Читать книгу Glücksumwege - Alexander Tempel - Страница 17
ОглавлениеAls Ein-Mann-Betrieb macht Alexander zu Anfang alles selbst, er steht sechs Tage die Woche in der Manufaktur, die sich damals noch in Lana in der Industriezone befindet. Er bereitet die Teige vor, zieht jede einzelne Grissino selbst von Hand. Das bedeutet, dass er 2000 bis 3000 Mal täglich die gleichen, geschickten Handgriffe macht, um die Grissini in Form zu bringen. Außerdem kümmert er sich um das Verpacken und Etikettieren der Produkte. Trotz der neu gewonnenen Freiheit geht es Alexander nicht gut, er steht unter Druck und wird immer unruhiger. Irgendwann muss sich der Jungunternehmer eingestehen, dass er kurz vor einem Burn-out steht und etwas ändern muss. Alexander stellt Mitarbeiter ein, delegiert Arbeit und hat dadurch wieder Freiraum. Diesen nutzt er, um mit einem Coach an sich selbst zu arbeiten. Zum Beispiel lernt Alexander eine Atemtechnik, die ihm dabei hilft, seinen Körper besser zu spüren. »Es ist eine Art Meditation, ein Wahrnehmen, ein Ankommen. Mein Körper wird schwer und der Geist wird leicht. Ich bin immer dann zufrieden, wenn ich mich ganz intensiv spüre, also jede Faser meines Körpers. Ich kann dann alles annehmen, mich selbst und alles von außen, ohne zu werten, einfach nur sein. Dann ist die Zufriedenheit voll da.«
Dieses neue Körpergefühl und die damit verbundene geistige Frische geben ihm die Kraft und Motivation, seine Firma weiterzuentwickeln. Für Alexander ist es wichtig, seine vorhandenen Fähigkeiten, sein Kommunikationstalent und seine Freude am Unterrichten neu zu entdecken. Er startet Verkostungen für seine Produkte, organisiert einen Gastronomieweihnachtsmarkt in Lana und lädt Schulkassen zu sich in die Manufaktur ein, um ihnen sein Handwerk zu erklären. »Wenn mir jemand sagt, dass ich ihn inspiriere, ist es das größte Kompliment für mich. Ich möchte Leute erreichen. Im Moment mache ich das über Backkurse, vielleicht werde ich irgendwann nur noch Vorträge halten. Ich will viele inspirieren.«
So kann er sich immer wieder neu erfinden und neue Dinge gestalten und immer mehr zu sich zu kommen. »Immer wenn ich mich wieder auf mich konzentriere, komme ich in den Prozess des Gestaltens und habe neue Ideen. Das ist ein sehr befriedender Prozess. Ich bin zum Beispiel seit einiger Zeit auch Pizzabäcker und gebe Backkurse auf einem Ferienhof. Es macht mich glücklich, wenn bei so einer Veranstaltung alles gut läuft, die Menschen eine Riesengaudi haben und meine Pizza lecker finden. Der Austausch mit den Menschen und das Gefühl, einen positiven Beitrag für viele zu stiften, macht mich glücklich.«
Alexander geht mit dem Motto »Gib dem Glück eine Chance« durchs Leben. »Ich gehe mit der Haltung aus dem Haus: Ich bin gespannt, womit ich mich heute wieder überraschen werde. Dann passieren gute, völlig unerwartete Dinge. Aber dafür ist es wichtig, ohne Erwartungen in den Tag zu starten. Denn nur Erwartungen können enttäuscht werden. Wenn ich ohne starte, dann kann ich nur glücklich ins Ziel kommen.«
Im Laufe seines Lebens hat Alexander für sich die Zufriedenheit als Lebenseinstellung gefunden. Zufriedenheit hat für ihn etwas mit innerer Ruhe zu tun, es ist für ihn das Fundament jeden Handelns. »Es ist für mich eine Entscheidung, eine Haltung, kein Verhalten. Ich bin zufrieden, mit dem was ist und dann gestalte ich etwas, dass ich mir wünsche. Ich spüre mich, ich bin bei mir, ich kann annehmen und mich mögen, dann bin ich zufrieden.« Aber auch für Alexander ist dies kein Dauerzustand, sondern ab und an hat sein Fundament auch eine Lücke. »Da falle ich rein und es ist gar nichts so einfach, wieder rauszukommen. Ich habe für mich gelernt, solche Situationen auch anzunehmen und Ja dazu zu sagen. Die Krise will mir irgendetwas sagen und das Annehmen hilft, es dann zu verarbeiten und daraus zu lernen.«
