.

Die Thüre öffnete sich; Francinette war allein.

Nanon befragte das Vorzimmer mit einem gierigen Blicke; es war Niemand ins Vorzimmer.

»Madame,« sprach Francinette mit dem unstörbaren Gleichgewichte einer Komödien-Soubrette, »der Herr Baron von Canolles ist nicht mehr im Gasthause zum Goldenen Kalb.«

Der Herzog machte große Augen und wurde düster.

Nanon warf den Kopf zurück und athmete.

»Wie,« sagte der Herzog, »der Herr Baron von Canolles ist nicht mehr im Gasthause zum Goldenen Kalb?«

»Du täuschest Dich sicherlich, Francinette,« fügte Nanon bei.

»Madame,« erwiederte Francinette, »ich wiederhole, was mir Herr Biscarros selbst gesagt hat.«

»Er wird Alles errathen haben, dieser liebe Canolles,« murmelte ganz leise Nanon. »Eben so gescheit, eben so gewandt, als muthig und schön.«

»Holt mir sogleich den Meister Biscarros,« sagte der Herzog mit der Miene seiner schlimmen Tage.

»Oh! ich denke mir,v sprach Nanon rasch, »er wird erfahren haben, Ihr wäret hier, und befürchtete ohne Zweifel, er könnte stören. Der arme Canolles ist so schüchtern!«

»Er, schüchtern!« rief der Herzog, »es scheint mir, er steht nicht in diesem Rufe.«

»Nein, Madame,« versetzte Francinette, »der Herr Baron ist wirklich abgereist.«

»Aber Madame,« sagte der Herzog, »wir kommt es, das der Baron Furcht vor mir gehabt hat, während Francinette nur beauftragt war, ihn in Eurem Namen einzuladen? Ihr habt ihm also gesagt, ich wäre hier, Francinette?«

»Ich konnte es ihm nicht sagen, Herr Herzog, »denn er war nicht mehr da.«

Trotz dieser Erwiederung von Francinette, welche mit der Eile der Offenherzigkeit und Wahrheit gegeben wurde, schien der Herzog wieder von seinem ganzen Mißtrauen erfaßt zu werden. Nanon war voll Freude und hatte nicht mehr die Kraft, etwas zu sagen.

»Soll ich immer noch Meister Biscarros holen?«, fragte Francinette.

»Mehr als je,« erwiederte der Herzog mit seinem rauhen Tone, »oder vielmehr, ja wartet. Bleibt hier, Eure Gebieterin könnte Eurer bedürfen, und ich will Courtauvaux abschicken.«

Francinette verschwand. Fünf Minuten nachher erschien Courtauvaux an der Thüre.

»Gehe zu dem Wirthe zum Goldenen Kalbe,« sprach der Herzog, »sage ihm, er solle hierher kommen und den Küchenzettel zu einem Frühstück mitbringen. Gib ihm diese zehn Louisd’or damit er ein gutes Mahl bereitet. Vorwärts.«

Courtauvaux empfing das Gold auf seinem Rockschoße und entfernte sich, um den Befehl seines Gebieters zu vollziehen.

Er war ein Diener von gutem Hause, der sein Handwerk so genau kannte, als alle Crispine und alle Mascavilles jener Zeit. Er suchte Biscarros auf und sagte zu ihm:

»Ich habe den gnädigen Herrn überredet, ein feines Frühstück bei Euch zu bestellen; er hat mir acht Louisd’or gegeben, zwei behalte ich natürlich für die Commission; hier sind sechs für Euch, kommt geschwinde.«

Zitternd vor Freude band Biscarros eine weiße Schürze um seine Hüften, steckte die sechs Louisd’or ein, drückte Courtauvaux die Hand und eilte dem Piqueur nach, der ihn im schnellsten Laufe nach dem kleinen Hause führte.

Diesmal bebte Nanon nicht: die Versicherung von Francinette hatte sie vollkommen beruhigt; sie fühlte sogar das lebhafteste Verlangen, mit Biscarros zu sprechen. Er wurde daher, sobald er ankam, eingeführt.

