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Kapitel 7 – Butter bei die Fische

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Nach einem ruhigen Flug landet die Maschine planmäßig in Stockholm. Niemand hat neben mir geschnarcht, und mein obligatorischer Tomatensaft wurde mir von einem sehr knackigen Steward serviert. Dem Klischee sowie seinem sehr gepflegten Äußeren zufolge, ist er wahrscheinlich eh schwul, aber ich wollte ja auch nur gucken und nicht anfassen. Als er wieder in seiner Bordküche verschwunden war, habe ich mich einem anderen unglaublichen Aus- und Anblick gewidmet. Bei fast wolkenlosem Himmel konnte ich aus der Vogelperspektive erkennen, dass anscheinend nirgendwo auf der Welt die Seen so blau und die Wälder so grün sind wie in Schweden. Auch die Spuren der Eiszeit sind noch sehr deutlich durch oftmals bizarre Fels- und Gesteinsformen zu erkennen, wodurch die Landschaft noch ursprünglicher erscheint.

Beim Verlassen des Flugzeuges schlägt mir eine sommerlich-warme und gleichzeitig sehr frische Luft entgegen. Obwohl ich gerade von zu Hause aufgebrochen bin, fühle ich mich aber dennoch wie zu Hause angekommen. Meine Eltern wissen übrigens noch gar nichts von ihrem Glück. Wenn schon überraschend, dann wenigstens mit Pauken und Trompeten. Stellt sich nur noch ein Frage: Wie komme ich von Stockholm nach Gustavslund? Bus und Bahn scheiden aus, schließlich ist der Nachmittag schon weit fortgeschritten und auch in Schweden sind ländliche Gegenden nur unzureichend an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden. Also bleiben nur noch die Möglichkeiten Mietwagen und Trampen.

Per Anhalter bin ich zuletzt vor rund zehn Jahren unterwegs gewesen. Zusammen mit Tiffy. Wir wollten unbedingt nach Hamburg, um dort das Partyleben zu erkunden. Geld hatten wir allerdings kaum, also musste die Fahrt auf äußerst sparsame Art und Weise erfolgen. Kurz entschlossen stellten wir uns deshalb mit einem Schild an den Autobahnzubringer und es dauerte nicht lange, bis die ersten Autos anhielten. Zweimal lehnten wir die Mitfahrgelegenheit jedoch dankend ab, erst bei einem bärtigen Alm-Öhi mit lauter Marschmusik, und dann bei einem gut gekleideten Geschäftsmann, dem bei unserem Anblick schon der Sabber am Kinn hinablief. So eilig hatten wir es dann doch nicht. Der dritte Wagen war ein gepflegter Kombi mit einer netten, wenn auch etwas eigenartig gekleideten Frau mittleren Alters am Steuer. Bingo, wir hatten das Gefühl, einen Sechser im Lotto zu haben. Doch dass der erste Eindruck nicht immer der richtige sein muss, zeigte sich bereits kurz nach der Autobahnauffahrt. Wie aus einer frisch angezapften Ölquelle sprudelte es aus unserer Fahrerin heraus. Sie erzählte von ihrem Leben in einer freien Gemeinschaft mit hohen Wertvorstellungen und einem liebevollen Miteinander. Erst sprach sie irgendwie in Rätseln, doch nach einiger Zeit war uns alles klar: Sie lebte mit rund 20 weiteren Personen der unterschiedlichsten Altersklassen in einer Kommune, in der jeder mit jedem durfte. Auch in anderen Punkten nahm man es dort offenbar nicht so genau. Der Wagen, mit dem wir fuhren, gehörte zum Beispiel dem Vater des zweiten Kindes einer ihrer Lebensgefährtinnen – ja, zurzeit lebte sie mit zwei Frauen und einem Mann zusammen. Tiffy und ich antworteten nur vage mit Lauten wie „hm“ oder „aha“ und schauten uns zwischendurch immer wieder ungläubig an. Endlich in Hamburg angekommen, stiegen wir direkt am Jungfernstieg aus. Wie passend, wir kamen uns nach dieser Geschichte auch vor wie prüde Jungfern, obwohl wir natürlich schon unsere ersten Erfahrungen gemacht hatten. „Kommt uns doch mal besuchen, ihr würdet so gut zu uns passen“, verabschiedete sich unsere Fahrerin und drückte uns noch eine Karte mit ihrer Anschrift in die Hand.

