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IV. Kenntnis – Spannungsverhältnis von unklarer Kausalität und Beweiserleichterungen
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Ein „negatives“ MDK-Gutachten wird für die Patientenseite verjährungsrechtlich problematisch, wenn das Gutachten Behandlungsfehler oder Befunderhebungsfehler aufzeigt, die Kausalität aber verneint, weil nicht nachgewiesen werden könne, dass der Schaden auf den/die Behandlungsfehler zurückgehe. Hier greifen medizinische und rechtliche Bewertung ineinander. Ergeben sich aus dem Gutachten hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür, dass dem Patienten Beweiserleichterungen zugutekommen, die einen vollen Kausalitätsbeweis nicht erfordern, dann sind wir bei der Frage der zutreffenden rechtlichen Einordnung. Die fehlerhafte rechtliche Einordnung verhindert den Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich nicht. Goehl vertritt die Ansicht, dass reduzierte Kenntnisanforderungen infolge einer Beweislastumkehr den Verjährungsbeginn nicht beeinflussen könnten, weil dem Patienten anderenfalls eine Klagerhebung zugemutet werde, „obwohl der Patient von den für eine laienhafte Einschätzung der Prozessaussichten essentiellen Umständen, aus denen sich die haftungsbegründende Kausalität ergibt, nicht einmal im Ansatz Kenntnis hat“.[56] Goehl vermengt dabei die Ebenen der Kenntnis von den haftungsbegründenden Umständen und ihrer (auch beweis-)rechtlichen Würdigung.
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Zwar gehört zur verjährungsrelevanten Kenntnis grundsätzlich auch das Wissen davon, dass das schuldhafte Fehlverhalten des Anspruchsgegners als Ursache für den Schaden anzusehen ist. Wegen der Beweiserleichterungen im Arzthaftungsrecht ist aber nicht in jedem Fall der Vollbeweis der Kausalität des Fehlverhaltens für den Schaden erforderlich. Hier sind wir bei der zutreffenden rechtlichen Würdigung der bekannten Tatsachen, die nicht zu den subjektiven Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn zählt. Gerade bei schweren Schäden aus fehlerhafter Behandlung bleibt fast regelmäßig trotz umfassender Begutachtung vorprozessual und im Gerichtsverfahren die Kausalität der Standardunterschreitung für den Schaden ungeklärt. Dennoch wird wegen der (inzwischen gesetzlich verankerten) Beweiserleichterungen der Schadensersatzanspruch bestätigt. Zu der Einschätzung der Prozessaussichten gehört daher neben der medizinischen Bewertung der Behandlung die juristische Wertung (grob oder nicht, Befunderhebungsfehler oder Diagnosefehler) und diese juristische Würdigung gehört nicht zu den haftungsbegründenden Umständen (Tatsachen). Bleibt die Kausalität offen, ist aber von einem groben Behandlungsfehler auszugehen und weiß der Patient, dass der Fehler zumindest geeignet war, die Schädigung herbeizuführen bzw. nicht zu vermeiden, dann sind das die Umstände, die in die juristische Bewertung der Prozessaussichten einfließen.
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Für die juristische Bewertung wird dem Patienten zugemutet, anwaltlichen Rat einzuholen. Hierfür hat der Patient mindestens 3 Jahre nach Kenntniserlangung von einem groben und zur Schädigung geeigneten Behandlungsfehler Zeit. Die Befürchtung von Goehl, dass bei der hier vertretenen Ansicht der Patient in die paradoxe Situation geraten könne, in welcher er das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers widerlegen müsse, um der Verjährungseinrede zu entgehen,[57] kann daher der Zumutbarkeit der Einholung eines Rechtsrats nicht entgegen gehalten werden.
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Wer also medizinisch hinreichend beraten davon Kenntnis erhält, dass dem behandelnden Arzt ein Fehler vorzuwerfen ist, welcher unter Anlegung eines objektiven Facharztstandards schlechterdings nicht verständlich ist, kann sich auf fehlende oder unzureichende Kenntnis wegen Unsicherheiten in der Kausalität dann nicht mehr berufen, wenn der Fehler zumindest geeignet war, den Schaden hervorzurufen.
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In einem vom OLG Hamm entschiedenen Geburtsschadenfall hatten die Anwälte des Kindes im Jahr 2001 aus einem geburtshilflichen Privatgutachten den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers hergeleitet. In einem zweiten Schritt 2002 war ein neuropädiatrisches Privatgutachten eingeholt worden, in welchem es als möglich eingestuft wurde, dass ohne diesen Fehler die eingetretene Schädigung vermieden worden wäre. Hier lagen nach der nachvollziehbaren Ansicht des OLG Hamm die Voraussetzungen für einen Verjährungsbeginn spätestens Ende 2002 vor und ein erst Ende 2006 ausgesprochener Einredeverzicht mit dem üblichen Vorbehalt, „soweit noch nicht verjährt“, konnte der Verjährungseinrede nicht mehr entgegengehalten werden.[58]
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Zu dem gleichen Ergebnis wird man kommen müssen, wenn die Kenntnis von Umständen vorliegt, die auf dem Umweg über einen Befunderhebungsfehler auf einen (fiktiven) groben, für die Verursachung der eingetretenen Schädigung geeigneten Behandlungsfehler schließen lassen.