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D. Grob fahrlässige Unkenntnis des geschädigten Patienten

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Einen Verjährungsbeginn ohne volle Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände hatte der BGH schon auf der Grundlage des § 852 Abs. 1 BGB für die Fälle entwickelt, in denen der Verletzte es in der Hand gehabt hätte, die Verjährungsfrist einseitig dadurch zu verlängern, dass er die Augen vor einer „gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit, deren Erlangung weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühen verursacht“ hätte, verschließt.[69] Der Hauptanwendungsfall war und ist die Situation, in welcher der Geschädigte sich durch einfache Nachfrage Kenntnis von der Person des Schädigers hätte beschaffen können.[70] In diesen Fällen hatte der BGH stets betont, dass grob fahrlässige Unkenntnis nicht ausreiche und der rechtsmissbräuchlichen Nichtkenntnis nicht gleichzustellen sei.

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Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass in den Kommentierungen der Begriff der grob fahrlässigen Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. als etwas neues, über die rechtsmissbräuchliche Nichtkenntnis hinausgehendes gesehen wurde. Peters/Jacoby[71] sprechen sogar von einer „radikalen Änderung gegenüber § 852 Abs. 1 a.F.“. Sieht man sich ansonsten jedoch die Literatur zu den mit der Schuldrechtsmodernisierung eingeführten Neuerungen im Verjährungsrecht an, fällt fast durchgängig eine Diktion auf, die der auf den Rechtsgedanken des § 162 BGB gestützten Rechtsprechung zum missbräuchlichen Sich-Verschließen vor einer Erkenntnismöglichkeit entspricht.[72] Da im Behandlungsfehlerbereich zur Kenntnis der den Anspruch begründenden Tatsachen das Wissen gehört, dass sich in dem Misslingen der ärztlichen Tätigkeit das Behandlungs- und nicht das Krankheitsrisiko verwirklicht hat, und da dieses Wissen in der Regel nur durch Einsicht in die Behandlungsunterlagen und medizinische Beratung oder Begutachtung organisiert werden kann, ist der Aufwand für die Klärung der den Anspruch begründenden Umstände i.d.R. erheblich. Schon deshalb war nicht mit einem nennenswerten Anstieg kenntnislos verjährter Schadensersatzansprüche aus Behandlungsfehlern zu rechnen.[73]

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Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 10.11.2009[74] diejenigen bestätigt, die für den Bereich der Arzthaftung keine weitreichenden Änderungen erwartet haben. Er hält fest, dass grob fahrlässige Unkenntnis nur vorliegt, wenn der Gläubiger ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen, dass aber für den Gläubiger keine generelle Obliegenheit besteht, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und es muss sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen. Der Patient kann nicht ohne Weiteres aus einer Verletzungshandlung, die zu einem Schaden geführt hat, auf einen schuldhaften Behandlungs- oder Aufklärungsfehler schließen und er muss ohne weitere sich aufdrängende Anhaltspunkte für ein behandlungsfehlerhaftes Geschehen auch nicht die Initiative zur Aufklärung des Behandlungsgeschehens entfalten.

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In dem am 10.11.2009 entschiedenen Fall hält der BGH dem Berufungsgericht vor, dass es nicht aufgezeigt habe, welche konkreten Umstände abgesehen vom negativen Ausgang der ärztlichen Behandlung der Klägerin Veranlassung hätten geben sollen, wegen eines Behandlungsfehlers nachzufragen, und dass weder festgestellt noch vorgetragen sei, dass eine etwaige Nachfrage der Klägerin Klarheit über die Ursache ihrer Beschwerden gebracht hätte, um ihr die Möglichkeit zu geben, aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage zu erheben.[75]

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Die Behandlerseite müsste mithin, um erfolgreich eine Verjährungseinrede erheben zu können, vortragen und unter Beweis stellen, dass ganz naheliegende Überlegungen in Richtung eines Behandlungsfehlers nicht angestellt wurden, konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich waren, eine jedem einleuchtende Nachfragemöglichkeit nicht genutzt wurde und eine entsprechende Nachfrage auch in verjährungsrelevanter Zeit zu einer so weitgehenden Klärung geführt hätte, dass eine Klage, wenn auch nicht risikolos, hätte erhoben werden können.