Am Nachmittag fahre ich mit Alexander zum Baumannhof in Gfrill. Ein kleines Dorf auf über 1000 Metern Höhe auf dem Weg zum Gampenpass, circa 20 Kilometer von Meran entfernt. Ein Bauernhof mit angeschlossenen Ferienwohnungen, umgeben von 7 Hektar Kulturlandschaft und 18 Hektar Wäldern und Wiesen. Ein schönes, ruhiges Plätzchen mit einem fantastischen Blick auf die zackigen Gipfel der Dolomiten, eine Gebirgsgruppe der südlichen Kalkalpen. In diesem perfekten Ambiente ist er im Einsatz um die Feriengäste mit seinen Pizzaback-Künsten zu verwöhnen. Im Garten stehen ein selbstgebauter Steinofen und gemütliche Sitzgelegenheiten für die Gäste. Vor dem Ofen befinden sich Weinfässer, auf denen ein großes Brett liegt, das Alexander als Arbeitsfläche dient. Hier bereitet er die Beläge für die Pizzen vor, schneidet Schinken, Tomaten und vieles mehr in Stücke, zupft Mozzarella klein und rührt die Tomatenpassata um. Den Teig hat er schon am Vortag angesetzt und langsam reifen lassen. Immer wieder lässt er den Blick über die Obstbäume am Hang und die Bergkulisse in der Ferne schweifen. Alexander freut sich auf den Abend, auf die Gespräche und das Leuchten in den Augen der Menschen, wenn er ihnen eine frischgebackene Pizza überreicht, und sie genussvoll hineinbeißen.
Ein tägliches Ritual, das Alexander dabei hilft, seine Life-Balance im Gleichgewicht zu halten, ist ein Spaziergang in der Natur.
Mit eigenen Pizzakreationen aus dem Holzofen begeistert er seine Kunden.
Als die Gäste eintreffen bringt Alexander den Teig mit schnellen Handgriffen in Form, dabei staubt das Mehl in alle Richtungen. Anschließend wird die Passata in kreisenden Bewegungen von der Mitte langsam nach außen auf den Pizzaboden aufgetragen und nach Wunsch belegt. Danach wird die Pizza für wenige Minuten im Holzofen gebacken. Alexander genießt seine Arbeit und freut sich, dass seine Pizza sowie seine Art und Weise der Zubereitung alle begeistert. Ein wahrer Glücksmoment für ihn.
Für Alexander gibt es eine Work-Balance und eine Life-Balance. Beides sind für ihn separate Bereiche, die in sich stimmig sein müssen. Für die Work-Balance sind ihm eine gute Firmenphilosophie, gute Mitarbeiter, gute Produkte, eine Vision davon, wie es weitergehen soll, und dass er nicht ständig zu viel arbeiten muss, wichtig. Für seine Life-Balance braucht er gemeinsame Zeit mit Freunden und Momente des Alleinseins, wie zum Beispiel beim Wandern. Ich begleite ihn bei seinem täglichen Entspannungsspaziergang nach der Arbeit. Wir gehen durch einen Wald, es ist heiß heute, doch die Bäume spenden wohltuenden Schatten. Alexander nimmt sich Zeit, er geht langsam, mit einem Lächeln im Gesicht und wirkt fast ein wenig abwesend. An einem kleinen Weiher bleiben wir stehen, er beobachtet die Enten im Wasser und schaut auf die kleine Insel in der Mitte des Weihers. Die Äste der Bäume spiegeln sich im Wasser, wir hören nur das Zwitschern der Vögel und das Summen der Insekten. Ein magischer Ort. Für Alexander ist dieser Weiher seine Naherholungszone, hier tankt er Energie und lässt seine Gedanken schweifen. Weiter geht es über einen kleinen Pfad entlang moosbewachsener Felsen hinauf zu einer kleinen Kirche. Alexander setzt sich auf eine Bank und genießt die fantastische Rundsicht auf die Apfelplantagen im Etschtal, die Meraner Berge mit dem Ifinger sowie vereinzelte Schlösser, Burgen und Ruinen. Der Blick in die Ferne lässt Alexander wieder einmal philosophieren: »Es gibt kein Limit, außer dem, das du dir selber setzt.«