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2. Corona, Klima & Co: Streit ums bessere Wissen

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Auch das ist Wissensgesellschaft: Politische Streitfragen bekommen heute immer stärker epistemischen Charakter, werden zu Wissenskonflikten. In den Mittelpunkt tritt die Frage, wer das bessere Wissen hat. Das geschieht zum einen deshalb, weil Risiken und nicht-intendierte Nebenfolgen in den Blick geraten, weil Finanzierbarkeit, Nachhaltigkeit und zukünftige Generationen berücksichtigt werden müssen. Oder auch nur: weil die Komplexität des Problems sich nicht mehr ausblenden lässt, weil das Problem sich nicht mehr so einfach in eine relativ übersichtliche politische Interessen- oder Verteilungsfrage übertragen lässt.

Viele aktuelle Konflikte, etwa um Pestizide und Dieselfahrverbote, um die Gefahren der 5G-Technologie und der grünen Gentechnik, um die Risiken der globalen Erwärmung oder den Nutzen einer allgemeinen Impfpflicht, konzentrieren sich auf Wissensfragen wie etwa: Wie hoch ist das Risiko? Welche Gefahren bestehen für Mensch und Umwelt tatsächlich? Welcher Grenzwert ist legitim? Die zentrale Ressource in diesen Kontroversen stellt Expertenwissen dar. Entschieden werden diese Konflikte, so die allgemeine Erwartung, auf der Grundlage des besseren Wissens.

Die Kontrahenten in diesen Auseinandersetzungen trennt vieles, doch eine zentrale Überzeugung teilen sie, dass nämlich diese Konflikte nur durch wissenschaftliche Expertise, also durch die Macht der Zahlen und Fakten entschieden werden können. Vielfach lautet die Erwartung: Sofern ein weitreichender Expertenkonsens in diesen Risiko- und Umweltfragen existiert, ist die Politik gehalten, die wissenschaftlich empfohlenen Maßnahmen durchzusetzen. Die Rahmung von Konflikten als Wissenskonflikte verspricht eine Rationalisierung des Streits, an dessen Ende auch noch die Verlierer als Gewinner vom Platz gehen werden, weil sie vermittels ihrer Widerrede zum allgemeinen Wissensfortschritt beigetragen und selbst etwas dazugelernt haben: Ende gut, alles gut.

In Wissenskonflikten droht eine weitgehende Abstraktion von der Werteebene – doch oft genug provoziert diese Abstraktion selbst keinen Konflikt. Wenn sich beispielsweise ein bereits zugelassenes Medikament als gesundheitsgefährdend erweist, dann wird es verboten (wie in dem bekannten Fall des gefährlichen Schmerzmittels Vioxx). Die allgemeine Wertschätzung für die Gesundheit kaschiert in diesem Fall die Tatsache, dass die politische Entscheidung durch das sachhaltige Expertenurteil vorweggenommen wurde. Problematisch wird diese enge Kopplung zwischen Wissens- und Werteebene erst dann, wenn rivalisierende Werte im Spiel sind. Denn ein Wertedissens führt im Rahmen dieser Wissenskonflikte zu endlosen Kontroversen um die richtigen Zahlen bzw. um die richtige Interpretation der vorliegenden Zahlen. Wertstandpunkte und divergierende Weltbilder werden nicht mehr explizit gemacht, weil das methodisch kontrollierte, gesicherte Wissen als unübertreffbar überlegene Ressource der Legitimation gilt. Dahinter steht der Glaube, dass ein direkter Weg von der Evidenz zur richtigen Politik führt. Welche Probleme dieser Wissensglaube macht, lässt sich anhand einer Reihe aktueller Krisen und Konflikte zeigen.

Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet

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