Читать книгу Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus - Alexandre Dumas - Страница 11
RUSSEN UND GEBIRGSVÖLKER
ОглавлениеAm anderen Morgen ließ ich, gleich nach unserer Rückkehr von Tscherwelonaja unsere Lohnkutscher rufen. Sie sagten, der Frost sei stärker geworden, und verlangten daher dreißig Rubel.
Ich nahm meinen Papak, schnallte meinen Dolch um und ging zum Oberst Schatikow.
Er hatte mich seit gestern früh erwartet und deshalb bis Mitternacht gewacht. Der Oberst vermutete, dass ich ein Anliegen hätte, und wollte mir helfen. Ich erklärte ihm, dass ich sechs Pferde nach Kasafiurte brauchte; dort würde der Fürst Mirsky, an den ich empfohlen war, für mein Fortkommen sorgen, und in Theriurt könne ich Postpferde bekommen.
Ich hatte mich in meiner Erwartung nicht getäuscht, der Oberst bot mir seine Pferde an, behauptete aber, sie wären erst nach dem Frühstück reisefertig.
Während des Frühstücks hatte der Oberst die sechs Pferde vor unsere Fuhrwerke spannen lassen und eine aus fünf Don- und zehn Linienkosaken bestehende Eskorte zur Verfügung gestellt. Wir fanden die Tarantasse, die Telege und die Eskorte vor dem Haus. Ich nahm mit aufrichtigem Dank Abschied. Die russische Gastfreundschaft schien immer herzlicher zu werden, je näher ich dem Kaukasus kam.
So fuhren wir ab; die fünf Donkosaken ritten voraus, die zehn Linienkosaken auf beiden Seiten unserer Wagen.
Die beiden Mietkutscher schauten uns verblüfft nach: Sie wollten uns für achtzehn, ja für sechzehn Rubel fahren, aber Kalino hatte ihnen im reinsten Russisch wiederholt, was ich ihnen bereits im allerschlechtesten Kauderwelsch gesagt hatte, und damit mussten sie zufrieden sein. Und da sie fürchteten, der nach Derbent reisende junge Offizier werde ihnen ebenfalls entgehen, so blieben sie bei dem ursprünglich geforderten Preis von zwölf Rubeln. Der Offizier fuhr daher in seiner Kibitke zwischen unserer Tarantasse und unserer Telege, und so war die Reisegesellschaft nicht nur durch einen mutigen Offizier, sondern auch durch einen angenehmen Gefährten vermehrt.
Fünfhundert Schritte vor Schukowaja stießen wir wieder auf den Terek, der uns zum letzten Mal den Weg versperrte und die Grenze der völlig unterworfenen russischen Provinzen bezeichnete. Am jenseitigen Ufer kamen wir in Feindesland; nicht in ein erobertes, sondern noch zu eroberndes Land. Sobald wir die Brücke hinter uns hatten, konnte jeder Einheimische, der uns begegnete, ohne Bedenken eine Kugel in seinem Gewehrlauf für uns bereithaben. Vor der vom Grafen Woronzow erbauten Brücke ist ein Schlagbaum mit einem Wachtposten errichtet. Kein Reisender passiert sie mehr allein; ist er ein vornehmer Mann, so muss er eine Eskorte haben; gehört er zu den gewöhnlichen Wanderern, so muss er eine Gelegenheit abwarten.
Jenseits der Brücke ist die »Linie« überschritten, die durch den Kuban und den Terek, die beiden größten Flüsse auf der Nordseite des Kaukasus, gebildet wird. Beide Flüsse nehmen nicht weit von ihrem Ursprung eine ganz verschiedene Richtung, sodass sich der Terek in das Kaspische, der Kuban in das Schwarze Meer ergießt. Man denke sich eine ungeheure, am Fuße einer Bergkette sich erstreckende Flusslinie, die am Berge Kuban entspringt und östlich bei Kislar, westlich bei Taman endet. Auf dieser ganzen Linie sind in Abständen von vier Stunden Festungen erbaut. In der Mitte der durch die beiden Flüsse gebildeten Linie ist der Darialpass.
In dem Maße, wie die Eroberung fortschreitet, werden von den Festungen kleine Forts und von diesen wieder Kosakenposten aufgestellt, um diese zweifelhafte Grenze der russischen Macht zu bezeichnen. Denn man hat jeden Augenblick einen Überfall der Gebirgsvölker und ein furchtbares Blutbad zu fürchten. Von Schumaka, wo die Lesghier 1712 dreihundert Kaufleute raubten, bis Kislar, wo Kasi-Mullah 1831 siebentausend Köpfe abschlug, ist jede Stelle dieser ungeheuren Linie mit Blut befleckt. Wo Tataren gefallen sind und wo jeder Reisende von dem gleichen Schicksal bedroht ist, stehen längliche Steine mit Turbanen und arabischen Inschriften. Wo Christen gefallen sind, sieht man Kreuze. Aber christliche Kreuze und tatarische Grabsteine sind so häufig am Wege, dass man von Kislar bis Derbent auf einem großen Friedhof zu fahren glaubt. An den Stellen, wo sie fehlen, wie zum Beispiel von Kasafiurte nach Theriurt, ist die Gefahr so groß, dass man nicht gewagt hat, den Toten ein Grab zu graben und einen Stein oder ein Kreuz zu setzen. Die Leichen sind den Schakalen, Adlern und Geiern überlassen worden; die menschlichen Gebeine bleichen mitten unter den Skeletten von Pferden und Kamelen.