Nein, auf ein Tramper-Abenteuer habe ich jetzt keine Lust. Also führt mich mein Weg direkt zur Autovermietung, bei der ich einen Kleinwagen aus der untersten Preiskategorie anmiete und mich gleich auf den Weg nach Gustavslund mache. Die Fahrt dorthin ist schon wie Urlaub, Seen, Wiesen und Wald so weit das Auge reicht. Doch erstmal muss ich meinen Weg aus dem Verkehrsgetümmel des Stockholmer Flughafens finden, bevor ich die schwedische Natur genießen und vielleicht in der sicherlich langsam einsetzenden Dämmerung einen Blick auf einen Elch am Waldesrand erhaschen kann. Viele meiner Bekannten oder – wie ich ja nun inzwischen leider sagen muss – ehemaligen Kollegen waren immer ganz überrascht, wenn sie gehört haben, dass Elche eigentlich recht scheue Tiere sind, die nicht unbedingt den Kontakt zur Zivilisation suchen. Deshalb ist es für mich wirklich immer etwas Besonderes, diese großen und für meinen Geschmack sehr imposanten Tiere in freier Wildbahn zu sehen. Dafür bleibe ich auch gern am Straßenrand stehen, um sie mit meinem Fernglas zu beobachten. Ja, ich gebe es zu, wenn ich in Schweden bin gehört ein Fernglas zur lebensnotwendigen Grundausstattung meiner Tasche.

Stehen bleiben muss ich jetzt auch. Aber nicht weil ein Elch meinen Weg kreuzt, sondern eine Großbaustelle den Verkehr lahm legt. Na toll, das fängt ja gut an. Ich hasse diese nervigen Baustellenampeln, bei denen in der Grünphase maximal drei Autos fahren können, dann aber eine nicht enden wollende Rotphase folgt. Okay, dann nutze ich die Zwangspause halt, um mein Handy wieder einzuschalten und Tiffy eine Sicher-gelandet-SMS zu schicken.

Brr, brr, brr. Nanu, wer hat mich denn da schon vermisst? Zwei neue SMS und ein Anruf in Abwesenheit. Ich scheine ja sehr gefragt zu sein, dabei bin ich doch noch gar nicht so lange unterwegs.

„Sie haben eine neue Nachricht. Heute empfangen um 17.53 Uhr: Hallo Johanna, hier ist Bea aus der Agentur. Ich soll dir vom Chef ausrichten, dass du deine restlichen Papiere abholen kannst. Und, ach Johanna, ich wollte dir noch sagen, wie Leid mir das alles tut. Alles Liebe für dich.“ Arme Bea, jetzt spannt der bescheuerte Schmidt sie auch noch vor seinen Karren und schickt sie vor, weil er sich selbst nicht traut, bei mir anzurufen. Der kann mich mal, die Agentur werde ich bestimmt nicht mehr betreten. Da muss der alte Geizkragen wohl in Porto investieren und mir die Unterlagen zuschicken.

Die Ampel ist grün, ich kann es kaum glauben. Das ging ja schneller als gedacht. Und genau so schnell ist sie auch wieder rot. Blöd. Aber beim nächsten Mal husche ich mit durch, es sind ja nur noch zwei andere Autos vor mir.

Wer hat mir denn die SMS geschickt? Die erste ist von Tiffy. Bring mir bitte bitte bitte das Rezept für die Chokladbollar aus dem geheimnisvollen Backbuch deiner Oma mit! Typisch Tiffy. Sie ist ganz wild auf die Rezepte meiner Großmutter, die diese alle handschriftlich in einem kleinen Buch gesammelt hat, das schon ihre Mutter als Rezeptheft begonnen hatte. Manche Rezepte sind somit schon gut und gerne über hundert Jahre alt und echte Knaller. Einfach aber gut. Die Chokladbollar, eine Mischung aus Haferflocken, Schokolade, Zucker, Fett und einigen ganz speziellen Zutaten meiner Oma, haben wahres Suchtpotenzial und gehen ungebremst auf die Hüften. Meine Mutter hatte Linda und mir zu Weihnachten ein Päckchen voll selbst gemachter Leckerein geschickt. Natürlich konnte ich Tiffy das nicht verheimlichen, sie hat eine ausgesprochen gute Spürnase für alles Süße und Gebackene.

