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Kapitel 5 – Geblendet im Schatten
ОглавлениеDrei Stunden später stehe ich vor den weit geöffneten Schranktüren und fluche, angefeuert von Isgard, Wilko und Linda, die es sich gemeinsam mit den beiden Katzen auf meinem Bett bequem gemacht haben.
„Ich weiß nicht, was ich anziehen soll!“
„Das erzählst du uns schon seit einer halben Stunde“, wirft Isgard ein und schaut dabei wie eine Große.
Nach einer weiteren halben Stunde habe ich mich entschieden. Meine Wahl ist auf eine dreiviertellange nachtblaue Hose und eine türkisfarbene Tunika mit edler Stickerei gefallen. Die Haare habe ich locker hochgesteckt und wie fast immer nur wenig in den Schminktiegel gegriffen.
„Du siehst klasse aus, Schwesterchen“, lobt Linda meine Aufmachung, und auch die Kinder scheinen mit meinem Outfit einverstanden zu sein.
„Hoffentlich bin ich nicht overdressed. Wer weiß, vielleicht kommt er ja wieder im Holzfällerhemd oder Sprüche-T-Shirt.“ Bei dem Gedanken daran ist mir irgendwie mulmig.
„Mach dir keinen Kopf, das wird schon schiefgehen. Auf jeden Fall hat er bei der Wahl des Lokals schon mal Stil und Geschmack bewiesen“, stellt Linda anerkennend fest. „Du musst jetzt aber auch wirklich los, Jojo.“
Mit dem Auto sind es nur wenige Minuten bis in die Wiesenstraße. Ich habe natürlich vorher nichts mehr zu erledigen, aber zu Hause abgeholt werden wollte ich auch nicht. Wer weiß, was das für ein Typ ist, da ist es vielleicht besser, wenn er meine Adresse erstmal nicht kennt.
Das Casa del Gusto ist gut gefüllt, im Gegensatz zu meinem Magen. Der macht sich durch lautes Grummeln bemerkbar. Hunger, ganz eindeutig. Oder vielleicht doch Aufregung? Zum einen sicherlich leichte Nervosität wegen des Treffens mit dem Pferde-Freddy, wie ich ihn in Gedanken manchmal nenne. Zum anderen aber auch, weil meine Erinnerungen an das letzte Essen zu zweit in diesem Restaurant alles andere als schön sind. Ich war zwar anschließend nochmal hier, um mich bei Salvatore für die Sauerei mit dem Rotwein zu entschuldigen (wobei er mir sagte, dass er temperamentvolle Frauen bewundert und es nichts zu verzeihen gäbe, schließlich hätte mein verlogener Ex-Freund ohne Beanstandungen die Kosten für Reinigung und Renovierung bezahlt), aber irgendwie ist mir immer noch etwas unwohl.
Salvatore reißt mich aus meinen Gedanken und begrüßt mich herzlich. „Ciao Johanna, schön dich mal wieder zu sehen.“
„Ciao Salvatore, ich freue mich auch“, antworte ich und meine es tatsächlich so. „Ich bin mit Frederic Waldstein verabredet, allerdings erst in einer Viertelstunde.“
„Ah, bene, kein Problem, Frederic hat einen Tisch für zwei draußen im Sommergarten reserviert. Ich bringe dich hinaus.“
Der Garten im Hinterhof ist wirklich schön. Ein kleines Stück Toscana mitten in der Stadt. An der alten Bruchsteinmauer des Hauses rankt Wein empor und die Abendsonne taucht alles in ein warmes, weiches Licht. Wie schön, da kann ich die Augen noch einen Moment schließen und die Sonnenstrahlen genießen.
So ein Mist, kaum sind die Augen zu, schiebt sich eine Wolke vor die Sonne.
„Guten Abend, Frau Bergström.“
Huch, die Wolke kann sprechen. Ich öffne die Augen und kann diesen nicht trauen: Vor mir steht eine, eine, ja, was denn? Eine Lichtgestalt! Es ist Pferde-Freddy, der in seinem sandfarbenen Sommeranzug und dem hellen Hemd, das er leger ohne Krawatte trägt, einfach unglaublich gut aussieht. Das gibt’s doch gar nicht, in seinem karierten Hemd und dem Sprüche-T-Shirt wirkte er so ganz anders. Oder steht hier gerade sein wohlgeratener Zwillingsbruder vor mir?
„Darf ich mich setzen?“, fragt er etwas irritiert. Meine Güte, ich muss aber auch gucken wie Hein Blöd.
„Ja, sicher, hallo. Entschuldigung, ich war gerade mit meinen Gedanken woanders.“
„Und wo, wenn ich fragen darf?“ Er lächelt mich an.
„Äh, in der Toscana.“ Das ist ja noch nicht einmal gelogen, das war schließlich mein vorletzter Gedanke. Offenbar habe ich Frederic damit auch ein gutes Stichwort geliefert, er gerät sofort ins Schwärmen. Die hügelige Landschaft, die netten Leute und das gute Essen. Da ich selbst auch schon dreimal in der Toscana war, kann ich ihm nur in allen Punkten zustimmen und wir kommen schnell in ein wirklich gutes Gespräch über Land und Leute. Nebenbei studieren wir die Speisekarte und sind uns gleich einig: Wir nehmen das volle Programm und bestellen Salvatores Vier-Gänge-Überraschungsmenü.
