Читать книгу Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen - Alexander Grieger - Страница 18

E. Bewertung aus Sicht der Wirtschaft

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Aus der Weite des Schadensbegriffes ergibt sich somit das Risiko, dass der entstandene Schaden in unangemessener Relation zum Wert der erbrachten Lieferung bzw. Leistung steht. Insbesondere auch aufgrund der Komplexität von Wertschöpfungsketten können Schäden schnell ein Vielfaches des Lieferwertes erreichen. Existenzgefährdende Risiken sind an der Tagesordnung.

Deutsche Kapitalgesellschaften sind bereits gesetzlich verpflichtet, geeignete Risikomanagementsysteme einzuführen, um existenzgefährdende Risiken aufzudecken und zu minimieren, wozu nach Graf von Westphalen auch die individuelle Vereinbarung von Haftungshöchstgrenzen zählen soll111. Wegen der bereits beschriebenen fehlenden Versicherbarkeit mancher Schäden, verbleibenden Höchstdeckungssummen und Mindestselbstbehalten müsse das Unternehmen auf vertragliche Mittel zur Haftungsbegrenzung zurückgreifen. Dieser interessante Ansatz ist argumentatorisch nachvollziehbar, bildet aber in dieser detaillierten Vorgabe aber derzeit (noch) nicht den Stand der Rechtsprechung und Literatur ab, nachdem in Bezug auf die genaue Ausgestaltung eines angemessenen Risikomanagementsystem ein weiter Beurteilungsspielraum zu Gunsten der Geschäftsführung besteht112. Zudem wird unterschlagen, dass sich die Sorgfaltspflichten (sofern es denn nicht um Legalitätspflichten geht), stets innerhalb eines großen, der gerichtlichen Prüfung entzogenen Bewertungsspielraums (sog. Business Judgement Rule) bewegen113. So ist auch der Abschluss eines Geschäfts mit existenzgefährdenden Risiken nicht per se eine Pflichtverletzung im Sinne von § 43 Abs. 2 GmbH, selbst wenn sich diese Risiken später realisieren114. Zudem ist die Kausalkette zu berücksichtigen, wonach nicht der Vertragsabschluss ohne angemessene Haftungsbeschränkung die Existenz gefährdet, sondern z.B. ein hiernach eintretender Gewährleistungsfall mit entsprechenden Folgeschäden. Hat sich der Geschäftsführer im Rahmen der Business Judgement Rule und somit auf Basis angemessener Informationen und nach vorheriger Sachprüfung (wie z.B. Schadensträchtigkeit der in Frage stehenden Produkte, Bekanntheit des Verwendungszwecks, erfahrenes Personal, Risikoneigung der Gesellschafter115) für den Abschluss eines Vertrages entschlossen, so kann ihm hieraus kein Vorwurf gemacht werden116. Zu berücksichtigen sind neben dem Schadensrisiko an sich stets auch die damit verfolgten Zielsetzungen (wie z.B. Erhalt der Arbeitsplätze), wobei eine Grenze erst dann erreicht ist, wenn keine vernünftigen Gründe für die Eingehung des gegebenenfalls auch existenzgefährdenden Risikos vorliegen117. Zuletzt ist auch anzumerken, dass der Geschäftsführer bei fehlenden vertraglichen Haftungsbeschränkungen nur dem Leitbild des BGB und dem darin vorgegebenen Prinzip der unbeschränkten Haftung folgt, was kaum als Pflichtverletzung interpretiert werden dürfte. Wenngleich also eine Bezugnahme auf § 43 GmbHG kein geeignetes Mittel sein mag, um juristische Handlungspflichten abzuleiten, ist es aus dem Blickwinkel des kaufmännischen Risikomanagements natürlich nachvollziehbar und empfehlenswert, angemessene vertragliche Haftungsbeschränkungen anzustreben118.

Problematisch wird es dann, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Haftungsbegrenzung in Lieferketten nicht einheitlich gehandhabt werden und diese mit der Verantwortlichkeit für den Schaden auseinander fallen: Entsteht beispielsweise innerhalb der Lieferkette von A über B nach C beim C ein Schaden, der von A verursacht wurde, und hat A gegenüber B (zulässige) vertragliche Haftungsbeschränkungen vereinbart, so befindet sich B in der Haftungsfalle gegenüber C (auch „Sandwichposition“119 genannt), da dieser wegen der vereinfachten vertraglichen Durchsetzung der Ansprüche seinen Schaden beim Vertragspartner B in unbegrenzter Höhe geltend machen wird120. Eine Exkulpationsmöglichkeit des B für den durch A verursachten Schaden kann infolge § 278 BGB – je nach Schadenstypus und abhängig vom Eigenverschulden des B – ausscheiden121. B kann folglich auf dem Schaden sitzen bleiben, ohne diesen selbst verursacht zu haben.

Nun könnte man argumentieren, dass eine unbegrenzte Haftung dem gesetzlichen Leitbild entspreche und somit Haftungsbeschränkungen an sich für unzulässig erklärt werden sollten. Allerdings bildet der Gedanke der Privatautonomie einen wesentlichen Baustein der deutschen Rechtsordnung und erlaubt, in gewissen Grenzen, vertragliche Risiken zu begrenzen. Dabei kann die Haftungsbeschränkung nicht nur vom Individuum, sondern explizit auch vom Gesetzgeber eingeräumt worden sein (vgl. nachfolgende Kapitel).