„Die sind ja göttlich“, hatte sie beim ersten genussvollen Biss in eine der braunen Schoko-Haferflocken-Kugeln geschwärmt. „Kannst du mir das Rezept besorgen? Bitte! Da ist was drin, was grandios schmeckt, aber ich weiß nicht, was es ist.“

Da mittlerweile nun schon etliche Monate vergangen sind und ich es immer wieder vergessen habe, meine Mutter nach dem Rezept zu fragen, muss ich diesmal unbedingt daran denken. Ich schreibe es mir am besten gleich auf.

Als ich gerade in meiner Tasche nach einem Stift und Zettel wühle, bricht hinter mir ein ohrenbetäubendes Gehupe los. Was ist denn passiert? Oh nein, ich bin so eine blöde Kuh. Die Ampel ist grün, vor mir die Autos sind schon losgefahren. Also schnell aufs Gaspedal getreten und los. Ich schaffe es so eben noch, aber im Rückspiegel kann ich den Mann im Fahrzeug hinter mir wild gestikulierend erkennen. Zum Glück konnte ich noch die Flucht nach vorn ergreifen, ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn auch ich hätte stehen bleiben müssen. Der Typ hätte mich bestimmt ziemlich unsanft aus dem Auto geholt, wenn er nicht vor lauter Wut schon vorher geplatzt wäre.

Nach einigen Kilometern auf der recht vollen Autobahn geht es nun über Land weiter. Außerhalb der Städte ist hier kaum noch etwas los, inzwischen ist es auch fast acht Uhr und der Feierabendverkehr somit vorbei. Der Abendhimmel verspricht gutes Wetter für den nächsten Tag, was meine Laune noch deutlich hebt. Was meine Eltern wohl sagen, wenn ich gleich vor der Tür stehe? Wahrscheinlich sitzen sie bei dem schönen Wetter sogar noch auf der Veranda und genießen die Abendluft, sofern ihnen nicht allzu viele Mücken Gesellschaft leisten. Jetzt, Mitte August, dürfte das Schlimmste aber wohl vorbei sein. Ganz besonders nervig und zahlreich sind die kleinen Piekser immer im Juni, wenn es draußen warm wird. Aber mit Mückennetzen vor den Fenstern, dem ein oder anderen Mittelchen zum Einreiben und Zitronella-Kerzen auf der Terrasse lässt es sich einigermaßen gut aushalten. Und ganz ehrlich – Schweden ohne Mücken wäre wie Venedig ohne Tauben.

So langsam werde ich nervös. Ich kann schon die Abzweigung von der Hauptstraße sehen, von dort aus sind es nur noch ein paar hundert Meter. Hoffentlich sind meine Eltern überhaupt zu Hause, sonst stehe ich vor verschlossenen Türen. Der schmale Weg nach Gustavslund ist immer noch so holprig wie eh und je. Die wenigen Häuser haben früher alle zu einem großen Hof gehört, und der wiederum gehörte einem Bauern namens Gustav. Das ist aber schon mindestens hundert Jahre her, der Name und etliche der Gebäude sind dennoch geblieben. Nur einige neue Wohnhäuser, Scheunen und Stallungen sind hinzugekommen, andere wurden restauriert und modernisiert. Wer bei dem Gedanken an ein Schwedenhaus einen Donnerbalken in einem separaten Klohäuschen vor Augen hat, ist definitiv auf dem Holzweg. Zwar gibt es diese Relikte aus vergangenen Zeiten mancherorts immer noch, aber in den meisten Häusern sind inzwischen moderne Bäder und Toiletten mit ganz normaler Wasserspülung zu finden. Auf einen Donnerbalken, so wie ich ihn noch aus meiner Kindheit von meinen Großeltern kenne, würden mich heutzutage nämlich auch keine zehn Pferde bekommen.

