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DIE KOPFABSCHNEIDER
ОглавлениеUnterdessen hatte Kalino, der vor uns den doppelten Vorzug der Sprachkenntnis und der Jugend hatte, unsere Wirtin entdeckt und führte sie in den Salon. Es war eine sehr hübsche Tscherkessin von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, in der Landestracht von Wladikawkas.
Kalino wusste nicht, dass wir eine Einladung bei dem Oberstleutnant angenommen hatten, und hatte die schöne Tscherkessin überredet, mit uns zu speisen. Wir entschuldigten uns bei der schönen Leila – so hieß unsere Wirtin – und versprachen ihr, gleich nach Tisch wiederzukommen, wenn sie uns dagegen versprechen wollte, zu tanzen. Nachdem sie zugesagt hatte, gingen wir mit dem Hauptmann Grabbe fort.
Er hatte eine nette kleine Wohnung mit der Aussicht auf den botanischen Garten. Er zeigte uns seine Zeichnungen, die in der Tat sehr schön waren, insbesondere die Porträts, die er nach der Natur gezeichnet hatte.
Unter diesen waren drei oder vier Brustbilder, die mit besonderer Sorgfalt ausgeführt waren. Die Köpfe waren ungemein ausdrucksvoll und charakteristisch. Die Uniform war bei allen gleich.
»Schöne Gesichter mit prächtigen Bärten«, sagte ich; »und wer sind diese Burschen?«
»Die besten Leute von der Welt«, antwortete er; »sie haben nur eine Manie. Sie haben nämlich gelobt, jede Nacht mindestens einen Tschetschenenkopf abzuschneiden, und sie halten ihr Versprechen so gewissenhaft wie ein Abrek aus dem Gebirge.«
»Aha. Zehn Rubel für den Kopf macht jährlich 3650 Rubel.«
»Oh, es geschieht nicht um des Geldes willen. Sie haben eine gemeinsame Kasse, und wenn ein Gefangener loszukaufen ist, so sind sie immer die Ersten, die Geld dazu beisteuern.«
»Und was sagen die Tschetschenen dazu?«
»Sie vergelten Gleiches mit Gleichem, wo sie können. Deshalb tragen diese hier so schöne Bärte und langes Haar; sie sagen selbst, die Tschetschenen müssten den Kopf, wenn er etwa abgeschnitten würde, doch irgendwo anfassen können.«
»Haben wir vielleicht Gelegenheit, Ihre Kopfjäger zu sehen?«
»Ich glaube, dass der Oberstleutnant heute Abend im Klub ein kleines Fest veranstaltet. Sie werden unsere Jäger dort sehen, denn diese dürfen bei keiner Festlichkeit fehlen. Sie dürfen sich übrigens keine allzu glänzende Vorstellung von unserem Klublokal machen, es ist der Laden eines Krämers.«
»Dann können die Jäger aber heute Abend keinen Streifzug unternehmen?«
»Der Streifzug unterbleibt nicht, sie gehen nur etwas später fort.«
Von diesem Augenblick an kam mir ein Gedanke, der mich nicht mehr verließ: Ich wollte den Streifzug mitmachen.
Moynet schien dieselbe Idee zu haben, denn wir sahen einander an und lachten. Aber keiner von uns beiden gab seinen Wunsch zu erkennen.
Es schlug fünf.
»Der Herr Oberstleutnant erwartet uns«, sagte ich.
Bei Tisch wurde von Sitten, Gebräuchen und Volkssagen gesprochen. Oberstleutnant Coignard, von Geburt Franzose, spricht französisch, als ob er immer in Paris gelebt hätte. Um acht Uhr sollten wir uns mit den Offizieren des kabardischen Regiments im Klub einfinden. Um sechs Uhr zwanzig standen wir vom Tisch auf; wir baten den Oberstleutnant um Erlaubnis, unserem Versprechen gemäß eine Stunde in Gesellschaft unserer Wirtin zuzubringen, die uns den tscherkessischen und den lesghischen Nationaltanz versprochen hatte.