Die Gebirgsvölker schleppen die Unglücklichen, die ihnen in die Hände fallen, auch gern in die Gefangenschaft; das ist ein einträgliches Geschäft. Man behält die Gefangenen, bis ihre Angehörigen das Lösegeld bezahlt haben; wenn sie ungeduldig werden und zu entfliehen suchen, schlitzen die Bergvölker die Fußsohlen des Gefangenen mit einem Rasiermesser auf und streuen kleingehackte Pferdehaare in die Wunde. Wenn die Verwandten der Gefangenen das Lösegeld nicht zahlen wollen oder nicht reich genug sind, die Forderungen der Räuber zu befriedigen, so werden diese Gefangenen auf den Markt nach Trapezunt gebracht und als Sklaven verkauft.
Dieser erbitterte unaufhörliche Krieg ist reich an mutigen Taten. Auf allen Poststationen sieht man einen Kupferstich, der eine Waffentat darstellt, die in Russland ebenso populär geworden ist wie die Verteidigung von Mazagran in Frankreich. Ein Oberstleutnant verteidigt sich mit etwa hundert Mann hinter einem Wall von getöteten und noch lebenden Pferden gegen fünfzehnhundert Hochländer.
Der General Suslow, damals Oberstleutnant, befand sich im Dorf Tscherwelonaja. Am 24. Mai 1846 wurde ihm gemeldet, eine Schar von fünfzehnhundert Tschetschenen sei aus dem Gebirge gekommen und habe das Dorf Akbulakiurt genommen. Der General Freytag, der den linken Flügel befehligte, war in Grosnaja, einem von dem General Jermolow angelegten festen Platz.
Russische Truppen um 1855
Oberstleutnant Suslow erhielt Befehl, den Tschetschenen entgegenzumarschieren und zugleich das Versprechen, zwei Bataillone Infanterie und zwei Kanonen als Verstärkung zu erhalten.
Als der Befehl von Grosnaja eintraf, standen siebzig Kosaken mit ihren Pferden bereit. Der Oberstleutnant rückte mit seinen siebzig Kosaken aus; aber nach einem raschen Ritt von dreißig Werst erreichten nur dreißig die Fähre von Amir-Adschurk, die übrigen waren zurückgeblieben. Man fand hier sieben Don- und vierzig Linienkosaken. Diese siebenundvierzig Mann schlossen sich den dreißig an und setzten über.
Der Feind hatte das Dorf Akbulakiurt bereits verlassen und seine Gefangenen mitgeschleppt. Er war eine Werst von der Fähre über den Terek gegangen, und fünf Kanonen von schwerem Kaliber hatten über den Fluss hinüber auf ihn gefeuert.
Der Oberstleutnant setzte mit vierundneunzig Mann, darunter sieben Offiziere, über den Terek. Unter den Offizieren war sein Adjutant Fidiuskin und der Major Kampkow, sein Waffenbruder. Er hatte sich schnell zum Übergang entschlossen, weil er von Kurniski her Kanonendonner gehört und geglaubt hatte, es sei die ihm versprochene Hilfstruppe. Das Schießen hörte freilich auf, aber Suslow verfolgte doch die fünfzehnhundert Tschetschenen. Er schickte fünfundzwanzig Mann auf einen Hügel, um zu erspähen, was vorging.
Die Tschetschenen, welche die Plänkler auf der Anhöhe bemerkten, sandten achtzig Mann, und diese warfen die fünfundzwanzig Kosaken samt dem Offizier auf das Hauptkorps zurück.
Die nachsetzenden Tschetschenen sahen nun, wie schwach der Feind war, und überbrachten diese Kunde ihren Genossen. Der Anführer der Hochländer ließ seine Leute sogleich umkehren, um das kühne Häuflein zu vernichten.
Oberstleutnant Suslow sah den großen Schwarm anrücken. Er berief schnell seinen kleinen Kriegsrat. Es wurde beschlossen, die Pferde in einem Kreis aufzustellen und über die Rücken der Tiere auf die anstürmenden Tschetschenen zu feuern.
Dieser Verteidigungsplan wurde sogleich ausgeführt, und die Kosaken erhielten Befehl, die Feinde bis auf fünfzig Schritte herankommen zu lassen und dann erst zu schießen.
