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Kapitel 6 – Panik im Gepäck
ОглавлениеBrr, brr, brr. Was war das denn? Und wieso liege ich im Wohnzimmer? Ach ja, langsam dämmert es mir wieder, warum ich hier bin. Das Vibrieren meines Handys hat mich aus dem Tiefschlaf gerissen. Wer schickt mir denn um diese Zeit eine SMS? Und wie spät ist es überhaupt? Halb zwölf? Ich muss im Koma gelegen haben. Hoffentlich aber nicht länger als diese eine Nacht, sonst hätte ich jetzt glatt meinen Termin beim Anwalt und den Flug nach Stockholm verpasst.
Die SMS ist von Frederic. Und mein Magen macht sich auch schon wieder bemerkbar. Hunger, ganz klar. Hoffe du hast gut geschlafen. Danke für den schönen Abend, bis bald, Frederic. Ich lese die SMS mindestens fünfmal. Ja, der Abend war wirklich schön.
Kaum, dass ich meinen Gedanken weiter nachgehen kann, wird die Wohnzimmertür aufgerissen, und wie bereits gestern habe ich auch heute zwei tobende Kinder und zwei tobende Katzen auf mir hängen. Na wartet, ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Nach einer kurzen aber heftigen Rauferei liegen wir alle erschöpft auf dem Sofa – nur die Katzen nicht, die haben sich darunter versteckt.
„Schluss jetzt mit dem Quatsch, es ist Zeit zum Kofferpacken, und zwar für uns alle“, holt Linda uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie und ihre Rasselbande fahren heute Abend wieder nach Hause, und ich fliege morgen schließlich nach Schweden. Der Sonntagnachmittag steht deshalb auch ganz im Zeichen der unvermeidlichen Reisevorbereitungen. Vor lauter Packen und Suchen kommen wir kaum zum Quatschen, erst als unsere Taschen und Koffer fast überquellen, will Linda wissen, wie der gestrige Abend gelaufen ist.
„Ganz gut“, antworte ich vage.
„Nur ganz gut? Das glaube ich dir nicht, so beseelt wie du heute Morgen im Schlaf gelächelt hast, als ich vorsichtig ins Wohnzimmer geschaut habe.“
„Ja, ok, er war ganz nett.“
„Wer, der Abend oder der Mann?“
„Beide, irgendwie.“
„Alles klar, Jojo, du hast dich verliebt“, triumphiert sie. „Mir musst du nichts vormachen.“
Jede Gegenwehr ist jetzt zwecklos, Linda würde eh keine Ruhe geben, dafür kenne ich sie zu gut. Stattdessen lasse ich ihre Vermutung unkommentiert. Als wenn ich mich so schnell verlieben würde! Und dann auch noch in jemanden, der zumindest zurzeit für mich noch völlig undurchschaubar ist.
Die Abreise von Linda, den Kindern und auch den beiden verrückten Katzen fällt mir schwerer als gedacht. Wir sehen uns zwar oft, denn Linda wohnt nur ein paar Kilometer von mir entfernt, aber irgendwie war mein Leben schon lange nicht mehr so lebhaft wie in den vergangenen zwei Wochen. Wir verabschieden uns lange und wirklich herzlich, und ich muss Linda und den beiden Rackern versprechen, mir eine schöne Zeit in Schweden zu machen.
Den Abend verbringe ich mit Tiffy telefonierend. Auch sie will natürlich in allen Einzelheiten wissen, wie es gewesen ist. Erst nach fast zwei Stunden beenden wir unser Gespräch, in dem wir von Hölzchen auf Stöckchen gekommen sind.
„Ich drücke dir die Daumen für deinen Anwaltstermin morgen und genieß die Zeit in Schweden. Vielleicht triffst du ja deinen alten Jugendschwarm Lasse wieder“, stichelt Tiffy.
„Ja, vielleicht. Und geh du endlich mal mit Giovanni aus, ihr passt so gut zusammen“, stichele ich zurück. Nach einer kleinen verbalen Kabbelei legen wir beide lachend auf.
Entspannt lehne ich mich zurück und lasse den gestrigen Abend nochmal Revue passieren. Frederic! Ich habe ja gar nicht auf seine SMS von heute Morgen geantwortet. Hoffe du hast gut geschlafen. Danke für den schönen Abend, bis bald, Frederic, lese ich die SMS immer und immer wieder. Was soll ich ihm bloß antworten? Der Abend und die Nacht waren gut? Nein, bloß nicht, das ist zweideutig. Es war schön mit dir? Geht gar nicht. Meine Güte, ist das schwierig. Mir hat der Abend auch sehr gut gefallen, freue mich auf eine Wiederholung. Alles Liebe, Johanna. Ja, das ist gut. Freundlich und nicht verfänglich, aber signalisiert trotzdem Interesse. Also ab damit. Will ich ihm eigentlich zu verstehen geben, dass er mich interessiert? Was ist, wenn sein Auftreten gestern Abend nur gespielt war und er tatsächlich doch der ungehobelte Typ im Karo-Hemd ist? Das ist wieder mal typisch. Toll gemacht, Johanna, aber jetzt ist es eh zu spät.