Das weiße Holztor zur Hofeinfahrt meiner Eltern steht wie fast immer auf, und auf der Veranda kann ich meinen Vater erkennen, der nun den Kopf zu meiner Mutter wendet und mit ihr spricht. „Marlene, wir bekommen Besuch“ oder so etwas in der Art wird es sicherlich sein. Mein Vater würde niemals fragen „Erwarten wir noch Besuch?“ oder „Wer kommt denn jetzt noch?“. Er ist ein Mann der Tatsachen und verharrt geduldig der Dinge, die da kommen.

Kaum, dass ich den Motor abgestellt habe, schiebe ich schwungvoll die Autotür auf und springe wie ein Teenager aus dem Auto.

„Hej Mama, hej Papa“, rufe ich ihnen zu und kann die verdutzten, aber dennoch freudig überraschten Gesichter sehen.

„Johanna, mein Mädchen!“ Mehr sagt mein Vater nicht. Er nimmt mich in den Arm und drückt mich kräftig. Obwohl ich weder zimperlich noch zierlich bin, bleibt mir kurz die Luft weg.

„Oscar, erdrück das Kind nicht“, ermahnt meine Mutter ihn mit lachendem Gesicht, um mich schließlich auch zu umarmen. „Was machst du hier, wieso hast du nicht Bescheid gesagt, ist was passiert?“. Meine Mutter überhäuft mich mit Fragen.

„Nun lass sie doch erstmal ankommen“, bremst mein Vater sie aus. „Wir bringen jetzt das Gepäck rein, und dann machen wir schön den Grill an. Johanna sieht hungrig aus.“

„Gute Idee, ich habe heute wirklich kaum etwas gegessen.“ Erst jetzt bemerke ich das flaue Gefühl in meinem Magen.

Mein Zimmer habe ich schnell bezogen, und auch die Koffer sind zügig ausgepackt. Da meine Mutter in der Küche das Grillfleisch und Salat vorbereitet und Papa ohnehin mit seinem Grill beschäftigt ist, habe ich noch ein paar Minuten ganz für mich allein. In alter Gewohnheit will ich mich rücklings der Länge nach auf das Bett fallen lassen, als ich mich im letzten Augenblick gerade noch abfangen kann. Stopp, das geht nicht. Beim letzten Mal bin ich bei genau der gleichen Aktion mit dem Lattenrost durchgeknackt. Man konnte die Latten zwar wieder in ihre Laschen einsetzen, aber das Poltern war durchs ganze Haus zu hören und das elterliche Rettungskommando stand in Windeseile an meinem Bett, während ich noch wie ein Käfer auf dem Rücken dalag.

Also lasse ich es jetzt lieber langsamer angehen. Das Bett und der Schrank in meinem Zimmer sind aus weiß lasiertem Holz, die Wände sind etwa hüfthoch mit rauchblau gestrichenem Holz vertäfelt, darüber verleiht eine helle Tapete mit feinen blauen und grauen Streifen dem Raum etwas Edles. Verspielt wird es durch die Vorhänge mit hellblauem Streublümchenmuster. Ich liebe dieses Zimmer, und ich finde, dass es für einen Schlafraum keine angenehmere Farbe als Blau gibt. Das ist so schön kühl und beruhigend. Auch wenn meine Eltern diesen Raum erst vor einigen Jahren komplett renoviert haben, die alten Möbel sind geblieben und auch die Farbwahl haben sie nicht geändert.

Hier auf diesem Bett habe ich immer genau wie jetzt auf dem Rücken gelegen, aus dem Sprossenfenster in den Himmel geschaut und von Lasse geträumt. Meine Güte, war ich verknallt. Und was war ich enttäuscht, als er ohne eine Verabschiedung nach dem verkorksten – oder besser gesagt verkotzten – Mittsommernachtswochenende einfach so abgereist ist. Sollte er mir jemals noch über den Weg laufen, werde ich ihm das ganz sicher aufs Butterbrot schmieren.