Biscarros trat, seine Schürze artig in den Gürtel zurückgeschlagen und die Mütze in der Hand, ein.

»Ihr habt gestern einen jungen Edelmann bei Euch gehabt,« sagte Nanon, »den Herrn Baron von Canolles, nicht wahr!«

»Was ist aus ihm geworden?« fragte der Herzog.

Sehr in Unruhe, denn der Piqueur und die sechs Louisd’or ließen ihn ahnen, daß eine große Person unter dem Schlafrock verborgen war, antwortete Biscarros Anfangs ausweichend:

»Gnädiger Herr, er ist abgereist.«

»Abgereist,« sagte der Herzog, »wirklich abgereist.«

»Wirklich abgereist.«

»Wohin ist er gegangen?« fragte Nanon.

»Das kann ich nicht sagen, denn in Wahrheit, ich weist es nicht, Madame.«

»Ihr wißt wenigstens, welchen Weg er eingeschlagen hat?«

»Den Weg nach Paris.«

»Um wie viel Uhr hat er diesen Weg eingeschlagen?« fragte der Herzog.

»Gegen Mitternacht.«

»Und ohne etwas zu sagen?« fragte schüchtern Nanon.

»Ohne etwas zu sagen; er hat nur einen Brief zurückgelassen, mit dem Befehl, ihn an Mademoiselle Francinette zu übergeben.«

»Und warum habt Ihr den Brief nicht abgegeben, Schuft?« sagte der Herzog. »Ist das Eure Achtung vor dem Befehle eines Edelmannes?«

»Ich habe ihn übergeben gnädiger Herr.«

»Francinette!« rief der Herzog.

Francinette, welche horchte, machte nur einen Sprung von dem Vorzimmer in das Schlafzimmer.

»Warum hast Du den Brief Deiner Gebieterin nicht übergeben, den Herr von Canolles für sie zurückließ?« fragte der Herzog.

»Aber Monseigneur . . .« murmelte die Kammerfrau ganz erschrocken.

»Monseigneur,« dachte Biscarros, sich in die entfernteste Ecke des Zimmers kauernd; »Monseigneur . . . das ist ein verkleideter Prinz.«

»Ich habe ihn nicht verlangt,« sprach Nanon ganz bleich.

»Gib,« sagte der Herzog und streckte die Hand aus.

Die arme Francinette reichte ihm langsam den Brief dar während sie ihrer Gebieterin einen Blick zuwandte, mit dem sie sagen wollte:

»Ihr seht, daß es nicht mein Fehler ist; dieser Dummkopf, von einem Biscarros hat Alles verdorben.«

Ein doppelter Blitz schoß aus dem Augapfel von Nanon und erdolchte ihn gleichsam in seiner Ecke.

Der Unglückliche schwitzte große Tropfen und hätte gern die Louisd’or gegeben, die er in seiner Tasche hatte, wäre er, den Stiel einer Casserole in der Hand, vor seinem Herde gestanden.

Während dieser Zeit nahm der Herzog den Brief, öffnete ihn und las. So lange er las, stand Nanon kälter und bleicher als eine Bildsäule da und fühlte kein Leben mehr in ihrem Herzen.

»Was bedeutet dieses verwirrte Geschreibsel?« sagte der Herzog.

Nanon begriff nach diesen paar Worten, daß der Brief sie nicht gefährdete, und erwiederte:

»Lest laut und ich kann es Euch vielleicht erklären.«

»Teure Nanon,« las der Herzog.

Und nach diesen Worten wandte er sieh nach der jungen Frau um, welche, sich immer mehr beruhigend, seinen Blick mit bewunderungswürdiger Keckheit aushielt.

»Teure Nanon,« fuhr der Herzog fort, »ich benütze den Urlaub, den ich Euch zu verdanken habe, und mache zu meiner Zerstreuung einen kleinen Galopp auf der Straße nach Paris. Auf Wiedersehen; ich empfehle Euch mein Glück.«

»Oh! er ist ein Narr, dieser Canolles!«

»Ein Narr! Warum?« fragte Nanon.