Brr, brr, brr. Das ist ja schon wieder mein Handy. Eine SMS von Frederic. Der tippt ja offenbar schneller als die Polizei erlaubt. Wünsche dir eine schöne Zeit in Schweden. Werde jeden Tag bei Sonnenuntergang an dich und unseren Abend denken. F. Ein bisschen kitschig, aber trotzdem schön. Und so romantisch. Mein Magen macht sich schon wieder bemerkbar. Ich habe doch gerade erst gegessen. Merkwürdig. Fühlt sich aber auch irgendwie gar nicht nach Hunger an.
Es ist Montag, kurz nach acht, und mich überfällt schon wieder die Panik. Was ist, wenn mein bescheuerter Chef doch mit seiner miesen Art durchkommt und der Anwalt erfolglos ist? Und selbst wenn er gegen die Kündigung etwas unternehmen kann – wie geht es dann für mich weiter? Will ich in die Agentur zurück, meinen Job wiederhaben und so tun, als wenn nichts gewesen wäre? Das kann ich nicht, und auch Schmidt kenne ich mittlerweile so gut, dass ich mir sicher bin, dass er niemals von seinem hohen Ich-bin-der-Agenturchef-Ross runterkommen wird. Also kann ich nur auf eine Abfindung hoffen. Und dann? So hoch wird die sicherlich nicht ausfallen, dass ich mich davon mit knapp dreißig schon aufs Altenteil zurückziehen kann. Ach Mist, ich drehe mich irgendwie im Kreis. Ich bin arbeitslos, meine Existenz ist bedroht, wahrscheinlich kann ich mir demnächst weder meine Wohnung noch das halbe Auto leisten. Na ja, und falls ich hungern muss, hat das wenigstens einen Vorteil: meine üppigen Pfunde werden sich verflüchtigen. Aber auch einen großen Nachteil: Hunger verursacht bei mir schlechte Laune!
Das Klingeln meines Handys reißt mich aus diesem wirren Gedankenstrudel.
„Aufsteeehn“, brüllt Tiffy mir ins Ohr.
„Tiffy, verdammt, jetzt habe ich einen Hörsturz. Ich bin schon längst auf und mal wieder völlig verzweifelt.“
„Das ist ja was ganz Neues. Mensch Jo, komm runter. Dein Anwalt wird dir gleich schon erzählen, dass dein Leben weitergeht und du dich nicht nur noch von trocken Brot und Wasser ernähren musst.“
„Ach Tiffy, das hoffe ich ja auch, aber bei dem Glück, das ich im Moment habe . . .
„Hör auf zu nörgeln, schließlich hast du Frederic kennen gelernt.“
„Tiffy, ich muss jetzt los. Ich melde mich später nochmal bei dir.“ Das Thema Frederic möchte ich jetzt auf keinen Fall weiter vertiefen, das verwirrt mich im Moment nämlich noch mehr als meine berufliche Misere.
Die Kanzlei Berndorff und Partner ist in einer schmucken Jugendstil-Villa in bester Stadtrandlage. Noble Gegend, in wenigen Minuten ist man mitten in der Fußgängerzone, aber auch aufs Land ist es nicht allzu weit. So was Schickes werde ich mir wohl nie leisten können.
Ein großes goldenes Kanzleischild weist mir den Weg zur Anmeldung, an der mich eine zierliche und sehr gut aussehende Frau empfängt. Ich schätze sie auf Anfang sechzig und bin beeindruckt von ihrer Ausstrahlung, die sehr elegant, aber gleichzeitig warm ist.
„Guten Morgen, ich bin Johanna Bergström und habe um zehn Uhr einen Termin.“
„Guten Morgen Frau Bergström. Schön, dass Sie da sind. Herr Berndorff hat gleich Zeit für Sie. Nehmen Sie doch bitte hier noch einen Augenblick Platz.“ Sie führt mich in einen kleinen Raum, der mit modernen Sofas und antiken Schränken ausgestattet ist und eine ganz besondere Atmosphäre verströmt. Wow. So schöne Wartezimmer könnte es öfter geben. Von der Anmeldung her höre ich Stimmen. Erst undeutlich, doch jetzt recht klar.
„So ein Mist. Ich muss los.“ Die Stimme kenne ich, das ist doch Frederic. Wütend und aufgebracht hört er sich an.
„Pferdediebstahl, das ist wirklich kein Kavaliersdelikt. Aber ich drücke Ihnen die Daumen, dass sie und Rosa mit einem blauen Auge davonkommen“, gibt die Dame von der Anmeldung ihm mit auf den Weg.
Was? Frederic und Pferdediebstahl? Das kann doch nicht sein. Habe ich mich so in ihm getäuscht? Oder habe ich mich vielleicht doch verhört? Vielleicht kann ich ihn ja noch sehen, wenn er aus dem Haus kommt, das Fenster des Warteraums geht schließlich zur Straße. Tatsächlich, kein Zweifel. Das ist Frederic, in Jeans und T-Shirt gekleidet stürmt er aus der Tür und schnappt sich ein an die Mauer gelehntes Fahrrad, mit dem er wütend stadtauswärts davonfährt. Das gibt’s doch gar nicht. Völlig geplättet lasse ich mich wieder ins Sofa fallen.
