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Der Klimastreit

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Auch im globalen Klimastreit ist wissenschaftliche Expertise Trumpf. In dem nun schon Jahrzehnte andauernden Gerangel um eine verantwortliche Klimapolitik wird vor allem über Wissensfragen gestritten: Ist die globale Erwärmung eine Folge industriegesellschaftlicher Lebensformen oder nur ein Ausdruck natürlicher und für die Erdatmosphäre typischer Klimaschwankungen? Wie hoch ist das Ausmaß der Erwärmung und welche Folgen sind erwartbar? Uneinigkeit besteht hier – anders als in Wertekonflikten – nicht über die normative Bewertung dieser Folgen. Dass eine globale Erwärmung von drei oder vier Grad Celsius für einen Großteil der Weltbevölkerung katastrophale Folgen hätte und dass Überflutungen und Verwüstungen weiter Landstriche gleichbedeutend sind mit Leid und Unglück, das ist unumstritten. Im Vordergrund des Streits steht deshalb die Frage nach der Haltbarkeit wissenschaftlicher Prognosen über die Eintrittswahrscheinlichkeit der allgemein als negativ bewerteten Ereignisse. Es wird um die Zuverlässigkeit von Risikoeinschätzungen, Sicherheitsbehauptungen und Zukunftsszenarien gerungen – und damit letztlich um Wahrheitsansprüche.

Expertenkonsens erhält in diesen Auseinandersetzungen eine zentrale Bedeutung. Schließlich gilt der Expertenkonsens den Konfliktparteien als Ersatz für die absolute Wahrheit, nach der sich die Politik zu richten habe. So investieren beide Seiten viel Energie in den Nachweis, dass ein Expertenkonsens (nicht) existiert. Die Republikaner in den USA haben verschiedentlich dafür argumentiert, dass man mit politischen Maßnahmen abwarten müsse, weil es in Sachen Klimaerwärmung keinen (absoluten) Expertenkonsens gebe. So erklärte beispielsweise Scott Pruitt, von Trump ernannter Leiter der US-Umweltschutzbehörde: »Wissenschaftler sind sich nach wie vor uneins über den Grad und das Ausmaß der globalen Erwärmung und ihren Zusammenhang mit dem Handeln der Menschheit.«11

Alle Umweltbewegten inner- und außerhalb der USA bringt das natürlich auf die Palme. Ihre Gegenmaßnahme besteht darin, die Öffentlichkeit über die Robustheit des Expertenkonsenses aufzuklären. Die Leute sollen verstehen lernen, wie es um das Klima wirklich steht und warum radikale politische Schritte notwendig sind, um das Klima zu retten. Kurz: Aufklärung über den real existierenden Expertenkonsens gilt als der beste Weg, um die Zustimmung der Bevölkerung zu einer progressiveren Klimapolitik zu organisieren.

In der Klimaforschung hat sich darum mittlerweile ein Forschungszweig etabliert, den man empirische Konsensforschung nennen könnte. Das Ziel dieser Forschung besteht darin, das Ausmaß des Expertenkonsenses in der Frage des anthropogenen Klimawandels in Zahlen darzustellen. Startpunkt dieser quantitativen Konsensforschung war Naomi Oreskes’ Science-Publikation aus dem Jahr 2004. Mittlerweile hat eine Veröffentlichung von John Cook und Kollegen Referenzcharakter: Die beziffert das Ausmaß des Expertenkonsenses zur Frage des Klimawandels auf 97 Prozent. Das heißt, 97 Prozent aller hochrangig begutachteten Artikel aus der Klimawissenschaft, die eine Position zur globalen Frage des Klimawandels einnehmen, geben explizit oder implizit zum Ausdruck, dass dieser menschengemacht ist. Empirische Basis liefert die Auswertung von knapp 12 000 Abstracts im Zeitraum von 1991 bis 2011, wobei über 4 000 Abstracts konkret zu diesem Thema Stellung nehmen.12