„Essen ist doch eine der schönsten Sünden überhaupt“, schwärmt er in genießerischer Vorfreude. „Ich komme mit Menschen, die nicht gern essen oder darin rumstochern und dann auch noch klapperdürr sind, meistens nicht auf einen Nenner. Ich bin halt ein Genussmensch und finde, das darf man auch sehen.“
Erst jetzt fällt mir auf, dass er nicht nur mindestens einsneunzig ist, sondern auch eine recht kernige Statur hat. Genau richtig eigentlich für meinen Geschmack.
„Sie sehen übrigens großartig aus heute Abend, Johanna.“
Gut, dass ich schon sitze, sonst würde es mich umhauen. Meine Güte, dieser Mann strahlt mich an und seine blauen Augen zeigen mir, dass er es tatsächlich auch so meint. Aufwachen Johanna, du bist im falschen Film, träumst oder halluzinierst.
„Vielen Dank, Frederic, Sie aber auch.“ Etwas verlegen zupfe ich meine Tunika zurecht, um meine Pölsterchen zu kaschieren.
Wie selbstverständlich sprechen wir uns mit unseren Vornamen an. Okay, er ist maximal zehn Jahre älter als ich, wenn überhaupt. Da ist das schon in Ordnung. Wenn wir uns in einer Kneipe oder bei Freunden kennen gelernt hätten, würden wir uns wahrscheinlich eh schon duzen.
„Sollen wir uns nicht duzen?“ Was? Bin das wirklich ich, die da spricht? Johanna, komm zu dir, und immer ruhig mit den jungen Pferden.
„Ja, von mir aus gern. Ich bin Frederic, aber das weißt du ja schon.“
„Ich bin Johanna.“
Zum Glück stellt sich jetzt nicht diese verlegene Stille ein, wie es sonst nach einer Verbrüderung oft üblich ist, denn Salvatore serviert uns eine leckere Auswahl Antipasti. Wir essen und genießen und unterhalten uns über Italien, vergangene Urlaube, lachen noch mehrfach herzlich über unser im wahrsten Sinn des Wortes eisiges Kennenlernen und sind überrascht, als es plötzlich schon kurz vor Mitternacht ist und Salvatore das Geschirr vom Dessert abräumt.
„Die Zabaglione war einfach grandios“, seufze ich wohlig satt in die warme Sommernacht. Hätte mir heute Morgen, als ich noch mitten im Jammertal der Tränen saß, jemand gesagt, dass es mir jetzt so gut geht, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Wie ein echter Gentleman zahlt Frederic die Rechnung direkt bei Salvatore, und weil der breit grinst, vermute ich, dass das Trinkgeld fürstlich war. Hätte gar nicht gedacht, dass man als Pferdepfleger so gut verdient. Aber das ist mir jetzt auch irgendwie egal.
„Ich würde dich gern wiedersehen, Johanna“, sagt Frederic mit leiser, warmer Stimme, als wir an meinem vor dem Restaurant geparkten Auto stehen. Ja, das möchte ich auch, denn so einen schönen Abend mit so einem netten und zudem noch gutaussehenden Mann habe ich schon ewig nicht mehr verbracht. Ewig? Quatsch. Um ehrlich zu sein: noch nie.
„Ja, Frederic, ich möchte dich auch gern wiedersehen, aber . . .“
„Oh nein, kein Aber.“ Schaut er jetzt tatsächlich etwas ängstlich, oder bilde ich mir das nur ein?
„Doch, es gibt ein Aber. Ich fahre am Montag nach Schweden. Meine Eltern leben dort und ich besuche sie für einige Zeit. Ich weiß im Moment leider noch nicht, ob ich in drei Tagen oder drei Wochen wiederkomme.“
„Drei Tage wären mir natürlich lieber“, lacht er verschmitzt, „aber auch drei Wochen werde ich irgendwie überstehen.“
Wir tauschen noch unsere Handynummern aus und dann passiert es: Er nimmt mich zum Abschied in den Arm, ganz fest und etwas länger, als ich es für eine Umarmung nach dem ersten Kennenlernen üblicherweise erwarten würde. Ich bin immer überrascht, wo in solchen Augenblicken der viele Pudding in den Knien herkommt. Doch darüber kann ich mir jetzt keine Gedanken machen, ich bin fasziniert von seinen starken Armen, die mich umhüllen. Und er riecht unglaublich gut.
„Pass auf dich auf in Schweden und schlaf schön heute Nacht“, flüstert er in mein Ohr und gibt mir einen leichten Kuss auf die Wange. Mehr als ein leises „Du auch und bis bald“ bringe ich jetzt nicht mehr hervor.
In meinem Auto muss ich mich erstmal sammeln. Völlig benebelt sitze ich zurückgelehnt auf dem Fahrersitz. Nach unserer ersten Begegnung in der Eis-Diele fand ich Frederic irgendwie ungehobelt und auch im Hasenstall konnte ich meine Meinung nicht revidieren. Und heute Abend ist er wie ausgewechselt und auf dem besten Weg, mein persönlicher Mister Perfect zu werden? So etwas passiert doch sonst nur in Kitsch-Filmen und Schmonzetten, aber nicht im echten Leben. Aber im Film reitet das junge Glück ja auch zusammen in den Sonnenuntergang, nachdem die böse Schwiegermutter plötzlich ihren guten Charakter erkannt und doch noch alles zum Guten geführt hat.
Ich muss jetzt erstmal nach Hause und ins Bett. Hoffentlich schlafen Linda und die Kinder schon, ich kann jetzt keinen ausführlichen Bericht mehr abliefern.
Meine Bitte wird erhört. Linda, Wilko und Isgard schlafen alle tief und fest, allerdings gemeinsam in meinem Bett, sodass ich aufs Sofa ausweichen muss. Auch egal. Hauptsache hinlegen und gedanklich zur Ruhe kommen.