„Frau Bergström, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragt die Dame von der Anmeldung. „Herr Berndorff lässt jetzt bitten.“
„Ja, alles in Ordnung, vielen Dank“, antworte ich mit belegter Stimme.
Rechtsanwalt Berndorff ist ein gestandener und sympathischer Mann, der sicherlich die sechzig auch schon gut hinter sich gelassen hat. Es dauert noch einen Moment, bis ich mich gedanklich gesammelt habe, doch dann kann ich wieder flüssig und in ganzen Sätzen sprechen. Ich erzähle ihm, wie es zu der Kündigung gekommen ist.
„Ihr Chef dürfte vorm Arbeitsgericht große Probleme bekommen, die Kündigung zu rechtfertigen“, ist die erste Einschätzung des Anwalts. „Was ist denn Ihr Ziel? Wollen Sie Ihren Job zurück oder mit einer Abfindung die Agentur verlassen?“
„Ich kann da auf keinen Fall wieder hin. Der Schmidt würde sich an meinem ganz persönlichen Spießrutenlauf nur belustigen und mir zeigen, wer der Chef ist.“
„Gut. Dann werde ich ein entsprechendes Schreiben aufsetzten und versuchen, eine außergerichtliche Einigung zu erwirken, aus der Ihnen keinerlei Nachteile entstehen. Ich bin zuversichtlich, dass das klappt und sie eine angemessene Abfindung erhalten werden. Schauen Sie dem weiteren Verlauf gelassen entgegen, Frau Bergström.“
Bumm. Das ist der dicke Wackerstein, der mir in diesem Augenblick vom Herzen fällt. Vielleicht wendet sich ja zumindest in dieser Angelegenheit noch alles zum Guten. Wie es mit Frederic weitergeht? Keine Ahnung, dazu muss ich erstmal die Elche in Schweden befragen oder mir von den zigtausend Mücken, die immer in Scharen über mich herfallen, die richtige Antwort injizieren lassen.
Zu Hause habe ich keine Zeit zum Nachdenken, in drei Stunden geht mein Flug. Die Reste sind schnell gepackt, die Blumen gegossen, Herd und Bügeleisen sind definitiv aus, schließlich habe ich das mindestens fünfmal geprüft, und auch die Fenster sind verschlossen. Okay, jetzt nur noch das Taxi bestellen und los geht’s.
Vor dem Haus stelle ich meine beiden Koffer und das Handgepäck ordentlich hin, es kann ja nicht mehr lange dauern, bis das Taxi kommt.
„He, Frollein, Sie da!“ Oh nein, das ist die Giftspritze von gegenüber, die samt ihres Dackels auf mich zurollt. „Sie haben gestern wieder geparkt, das ist nicht gut für unseren Zaun“, keift sie mich an, und zu allem Übel brechen auch die Vögel in der Baumkrone über uns in ohrenbetäubendes Gezeter aus.
„Ja, sicher habe ich gestern geparkt, sogar an ganz vielen verschiedenen Stellen. Ich weiß nur nicht, warum ihr armer kleiner Zaun darunter leidet?“ Ich habe keine Ahnung, was die Tante von mir will.
„Sie haben an unserem Zaun geparkt, der könnte verkratzen, wenn Sie Ihre Autotür gegen ihn hauen!“ Sie wird immer lauter, und die Vögel tun es ihr gleich.
„Ja ganz bestimmt!“ Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. „Herr, wirf Hirn vom Himmel!“, flehe ich um himmlischen Beistand. Kaum habe ich es ausgesprochen, macht es neben mir platsch und ein toter Maulwurf fällt aus der Baumkrone. Mein Gebet wurde erhört, ich kann es kaum glauben. Die Vögel, die sich offenbar um ihre Beute gestritten haben, sind still, und auch bei meiner Nachbarin zeigt die Schrecksekunde ihre Wirkung. Nur der dicke Dackel wird hektisch und bewegt sich in einer rasenden Geschwindigkeit, die ich nie von ihm erwartet hätte, auf den Maulwurf zu. Jetzt setzt auch die Giftspritze mit ihrem lauten Organ wieder ein und versucht die Aufmerksamkeit ihres Hundes zu erlangen, der sie aber geflissentlich ignoriert.
Ich kann mich vor lauter Lachen kaum noch halten und falle fast über mein Gepäck, doch zum Glück kann der neben mir stehende Taxifahrer Schlimmeres verhindern. Ich habe gar nicht bemerkt, dass er schon da ist.
Die Fahrt zum Flughafen vergeht blitzschnell, denn ich unterhalte mich mit dem netten Taxifahrer angeregt über geifernden Nachbarn und andere Landplagen. Zu meiner eigenen Überraschung verläuft auch das Einchecken reibungslos, und sogar mein um einige Kilo zu schwer geratenes Gepäck wird kommentarlos und ohne Zuschlag akzeptiert. Schweden, ich komme!