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A. Zusammenfassung zum Stand der Debatte

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Mittlerweile werden die angeblichen Unzulänglichkeiten der deutschen AGB-Kontrolle im Vergleich zur Vertragsfreiheit in fremden Rechtsordnungen nicht mehr nur von einzelnen Branchenverbänden kritisiert, sondern auch in weiten Fachkreisen aus Wirtschaft, Anwaltschaft15 und zunehmend auch Forschung16 rege diskutiert17. Hier hat sich insbesondere die Abgrenzung von AGB-Klauseln, welche der strengen Kontrolle der §§ 307ff. BGB unterliegen, und individuell ausgehandelten Klauseln, welche gem. § 305b BGB nicht angreifbar sind bzw. eigentlich sein sollten, als größter Kritikpunkt herauskristallisiert18.

Nach Angabe diverser Unternehmensverbände, insbes. auch des VDMA, mangele es den Unternehmen auf Grund der unklaren Überprüfungskriterien an Vorhersehbarkeit, Verlässlichkeit und somit Rechtssicherheit im Umgang mit allgemein gebräuchlichen Vertragsmustern und -klauseln. Die Vorgaben von Gesetzgeber und Rechtsprechung, die ursprünglich dem Verbraucherschutz dienen sollten, würden im unternehmerischen Geschäftsverkehr, dem sog. B2B-Bereich19, als Beschneidung der Privatautonomie verstanden, die dem Leitbild eines selbstbestimmten und verantwortlich handelnden Unternehmertums zuwiderlaufe20. Insbesondere eine fehlende Haftungsbeschränkungsmöglichkeit im Bereich der einfachen Fahrlässigkeit führe dazu, dass unternehmerische Risiken weder kalkulierbar noch versicherbar seien21. Teile des Schrifttums sprechen gar von einer „uneinsichtigen und doktrinären“ Rechtsprechung, welche in der praktischen Anwendung im Widerspruch zur geltenden Gesetzeslage stehe22. Die „zahllosen Fallstricke zu vermeiden“23 sei auch einem vernünftigen Rechtsanwender angesichts der Rechtsprechung kaum möglich24.

Besonders deutlich bringt dies die von BDI, DIHK, VDMA, ZVEI, IHK Frankfurt am Main, diversen Rechtsanwälten und Syndizi aus Unternehmen getragene Initiative zur Fortentwicklung des deutschen AGB-Rechts im unternehmerischen Geschäftsverkehr25 zum Ausdruck. Diese rät, solange die angestrebten Änderungen in Gesetz und/oder Rechtsprechung oder Entschärfung dieser Problematik nicht eintreten, mehr oder weniger offen zur „Flucht aus dem deutschen Recht“26, wofür sich mittlerweile auch konkrete Fortbildungsreihen von Seminar-Dienstleistern entwickelt haben27. Die Unternehmen werden aus eigener Erfahrung heraus bereits seit längerem mit solchen Seminar-Angeboten nahezu überschwemmt. Insbes. größere Unternehmen sollen seit schon geraume Zeit das Schweizer Recht dem deutschen Recht vorziehen28. Zuletzt stellt die Initiative verstärkt auch auf die Herausforderungen der Digitalisierung ab und sieht eine Neuordnung als wesentlich für die digitale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands29.

Auch internationale Branchenverbände haben Ihren Beitrag zu einer internationalen Diskussion geleistet: So sehen z.B. selbst die ORGALIME Bedingungen30 speziell für den Fall einer Wahl des deutschen Rechts einen separaten Annex31 vor, welcher die – branchenüblichen, aber gem. AGB-Rechtsprechung unzulässigen – Haftungsausschlüsse für Folgeschäden („loss of production, loss of profit and other indirect loss“32) abwandelt bzw. vollständig aufhebt33. Auch die FIDIC Bedingungen, immerhin internationaler Standard für Ingenieursdienstleistungen, haben sich den Herausforderungen der deutschen AGB-Kontrolle zu stellen34.