„Johanna, das Essen ist fertig“, reißt meine Mutter mich aus meinen Träumereien. Jetzt wird es wohl ernst, jetzt muss ich beichten, warum ich hier bin. Dabei gibt es ja eigentlich nichts zu beichten, ich habe keinen Fehler gemacht, bin aber trotzdem die Blöde. Ach man, das frustriert mich alles so.

Die elterliche Gnadenfrist ist nach dem ersten Steak abgelaufen. „So Johanna, jetzt erzähl aber mal, du bist doch nicht ohne Grund hier. Das sehe ich dir doch an der Nasenspitze an“, bohrt meine Mutter.

„Marlene, lass das Kind doch mal in Ruhe.“

„Nee, ist schon gut Papa, Mama hat ja recht", gebe ich nach. Mittlerweile habe ich realisiert, was passiert ist, sodass ich die ganze Geschichte mit meiner Kündigung ohne größere Gefühlsausbrüche oder Stottereien erzählen kann.

„Das gibt’s doch nicht“, ist die erste erschütterte Aussage meiner Mutter, während mein Vater das alles mit „so ein Blödmann“ kommentiert.

„Warst du schon beim Anwalt?“, will er wissen.

„Ja, ich war bei Berndorff und Partner, einer Kanzlei in der Lilienstraße. Die sind auch auf Arbeitsrecht spezialisiert.“

„Ach, der alte Berndorff, den kenne ich noch von früher. Er hat mich am Anfang meiner und auch seiner Karriere mal in einem Fall vertreten, den ich einem sehr uneinsichtigen Kunden zu verdanken hatten. Wir haben gewonnen, der Berndorff war wirklich super“, lobt Papa ihn. „Dass der noch gar nicht in Rente ist?!“

„Na ja, allzu weit ist er davon wohl nicht mehr entfernt. Wahrscheinlich züchtet er sich mit seinem Partner gerade seinen Nachfolger heran.“

Mir ist es ganz recht, dass das Gespräch eine andere Richtung einschlägt, ich will nicht bis zum Erbrechen über die Agentur und meine Kündigung reden. Ändern kann ich jetzt sowieso nichts mehr, obwohl ich meinem Job doch sehr nachtrauere. Zum Glück fragt mich auch niemand, was ich denn jetzt machen will. Darauf habe ich selbst noch keine Antwort. Kurz nach Mitternacht sind wir alle reichlich müde und gehen ins Haus.

„Schlaf gut, Johanna, wir freuen uns so, dass du da bist. Und du kannst bleiben, so lange du magst, das weißt du hoffentlich“, sagt meine Mutter mir noch vor dem Zubettgehen.

„Danke Mama, ich weiß noch nicht, wie lange ich euch auf die Nerven gehe, aber ein paar Tage müsst ihr mich sicher aushalten“, zwinkere ich ihr zu.

Für mehr als eine Katzenwäsche reichen meine Kräfte heute nicht mehr aus. Im Bett lasse ich den ganzen Tag noch einmal Revue passieren: Der Termin beim Anwalt, die komische Pferdediebstahl-Angelegenheit mit Frederic, die ich unfreiwillig mit angehört habe, die zickende Nachbarin und der vom Himmel gefallene tote Maulwurf, schließlich der Flug und meine peinliche Aktion an der Ampel. Dabei fällt mir wieder ein, dass ich mir ja eigentlich aufschreiben wollte, für Tiffy das Chokladbollar-Rezept mitzubringen. Also wühle ich nochmals in meiner Handtasche und suche Papier und Stift. Dabei fällt mir auch mein Handy in die Finger. Stimmt, ich hatte ja noch eine zweite SMS bekommen, die ich vor lauter Trubel völlig vergessen habe. Mal sehen. Sie ist von Frederic. Hoffe du bist gut angekommen. Nach einem unangenehmen Tag ist der Gedanke an dich ganz besonders schön. F. In meinem Magen grummelt es. Hunger kann es nicht sein, wahrscheinlich habe ich eher zu viel gegessen. Dass der Tag für einen ertappten Pferdedieb nicht angenehm zu Ende geht, kann ich mir lebhaft vorstellen. Wie kann er so was nur machen? Und warum habe ich mich so in ihm getäuscht? Der Mann bringt mich total durcheinander. Bei unserem Essen war er einfach unglaublich charmant, intelligent und hatte viel Witz. Als ich ihn im Hasenstall beobachten konnte, erschien er mir eher etwas prollig in seinem Sprüche-T-Shirt, und die Sache mit dem verfolgten Gespräch in der Anwaltskanzlei hat dem ganzen noch die Krone aufgesetzt. Was soll ich bloß von ihm halten? Auf der anderen Seite ist es aber auch total süß, dass er so oft an mich denkt und so liebe SMS schreibt. Ich ignoriere ihn und seine Mitteilungen einfach erstmal. Ich bin ja sowieso in Schweden und weit von ihm entfernt. Vielleicht sollte ich der Sache nochmal nach meiner Rückkehr auf den Grund gehen.

