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Gerade noch rechtzeitig konnten Kerstin und Martin der Horde ausweichen, die sie mit seltsam steifem Gang niederzuwalzen drohte. Die Gesichter vermummt, mit Helmen oder flauschigen Hauben auf dem Kopf – und ja, die eine oder andere davon hatte Wickie-Plüschhörner – waren die Personen nahezu unkenntlich. Dazu passte auch das Tschepern der offenen Skischuhschnallen, das durchaus Ähnlichkeit mit den Kuhglocken hatte, die bei Krampusläufen schaurige Stimmung verbreiten sollten. Allerdings waren die Mitglieder der Perchtengruppen weitaus agiler und koordinierter in ihren Bewegungsabläufen als die müden vom Skigebiet am Ankogel ins Hotel zurückkehrenden Wintersportler, die mit den klobigen Skischuhen über den Parkplatz torkelten.

»Wie die Zombies!«, schimpfte Kerstin. »Passts doch auf!«

Sie duckten sich, als sich ein Tourist zu seinem Freund umwandte und sie mit den über der Schulter liegenden Ski beinahe geköpft hätte. Das Risiko, beim Perchtenumzug von einer Rute erwischt zu werden, schätzte Martin geringer ein.

»Oh! I’m sorry!«

»Be careful!«, ermahnte Kerstin ihn. »Sonst Aua!«

Den Dienstwagen hatten sie etwas ungünstig geparkt, und Martin achtete darauf, dass er nicht zu Schaden kam. Während die meisten Mölltaler in der Bergwelt quasi mit den Brettln aufwuchsen und bereits im Alter von drei Jahren nach dem Motto »Wer bremst, verliert« den Steilhang runterrasten, war vielen Touristen der Umgang mit der Skiausrüstung wenig vertraut.

»Mich wundert, dass auf den Pisten nicht mehr passiert«, regte sich Kerstin auf. »Wenn sie überhaupt auf den Pisten bleiben! Ich hasse die Idioten, die keine Ahnung vom Berg haben und noch bei Lawinenwarnstufe 4 ins freie Gelände fahren. Als ob die Bergretter nichts Besseres zu tun haben, als sie auszugraben.«

Sie stiegen ins Auto, und Kerstin ließ den Motor an.

»Wer sagt’s dem Chef?«, fragte sie.

Martin zog seinen Notizblock hervor und blätterte darin. Unabhängig von Skifahrern, die auf den Hängen kollidierten, weil die Ski mit ihnen und nicht umgekehrt fuhren: Langeweile würden sie in den nächsten Wochen wohl nicht fürchten müssen.

»Du«, antwortete er, mehr um sie zu ärgern.

»Sicher nicht!«

Sie warf ihm einen Seitenblick zu und schaltete einen Gang zurück, weil vor ihnen ein Winterdienstfahrzeug dahinzuckelte, der Gegenverkehr jedoch kein Überholen zuließ. Und allzu eilig hatten sie es nicht, in der Polizeiinspektion einzurücken und Postenkommandant Georg Treichel Rede und Antwort zu stehen.

Martin hob den Notizblock und schwenkte ihn neben ihrem Gesicht. »Ich schreib, du redest.«

»Vergiss es! Der Treichel zuckt aus. Das ist nicht gut für seinen Blutdruck, der ist eh schon zu hoch!«

»Dann wirst du es ihm schonend beibringen müssen. Weißt eh, mit viel Einfühlungsvermögen und – Aua!«

Kerstin beherrschte – typisch Frau? – Multitasking: Sie konnte Autofahren und zuschlagen zugleich.

Vielleicht sollte er das mit dem Ärgern noch einmal überdenken. Kerstin war eindeutig nicht in der Stimmung für lockeres Geplänkel, und das hatte weniger mit ihrer Arbeit als Polizistin zu tun als mit ihrem Privatleben. In der Beziehung mit dem Spittaler Kollegen Michl Berger, in die sie sich im Herbst gestürzt hatte, schien jetzt Funkstille zu herrschen. Zuvor Liebesurlaub am Meer, bei dem die beiden kaum aus dem Hotelzimmer gekommen waren, wie Kerstin mit Herzerln in den Augen und ohne Rücksicht auf Martins Schamgrenze berichtet hatte; dann aber war keine Rede mehr von einem gemeinsamen Weihnachtsfest. Was genau los war, wusste Martin nicht. Obwohl Kerstin sonst überaus mitteilsam war, zeigte sie sich gegenwärtig ungewohnt schweigsam. Und mit ihrer Laune konnte sie schon fast dem cholerischen Gerhard Koller Konkurrenz machen.