Auf der Ebene von Politik und Justiz hat der „Wettbewerb der Rechtsordnungen“35 schon vor einiger Zeit Aufmerksamkeit erregt und das Bundesministerium der Justiz Ende 2008 veranlasst, mit dem Deutschen Richterbund, dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Deutschen Notarverein und dem Deutschen Juristinnenbund ein „Bündnis für das deutsche Recht“ auszurufen36. Die Thematik der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr wurde anscheinend jedoch nicht aufgegriffen37. Die zugehörige Werbebroschüre („Law – Made in Germany – global, effektiv, kostengünstig“38) preist nur die große Rechtssicherheit an, welche „den Bedürfnissen des internationalen Handelsverkehrs verlässlich Rechnung“39 trage. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz und Justiz hat die Verbandsinitiative zur Fortentwicklung des deutschen AGB-Rechts zur Kenntnis genommen und Anfang 2012 ein Anhörungstermin durchgeführt, bei dem durch Experten und Verbände konkrete Änderungsvorschläge vorgelegt werden sollten. Der Koalitionsvertrag 2018 beinhaltet gar explizit eine Überprüfung der Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr:

„Wir werden das AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen auf den Prüfstand stellen mit dem Ziel, die Rechtssicherheit für innovative Geschäftsmodelle zu verbessern. Kleine und mittelständische Unternehmen, die Vertragsbedingungen ihres Vertragspartners aufgrund der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse faktisch akzeptieren müssen, sollen im bisherigen Umfang durch das AGB-Recht geschützt bleiben.“40

Laut Auskunft eines Sprechers des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz sei auch Ende 2019 auf Grund der Komplexität der laufenden Prüfung des Vorhabens noch keine Aussage darüber möglich, ob und wann es zu einer Umsetzung kommt41. Auch am Regensburger workshop, der sich im Mai 2019 mit der Reform der AGB-Kontrolle im B2B-Bereich beschäftigt hat, nahmen Vertreter des BMJV teil, allerdings ohne inhaltlichen Beitrag zu den oder Bewertung der dort diskutierten Vorschläge42.

Durch die sich abzeichnenden Änderungen aufgeschreckt entstand die aus mehreren, vornehmlich kleineren Wirtschaftsverbänden initiierte Initiative pro AGB-Recht43, welche sich wegen der besonderen Verlässlichkeit des deutschen AGB-Rechts und dessen Schutz für den wirtschaftlich schwächeren Vertragspartner im Hinblick auf Transparenz, Ausgewogenheit und Rechtssicherheit gerade im unternehmerischen Geschäftsverkehr hervorragend bewährt habe und keiner legislativen Änderungen bedürfe44. Feindbild der Initiative ist hierbei der Großkonzern, der durch die interne Rechtsabteilung oder externe Rechtsspezialisten gegenüber Kleinunternehmen ein Ungleichgewicht schaffe, das dem zwischen Unternehmen und Verbrauchern gleich komme45. Aus praktischer Sicht sei keine Flucht in Schweizer Recht zu belegen, da die Risiken der kaum bekannten Rechtsordnung in keiner Relation zur (ohnehin bestrittenen) Problematik stehen würden46.

