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Das Problem

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Angesichts der gesteigerten Sichtbarkeit von Verschwörungstheorien und Faktenleugnern, angesichts des globalen Aufstiegs von Rechtspopulismus und Fake-News-Kultur liegt es nahe, zum Schutz der Demokratie verstärkt auf Wissen und Aufklärung zu setzen.

Daran ist zunächst einmal nichts falsch: Eine besonnen geführte Debatte über Zuwanderung und ihre Folgen ist nur auf der Grundlage belastbarer Daten und Fakten möglich. Eine kluge Umweltpolitik kann nur auf gesichertem Wissen darüber basieren, wie es um die globale Erwärmung wirklich steht. Über Chancen und Risiken der Digitalisierung klärt die Technikfolgenabschätzung auf. In mancher Hinsicht jedoch – und davon handeln die folgenden Kapitel – hat das Vertrauen in die Macht des Wissens selbst demokratiepolitisch zweifelhafte Folgen.

Der Essay setzt bei der Beobachtung an, dass die Demokratie in Krisensituationen gerne auf die Macht des Wissens vertraut. So werden viele politische Krisen und Konflikte primär als epistemische Probleme verstanden, also als Fragen von Wissen, Expertise und Kompetenz.

Damit treten an die Stelle des die Industriegesellschaft prägenden Basiskonflikts zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern immer mehr die Konflikte zwischen Experten, Gegenexperten und informierten Laien. Beispielhaft dafür steht der Klimastreit. Mit dem Fokus auf Wissen und Expertise drohen jedoch normative Aspekte aus dem Blick zu geraten (Kapitel 2).

Auch wenn die Demokratie selbst unter Druck gerät, hofft man auf die heilsame Kraft des Wissens. Denn als treibende Kraft politisch unliebsamer Entwicklungen (Populismus, Autoritarismus) gelten oft mangelnde Bildung und unzureichende Informiertheit. Mit dem Fokus auf die kognitive Ebene verbindet sich die kühne Unterstellung, dass sich hinter politischen Streitfragen eigentlich nur Sachfragen verstecken, für die es dank einschlägiger Expertise richtige Lösungen gibt (Kapitel 3).

Streit gehört zur Demokratie, aber die Demokratie bleibt nur dann lebendig, wenn man mehr Demokratie wagt. Doch auch dieses Projekt steht heute unter dem Leitstern des Wissens. Radikale Ansätze, die die Demokratisierung der Demokratie auf der Wissensebene in Angriff nehmen, geraten allerdings in die fatale Nähe eines epistemischen Populismus (Kapitel 4).

Der allgemeine Glaube an die Allmacht des Wissens beflügelt eine generelle Abneigung gegen die Experten. Der Kampf gegen den typisch expertenhaften Anspruch auf besseres Wissen gilt darum auf allen Seiten des politischen Spektrums als Ausdruck echter Demokratisierung (Kapitel 5).

Dieser Kampf wird heute von Gruppen fortgesetzt, die gegen gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft und etabliertes Wissen aufbegehren. Auf diese Weise macht die breite Bewegung der Klimawandel-, Evolutions- oder Coronaleugner auf den hohen Verwissenschaftlichungsgrad vieler politischer Kontroversen aufmerksam. Wer nicht willens oder fähig ist, seinen Standpunkt mittels Expertenwissen abzusichern, greift auf »alternative« Fakten zurück und mobilisiert Pseudoexpertise (Kapitel 6).

In Summe wird eine Tendenz deutlich, die man mit etwas Mut zum Soziologendeutsch als »Epistemokratie« bezeichnen kann. Diese Herrschaft ist von dem Glauben daran getragen, dass viele politische Probleme erst dann richtig formuliert und überzeugend lösbar sind, wenn wir sie als Wissensprobleme verstehen. Die unerschütterliche Konzentration auf das Wissen rückt aus dem Blick, was politische Probleme eigentlich ausmacht und gesellschaftliche Konflikte anheizt: divergierende Werte, Interessen und Weltbilder (Kapitel 7).

Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet

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