»Okay, machen wir es gemeinsam«, gab Martin sich daher kompromissbereit und rieb sich verstohlen den Oberschenkel.

»Gute Idee. Du erzählst es ihm, und ich koch ihm einen Kaffee.« Kerstin hatte eine recht eigenwillige Vorstellung von Arbeitsteilung. »Hoffentlich hat Gerhard ein paar Kekse übrig gelassen! Die wird der Chef brauchen.«

Sie waren ein eingespieltes Team. Auf der Polizeiinspektion eingetroffen, eilte sie voraus in den Aufenthaltsraum und aktivierte die Kaffeemaschine. Das stoßweise Knattern des Aufheizvorganges hatte auf der PI Signalwirkung, durchaus vergleichbar mit jener einer Sirene auf Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr.

Gerhard trottete wie ferngesteuert herein und holte sich seine Tasse aus dem Oberschrank, ein Erinnerungsstück an seinen Mallorca-Urlaub. Die Angst, jemand aus der Kollegenschaft könnte diese unerlaubt verwenden, war völlig unbegründet. Eher würde Martin den Kaffee aus einem Glas trinken, bevor er diese Tasse nahm, prangte darauf doch ein Urlaubsfoto von Gerhard mit seiner Holden.

Noch bevor Martin an Treichels geschlossene Kanzleitür klopfen konnte, wurde diese aufgerissen. Wie gesagt: Feuerwehrsirene.

»Gibt’s was Neues?«, fragte Treichel.

»Leider ja.«

Martin folgte dem Chef in den Aufenthaltsraum.

Kerstin schob achtlos den vertrockneten Adventskranz mit den niedergebrannten Kerzen zur Seite, der immer noch auf einer zerknudlten Serviette mit kitschigen Weihnachtsmännern mitten am Tisch stand; noch hatte sich niemand erbarmt und ihn entsorgt. Zwar war Martin heute Morgen geneigt gewesen, ihn in der Biomülltonne zu versenken, aber dann hatte er mit sich selbst gewettet: Würde der Adventskranz noch zu Ostern dastehen? Gut möglich.

Treichel sackte auf seinem Lieblingsplatz auf der Eckbank nieder, Kerstin stellte die Kaffeetasse vor ihm hin, bevor sie ihm auffällig unauffällig den noch immer gut gefüllten Keksteller heranschob. Es war der Letzte seiner Art im ausklingenden Jahr. Seit Mitte November hatten edle Spenderinnen immer wieder Kostproben aus den häuslichen Backstuben vorbeigebracht – sie hatten schon gewitzelt, dass die fleißigen Bäckerinnen die Polizei anfüttern wollte, allerdings waren Hintergedanken bei diesen auszuschließen; in einer gemeinsamen Kraftanstrengung hatte die gesamte Polizeidienststelle dafür gesorgt, dass sie nicht schlecht wurden. Obwohl Martin, wenn er ganz ehrlich war, jetzt nach Weihnachten auf Kekse verzichten konnte. So wie der Reindling mit Schinken und scharfem Kren ausschließlich zu Ostern schmeckte, passten sie für ihn nur in der Adventszeit. Schon am Heiligen Abend wollten sie nicht mehr richtig rutschen.

Der Chef starrte auf Kaffee und Gebäck und hob dann mit einem Seufzer den Kopf. »So schlimm?«

»Nervennahrung«, erwiderte Kerstin. »Kann nicht schaden.«

»Hättets halt die blöden Kaninchen behalten und nicht an den Kindergarten verschenkt. Dann könntets jetzt die Viecherln kraulen als Entspannungstherapie.« Gerhard lachte hämisch und machte mit der begleitenden Scheibenwischergeste klar, was er davon hielt.