15 Vgl. das Symposium des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und des Deutschen Juristentages (DJT) am 19.01.2012 in Berlin. Zu den vorgestellten Konzepten vgl. z.B. Hannemann, AnwBl 4/2012, S. 314ff. (314ff.) sowie Schmidt-Kessel, AnwBl 4/2012, S. 308ff. (308ff.). In den 2012er Beschlüssen des DJT (abgerufen am 07.03.2014 unter http://www.djt-net.de/beschluesse/beschluesse.pdf) finden sich 3 angenommene Beschlussvorlagen, welche a) die Indizwirkung der §§ 308, 309 BGB auch im B2B-Bereich ablehnen, b) eine Anpassung des Erfordernisses des Aushandelns an die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs fordern und c) eine Beschränkung der Inhaltskontrolle im B2B-Bereich auf good commercial practice wünschen. 16 Vgl. z.B. auch „Zusammenfassung AGB-Expertendialog Heidelberg vom 14.12.2009“, abgerufen am 23.10.2010 unter http://www.frankfurt-main.ihk.de/recht/themen/vertragsrecht/agb_recht_initiative/14-12-09-zusammenfassung/. 17 Zusammenfassend mit „Der große Streitpunkt: AGB im Unternehmensverkehr“ beschreibend: Pfeiffer, NJW 2017, S. 913ff. (917). Der Disput erinnert bei Prüfung der Debatten zum AGBG in weiten Teilen verblüffend den bereits in den 80er Jahren geführten Diskussionen, auch unter Beteiligung von Vertretern von Wirtschaftsverbänden, um die Auswirkungen der AGB-Kontrolle auf den kfm. Geschäftsverkehr, vgl. z.B. Hensen, NJW 1987, S. 1986ff. (1986ff.) und Rabe, NJW 1987, S. 1978ff. (1978ff.). 18 Zusammenfassend aus Sicht eines Befürworters: Graf v. Westphalen, NJW 2009, S. 2977ff. (2977). 19 Berger, NJW 2010, S. 465ff. (465). 20 Schäfer, BB 2012, S. 1231ff. (1231); Koch, BB 2010, S. 1810ff. (1810). 21 Mit weiteren Verweisen: Schäfer, BB 2012, S. 1231ff. (1231). Zur Wichtigkeit von Haftungsbeschränkungsklauseln aus der Sicht der Unternehmenspraxis: Del Popolo, Grenzen des AGB-Rechs im unternehmerischen Alltag und das damit zusammenhängende Risikomanagement an Hand von praxisrelevanten Beispielen, S. 56ff.. 22 Maier-Reimer, NJW 2017, S. 1ff. (1). 23 STAUDINGER-305ff.-Mäsch, Vorbem. zu §§ 305ff. Rn. 48. 24 STAUDINGER-305ff.-Mäsch, Vorbem. zu §§ 305ff. Rn. 48. 25 Ausführliche Informationen hierzu unter www.agb-recht-initiative.de. Neufassung unter dem Slogan „AGB-Recht für Unternehmen modernisieren – Wirtschaftsstandort Deutschland stärken“ am 18.10.2018 durch Bitkom e.V., Bundesverband Deutsche Startups e.V., Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen e.V., Bundesverband Gesundheits-IT– bvitg e.V., Die Deutsche Kreditwirtschaft, ICC Germany e.V. – Internationale Handelskammer, VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., Verband der Auslandsbanken in Deutschland e.V., Verband der privaten Bausparkassen e.V., Verband Deutscher Bürgschaftsbanken e.V., Verband öffentlicher Versicherer e.V., ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie e.V., abgerufen am 13.04.2020 unter https://www.zvei.org/fileadmin/user_upload/Themen/Maerkte_Recht/Allgemeine_Geschaeftsbedingungen_im_unternehmerischen_Geschaeftsverkehr/pdf/Verbaendeerklaerung-Politische-Forderung-AGB-Reform.pdf. 26 „AGB-Recht: Rechtswahl im Export: Risiko deutsches Recht“, Betriebsberater online, abgerufen am 24.10.2010 unter http://www.betriebs-berater.de/magazin/pages/show.php?timer=1251446559&deph=0&id=66662&currPage=3; so auch Leuschner, AcP Bd. 207 (2007), S. 491ff. (491); vgl. Anmerkungen von Hobeck zu ICC (Teil-)Schiedsspruch Nr. 10279, SchiedsVZ 2005, S. 108ff. (112). 27 Z.B. „Schweizer Recht im Anlagenbau – Profitieren Sie von Vertragsfreiheiten!“, Management Circle Intensiv-Seminar, 1 tägige Veranstaltung, Kosten 1.245,- EUR (netto); „Kauf-, Liefer- und Werkverträge nach Schweizer Recht“ mit dem hervorgehobenen Hinweis „Nutzen Sie Ihre Gestaltungsmöglichkeiten nach Schweizer Recht!“, FORUM Institut für Management GmbH, 1 tägige Veranstaltung, Kosten 890 EUR (netto). 28 So u.a. Brachert/Dietzel, angestellt bei der SIEMENS AG im Bereich Legal Services, beschrieben in ZGS 2005, S. 441; Ostendorf, SchiedsVZ 2010, S. 234ff. (234). Als „„erste Adresse“ für eine das deutsche Recht vermeidende Rechtswahl“ sehend: Müller/Schilling, BB 2012, S. 2319ff. (2323). 