Читать книгу Der Wächter der goldenen Schale - Alexander Lombardi - Страница 8

Schlosshotel Unterallmannshausen, Frühjahr 2019

Оглавление

In welcher Ecke der Sekretär wohl steht?, überlegte Jaron, während er sich aufmerksam auf dem Dachboden von Schloss Unterallmannshausen umschaute. Den Schlüssel mit dem FB-Monogramm drehte er dabei in seiner Tasche.

Hinter sich hörte er, wie Isabelle in der staubigen Luft nieste. »Gesundheit«, sagte er, ohne sich umzudrehen.

»Danke«, schniefte sie. »Was willst du eigentlich hier oben? Sollen wir nicht lieber wieder runtergehen? Wir könnten eine Runde im Pool schwimmen.«

Sie hatte ihn nur widerwillig hier heraufgeführt und war an der Tür zum Speicher stehen geblieben. Als Jaron sie um eine Schlossführung gebeten hatte, hatte sie bestimmt ein anderes Programm im Sinn gehabt. Seit ihrer Geburtstagsfeier im vergangenen Herbst hatte Isabelle immer wieder versucht, ihm näherzukommen.

Doch Jaron war ihr bisher stets ausgewichen. Er fand Isabelle hübsch, mochte aber ihre zickige und eingebildete Art nicht, obwohl sie zu ihm immer nett war. Diesmal aber nutzte er ihr Interesse, denn nur so bekam er die Gelegenheit, den Speicher des Schlosshotels nach dem Sekretär abzusuchen.

»Warum denn?«, wiegelte Jaron ab. »Hier ist es doch voll cool.«

»Na ja«, meinte Isabelle und wischte angewidert mit dem Finger über einen alten Tisch, »ich find’s ekelig und gruselig.«

»Stimmt, und deswegen ist es doch voll spannend. Vielleicht finden wir ja einen Schatz.«

»Ja, klar.« Isabelle verdrehte die Augen, holte ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und putzte sich lautstark die Nase.

»Weißt du, was das für Möbel sind?«

»Keine Ahnung«, sagte sie verschnupft, »ich war noch nie hier oben.«

»Echt nicht? Krass.«

Jaron ließ den Strahl seiner Taschenlampe über den Dachboden schweifen. Direkt vor ihm, mitten in dem großen Raum, stand ein Regal. Von oben, durch eine Stelle im Dach, wo es mit Glasziegeln gedeckt war, fiel ein wenig Tageslicht. Staub wirbelte im Lichtkegel der Taschenlampe, Spinnweben hingen überall. Es roch nach Politur und alten Büchern. Altertümlich irgendwie, dachte Jaron, aber nicht unangenehm.

Er trat einen Schritt auf das Regal zu und sah nach, was dort auf den Brettern lag.

Erstaunt streckte er dann seine freie Hand aus. »Hier liegen Waffen!«, rief er dem Mädchen zu, das sich immer noch nicht vom Fleck gerührt hatte. Er nahm einen der Gegenstände und drehte ihn hin und her. »Ich glaube, das ist eine Armbrust«, überlegte er.

»Schön«, schnaubte Isabelle. »Können wir dann bitte wieder gehen?«

»Ja, gleich«, sagte Jaron und legte die Waffe wieder auf ihren Platz zurück. »Nur noch diese Ecke dort.« Er hatte bemerkt, dass dort tatsächlich Möbel standen. Ob der Sekretär des jungen Grafen dabei war?


Schloss Unterallmannshausen, im Jahr 1894

»Schau, mal, Luggi«, rief Michi, griff nach einem der verstaubten Gegenstände, die in dem Regal lagen, und hob ihn hoch. Es war eine Armbrust. »Mann, die ist ja mächtig schwer«, meinte er, während er damit herumfuchtelte.

Ludwig trat zu ihm, nahm die Waffe in die Hände und betrachtete sie mit Kennerblick. »Die muss richtig alt sein«, erklärte er dann und legte sie an. Er kniff ein Auge zu und visierte seinen Freund an.

Der wich erschrocken einen Schritt zurück und rief: »He, mach keinen Unsinn!«

Ludwig lachte und nahm die Armbrust wieder herunter. »Angsthase!« erwiderte er. »Da liegt doch gar kein Bolzen drauf.«

»Bolzen?«

»Ja, die Munition. Mit solchen Armbrüsten hat man früher kleine Metallstifte verschossen. Hauptsächlich auf der Jagd.« Ludwig legte die Waffe wieder in das Regal zurück und sah sich um.

Als Michi die Armbrust weiterhin stirnrunzelnd betrachtete, boxte Ludwig ihn in die Seite. »Komm weiter, ich will endlich wissen, ob Sepp die Wahrheit gesagt hat.«

Daraufhin leuchtete Michi in den Raum hinein. In einer Ecke stapelten sich Hirschgeweihe und ausgestopfte Tiere – wohl Exemplare, die entweder keinen Platz mehr in der eindrucksvollen Trophäensammlung im Herrenzimmer von Ludwigs Eltern gefunden hatten oder beschädigt waren.

An einer Wand lehnten Bilder. Eines davon zeigte einen Jungen, etwa so alt wie Ludwig selbst, in einer altmodischen blauen Jacke. Aufrecht stand er da, die rechte Hand auf eine Säule gelegt, und sah den Betrachter etwas schüchtern an. Ein hässlicher Riss, der quer über die Leinwand ging, ließ keinen Zweifel daran, warum dieses Gemälde zurzeit nicht in der Ahnengalerie hing. Vermutlich sollte es irgendwann restauriert werden.

Michi verschwand zwischen einigen Möbeln, der Lampenschein flackerte gedämpft über die Holzbalken am Dachstuhl.

Ludwig beeilte sich, seinem Freund zu folgen.

Als er zu ihm trat, betrachtete Michi gerade einen schrankähnlichen Gegenstand, der in einer Ecke an die Dachschräge gerückt war. »Ist es das?«, fragte er.

»Könnte sein«, antwortete Ludwig. Das Möbelstück sah tatsächlich in etwa so aus, wie Sepp den Sekretär beschrieben hatte. »Lass uns mal genauer nachschauen.«

Gemeinsam räumten sie einen Kinderwagen mit zerbrochenem Rad, zwei Stühle ohne Sitzfläche und einen ganzen Haufen löchriger Säcke beiseite, um an das Möbelstück heranzukommen. Dabei wurde so viel Staub aufgewirbelt, dass Michi nun ebenfalls niesen musste.

Ludwig ärgerte sich wieder einmal darüber, dass er so schlechte Augen hatte. Bei schwacher Beleuchtung konnte er manche Einzelheiten kaum wahrnehmen. Er kniff die Lider zusammen und fuhr mit den Händen über das Holz.

Michi stand neben ihm und hielt die Lampe.


Der Wächter der goldenen Schale

Подняться наверх