Ehrlich gesagt waren Martin die Kaninchen ans Herz gewachsen, sowohl das durch Kerstin mutig gerettete Lenchen wie auch der kleine Willi, den Treichel in der Tierhandlung gekauft hatte, damit Lenchen nicht so allein war. Allerdings hatten sie am Posten dieselbe Erfahrung gemacht wie viele Eltern, die sich von ihren Kindern dazu breitschlagen ließen, ein Haustier anzuschaffen: Niemand wollte den Käfig sauber machen; von Kerstin entworfene Putzpläne waren ebenso nutzlos wie der auf dem Küchenkasten aufgehängte Zettel, der daran erinnerte, doch bitte das gebrauchte Geschirr in den Geschirrspüler zu räumen. Daher: Kindergarten.

»Weißt, was noch a gute Nervennahrung wäre?«, fragte Treichel. »Rumkugeln. Oder meinetwegen auch Linzeraugen. Heute in der Früh waren noch sieben Linzeraugen und acht Rumkugeln da. Und jetzt? Ist nur noch trockenes Grafl da! Irgendwer hier frisst den anderen immer die Besten weg!«

Es war ein offenes Geheimnis, dass sich Gerhard wie ein Geier auf jeden neu eintreffenden Keksteller stürzte und das Unterste nach oben kehrte, um an seine Lieblingssorten zu gelangen – die aber auch den anderen schmeckten.

»Es kann doch wohl jeder nehmen, was er will«, verteidigte er sich.

»Kollegial ist das aber nicht«, polterte Treichel.

»Du pickst dir überall die Rosinen heraus«, legte Kerstin noch einen drauf. »Wie bei der Arbeit!«

Mit knallroten Ohrwaschln fuhr Gerhard vom Stuhl hoch und stützte seine Hände auf den Tisch. »Was soll denn das heißen? Ha?«

»Du drückst dich, wo du nur kannst!«

Normalerweise nahm Kerstin den Kollegen mit Humor oder beschränkte sich aufs Sticheln, aber jetzt traf ihre Liebeskummerlaune auf Gerhards Dauergrant; eine Kombination wie Schießpulver und Flammenwerfer.

Zum Glück war Treichel nicht gewillt, sich das Theater lange anzusehen.

»Schluss damit!«

»Chef, das muss ich mir von der Kerstin nicht bieten lassen! Sie –«

»Schluss, habe ich gesagt!«

Gerhard kniff trotzig die Lippen zusammen, knickte aber unter Treichels hartem Blick ein und sagte – vorläufig – nichts mehr. Martin war aber sicher, dass sich die beiden sofort wieder an die Gurgel gehen würden, sobald der Chef außer Hörweite war. Der heutige Dienst drohte sehr, sehr lang zu werden.

»Also, Martin, was gibt’s Neues?«

Treichel nahm sich gleich zwei Kekse – Hausfreunde, wenn Martin richtig riet – auf einmal. Wie war das mit dem Teufel in der Not? So trocken konnten die als Grafl geschmähten Leckereien also gar nicht sein.

»Es gab einen Einschleichdiebstahl im ›Hotel Bergjuwel‹. Einer Niederösterreicherin wurde neben Geld ein wertvoller Smaragdring gestohlen.«

»Selba schuld. Was nimmt sie denn teuren Schmuck mit in den Urlaub«, gab sich Gerhard unberührt. »Den wird wohl ein Stubenmadl gfladert haben.«

»Vielleicht. Aber der Tathergang …« Martin wechselte einen Blick mit Kerstin und holte tief Luft. »Sie gab an, dass ihr der Ring direkt vom Finger gestohlen wurde, während sie schlief.«

»Wie bitte? Die muss das doch gemerkt haben«, japste Gerhard.

»Die hat bummfest geschlafen«, sagte Kerstin.

»Betäubt?«, fragte Treichel und zog sich den Teller heran.

»Après-Ski.«

»Wir haben die Aussage vom Barkeeper. Die Dame ist am Abend recht lang an der Bar gesessen.« Er hatte ihnen den Beleg des Getränkekonsums gezeigt. Hätte Martin das alles getrunken, hätte man ihn auch aus dem Zimmer tragen können, ohne dass er etwas mitbekommen hätte.

Treichel inhalierte die letzten Kekse und spülte sie mit seinem Kaffee hinunter, bevor er die leere Tasse etwas zu kräftig absetzte. Nur drei steinharte Kokosbusserln blieben einsam und verlassen übrig. Die wurden Vanessa Liebeteggers Mutter zugeschrieben, sodass jeder hier einen weiten Bogen um sie machte. Da ihre Kollegin Vanessa ihre Stunden auf fünfundsiebzig Prozent erhöht hatte, war in Zukunft wohl wieder öfter mit den dubiosen Koch- und Backkünsten ihrer Mutter zu rechnen.