29 Siehe Stellungnahme „AGB-Recht für Unternehmen modernisieren – Wirtschaftsstandort Deutschland stärken“ vom 18.10.2018 durch Bitkom e.V., Bundesverband Deutsche Startups e.V., Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen e.V., Bundesverband Gesundheits-IT– bvitg e.V., Die Deutsche Kreditwirtschaft, ICC Germany e.V. – Internationale Handelskammer, VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., Verband der Auslandsbanken in Deutschland e.V., Verband der privaten Bausparkassen e.V., Verband Deutscher Bürgschaftsbanken e.V., Verband öffentlicher Versicherer e.V., ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie e.V., abgerufen am 13.04.2020 unter https://www.zvei.org/fileadmin/user_upload/Themen/Maerkte_Recht/Allgemeine_Geschaeftsbedingungen_im_unternehmerischen_Geschaeftsverkehr/pdf/Verbaendeerklaerung-Politische-Forderung-AGB-Reform.pdf. 30 ORGALIME S 2000, General Conditions for the Supply of Mechanical, Electrical and Electronic Products, Brüssel, August 2000. Zur Gebräuchlichkeit verschiedener Standardbedingungen vgl. Hök, Handbuch des internationalen und ausländischen Baurechts, S. 192ff.. 31 ORGALIME Guide on ORGALIME General Conditions, July 2002; vgl. auch Ostendorf, ZGS 2006, S. 222ff. (226). 32 ORGALIME S 2000, General Conditions for the Supply of Mechanical, Electrical and Electronic Products, Brüssel, August 2000, Artikel 37. 33 Die ORGALIME S 2000, General Conditions for the Supply of Mechanical, Electrical and Electronic Products, Brüssel, August 2000, enthalten in dem beschriebenen Annex im Fall der Anwendbarkeit deutschen Rechts Klauseln, welche die ORGALIME Haftungsausschlüsse streichen oder ersetzen. 34 Kondring, RIW 2010, S. 184ff. (185). 35 Kondring, RIW 2010, S. 184ff. (184/185); Dauner-Lieb/Axer, ZIP 2010, S. 309ff. (309); so auch Maier-Reimer, NJW 2017, S. 1ff. (1). 36 Weiterführende Informationen auf der Homepage des Deutschen Richterbunds, abgerufen am 14.04.2020 unter https://www.drb.de/positionen/verbandsthemen/buendnisfuer-das-deutsche-recht/. 37 Gerade deshalb als Beleg zu Gunsten der bestehenden Regelungen wertend: Schäfer, BB 2012, S. 1231ff. (1232). 38 Herausgegeben von Bundesnotarkammer, Bundesrechtsanwaltskammer, Deutscher Anwaltverein, Deutscher Notarverein und Deutschem Richterbund, abgerufen am 13.04.2020 unter https://www.drb.de/fileadmin/DRB/pdf/Buendnis_deutsche_Recht/Broschuere_Law_-_Made_in_Germany_EN.pdf. 39 A. a.O., S. 8; Maier-Reimer, NJW 2017, S. 1ff. (1). 40 Koalitionsvertrag zur 19. Legislaturperiode zwischen CDU, CSU und SPD, Zeile 6186–6190, abgerufen am 13.04.2020 unter https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1; siehe auch Müller, BB 26/2018, Die erste Seite; Graf v. Westphalen, ZIP 2018, S. 1101ff. (1101). 41 Nitschke, JUVE 9/2019, S. 49ff. (50). 42 Herresthal, Reform der AGB-Kontrolle im B2B-Bereich, Vorwort S. 8 sowie S. 137. 43 Vgl. gemeinsame Erklärung zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zwischen Unternehmern vom April 2012 (regelmäßig aktualisiert, zuletzt im Februar 2019), S. 1, der „Initiative pro AGB-Recht“, bestehend aus dem Zentralverbands des deutschen Handwerks e.V., Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V., Markenverband e.V., Gesamtverband der deutschen Mode- und Textilindustrie e.V., Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V., Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie e.V., Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e.V., Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V., Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., abgerufen am 13.04.2020 unter http://pro-agb-recht.de/. 44 Aus einem der an der Initiative beteiligten Wirtschaftsverbände stammend: Schäfer, BB 2012, S. 1231ff. (1232); ebenfalls keinen Handlungsbedarf im unternehmerischen Geschäftsverkehr feststellend: Niebling, MDR 2019, S. 907ff. (919). 45 Schäfer, BB 2012, S. 1231ff. (1232). 46 Schäfer, BB 2012, S. 1231ff. (1232).

Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen

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