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I. Grundsatzentscheidungen zur Kenntnis des SVT im Behandlungsfehlerbereich

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Nach der zum Arzthaftungsbereich grundlegenden Entscheidung des BGH vom 28.2.2012[88] löst auch ein schwerer Schaden – im Streitfall ein schwerer Geburtsschaden – mit hohen Aufwendungen der Krankenkasse und der Pflegekasse bei diesen keine Verpflichtung aus, der Ursache und einer möglichen Verursachung durch Behandlungsfehler nachzugehen.

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Maßgeblich für die Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis sind die Verhältnisse in der Regressabteilung des Sozialversicherungsträgers. Der BGH unterstreicht, dass die Mitarbeiter der Leistungsabteilung zur Vermeidung der Verjährung der Ansprüche keine Initiativen zur Aufklärung des Schadensgeschehens entfalten müssen und dass eine diesbezügliche Nachlässigkeit nicht zur grob fahrlässigen Unkenntnis des Sozialversicherungsträgers führt. Das gelte auch für den negativen Ausgang einer Behandlung mit schweren Folgen. „Den Mitarbeitern des Sozialversicherungsträgers bietet die Schwere des Krankheitsbildes des Leistungsempfängers ohne Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein der Leistung zugrundeliegendes Behandlungsgeschehen mit haftungsrechtlicher Relevanz, dem nicht nachzugehen unverständlich wäre.

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Auch innerhalb der Regressabteilung stellt der BGH auf die Kenntnis des jeweils zuständigen Regresssachbearbeiters ab. Das wird sehr deutlich an einer Entscheidung vom 15.3.2011[89] zur Kenntniszurechnung bei auf die gesetzliche Pflegekasse übergegangenen Ansprüchen. Bekanntlich verfügt die Pflegekasse über kein eigenes Personal. Die Verwaltung der Pflegekassenleistungen und sonstigen Angelegenheiten wird von den Mitarbeitern der Krankenkasse erledigt, bei welcher die Pflegekasse (als selbstständige Körperschaft des öffentlichen Rechts) gebildet ist. Das gilt auch für die Regresssachbearbeitung. Und obwohl dieselbe Regresssachbearbeiterin im Falle der schädigungsbedingten Leistungspflichten für beide Kassen zuständig ist, wird deren Kenntnis der Pflegekasse erst dann zugerechnet, wenn diese erstmals Leistungen zu erbringen hat, was bei längeren stationären neurologischen Reha-Behandlungen durchaus erst im Folgejahr nach einem Schadensereignis sein kann. Denn erst dann ist diese Regresssachbearbeiterin für die Pflegekasse zuständig geworden.

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Zu der Frage, ob in der Regressabteilung die aus anderen Fallbearbeitungen erworbenen medizinischen Fachkenntnisse dem einzelnen Regresssachbearbeiter und über diesen dem Sozialversicherungsträger im Wege einer Art Wissenszusammenrechnung zugerechnet werden können, hat der BGH in seiner Entscheidung vom 26.5.2020[90] mittelbar Stellung genommen, indem er mit Blick auf medizinische Fachkenntnisse in einer Anwaltskanzlei festgehalten hat, dass dem Sozius, der einen Patienten arzthaftungsrechtlich vertritt, das medizinische Fachwissen anderer Sozien aus vergleichbaren Fällen nicht zugerechnet werden könne, und zwar „nach der Rechtsprechung des Senats für Behörden und öffentliche Körperschaften, nach der auf die Kenntnis des nach der behördlichen Organisation zuständigen, mit der Vorbereitung und Verfolgung von Schadensersatzansprüchen betrauten Bediensteten abzustellen ist“.

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Außerhalb des Behandlungsfehlerbereichs hat der BGH dann mit seiner Entscheidung vom 17.4.2012[91] den Aspekt der grob fahrlässigen Unkenntnis durch unzureichende Organisation der Informationsflüsse bei einem Sozialversicherungsträger herausgearbeitet. Der BGH unterstreicht auch hier wieder, dass es für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis auf die insoweit zuständigen Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit ankommt. Grob fahrlässige Unkenntnis kommt nach dieser Entscheidung aber auch in Betracht, wenn diese Organisationseinheit nicht in geeigneter Weise behördenintern sicherstellt, dass sie frühzeitig von Umständen Kenntnis erhält, die einen Regress begründen können. Darüber hinaus erlegt der BGH bei der Frage, ob eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im vorgenannten Sinn gegeben sei, dem SVT hinsichtlich der Einzelheiten der internen Organisation und der internen Abläufe eine sekundäre Darlegungslast auf. Der SVT ist jedoch nicht verpflichtet, auf ins Blaue hinein angestellte Vermutungen der Beklagtenseite seine Verwaltungsvorgänge vorzulegen, wenn er als Kläger darlegt, dass es Unterlagen mit dem vom Gegner vermuteten Inhalt nicht gibt.[92]

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Es ging in der Entscheidung des BGH vom 17.4.2012 um die Folgen eines Verkehrsunfalls. Die besonderen Anforderungen an die Kenntnis in Arzthaftungsfällen werden durch diese Entscheidung nicht relativiert. Mit einer Berufung auf diese Entscheidung kann z.B. einer Krankenkasse nicht als grob fahrlässige Unkenntnis angelastet werden, dass sie nicht ausreichend organisiert habe, dass bei negativem Ausgang einer Behandlung mit schweren Folgen die Regressabteilung nicht informiert wurde. Der Informationsfluss ist vielmehr nur für die Fälle zu organisieren, in denen im Rahmen der Leistungssachbearbeitung Umstände bekannt werden, die einen Regress begründen können. Und dazu reichen, wie die Entscheidung vom 28.2.2012[93] deutlich macht, der negative Ausgang der Behandlung, die Schwere der Erkrankung und die Höhe der Aufwendungen nicht aus.

Handbuch Arzthaftungsrecht

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