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Zustieg mit Glücksumwegen

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In den letzten beiden Jahrzehnten bin ich privat und beruflich als Fotograf und Filmemacher um die ganze Welt gereist. Ich habe einige Jahre in Australien gelebt und viele wundervolle, oft ferne Naturparadiese gesehen. Im April 2020 saß ich zu Hause in meiner Wohnung in Hamburg und blickte auf die noch kahlen Bäume unter einem strahlend blauen Himmel. Draußen war kaum jemand unterwegs, soziales Leben und Arbeit waren im ersten Lockdown der Corona-Pandemie auf ein Minimum heruntergefahren. Ich bekam schon seit Wochen drei Fragen nicht mehr aus dem Kopf: Was macht mich eigentlich glücklich? Bin ich mit meinem Leben zufrieden oder fehlt da vielleicht etwas? Und wenn ja, wo würde ich am ehesten darauf hoffen, es zu finden?

Ein Zustieg mit pandemiebedingten Glücksumwegen führte mich in den folgenden Monaten dann immer wieder tief in die Bergwelt der Alpen. Die atemberaubende Landschaft aus schroffen Bergen, teils unberührter Natur, grünen Wiesen und der großen Weite, die man vom Berggipfel aus erfährt, wenn der Blick über das Alpenpanorama schweifen kann, all das hat mir schon in der Vergangenheit geholfen, über wichtige Dinge und Entscheidungen in meinem Leben nachzudenken. Ich liebe das Gefühl, frühmorgens zu einer Wanderung aufzubrechen, in der Stille einen Fuß vor den anderen zu setzen und dabei nur meine Schritte zu hören. Ich kann dabei die reine Luft förmlich in meinen Lungen spüren und finde es wunderbar, mich in einem klaren Gebirgsbach zu erfrischen oder Waldbeeren am Wegesrand zu pflücken. Die Ruhe und Einsamkeit in den Alpen und der damit verbundene Kontrast zum Alltag in der Stadt tun meinem Körper und meiner Seele gut. Um zu erklären, warum ich so viel über das Thema Zufriedenheit nachgedacht habe, muss ich das Rad der Zeit jedoch für einen Moment zurückdrehen.


Die Ruhe und Einsamkeit in den Alpen tun meinem Körper und meiner Seele gut.

Im Januar 2020 reiste ich überstürzt aus Nazaré in Portugal ab, wo ich mit einigen lokalen Surfern eine Filmdokumentation über Big Mama machen wollte, eine gigantische Welle, die sich direkt vor der Küste des Fischerortes bricht. In 39 Stunden fuhr ich mit meinem Camping-Produktionsfahrzeug fast Nonstop nach Norddeutschland zurück. Es folgten Tage voller Hoffen und Bangen im Krankenhaus. Eigentlich war ich überzeugt, dass meine Mutter wieder aufwachen würde, ich träumte in einer Nacht sogar davon, doch es sollte nicht sein. Glück, Zufriedenheit und das Freiheitsgefühl, das mich in den Tagen zuvor noch erfüllte, waren von einer Sekunde zur anderen von Schock und Trauer abgelöst. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich den Tod eines geliebten Menschen verarbeiten musste.

Deshalb habe ich mich in den folgenden Wochen und Monaten so oft gefragt, was wir dafür tun können, um glücklich und zufrieden zu sein. In dieser Zeit entstand die Idee zu diesem Buch. Im Sommer 2020 bin ich dann mit dieser Frage im Gepäck in die Alpen gereist. Ohne einer vorab geplanten Reiseroute zu folgen, habe ich mich vier Monate lang kreuz und quer durch die Berge treiben lassen, immer auf der Suche nach Menschen, deren Lebensgeschichten im besten Fall exemplarisch zeigen, wie ein glückliches, ein zufriedenes, ein erfülltes Leben aussehen kann. Dabei habe ich mich der Herausforderung gestellt, die innere Haltung dieser Menschen zu fotografieren und ihr Glück in Bildern festzuhalten. Begleitet hat mich meine Frau Ilka, die mich bei diesem Projekt auf allen Ebenen unterstützte.

Unabhängig von meiner persönlichen Motivation wollte ich Geschichten einfangen, die auch anderen als Inspirationsquelle dienen können. Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen aktuelle gesellschaftliche Normen, wie zum Beispiel den Sinn der eigenen Arbeit, in Frage stellen und nach Veränderungen streben. Heutzutage geht es oft nur um Effizienz, Produktivität und Optimierung. Das gilt in der Arbeitswelt, aber auch im Privatleben. Alles muss geplant, optimiert und verbessert werden, mit dem Versprechen oder der Hoffnung, die vorhandene Lebenszeit möglichst effektiv zu nutzen. Dieses Buch will ausdrücklich kein Ratgeber auf dem Weg in ein erfüllteres Leben sein, sondern zeigen, wie Höhen und Tiefen ineinander greifen und sich sogar bedingen.

So unterschiedlich die hier versammelten Lebensgeschichten sind, eines haben sie gemeinsam: Veränderung, auch wenn sie nur in der Bereitschaft besteht, offen für Neues zu bleiben, ist der Schlüssel zu Glück und innerer Zufriedenheit. In vermutlich keiner anderen Region Europas zeigt sich das so exemplarisch wie in den Alpen. Hier treffen ein ganz besonderer Mix aus Tradition und Moderne, aus erhabener Natur und jahrhundertealter Kulturlandschaft aufeinander.


Für vier Monate kreuz und quer durch die Alpen, ohne Reiseroute und im Pick-up mit Wohnkabine immer völlig autark.

Glücksumwege

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