»Diebstähle in Hotels gibt’s ja immer wieder, Gelegenheit macht Diebe«, brummte Treichel.

»Ob’s derselbe Täter war wie im ›Hotel Tauernblick‹?«, überlegte Martin laut.

Dort hatte es in der Woche vor Weihnachten zwei Fälle gegeben: ein Griff in die Kassa der Rezeption und eine Runde durch die Hotelzimmer, wobei aus zweien davon Bargeld und eine Uhr entwendet worden war. Sie hatten, da gleicher Betrieb und nur zwei Tage zwischen den Taten, entweder auf einen Gast oder einen Mitarbeiter getippt. Bei Diebstahlserien an ein und demselben Ort mit eingeschränktem Täterkreis, wie in einer Firma, war es oft zielführend, einen beispielsweise mit Silbernitrat präparierten Köder auszulegen. Schlug der Täter zu, konnte man ihm durch die Rückstände an den Fingern oder an der Kleidung den Diebstahl nachweisen. So waren sie auch im Hotel vorgegangen; leider ohne Erfolg.

»Möglich. Ausschließen können wir nichts. Aber das mit dem Ring vom Finger ist verdammt frech. Was, wenn das Opfer aufwacht?« Man konnte förmlich zusehen, wie Treichels Blutdruck in die Höhe schoss. Sein Gesicht nahm eine dunklere Tönung an. »Was dann? Wird dann aus einem Einschleichdiebstahl ein Überfall?«

»Warum nicht gleich ein Raubmord?« Gerhard schnaubte in seine Tasse, warf aber über deren Rand hinweg Martin einen provokativen Blick zu. »Das wäre was für dich, oder? So als Ausklang vom alten Jahr oder um gut ins neue zu rutschen?«

»Damit macht man keine Witze!«, erwiderte Martin.

Treichel stand auf, zog sich den Hosenbund zurecht und strich sich über das Hemd, das sich mehr als sonst über seinen Wåmpm spannte. Die Feiertage waren am Chef nicht spurlos vorübergegangen und unterwarfen die Knöpfe dem ultimativen Belastungstest.

»Ich mag keine übermütigen Diebe. Das kann zu schnell ins Auge gehen. Da müssen wir wachsam sein! Gut, dass wir mit dem 1. Januar endlich Verstärkung bekommen.«

Treichel hatte sich in den letzten Monaten vehement um den personellen Ausbau seiner Dienststelle bemüht, was mit mehr Bürokratie verbunden gewesen war, als selbst einem eingefleischten Beamten wie ihm lieb sein konnte.

»Ah ja. Ein unerfahrener Polizeischüler und ein Grufti aus Villach, oder?«, zeigte sich Gerhard skeptisch. »Der eine wird nicht wissen, wo beim Kuli oben und unten ist, und der andere wird keinen Kuli mehr angreifen wollen!«

»Und eine ganz gewiefte junge Kollegin. Die hat in Graz studiert, bevor sie zur Polizei ging«, ließ sich Treichel seine Freude nicht nehmen.

»Was denn? Psychologie? Oder was Gscheites?«

»Eine Haus- und Hofpsychologin könnten wir für dich eh gut brauchen, Gerhard«, raunzte Kerstin ihn an. »Die könnte deinen Koller austherapieren!«

Während Martin die leeren Kaffeehäferln in den Geschirrspüler räumte, öffnete Kerstin das Fenster und warf die Kokosbusserln in hohem Bogen hinaus.

»Die Vogalan freuen sich darüber!«, erklärte sie achselzuckend.

Nur der Koller war sitzen geblieben und nuckelte an seinem halb vollen Kaffee.

Treichel hieb ihm von hinten seine Pranken auf die Schultern. »Und wir zwei gehen jetzt raus Radarmessen«, befahl er.

»Was?«, brachte Gerhard mühsam heraus; er hustete heftig. »Draußen hat’s gefühlt minus zwanzig Grad!«

Treichels fieses Grinsen hätte jedem Horrorclown zur Ehre gereicht. »Eben.«

Waidmannsruh

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