Читать книгу Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen - Alexander Grieger - Страница 15

B. Der Grundsatz der Totalreparation nach BGB und CISG

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§§ 249ff. BGB stellen nicht die Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch an sich dar, sondern regeln vielmehr, wie der zu ersetzende Schaden zu ermitteln ist. Nach den in § 249 BGB verankerten Grundsätzen ist der Geschädigte so zu stellen, wie wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (sog. Differenzhypothese nach Mommsen)76. Grundlage dieser Überlegung ist es, dass alle entstandenen Nachteile in Form eines Ausgleichs zu ersetzten sind (sog. Totalreparation77), welche äquivalent kausal, d.h. auf Basis der conditio-sine-qua-non-Formel, zugerechnet werden können78. Eine (begrenzende) wirtschaftliche Relation zwischen Auftragswert und maximal zu tragendem Schaden ist nicht anerkannt79. Auch nur durch leichteste Fahrlässigkeit verursachte Schäden, welche die persönliche Leistungsfähigkeit des Schädigers übersteigen, erfahren keine Privilegierung und auch eine Unterscheidung nach der Vorhersehbarkeit eines Schadens findet nicht statt80. Die früher gängige Haftungsbefreiung für entgangenen Gewinn bei leichter Fahrlässigkeit ist bereits seit der Durchsetzung der 1855 vorgestellten Differenzhypothese passe81. Die Unterscheidung zwischen direkten Schäden und Folgeschäden spielt demnach im Bereich des deutschen Schadensersatzrechtes keine Rolle, nachdem beiden Schadensarten nach den gleichen Kriterien zu ersetzen sind82. Auch im Bereich der AGB-Kontrolle hat sich der Gesetzgeber auf Grund der schwierigen praktischen Unterscheidbarkeit sowie der regelmäßig schwereren Belastung durch den mittelbaren als den unmittelbaren Schaden bewusst gegen eine Differenzierung entschieden83.

Das Interesse des Geschädigten an der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes gilt als einheitlicher Ausgangspunkt der Schadensermittlung84. Ein darüber hinaus gehender Strafschadensersatz (punitive damages), wie er z.B. nach dem anglo-amerikanischen Rechtsverständnis fällig werden kann, ist dem derzeitigen deutschen Rechtsverständnis mit gewissen Einschränkungen fremd85. Neben einer Ausgleichsfunktion stehen dort die Straf- sowie Präventionsfunktion bei der Rechtfertigung von Schadensersatz im Vordergrund86.

Auch nach Art. 74 CISG, welcher als Teil des deutschen Rechts bei fehlendem explizitem Ausschluss bei nicht privat tätig werdenden Vertragspartnern mit Niederlassungen in verschiedenen Staaten unmittelbar zur Anwendung kommen kann, gilt hier nichts anderes87. Zwar sieht Art. 74 S. 2 CISG eine Beschränkung auf den vorhersehbaren Schaden vor („als mögliche Folge der Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder unter Berücksichtigung der Umstände, die sie kannte oder kennen musste, hätte voraussehen müssen“), was durch den dabei unterstellten verstärkten Informationsaustausch aus rechtsökonomischer Sicht entweder verstärkte Schadensminimierungsbestrebungen oder zumindest Einpreisung der Risiken (auch über Versicherungslösungen) erwarten lassen könne88. Bei den für den deutschen Export typischen Produkten, welche in komplexe Wertschöpfungsketten (z.B. im Maschinen- und Anlagenbau, Automobilbau, chemische Industrie) eingebracht werden, sind weit reichende Haftungsrisiken bereits vor Vertragsabschluss ohne Weiteres deutlich vorhersehbar, weshalb dies kein ausreichendes Unterscheidungskriterium ist89. Dies wird für einen Lieferanten häufig dadurch subjektiv ersichtlich, dass sein Liefer- und Leistungsumfang mittels einer Vielzahl definierter technischer Schnittstellen/Spezifikationen zur Gesamtanlage bestimmt wird und zumindest objektiv die zu erwartenden Schäden aus der typischen Benutzung des Liefer- und Leistungsumfangs erwartbar sind90. Die Gesamtanlage und die möglichen Auswirkungen eines Ausfalls seines Liefer- und Leistungsumfangs sind somit zumeist ausreichend klar umrissen, Einschränkungen im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit von entgangenem Gewinn oder Betriebsausfallschäden nicht ersichtlich91. Die Rechtsprechung bejaht deshalb in aller Regel die Haftung auch für Folgeschäden wie entgangenem Gewinn92.

Dieser Grundsatz der unbeschränkten Haftung ist, wie nachfolgend im rechtsvergleichenden Teil dieser Arbeit dargestellt wird, nicht unüblich. Allerdings darf trotz der beispielhaft näher dargestellten Rechtsordnungen nicht ausgeblendet werden, dass sehr wohl Rechtsordnungen existieren, deren Vertragsrecht die Haftung für Folgeschäden bereits per se nicht vorsieht. So beschränkt z.B. das indische Vertragsrecht (Section 73, Indian Contract Law) Schadensersatzansprüche auf direkte und vorhersehbare Schäden und schließt indirekte Folgeschäden explizit aus93.