Die Tschetschenen stürmten wie eine Flut heran. Als sie bis auf ungefähr fünfzig Schritt nahe gekommen waren, kommandierte der Oberstleutnant Feuer. Die Schüsse krachten. Die kleine Truppe wurde von einer Rauchwolke umhüllt, die sich langsam zerteilte.
Als sich der Pulverrauch zu verziehen begann, sah man sich fast ganz umzingelt; nur eine Seite war freigelassen. Die Tschetschenen pflegen dem Feind immer einen Ausweg zu lassen, um ihn nicht zum Äußersten zu treiben. Sie wissen überdies wohl, dass sie mit ihren trefflichen Pferden die Fliehenden leicht einholen und schneller überwinden können, als wenn ihnen der Feind in geschlossenen Reihen die Spitze bietet. Aber kein Kosak verließ den Kreis. Der offen gelassene Ausweg war eine wohlbekannte Falle, und die Russen wollten nicht fliehen, wenn sie auch ihre Rettung in der Flucht gefunden hätten.
Es begann nun auf beiden Seiten ein lebhaftes Gewehrfeuer, das aber den hinter ihren Pferden geborgenen Kosaken wenig Schaden tat.
Nach anderthalb Stunden standen nur noch zwanzig Pferde. Die Tschetschenen krochen nun bis auf zwanzig Schritte heran und zielten auf die Füße der Kosaken. Dem Adjutanten Fidiuskin wurde der Schenkel zerschmettert. Suslow sah, dass er getroffen war.
»Bist du verwundet?«, fragte er.
»Ja, ich habe einen Schuss in den Schenkel bekommen«, antwortete der Adjutant.
»So halte dich an mir oder an deinem Pferd fest«, erwiderte der Oberstleutnant; »fallen darfst du nicht, man weiß, dass du einer der Mutigsten von uns bist; wenn man dich fallen sähe, würde man dich für tot halten und unsere Leute würden den Mut verlieren.«
»Ich werde mich schon aufrecht halten«, sagte der Verwundete.
Er fiel wirklich nicht nieder. Sein Mut, seine Willenskraft war seine Stütze.
Oberstleutnant Suslow war schon bei Beginn des Kampfes das Gewehr durch eine Kugel zerschmettert worden.
Nach zwei Stunden hatte jeder Soldat durchschnittlich nur noch zwei Patronen. Man nahm den Toten und kampfunfähigen Verwundeten die Patronen ab und verteilte sie.
Oberstleutnant Suslow und Major Kampkow waren wie durch ein Wunder noch unverwundet.
Die Tschetschenen waren wütend, dass sie diese Handvoll Kosaken nicht überwältigen und niederhauen konnten. Sie stürzten auf die Pferde los und zerrten an den Zügeln, um die von ihnen gebildete lebende Kette zu durchbrechen.
Oberstleutnant Suslow, der außer seiner Schaska keine Waffen hatte, verteidigte, sich selbst vergessend, sein Pferd, das ihm sehr lieb war. Das arme Tier blutete aus sieben Wunden. Der tapfere Offizier hielt ihm mit der linken Hand den Kopf, während seine rechte mit der furchtbaren Schaska jeden in seine Nähe kommenden Feind niederschlug.
Von den vierundneunzig Kosaken waren fünf gefallen und vierundsechzig verwundet. Diese verbanden sich selbst mit Fetzen, die sie von ihren Hemden rissen, und feuerten so lange, wie sie sich rühren konnten, auf die Tschetschenen.
Plötzlich hörte man wieder Kanonendonner in der Richtung von Kurinski. Es kamen nun auch die jenseits des Terek zurückgebliebenen erschöpften Kosaken herangesprengt. Es waren etwa vierzig Mann, die nun ebenfalls an dem Gefecht teilnahmen.
Die Kanonenschüsse kamen von der Truppenabteilung des Generals Mudell, die bis dahin eine falsche Richtung eingeschlagen hatte.
»Mut, Kinder! Da kommt von zwei Seiten Hilfe!«, rief Suslow.
Es war Zeit. Von den vierundneunzig Mann waren neunundsechzig kampfunfähig.
Als die Tschetschenen die immer näher kommenden Kanonenschüsse hörten und endlich die Kolonne des Generals Mudell anrücken sahen, machten sie noch einen eiligen Angriff und flohen dann wie ein Rudel Wölfe ins Gebirge.
Der General Mudell fand die tapferen Kosaken Suslows ganz erschöpft und ohne Munition. Jetzt erst konnten sie sich einige Ruhe gönnen. Jetzt erst legte sich der Adjutant Fidiuskin nieder, nachdem er sich die ganze Zeit mit seinem zerschmetterten Schenkel aufrecht gehalten hatte.
Aus den Lanzen der Kosaken machte man Tragbahren für die Schwerverwundeten, die sich nicht im Sattel halten konnten, und der Zug setzte sich nach Tscherwelonaja in Bewegung. Der prächtige Schimmel Suslows wurde in kleinen Tagemärschen nachgeführt. Fünf Verwundete starben am folgenden Tag. Der Schimmel lebte noch drei Wochen.