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Zum Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis gehört auch, dass die Beschaffung der Informationen mühelos und ohne nennenswerten Aufwand möglich gewesen wäre.[76]

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Diese Anforderungen stehen im Arzthaftungsbereich im Regelfall der Annahme grob fahrlässiger Unkenntnis so lange entgegen, bis die Patientin/der Patient durch eine medizinische Begutachtung den Verdacht eines Behandlungsfehlers und dessen Kausalität für den Schaden bestätigt erhält oder der Zusammenhang durch Beweiserleichterungen konstruiert werden kann. Die Patientin/der Patient ist nicht verpflichtet, eine solche medizinische Begutachtung zu veranlassen, um sich auf diesem Wege die nötige fachmedizinische Kenntnis zu beschaffen.[77]

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Nach der Entscheidung des BGH vom 26.5.2020[78] wird grob fahrlässige Unkenntnis auch dann nicht angenommen, wenn die den Patienten vertretende Anwaltskanzlei über medizinische Fachkenntnisse verfügt, die Behandlungsunterlagen vorliegen, der zuständige Anwalt diese Unterlagen aber noch nicht auf schadenskausale Behandlungsfehler ausgewertet hat. Es könne vom Patienten oder seinem Wissensvertreter nicht verlangt werden, dass er Krankenhausunterlagen auf ärztliche Behandlungsfehler überprüft, es sei denn, es handelte sich um Feststellungen, die sich ohne weiteres treffen lassen.[79]

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Das OLG Bamberg hat in einem PKH-Prüfungsverfahren grob fahrlässige Unkenntnis des Patienten daraus abgeleitet, dass er nach anfänglicher Einschaltung seiner Krankenkasse in einer jedem elementaren Sorgfaltsmaßstab zuwider laufenden Weise die ihm erwachsenen Erkenntnismöglichkeiten aus der Zusammenarbeit mit der Krankenkasse ungenutzt gelassen habe.[80] Es sei daher ausschlaggebend der Untätigkeit des Klägers bzw. seines damals tätigen Anwalts zuzuschreiben gewesen, dass der durch zwei Vorgutachten des MDK bei der Krankenkasse schrittweise erlangte und dort von der Patientenseite jederzeit abrufbare Kenntnisstand nicht in verjährungsrelevanter Zeit erreicht worden war. Das OLG Bamberg spricht insoweit von einer „Kooperationsvereinbarung“ mit der Krankenkasse, die der Patient nicht genutzt habe. Das Urteil ist im Ergebnis nachvollziehbar, zumal sich der Behandlungsfehlerverdacht durch die bereits eingeholten MDK-Gutachten bereits verdichtet hatte, es also sehr naheliegend war, an der kostenlosen Aufklärung des Behandlungsgeschehens weiter mitzuwirken. Es hätte nur einzelner ergänzender Informationen oder Unterlagen bedurft, um zu den erforderlichen medizinischen Erkenntnissen zu gelangen. Ich halte den Begriff der Kooperationsvereinbarung jedoch für nicht passend. Dem gesetzlich Versicherten steht ein Leistungsanspruch aus § 66 SGB V zu, dessen Erfüllung weit in das Ermessen der Krankenkasse gestellt ist. Bedient er sich dieses Anspruches, geht er keine Kooperationsvereinbarung ein. Er lässt sich beraten. Dass dieser Beratungsanspruch auch eng gesehen werden kann, lässt sich der Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein vom 23.3.2015 entnehmen, welches die notwendige Information des Versicherten regelmäßig in der Angabe der Diagnose, der Therapie sowie des Namens des behandelnden Arztes als erschöpft ansieht, ggf. noch ergänzt um ein Gutachten des MDK.[81]

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Allgemein wird man aber eine Nachfrageobliegenheit bei der Krankenkasse und über diese bei dem MDK nicht mit den Grundsätzen der Entscheidung des BGH vom 10.11.2009 in Einklang bringen können. Der MDK kann nicht als leicht zugängliche, sich jedem aufdrängende Informationsquelle angesehen werden.[82] Es bedarf, wie der BGH in seiner Entscheidung vom 10.11.2009 deutlich gemacht hat, weiterer Umstände, die eine Nachfrage bzw. Inanspruchnahme einer Informationsquelle in besonderer Weise nahelegen. Wenn der Patient andere Wege zur Kenntnisbeschaffung wählt, kann ihm mit Sicherheit nicht vorgehalten werden, er hätte günstiger, schneller und leichter die Einschaltung des MDK veranlassen können. Ist der Patient schon nicht verpflichtet, sich im Hinblick auf einen möglichen Haftungsprozess medizinisches Fachwissen anzueignen.[83], muss ihm erst Recht überlassen bleiben, welchen Weg er zur Klärung eines möglichen Behandlungsfehlers wählt.

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Wird in einem MDK-Gutachten der Behandlungsverlauf dargestellt und dahingehend bewertet, dass keinerlei Versäumnisse festzustellen seien, hat die Patientenseite keine Kenntnis von einem Behandlungsfehler erhalten und sie muss das Gutachten auch nicht anzweifeln oder überprüfen lassen.[84] Es fehlt weiterhin an den subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns.

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