»Reist man so ohne allen Grund um Mitternacht ab?«

»In der That,« sagte Nanon mit sich selbst sprechend.

»Sprecht, erklärt mir diese Abreise!«

»Ei mein Gott! Monseigneur,« erwiederte Nanon mit einem reizenden Lächeln, »nichts ist leichter.«

»Sie nennt ihn auch Monseigneur!« murmelte Biscarros. »Offenbar ein Prinz.«

»Sprecht, sprecht!«

»Wie, Ihr wißt nicht, um was es sich handelt?«

»Nicht entfernt.«

»Wohl, Canolles ist siebenundzwanzig Jahre alt; er ist jung, schön, sorglos. Welcher Thorheit glaubt Ihr, daß er den Vorzug gönnt? der Liebe. Er wird an dem Gasthause des Meister Biscarros eine hübsche Reisende haben vorüberkommen sehen, und ist ihr dann wahrscheinlich gefolgt.«

»Verliebt! Ihr glaubt?« rief der Herzog, lächelnd bei dem ganz natürlichen Gedanken, daß Canolles, wenn er in irgend eine Reisende verliebt wäre, nicht in Nanon verliebt sein könnte.

»Ganz gewiß verliebt. Nicht wahr, Meister Biscarros?« sagte Nanon, entzückt, als sie sah, daß der Herzog ihren Gedanken annahm. »Antwortet offenherzig: habe ich nicht richtig errathen?«

Biscarros dachte, der Augenblick wäre gekommen, die Gunst der jungen Frau wieder zu gewinnen, und antwortet, während er auf seinen Lippen ein Lächeln von vier Zoll in der Weite hinstreifen ließ:

»In der That, die gnädige Frau könnte Recht haben.«

Nanon machte einen Schritt gegen den Wirth und sprach unwillkürlich zitternd:

»Nicht wahr?«

»Ich denke wohl,« antwortete Biscarros mit schlauer Miene.

»Ihr denkt?«

»Ja, wartet nur; in der Thai, Ihr öffnet mir die Augen.«

»Ah! Erzählt uns das, Meister Biscarros,« versetzte Nanon, welche sich dem ersten Verdachte der Eifersucht hinzugeben anfing; »sagt, wer sind die reisenden Frauen, welche in dieser Nacht in Eurem Gasthause angehalten haben?«

»Ja, sprecht,« sagte der Herzog, seine Seine ausstreckend und sich mit den Ellbogen auf die Lehnen seines Stuhles stützend.

»Es sind keine reisende Frauen angekommen,« antwortete Biscarros,

Nanon athmete.

»Sondern nur,« fuhr der Wirth fort, ohne zu vermuthen, daß jedes von seinen Worten das Herz von Nanon hüpfen machte, »sondern nur ein blonder, zierlicher, kleiner Edelmann, der nicht aß, nicht trank und Furcht hatte, sich bei Nacht auf den Weg zu begeben. Ein Edelmann, welcher Furcht hatte,« fügte Biscarros mit einer kleinen Kopfbewegung voll Schlauheit bei: »Ihr begreift, nicht wahr?«

»Ah! Ah! Ah!« rief voll Heiterkeit der Herzog, geradezu in die Angel beißend.

Nanon erwiederte sein Lachen mit einer Art den Zähneknirschen.

»Fahrt fort,« sagte sie, »das ist reizend. Ohne Zweifel erwartete der junge Edelmann Herrn von Canolles?«

»Nein, nein, er erwartete zum Abendbrod einen großen Herrn mit einem Schnurrbart und hat sogar Herrn von Canolles etwas angefahren, als er mit ihm zu Nacht speisen wollte; aber der wackere Edelmann ließ sich durch eine solche Kleinigkeit nicht aus der Fassung bringen. Das ist ein unternehmender Kamerad, wie es scheint, und nach der Abreise den Grafen, der rechts abgegangen war, eilte er dem Kleinen nach, welcher sich nach Links gewendet hatte.

Als Biscarros nach dein Schlusse seiner Rede das frohe Gesicht des Herzogs wahrnahm, glaubte er in eine Tonleiter, so furchtbaren Lachens ausbrechen zu dürfen, daß die Fensterscheiben zitterten.