Die Gegenseite lässt natürlich nicht locker und fragt: Welcher Expertenbegriff liegt der repräsentativen Stichprobe zugrunde? Sind nur jene Forscher berücksichtigt, die aktiv in hochrangigen Zeitschriften publizieren, oder auch andere? Wie werden narrative Aussagen zum Klimawandel aus den Kurzzusammenfassungen der Artikel in die Ja-/Nein-Logik der Forschungsfrage überführt? Wie lassen sich Autoren interpretieren, die gar nicht explizit zum Klimawandel Stellung nehmen? Versteckt sich dahinter Skepsis oder verrät schon deren Problemstellung eine positive Identifikation mit der Klimawandelthese? Richard Tol zum Beispiel, Klimaökonom und zeitweiliges Mitglied des Weltklimarats (IPCC), bewertet in seiner Metaanalyse der empirischen Konsensstudien eine ausbleibende Positionierung zum Klimawandel als Nicht-Zustimmung zur Klimawandelthese und rechnet damit das Ausmaß des Konsenses auf rund 30 Prozent herunter.13

So geht der Streit hin und her und verliert sich recht bald in methodologischen Streitigkeiten. Am Ende bestätigt sich eine alte Annahme der Wissenschaftsforschung: Mehr Forschung führt zu einer Differenzierung des Problems, erzeugt also mehr Nachfragen und damit am Ende mehr Unsicherheit – und damit auch mehr Konflikte, die man mit Hilfe der Konsenspolitik ja eigentlich beenden wollte. Und einige lachen sich ins Fäustchen.

Epistemische Konsenspolitik ist von der Überzeugung getragen, dass Expertenwissen die einzig zu(ver)lässige Grundlage für rationale, fortschrittliche Politik ist – als ob bereits dann alles gesagt sei, wenn die Wissenschaft gesprochen hat.

In ihrer Kritik der Planungseuphorie hat die Soziologie in den 1960er Jahren dieses Modell schon einmal scharf angegriffen. Damals grassierte die Angst, dass es keinen Raum mehr für Widerspruch und Alternativen geben würde, wenn allein die Experten der Politik den Weg weisen. Heute erscheint genau dies – unter veränderten normativen Vorzeichen – als ein aufklärerisches Projekt. Was viele Klimafreunde und Konsenspolitiker heute feiern und fordern, ist gewissermaßen die Expertokratie in Grün.

Im historischen Rückblick sind es eher überraschende oder geradezu traumatisierende Ereignisse, die eine umweltpolitische Wende in die Wege leiteten, und nicht demonstrativer Expertenkonsens. So spielte der Super-GAU im japanischen Fukushima für den deutschen Atomausstieg eine zentrale Rolle (nachdem die damalige Kanzlerin Angela Merkel erst kurz zuvor den von der rot-grünen Vorgängerregierung durchgesetzten Ausstieg zurückgenommen hatte, also in allerkürzester Zeit eine verblüffende Kehrtwende vorgenommen hatte). Für die Verabschiedung des Montreal-Protokolls, eines internationalen Abkommens über das Verbot von Fluorkohlenwasserstoffen, war die überraschende Entdeckung des Ozonloches über der Antarktis entscheidend.14

Natürlich: Eine vernünftige und verantwortungsbewusste Klimapolitik ist nur auf Basis umfassender wissenschaftlicher Expertise möglich. Doch selbst dann, wenn die Klimaforschung in der Lage wäre, vollkommen präzise, eindeutige und unumstrittene Informationen zu liefern, etwa über das Ausmaß der globalen Erwärmung und ihre Folgen, könnte man rein theoretisch die einer aktiven Klimapolitik zugrunde liegenden Nachhaltigkeitsziele immer noch in Frage stellen. Im Alltag stellen wir oft genug die individuelle Mobilität über den Klimaschutz.

Auf Grund des hohen Verwissenschaftlichungsdrucks stehen im Klimastreit freilich nicht Wert-, sondern Wissensfragen im Vordergrund.15 Protest gegen ambitionierte Klimapolitik äußert sich folglich in Form alternativer Expertise, die oft auf Halbwissen oder Verschwörungstheorien basiert. So führt die weitgehende Abstraktion von Wertefragen nicht zu der erhofften Rationalisierung des Klimastreits oder gar zu einer besseren Klimapolitik, sondern zu endlosem Gezänk.

Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet

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