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C. Kenntnis von unzureichender Risikoaufklärung oder Alternativaufklärung

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Die für den Schadenersatzanspruch gegen den Arzt oder Krankenhausträger erforderliche Kenntnis ist in Fällen unzureichender Risikoaufklärung oder Aufklärung über Behandlungsalternativen dann gegeben, wenn der Patient Kenntnis davon hat, dass im ersteren Fall sich in dem Schaden ein bekanntes Risiko verwirklicht hat, über welches hätte aufgeklärt werden müssen, über welches jedoch nicht aufgeklärt wurde. Dazu gehört allerdings auch das Wissen, dass der Schaden nicht auf ein fehlerhaftes Vorgehen zurückgeht.[63]

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In der zweiten Fallvariante, der unterbliebenen Aufklärung über Behandlungsalternativen, muss der Patient Kenntnis davon haben, dass es zu dem zum Schaden führenden Eingriff eine gleichwertige, wenn auch mit unterschiedlichen Risiken behaftete Alternative gegeben hätte, die ihn, wäre er darüber aufgeklärt worden, vor einen Entscheidungskonflikt gestellt hätte.

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Die Schwierigkeit bei der Kenntniserlangung liegt in diesen Fällen gerade nicht in der Feststellung eines Abweichens vom medizinischen Standard, sondern erschöpft sich in der Frage, ob der schlechte Ausgang als mögliches Risiko vorhersehbar, aber für den Patienten wegen unzureichender Aufklärung überraschend war.

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Das Gleiche gilt auch für die Fälle, in denen die Patientin/der Patient überhaupt keine Grundaufklärung erhalten hat, und in denen sich dann ein Operationsrisiko verwirklicht, selbst wenn dieses Risiko für sich genommen nicht aufklärungspflichtig gewesen wäre. Denn bereits die fehlende Grundaufklärung führt dazu, dass die Patientin/der Patient bei zutreffender rechtlicher Würdigung weiß, dass der Eingriff von vornherein rechtswidrig war.[64]

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Der Patientenseite wird auch zugemutet, sich nach dem Eintritt schwerwiegender Komplikationen nach einer dahingehenden Aufklärungsbedürftigkeit zu erkundigen, soweit sich dadurch das Wissen auf einfache Weise komplettieren lässt.[65]

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Dennoch gilt auch für den Verjährungsbeginn bei Aufklärungsfehlern, dass keine Verpflichtung besteht, sich Kenntnisse über fachspezifisch medizinische Fragen zu verschaffen. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung vom 10.10.2006[66] herausgearbeitet. Wegen einer Adoleszenz-Skoliose war die Klägerin im Alter von 16 Jahren an der Wirbelsäule operiert worden. Bei der Operation war es zu einer Einblutung in den Rückenmarkskanal gekommen, die zur Querschnittslähmung führte. Darüber hinaus entwickelte die Patientin neben anderen Beschwerden auch Verwachsungen im Brustraum, Falschgelenkbildungen und Rippeninstabilitäten. Über das Risiko einer Querschnittslähmung war sie aufgeklärt worden. Über die Risiken einer Falschgelenkbildung, Verwachsungen im Brustraum und Rippeninstabilitäten war sie dagegen nicht aufgeklärt worden.

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Es handelte sich bei diesen weiteren Folgen um typische Risiken des Eingriffs, deren Verwirklichung für sich genommen die weitere Lebensführung deutlich beeinträchtigt, und über die deshalb hätte aufgeklärt werden müssen.

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Der BGH hat in dieser Entscheidung der Patientin zugutegehalten, dass die Verjährung i.d.R. nicht schon beginnt, sobald die Patientin einen Schaden aufgrund der medizinischen Behandlung feststellt. Hinzutreten muss vielmehr auch die Kenntnis, dass der Schaden nicht auf einem Behandlungsfehler, sondern auf einer spezifischen Komplikation der medizinischen Behandlung beruht, über die die Patientin hätte aufgeklärt werden müssen. Eine Erkundigungspflicht treffe die Patientin nicht, soweit es um die fachspezifisch medizinische Frage gehe, inwieweit eine Aufklärung zu erfolgen hatte. Die Patientin sei nicht verpflichtet, sich im Hinblick auf einen Haftungsprozess medizinisches Fachwissen anzueignen.

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Im Streitfall hat der BGH Kenntnis daher erst mit Zugang eines Gutachtens angenommen, nach welchem es sich bei der Pseudoarthrose und den weiteren, nicht von der Aufklärung erfassten Folgen nicht um die Folgen eines Operationsfehlers oder schicksalhafte Zufälle handelte, sondern um Risiken, die dem Eingriff spezifisch anhafteten und über die deshalb hätte aufgeklärt werden müssen.

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Entsprechend hat das OLG Bamberg in einer Entscheidung vom 20.7.2015[67] eine Kenntnis vom Aufklärungsmangel erst dann angenommen, als die Patientin, die durch das Robodoc-Verfahren mit einer Hüft-TEP versorgt worden war und intraoperativ eine Nervverletzung erlitten hatte, davon wusste, dass die Wahl des Verfahrens zu einer Erhöhung einzelner Risiken im Vergleich zur herkömmlichen Methode führte. Darüber war sie nicht aufgeklärt worden.

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Aus den unterschiedlichen Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn wird deutlich, dass Ansprüche aus Aufklärungsfehlern zu anderer Zeit verjähren können als solche aus Behandlungsfehlern, zuletzt bestätigt in der Entscheidung des BGH vom 8.11.2016[68]: „Zwischen den Ansprüchen wegen unzureichender ärztlicher Aufklärung einerseits und wegen fehlerhafter Behandlung andererseits besteht zwar eine Verknüpfung dergestalt, dass es Ziel des Schadensersatzbegehrens des Patienten ist, eine Entschädigung für die bei ihm aufgrund der Behandlung eingetretenen gesundheitlichen Nachteile zu erlangen, doch liegen den Haftungstatbeständen verschiedene voneinander abgrenzbare Pflichtverletzungen zugrunde (. . .). Dies kann auch zu unterschiedlichen Verjährungsfristen führen (. . .).“ Da im dortigen Fall von anspruchsbegründenden Aufklärungsfehlern schon in verjährungsrelevanter Zeit die Rede war, sah der BGH derartige Ansprüche anders als Ansprüche aus Behandlungsfehlern als verjährt an.

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