Wir waren in einigen Minuten wieder in unserer Wohnung. Die schöne Leila war in großer Toilette; sie trug ein kleines mit Gold gesticktes Käppchen mit einem langen, bis auf die Hüften herabfallenden Gazeschleier und ein mit goldenen Schnüren besetztes schwarzes Atlaskleid. Über diesem Kleid, dessen offene Ärmel bis über die Hände gingen, trug sie eine eng anschließende Jacke von weißer und blassroter Seide und um den Leib einen silbernen Gürtel mit einem kleinen gekrümmten Dolch, dessen elfenbeinerner Griff mit Gold ausgelegt war und in dessen Scheide zugleich ein zierliches kleines Messer steckte. Diesen Anzug, der mir mehr georgisch als tscherkessisch schien, beschlossen kleine spitze Pantoffeln von dunkelrotem Samt, mit Gold gestickt; sie kamen jedoch unter dem langen Kleid nur selten zum Vorschein, um einen sehr hübschen Fuß zu zeigen.
Sie hatte uns versprochen zu tanzen, und sie hielt Wort. Da wir aber versäumt hatten, für Musik zu sorgen, so musste sie beim Tanzen ein Akkordeon spielen, wodurch natürlich die anmutige Haltung der Arme verlorenging.
Aber was wir von dem Tanz sahen, war so reizend, dass wir versprachen, nach dem Klub irgendeinen Musikanten mitzubringen, um der schönen Leila Gelegenheit zu geben, sich in ihrer vollen Grazie zu zeigen.
Um acht Uhr holte uns Hauptmann Grabbe ab. Das Offizierskorps war schon vollzählig, und wir wurden im Klub erwartet.
Das Klublokal war in der Tat der Laden eines Krämers. Auf dem langen Ladentisch standen Schüsseln mit verschiedenen Käsearten, kaltem Fleisch, frischem Obst und eingesottenen Früchten. Am beeindruckendsten aber war eine lange doppelte Reihe von Champagnerflaschen, deren regelmäßige Aufstellung der russischen Disziplin alle Ehre machte. Ich zählte sie nicht, aber es mochten wohl sechzig bis achtzig sein, also zwei bis drei für jeden Gast, vorausgesetzt, dass man keine Verstärkungen aus dem Keller holte.
Nirgends wird so viel getrunken wie in Russland, ausgenommen vielleicht in Georgien. Ein Wettkampf zwischen russischen und georgischen Zechern müsste wirklich interessant sein. Ich wette, dass jeder ein Dutzend Flaschen ausstechen würde; aber ich könnte nicht voraussagen, wer Sieger bleiben würde.
Ich war übrigens an derlei Trinkkämpfe bereits gewöhnt und tat den Russen also tüchtig Bescheid beim Vertilgen der achtzig Flaschen Champagner.
Unterdessen ertönte in einem Nebenzimmer die tatarische Trommel in Begleitung der lesghischen Flöte. Es waren unsere »Kopfabschneider«, die Jäger vom kabardischen Regiment, die uns eine Probe ihrer Tanzkunst geben wollten.
Kaum waren wir als Zuschauer in die offene Tür getreten, so erkannte ich die Originale der Porträts, die ich gesehen hatte: Bajeniok, Ignaziew und Michailuk. Sie waren sehr erstaunt, als ich sie mit ihren Namen anredete, und dies trug zur Beschleunigung der Bekanntschaft nicht wenig bei. In zehn Minuten waren wir die besten Freunde von der Welt.
Jeder tanzte, was er eben konnte. Die kabardischen Jäger führten tscherkessische und lesghische Nationaltänze auf. Palino, einer der schönsten und zumal unermüdlichsten Tänzer, die ich kenne, antwortete ihnen mit der Trepaka. Es fehlte nicht viel, so hätte ich mich meiner Jugend erinnert und ihnen ebenfalls im Kaukasus eine Probe unseres Nationaltanzes gegeben.
Um zehn Uhr ging die Gesellschaft auseinander. Wir nahmen Abschied von dem Oberstleutnant, der unsere Abreise auf den nächsten Vormittag um elf Uhr festsetzte, da er Zeit haben wollte, einem Tatarenfürsten sagen zu lassen, dass wir auf der Durchreise bei ihm speisen würden. Auch den jungen Offizieren empfahlen wir uns.
Der Oberstleutnant erlaubte den Jägern Bajeniok, Ignaziew und Michailuk auf unser Ersuchen mit uns zu gehen, jedoch unter der Bedingung, dass sie um Mitternacht frei wären.
Es war für die Nacht ein »Geheimnis« vorbereitet. So nennt man einen nächtlichen Streifzug gegen die Menschenräuber. Wir versprachen unseren drei Kabardinern, sie fortgehen zu lassen, wann sie es wünschen würden. Sie sprachen einige Worte leise mit ihren Kameraden, und wir begaben uns in unser Quartier, wo wir von unserer schönen Wirtin erwartet wurden. Sie tanzte ja ebenso gern, wie wir zusahen.