Völlig beruhigt, hätte der Herzog Biscarros umarmt, wäre er auch nur im Geringsten Edelmann gewesen. Nanon hörte bleich, ein krampfhaftes, eisiges Lächeln auf den Lippen, jeden Wort, das von dem Mund des Wirthes fiel, mit dem verzehrenden Glauben, welcher die Eifersüchtigen antreibt, in langen Zügen und bis auf die Hefe den Trank zu trinken, der sie tödtet.

»Aber was bringt Euch auf den Glauben,« sprach sie, »dieser kleine Edelmann sei eine Frau, Herr von Canolles sei verliebt in diese, und er laufe nicht aus Langweile und Laune auf der Landstraße umher.«

»Was mich auf diesen Glauben bringt?« antwortete Biscarros, dem daran lag, die Ueberzeugung im Innern seiner Zuhörer festzustellen; »ich will es Euch sagen.«

»Ja, sagt es uns, mein lieber Freund,« versetzte der Herzog; »Ihr seid in der That sehr belustigend.«

»Monseigneur ist allzu gütig!« sprach Biscarros. »Vernehmt also.«

Der Herzog wurde ganz Ohr. Nanon hörte die Fäuste zusammenpressend.

»Ich vermuthete nichts und hielt den kleinen blonden Cavalier für einen Mann, als ich Herrn von Canolles mitten auf der Treppe begegnete; in der linken Hand hielt er seine Kerze, in der rechten einen kleinen Handschuh, den er leidenschaftlich betrachtete und beroch.«

»Oh! oh! Oh!« rief der Herzog, dessen Heiterkeit immer mehr zunahm, je mehr er für sich zu fürchten aufhörte.

»Einen Handschuh!« wiederholte Nanon, indem sie sich zu erinnern suchte, ob sie nicht ein solches Pfand im Besitze ihres Ritters gelassen hätte, »einen Handschuh von dieser Art?«

Und sie zeigte dem Wirthe einen von ihren Handschuhen.

»Nein,« sagte Biscarros, »einen Männerhandschuh.«

»Einen Männerhandschuh! Herr von Canolles betrachtete und beroch einen Männerhandschuh! Ihr seid ein Narr!«

»Nein, denn es war ein Handschuh von dem kleinen Edelmann, von dem hübschen, blonden Cavalier, der nicht aß, nicht trank und bei Recht Furcht hatte; ein ganz kleiner Handschuh, in den die Hand von Madame kaum hineingekommen wäre, obgleich Madame gewiß eine sehr schöne Hand hat.«

Nanon stieß einen halblauten, dumpfen Schrei aus, als ob sie von einem unsichtbaren Pfeile getroffen worden wäre.

»Ich hoffe,« sagte sie mit einer heftigen Anstrengung, »Ihr seid nun hinreichend unterrichtet, Monseigneur, und wißt Alles, was Ihr zu wissen wünscht.«

Und die Lippen bebend, die Zähne geschlossen, die Augen starr, zeigte sie mit dem Finger Biscarros die Thüre; als der letztere aber auf dem Antlitz der jungen Frau diese Zeichen des Zornes wahrnahm, ohne die Sache begreifen zu können, blieb er mit offenem Munde und aufgesperrten Augen stehen.

»Ist die Abwesenheit dieses Cavaliers ein so außerordentliches Unglück,« dachte er, »so wird seine Rückkehr ein großen Glück sein. Wir wollen diesem edlen Herrn mit einer süßen Hoffnung schmeicheln, damit er guten Appetit bekommt.«

In Folge diesen Schlusses nahm Biscarros seine liebenswürdigste Miene an, setzte mit einer Bewegung von Anmuth seinen rechten Fuß vor und sprach:

»Dieser Cavalier ist allerdings abgereist, kann aber jeden Augenblick wiederkommen.«

Der Herzog lächelte bei dieser Bemerkung.