76 MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 18; STAUDINGER-249ff.-Schiemann, § 249 Rn. 4ff.; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 6. Zur historischen Entwicklung des Schadensrechts vgl. STAUDINGER-249ff.-Schiemann, Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 23–25. 77 NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 30; STAUDINGER-249ff.-Schiemann, § 249 Rn. 2; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 8. 78 PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 25; MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 8 u 98; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 64. 79 Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 438. Beispielhaft: Relation Auftragswert zu Folgeschaden im Rahmen des Schwimmschalter-Falles (BGHZ 67, 359ff.) bei einem Preis von 5 DM in Relation zu mehr als 70 TDM Schaden: ca. 1:14.200. Weiteres Beispiel: Relation ca. 1:9 (Auftragswert für eine Teil-EDV-Klimatisierung 15 TDM (nt.) in Relation zum durch austretendes Wasser im Serverraum verursachten Mangelfolgeschaden i.H.v. 136 TDM) in BGH, Urt. v. 20.12.1984 – VII ZR 340/83. 80 PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 3; zur historischen Überwindung der Schadensverantwortlichkeit auf Basis anderer Kriterien (wie z.B. Verschuldensgrad), vgl. STAUDINGER-249ff.-Schiemann, § 249 Rn. 2; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 8. 81 STAUDINGER-249ff.-Schiemann, Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 25; ders., § 252 Rn. 6. 82 MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 99; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 21. 83 BT-Drs. 7/3919, S. 31/32. 84 STAUDINGER-249ff.-Schiemann, Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 25. 85 MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 8; PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 2; STAUDINGER-249ff.-Schiemann, Vorbem zu §§ 249 Rn. 104. 86 Koller, ZIP 1986, S. 1089ff. (1090ff.). 87 MüKo/BGB/CISG-Huber P., CISG Art. 74 Rn. 15ff.; BAMBERGER/ROTH-Saenger, CISG Art. 74 Rn. 2, 7f.; Eckert/Maifeld/Matthiessen, Handbuch des Kaufrechts, Rn. 1106, 1109, 1111; Podehl, DB 2005, S. 2453ff. (2453). 88 M. w.V., insgesamt aber kritisch gegenüberstehend: MüKo/BGB/CISG-Huber P., CISG Art. 74 Rn. 2. 89 BGH, NJW 1985, S. 3016ff. (3018). So auch Langer, WM 2006, S. 1233ff. (1235/1236); Ostendorf, ZGS 2006, S. 222ff. (225); Verweyen/Foerster/Toufar, Handbuch des internationalen Warenkaufs, S. 172; AnwK AGB-Recht/Bornhofen Rn. 956. I. E. wegen konkreter Erkennbarkeit ebenfalls bejahend: BeckOK/BGB-Saenger, CISG Art. 74 Rn. 12. A.A. und bei Betriebsausfallschäden auf den jeweiligen Einzelfall abstellend: SCHLECHTRIEM/SCHWENZER/SCHROETER-Schwenzer, Art. 74 Rn. 55. 90 Zu den Beweisproblemen subjektiver Vorhersehbarkeit und der geringen Hürde objektiver Erwartbarkeit vgl. MüKo/BGB/CISG-Huber P., CISG Art. 74 Rn. 30ff.. Nur auf den objektiven Maßstab abstellend: Eckert/Maifeld/Matthiessen, Handbuch des Kaufrechts, Rn. 1112. Allgemein zum Erfordernis der Vorhersehbarkeit: HANDBUCH IWR-Benicke, Teil B. Rz. 380–382. 91 INTERNATIONALES VERTRAGSRECHT-Saenger, CISG Art. 74 Rn. 7; Eckert/Maifeld/Matthiessen, Handbuch des Kaufrechts, Rn. 1107f.; MüKo/BGB/CISG-Huber P., CISG Art. 74 Rn. 36; in Bezug auf den Betriebsausfallschaden so i.E. auch MüKo/BGB/CISG-Huber P., CISG Art. 74 Rn. 40. A.A. (nur bei explizitem Hinweis auf Betriebsausfallschaden): BAMBERGER/ROTH-Saenger, CISG Art. 74 Rn. 12. 92 OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 20.11.2012 – 5 U 129/11, Rn. 103 (bestätigend bezüglich „Folgeschäden (consequential loss [...] und zwar in Gestalt einer Gewinnchance“); OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.02.2016 – 1 U 192/14, abrufbar unter cisg-online 2740, Ziffer II.6.a; OLG Koblenz, Urt. v. 10.09.2013 – 3 U 223/13, abrufbar unter cisg-online 2472, Ziffer II.1.b.cc. 93 Tulsian, Business Law, Kapitel 10.5; Meena, Textbook on Law of Contract, S. 298; Kuchhal, Business Law, S. 288.

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