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Von Knödeln und der inneren Mitte Bei Ulli Kofler auf der Wurzer Alm
ОглавлениеMein Weg führt im paradiesischen Wandergebiet bei Meran von Hafling Dorf aus hinauf auf 1707 Meter. Mein Ziel ist die Wurzer Alm. Über weite Strecken wandere ich im Wald bergauf. Der Weg ist mit Baumwurzeln übersät. Rot leuchtende Walderdbeeren laden zu einer kleinen Rast ein, bevor ich nach knapp einer Stunde eine weite Lichtung erreiche, die den Blick auf ein grandioses Panorama freigibt. In der Ferne zeigt sich im weichen Nachmittagslicht die Bergwelt von der Ortlergruppe bis in die Ötztaler Alpen. Auf einer weitläufigen, mit einem Holzzaun eingefassten Bergwiese grasen zwei Pferde, und auf dem Zaun sitzt ganz in der Nähe ein Pfau. Noch bevor ich auf einer der Holzbänke vor der Alm Platz genommen habe, schlägt mir der herrliche Duft von Kaiserschmarrn entgegen. Aus der Küche hört man Geschirrklappern und ein fröhliches Lachen. Das Lachen gehört zu Ulli, der Hüttenwirtin der Wurzer Alm. Wow, denke ich ganz spontan, als ich sie zum ersten Mal sehe, sie strahlt mit jeder Faser eine unglaublich einnehmende innere Zufriedenheit aus, ich will unbedingt mehr von ihr erfahren.
Ulli ist seit 25 Jahren Hüttenwirtin. »Was du tust, das musst du mit Leidenschaft machen, dann gelingt es«, sagt sie. Ulli hat ihre innere Mitte gefunden, sie weiß genau, was sie will und was ihr wichtig ist. »Ich brauche kein goldenes Schloss und keinen Ferrari. Gesundheit, gute Freunde, Natur, Ruhe, Zeit für mich – das sind die Dinge, die wirklich zählen. Geld macht nicht glücklich.« Ulli hat die Wurzer Alm gemeinsam mit ihrem Partner Markus übernommen, mit dem sie die Alm bis heute betreibt. Damals war sie 24 Jahre alt und musste sich noch daran gewöhnen, Chefin zu sein. Nach und nach hat sie gelernt, nicht nur die Abläufe auf der Alm zu planen, sondern auch das besondere Image aufzubauen und die Atmosphäre zu schaffen, die von den Gästen so geschätzt wird. Vor allem am Anfang war der Druck riesig, oft fühlte sie sich überfordert und unsicher.
Der Wendepunkt in ihrem Leben ist ein trauriges Ereignis. Als ihr Vater völlig unerwartet auf der Wurzer Alm stirbt, ist sie so überwältigt von Trauer, dass sie monatelang nachts keinen Schlaf findet. »Es war die Hölle auf Erden für mich«, erzählt Ulli. Sie sucht Hilfe in der Meditation, um den schweren Schicksalsschlag zu bewältigen. »Dadurch habe ich mich selber besser kennengelernt, mich besser verstanden und so den Weg zu meiner Mitte gefunden.« In einer geführten Trauermeditation sieht sie ihren Vater noch einmal vor sich, kann sich bei ihm bedanken, ihn gehen lassen und sich verabschieden. »Das hat mir nicht nur geholfen, seinen Tod zu verarbeiten. Die Mediation, das Zu-mir-kommen und die Verabschiedung von meinem Vater waren eine große Befreiung für mich, die bei mir Zufriedenheit hervorgerufen hat und die ich dann für mich für jeden Tag mitgenommen habe.«
Heute ist sie dankbar für all die Erfahrungen, positive wie negative, die sie im Leben machen durfte. »Von negativen Ereignissen kann man so viel lernen und sie machen dich stärker. Jeder Moment ist für mich toll, weil ich im Jetzt lebe und positiv denke.« Das Positive für sich aus einer Situation zu ziehen, diese Philosophie lebt Ulli in jeder Lebenslage. Als ich mit ihr unterwegs bin, gerät sie beim Klettern am Fels in ein Erdwespennest und wird mehrmals gestochen. Sie flüchtet so schnell wie möglich nach unten und versorgt die Stiche. Anstatt zu jammern und sich zu ärgern, ist sie dankbar und davon überzeugt, dass sie die Wespen vor einer noch schlimmeren Situation bewahrt haben. »Wer weiß, wofür es gut war, womöglich wäre oben am Fels etwas Schlimmeres passiert.« Es ist eine Haltung, die mich fasziniert und die ich mir seitdem immer wieder ins Gedächtnis rufe, wenn ich mit negativen Ereignissen konfrontiert bin.
Die Wurzer Alm ist eine wundervoll gemütliche Almhütte und bietet einen grandiosen Ausblick auf die Bergwelt Südtirols.
Dankbarkeit ist dabei die erste und die letzte Aufgabe eines jeden Tages für Ulli.
Ulli sagt, dass sie Energiefresser, also Menschen, die ständig jammern, die an allem rumnörgeln und sich über alles beklagen, nicht an sich heranlässt. Sie kosten nur Kraft, stehlen unsere Energie und bringen uns damit aus dem seelischen Gleichgewicht. Wenn Ulli solchen Menschen begegnet, bleibt sie freundlich, lässt sich aber die positive Einstellung nicht rauben. »Das funktioniert auch mit den eigenen negativen Stimmen im Kopf«, sagt sie. »Du musst den inneren Schweinehund minimal halten. Wenn er hochkommt, musst du ihn abschalten und positiv denken.« Ist Glück wirklich planbar? Ulli ist fest davon überzeugt: »Du solltest deine Ziele klar vor Augen haben und die eigenen Gedanken in diese Richtung lenken. Das Universum wird dir dann die richtigen Menschen, Ideen und Lösungen präsentieren. Alles hat seine Zeit, du musst fest an dich glauben und davon überzeugt sein, dass das Leben es gut mit dir meint.« Ulli spielt alle Situationen, die in ihrem Leben passieren könnten, gedanklich durch. »Durch diese geistige Kraft treten dann die Dinge in meinem Leben so ein, wie ich sie mir wünsche.« Eine große Bedeutung hat für sie dabei das gesprochene Wort: »Du musst deine Wünsche laut aussprechen, das gibt ihnen viel mehr Bedeutung als wenn sie ungesagt bleiben, und lässt sie auch wahr werden.«
Das Hängebauchschwein Kaminwurz ruft Ulli zwischendurch gern mal laut zu sich. Es ist zusammen mit Pferden, Ziegen, Katzen und Kaninchen auf der Alm zu Hause.
Mit meiner Reise habe ich mich selbst auch auf die Suche gemacht, mir Menschen gewünscht, die mich inspirieren, von denen ich etwas über Glück und ihre Zufriedenheit im Leben lernen kann. Ist nicht Ulli genau die Person, die mir all das vermittelt? Ganz sicher kann man sich nicht einfach so einen Lottogewinn vorstellen, den Wunsch laut aussprechen und schon wird er wahr. Dennoch kennen wir alle Situationen, in denen ein Gedanke plötzlich Realität wird. Wir denken an einen Freund, den wir schon lange nicht mehr gesprochen haben, und nur ein paar Tage später läuft er uns plötzlich über den Weg.
Es gibt keinen Tag in ihrem Leben, an dem Ulli nicht gern aufsteht und das, obwohl sie sechs bis sieben Tage in der Woche von morgens bis abends auf der Alm arbeitet.