»So ist wahr,« sagte er, »warum sollte er nicht wiederkommen? Vielleicht ist er bereite zurückgekehrt. Gebt nach, Herr Biscarros, und bringt mir Antwort.«

»Aber das Frühstück!« sagte Nanon lebhaft. »Ich sterbe vor Hunger.«

»Das ist richtig,« versetzte der Herzog, »Courtauvaux kann gehen. Courtauvaux, komm hierher, gehe in das Gasthaus des Meister Biscarros und sieh nach, ob der Herr Baron von Canolles nicht zurückgekommen ist. Findest Du ihn nicht dort, so frage, erkundige Dich, suche in der Umgegend. Ich will mit diesem Herrn frühstücken. Vorwärts.«

Courtauvaux entfernte sich, und Biscarros, der das verlegene Stillschweigen der zwei Personen bemerkte, machte Miene, ein neues Auskunftsmittel von sich zu geben.

»Seht Ihr nicht, daß Madame Euch gehen heißt?« sprach Francinette.

»Einen Augenblick, seinen Augenblick!« rief der Herzog, »der Teufel, nun verliert Ihr den Kopf meine liebe Nanon; und das Frühstück! Ich bin wie Ihr, ich habe Hunger zum Sterben. Nehmt, Meister Biscarros, fügt diese sechs Louisd’or den andern bei, es ist die Bezahlung für die angenehme Geschichte, die Ihr uns erzählt habt.«

Dann befahl er dem Historiker, dem Koche Platz zu machen, und wir müssen gestehen, Meister Biscarros glänzte nicht weniger in dem zweiten Geschäfte, als in dem ersten.

Nanon hatte indessen nachgedacht und mit einem Blicke die ganze Lege umfaßt, in welche sie die Vermuthung von Meister Biscarros versetzte. Einmal, war die Vermuthung richtig? und dann, war sie dies auch, ließ sich das Benehmen von Canolles nicht entschuldigen? In der That, welch’ eine grausame Täuschung für einen braven Edelmann, wie er, mußte dieses mißglückte Rendezvous sein! Welche Schmach war diese Späherei des Herzogs von Epernon und diese Canolles auferlegte Notwendigkeit, gleichsam dem Triumphe seines Nebenbuhlers beizuwohnen! Nanon war so verliebt, daß sie, sein Benehmen einem Anfalle von Eifersucht zuschreibend, Canolles nicht nur entschuldigte, sondern auch beklagte und sich beinahe dazu Glück wünschte, so sehr von ihm geliebt zu werden, daß dadurch eine kleine Rache von seiner Seite hervorgerufen worden war. Aber vor Allem mußte das Uebel an der Wurzel abgeschnitten werden, sie mußte den Fortschritt dieser kaum entstehenden Liebe hemmen.

Hier durchzuckte ein furchtbarer Gedanke den Geist von Nanon, ein Gedanke, der die arme Frau beinahe niederschmetterte.

Wenn diesen Zusammentreffen von Canolles und dem kleinen Edelmann ein Rendezvous wäre!

Aber nein, sie war toll, denn der junge Edelmann wartete auf einen Herrn mit einem Schnurrbart. Er benahm sich auf eine unhöfliche Weise gegen Canolles, und Canolles selbst erkannte das Geschlecht den Unbekannten vielleicht nur an dem zufällig von ihm aufgefundenen kleinen Handschuhe.

Gleichviel man mußte Canolles in den Weg treten.

Sich mit ihrer ganzen Energie bewaffnend, kehrte sie zu dem Herzog zurück, der Biscarros, mit Complimenten und Empfehlungen überladen, so eben entlassen hatte.

»Welch ein Unglück, Monseigneur,« sagte sie, »daß die Unbesonnenheit des närrischen Canolles ihn einer Ehre beraubt, wie Ihr sie ihm angedeihen lassen wolltet. Dem Gegenwärtigen war seine Zukunft gesichert, der Abwesende verliert sie vielleicht ganz und gar.«

»Doch wenn wir ihn wiederfinden?« sagte der Herzog.