Tiffy und Linda kann ich aber nicht ignorieren, ihnen bin ich immer noch eine Ankunfts-Nachricht schuldig. Also schnell eine kurze SMS ins Handy getippt und ab damit. Der Tag war lang und aufregend genug, Matratzenhorchdienst ist nun angesagt. Licht aus, Augen zu.

Die nächtliche Stille hält nur wenige Augenblicke an. Mein Handy klingelt. Es ist Linda. Jetzt? Um diese Uhrzeit?

„Linda, ist was passiert?“

„Jojo, wie gut, dass du noch wach bist.“ Linda hört sich geschockt, verzweifelt und traurig zugleich an. „In der Wohnung über uns hat es gebrannt, weil der Depp eine Pfanne mit Fett auf dem angeschalteten Herd vergessen hat und auf ein Feierabendbier in die Kneipe an der Ecke gegangen ist.“

„Meine Güte, Linda, ist dir und den Zwergen was passiert?“ Ich mache mir große Sorgen.

„Nein, wir drei sind alle ok. Aber das ganze Löschwasser ist durch die Decke gekommen, wir können nur noch mit einem Regenschirm in die Wohnung. Überall tropft es, alles ist nass.“

„Das ist ja schrecklich.“ Ich bin vollkommen entsetzt, arme Linda. „Soll ich kommen? Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Nein, bleib du bei Mama und Papa, das ganze Chaos muss morgen bei Tageslicht erstmal von einem Gutachter unter die Lupe genommen werden. Hoffentlich ist noch was zu retten. Aber helfen kannst du uns trotzdem: Können wir in deine Wohnung? Die Kinder und ich könnten heute Nacht auch in ein Hotel, das hat der Versicherungsheini des Blödmanns von oben schon geregelt. Katzen sind da allerdings nicht erlaubt, die wollten sie schon übergangsweise ins Tierheim bringen. Das lasse ich aber nicht zu, die zwei sind eh schon ganz verstört.“ Linda weint.

„Ach Linda, du Arme, was für eine Frage. Nimm deine Kinder und deine Katzen und fahr zu mir. Den Schlüssel zu meiner Wohnung hast du doch sowieso. Macht es euch gemütlich und versucht ein wenig zur Ruhe zu kommen.“

„Danke, Jojo, du bist die Beste. Ich melde mich morgen wieder bei dir. Und lass Mama und Papa schlafen, es reicht, wenn du ihnen die Schreckensnachricht morgen zum Frühstück überbringst.“

„Wird gemacht, Große. Ich wünsche euch trotz allem eine gute Nacht.“

„Danke, Kleine, dir auch.“

Was ist denn bloß los im Augenblick? Katastrophen, Missgeschicke, Pech und Ungerechtigkeit rangeln mit Feuereifer um die Vorherrschaft. Bei mir geht alles schief, bei Linda läuft es auch nicht besser, na ja, und Glück in der Liebe haben wir beide auch nicht. Der Tag war so anstrengend, dass mir trotz Grübelei und Sorgen die Augen dennoch zufallen.

Moppel-Leben

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