111 Ebenso, mit dem Hinweis, dass AGB-feste Klauseln wie eine Beschränkung auf den vertragstypischen vorhersehbaren Schaden bereits mangels rechnerischer Kalkulierbarkeit diesem Erfordernis nicht Genüge tun: Kessel, AnwBl 4/2012, S. 293ff. (293). Ansonsten eine Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG bejahend: Graf v. Westphalen, BB 2013, S. 67ff. (68, 69). Ebenfalls das Risiko des Vorwurfs von Sorgfaltspflichtverletzungen sehend: Leuschner, NJW 2016, S. 1222ff. (1223). Aus praxisorientierter Sicht verschiedener Anlagenbauer wie SIEMENS oder SMS Demag: Voight, Risikomanagement im Anlagenbau, S. 91, 138. 112 Zum Meinungsstand von Rechtsprechung und Literatur vgl. m.w.V.z.B. ULMER/HABERSACK/WINTER-Paefgen, § 43 Rn. 52ff.; MICHALSKI-Haas/Ziemons, § 43 Rn. 75c. 113 ULMER/HABERSACK/WINTER-Paefgen, § 43 Rn. 52; MüKo/GmbHG-Fleischer, § 43 Rn. 66; MICHALSKI-Haas/Ziemons, § 43 Rn. 68f.. 114 ULMER/HABERSACK/WINTER-Paefgen, § 43 Rn. 70f.; SCHOLZ-Schneider, § 43 Rn. 93; i.E. zustimmend, aber differenzierend: MüKo/GmbHG-Fleischer, § 43 Rn. 94f.; a.A. ROWEDDER/SCHMIDT-LEITHOFF-Koppensteiner/Gruber, § 43 Rn. 18. 115 Auf die Risikoneigung der Gesellschafter abstellend: MüKo/GmbHG-Fleischer, § 43 Rn. 75. 116 ULMER/HABERSACK/WINTER-Paefgen, § 43 Rn. 71. 117 SCHOLZ-Schneider, § 43 Rn. 94; MüKo/GmbHG-Fleischer, § 43 Rn. 94; MICHALSKI-Haas/Ziemons, § 43 Rn. 77b. 118 Statt vieler zur Üblichkeit von Haftungsbeschränkungsklauseln in AGBs im B2B-Geschäft: Niebling, Allgemeine Geschäftsbedingungen – Allgemeiner Teil/Grundlagen, S. 127; MÜNCHNER VERTRAGSHANDBUCH Bd. 2/I-Kratzsch, S. 384 (Rn. 63); zur praktischen Bedeutung des Risikomanagements und dessen Handhabung aus Sicht des Unternehmensjuristen: Hagel, SchiedsVZ 2011, S. 65ff. (65ff.); Lischek/Mahnken, ZIP 2007, S. 158ff. (158). 119 Schäfer, BB 2012, S. 1231ff. (1234). 120 Vereinfachend wirkt z.B. die vertragliche Verschuldensvermutung nach § 280 I S. 2 BGB im Vergleich zur Beweispflicht des Geschädigten für das Verschulden des vorgelagerten Unterlieferanten/Herstellers bei gesetzlichen Ansprüchen nach § 823 BGB. Daneben existieren auch praktische Erleichterungen, weil der Geschädigte davon ausgehen kann, dass sein unmittelbarer Vertragspartner zur Fortsetzung der Geschäftsbeziehung eher geneigt sein dürfte, bei der Aufklärung und zügigen Schadensabwicklung zu unterstützen. 121 Argumentationsansatz ist, dass derjenige, der die Vorteile arbeitsteiligen Handelns nutzt, auch die damit einhergehenden Risiken mitzutragen habe, vgl. NK-Dauner-Lieb, § 278 Rn. 1. Zur Einstufung selbständiger Unternehmer als Erfüllungsgehilfe siehe auch NK-Dauner-Lieb, § 278 Rn. 5. Zu beachten ist, dass dies je nach Schadensart und eigener schuldhafter Pflichtverletzung des B unterschiedlich zu beurteilen ist, vgl. BGH, Urt. v. 02.05.2014 – VIII ZR 46/13. Allerdings ist der vorhandene Betrachtungsgegenstand auf Wertschöpfungsketten mit komplexen Fertigungsgütern fokussiert, bei denen – nach eigener Erfahrung des Verfassers – hohe Anforderungen durch über die gesamte Lieferkette hinweg verpflichtende Qualitätssicherungsvereinbarungen (QSV) bestehen, die sehr konkrete Vorgaben zu Verantwortungsübernahmen für Zulieferanten, Ein- und Ausgangskontrollen, Materialzertifizierungen, lfd. Qualitätsprüfungen und Nachweisdokumentationen beinhalten. Hierdurch wird ein vom Zulieferanten defekt geliefertes Produkt kaum ohne eigene schuldhafte Pflichtverletzung des Abnehmers bis zum Endkunden gelangen können.

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