»Oh! es ist keine Gefahr,« erwiederte Nanon, »handelt es sich um eine Frau, so ist er nicht zurückgekehrt!«

»Was ist zu thun, mein Herzchen?« sprach Herr von Epernon. »Die Jugend ist das Alter des Vergnügens; er ist jung und belustigt sich.«

»Aber ich,« versetzte Nanon, »ich, die ich vernünftiger bin, als er, wäre der Meinung, man sollte diese unzeitige Freude ein wenig stören.«

»Ah, zänkische Schwester!« rief der Herzog.

»Er wird mir vielleicht im Augenblick grollen,« fuhr Nanon fort, »aber sicherlich später Dank wissen.«

»Nun, so laßt hören, habt Ihr einen Plan? Mir ist es ganz lieb, wenn Ihr einen habt, so nehme ich ihn an.«

»Allerdings.«

»So sprecht.«

»Wolltet Ihr ihn nicht zur Königin schicken, um eine dringende Nachricht zu überbringen?«

»Wohl, aber wenn er noch nicht zurückgekommen ist?«

»Laßt ihm nachsetzen, und da er sich auf der Straße nach Paris befindet, so ist immerhin so viel Weg zurückgelegt.«

»Ihr habt bei Gott Recht.«

»Beauftragt mich hiermit, und Canolles hat den Befehl schon an diesem Abend oder spätestens morgen, dafür stehe ich Euch.«

»Aber wen werdet Ihr schicken?«

»Braucht Ihr Courtauvaux?«

»Ich durchaus nicht.«

»Gebt ihn mir, und ich schicke ihn mit meinen Instruktionen ab.«

»Oh, der diplomatische Kopf! Ihr werdet es weit bringen, Nanon.«

»Dürfte ich ewig meine Erziehung unter einem so guten Herrn machen,« sprach Nanon, »mehr begehre ich nicht.«

Und sie schlang ihren Arm um den Hals des alten Herzogs, der vor Freuden bebte.

»Was für einen köstlichen Scherz bereiten wir unserem Seladon,« sagte sie.

»Das wird reizend zu erzählen sein, meine Liebe.«

»In der That, ich möchte ihm gerne selbst nachlaufen; um das Gesicht zu sehen, das er dem Boten machen wird.«

»Leider, oder vielmehr glücklicher Weise ist das möglich, und Ihr seid genöthigt, bei mir zu bleiben.«

»Ja, aber wir wollen keine Zeit verlieren. Schreibt Euren Befehl, Herzog, und stellt Courtauvaux zu meiner Verfügung.«

»Der Herzog nahm eine Feder und schrieb auf ein Stück Papier nur die zwei Worte:

»Bordeaux – Nein!«

Und er unterzeichnete.

Dann schrieb er auf diese lakonische Depeche die Adresse:

»An Ihre Majestät die Königin Anna von Oesterreich, Regentin von Frankreich.«

Nanon aber schrieb zwei Zeilen, die sie dem Papiere beifügte, nachdem sie dieselben dem Herzog gezeigt hatte.

Diese zwei Zeilen lauteten:

»Mein lieber Baron, beifolgende Depeche ist, wie Ihr seht, für Ihre Majestät die Königin bestimmt. Bei Eurem Leben überbringt sie auf der Stelle. Eo handelt sich um das Wohl des Königreiches.

Eure gute Schwester Nanon.«

Nanon hatte kaum dieses Billet vollendet, als man das Geräusch eiliger Schritte unten an der Treppe vernahm, und Courtauvaux öffnete, rasch heraufsteigend, die Thüre mit dem freudigen Gesichte eines Menschen, welcher eine Nachricht bringt, von der er weiß, daß sie ungeduldig erwartet wird.

»Hier ist Herr von Canolles, welchen ich nur hundert Schritte von diesem Hause getroffen habe,« sagte der Piqueur.

Der Herzog stieß einen Ausruf wohlgefälligen Erstaunens aus. Nanon erbleichte murmelte: »Es steht also geschrieben, daß ich ihn nicht vermeiden soll,« und lief nach der Thüre.

In diesem Augenblick erschien auf der Schwelle eine neue Person, gekleidet in ein prachtvollen Gewand, ihren Hut in der Hand haltend und auf das Anmuthigste lächelnd.

Der Frauenkrieg

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