Читать книгу Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet - Alexander Bogner - Страница 5

Die Feier der epistemischen Tugenden

Оглавление

Die gesellschaftliche Wertschätzung des Wissens zeigt sich nicht nur in Politik, Wirtschaft oder im Bildungsbereich, sondern auch und gerade in der Populärkultur. Ein schönes Beispiel dafür ist die unglaubliche Karriere des Krimis. Kein Abend, an dem kein Krimi im Fernsehen läuft.

Krimis spiegeln unsere Freude an eindeutigem Wissen: Sie verschaffen uns die Gewissheit, dass die Realität aller Komplexität zum Trotz durchschaubar ist, weil wir eine Geschichte in rationale Elemente aufteilen und von Anfang bis Ende ausgerichtet auf eine eindeutige Lösung hin erzählen können. Zweifellos: Der klassische Kriminalroman ist ein Fest der epistemischen Tugenden. Scharfsinn, Logik, Vorurteilsfreiheit, gründliche Skepsis und wache Beobachtungsgabe, hochentwickelte Kombinatorik sowie ein von großer Sorgfalt geprägtes, manchmal übergenau erscheinendes Vorgehen führen in diesem Genre letztlich zum Erfolg, nämlich zur rationalen Erkenntnis aller Zusammenhänge. So gleicht die erfolgreiche Kommissarin einer soliden Wissenschaftlerin: In der unablässigen Prüfung kleinster Details und (vermeintlicher) Indizien bleibt sie immer kritisch, vor allem sich selbst gegenüber. Seit Edgar Allan Poes »Doppelmord in der Rue Morgue« ist der Ermittelnde mit besonderen, für sein Umfeld geradezu erschreckenden Fähigkeiten zur Deduktion ausgestattet: Sherlock Holmes konnte aus einem abgenutzten Schuh die Lebensgeschichte des Trägers des Schuhes ableiten. Das geht bis heute so: Lee Childs Held Jack Reacher kann aus minimalen Anzeichen die wahre Geschichte herauskristallisieren.

Besonders fasziniert die Figur des Profilers: Anscheinend unzusammenhängende Morde zwingt er in eine Serie, sagt kommende Taten voraus, identifiziert den von allen anderen übersehenen Verdächtigen. Val McDermids Tony Hill versteht die Serientäterinnen und -täter besser als diese sich selbst. Paradigmatisches Beispiel ist Hannibal Lecter aus Jonathan Demmes Film Das Schweigen der Lämmer (nach dem Roman von Thomas Harris), der als ehemaliger Psychotherapeut das Ganze als Spiel mit der FBI-Agentin Starling inszeniert.3 Und natürlich wollen auch Psychotherapeuten dies: Obwohl unsere Leben alles andere als monokausal geleitet zu einem eindeutigen Ende streben, versucht die Therapie meist, genau eine solche geordnete Geschichte zu entwerfen, die der Proband sich dann selbstvergewissernd erzählen kann. Die eigene Lebensgeschichte bis ins Detail ausleuchten, um deren innere Logik zu enträtseln – der Reiz dieser Detektivarbeit trägt seinen Teil zum Boom des Psycho- und Selbsterfahrungsmarktes bei.

Die Grundlage allen Tüftelns und Recherchierens besteht im festen Glauben daran, dass die Welt ein in sich geschlossener, logischer Kausalzusammenhang ist. Es ist, wie Max Weber es formuliert hat, der »Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, […] alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne«.4

Oder nehmen wir die Liebe: Daten, objektive Informationen und intelligente Algorithmen verhelfen zur perfekten Beziehung, so lautet heute das Credo. Im Zeitalter der Online-Partnerbörsen lebt die Vorstellung, dass der passende Partner bzw. die richtige Partnerin irgendwo da draußen existiert und mittels eines Abgleiches detaillierter Persönlichkeitsprofile nur ermittelt werden muss. Ein schöner Traum: Mühselige Beziehungsarbeit nach dem Kennenlernen wird durch intelligentes Informationsmanagement vorher ersetzt. Aufregendes Flirten und Daten ersetzen die Paartherapie. Die kognitiven Kenntnisse über den anderen gehen den Emotionen voraus und sollen der Romantik ein stabileres Fundament verleihen.5 Auch wenn das Ideal romantischer Liebe weiterhin zu gelten scheint, so hat sich doch etwas Wesentliches verändert. Wir glauben nämlich nicht mehr daran, dass das Schicksal zuschlägt, wenn uns Amors Pfeil trifft; wir glauben vielmehr, dass man diesen Glückszustand mittels psychologischer Berechnung gezielt und systematisch herbeiführen kann. Zum Dauerzustand wird dieses Glück also erst dann, wenn wir auf ausgefeilte Matching-Technik vertrauen, und das bedeutet: auf besseres Wissen.

Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet

Подняться наверх