Читать книгу Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus - Alexandre Dumas - Страница 15
ALI SULTAN
ОглавлениеAm nächsten Vormittag um elf Uhr kam Oberstleutnant Coignard, um uns abzuholen.
Moynet hatte die Frühstunden benutzt, um Bajeniok zu porträtieren. In der ersten halben Stunde hatte der Jäger gesessen wie eine Marmorbüste, aber plötzlich hatte ihn ein Fieberfrost befallen, ohne Zweifel die Folge einer Erkältung.
Wir hatten ihm ein Glas Wodka bringen lassen, herzlichen Abschied von ihm genommen und ihn ins Bett geschickt.
Während er saß, ließen wir ihn durch Kalino nach den näheren Umständen des nächtlichen Abenteuers befragen.
Die Sache hatte sich folgendermaßen zugetragen: Sobald Bajeniok den Tschetschenen bemerkte, kroch er an die Stelle, wo jener vermeintlich durch das Wasser reiten würde. Bajeniok hatte gesehen, dass der Tschetschene ein am Schweif seines Pferdes festgebundenes Weib mit sich fortschleppte. Er berechnete nun, dass er den Reiter nicht zuerst niederschießen durfte, denn das sich selbst überlassene Pferd wäre dann durchgegangen und hätte die Gefangene zu Tode geschleift. Er entschloss sich daher, zuerst das Pferd zu erschießen.
Seine erste Kugel traf das Tier mitten in die Brust, und während sein Pferd mit dem Tode rang, schoss der Tschetschene. Seine Kugel riss dem Jäger den Papak vom Kopf, aber ohne ihn zu verwunden. Bajeniok schoss nun einen zweiten Büchsenlauf ab und traf den Tschetschenen.
Er stürzte sich nun ins Wasser, um die Gefangene zu retten, die leicht hätte ertrinken können.
So erreichte er die Mitte des Flusses, wo das Pferd noch mit dem Tode rang. Er durchschnitt mit seinem Handschar die Halfter und hob die Gefangene aus dem Wasser. Erst jetzt bemerkte er, dass sie ein Kind in ihren Armen trug.
In diesem Augenblick fühlte er einen heftigen Schmerz in der Wade. Der zu Tode getroffene Tschetschene hatte ihn gebissen. Um sich seiner zu entledigen, schnitt er ihm den Kopf ab.
So kam er mit seinem Handschar zwischen den Zähnen, mit dem Weib und dem Kind auf der Schulter und mit dem Kopf des Feindes in der Hand zu uns zurück.
Dies alles erzählte uns Bajeniok wie die einfachste Sache von der Welt.
Um in dem Aul des Tatarenfürsten einzukehren, mussten wir, wenn wir nicht einen weiten Umweg machen wollten, das Gebiet Schamyls berühren. Oberstleutnant Coignard verhehlte uns nicht, dass wir uns auf einen Angriff gefasst machen müssten; aber er hatte fünfzig Kosaken zur Bedeckung beordert und außerdem das ganze junge Offizierskorps zu diesem Ausflug eingeladen.
Jenseits Kasafiurte kommt man in die Ebene Kumisch, eine äußerst fruchtbare Steppe, wo das nie gemähte Gras den Pferden bis an die Brust reicht. Rechts wird diese Ebene von den Bergen begrenzt, hinter denen Schamyl saß und auf deren Gipfel seine Vorposten standen. Links hingegen ist das Land so flach, dass ich anfangs glaubte, am Horizont sei das Kaspische Meer.
Dieses Flachland, das von keiner fleißigen Hand angebaut wird, wimmelt von Wildbret. Wir sahen in der Ferne eine Menge Rehe laufen und prächtige Hirsche langsam in dem hohen Gras äsen, während unsere Kosaken zahllose Rebhühner und Hasen aufjagten.
Zwei Stunden vor Kasafiurte sahen wir plötzlich eine Schar von etwa sechzig Reitern auf uns zukommen. Ich glaubte, es werde zu dem in Aussicht gestellten Scharmützel kommen; doch ich irrte mich. Der Oberstleutnant schaute gelassen durch sein Fernglas und sagte: »Es ist Ali Sultan.«
Der Tatarenfürst hatte vermutet, dass wir den kürzesten Weg einschlagen würden, und war uns mit seiner ganzen Hofhaltung entgegengeritten, um uns im Fall eines Angriffs beizustehen.
Ich habe nie etwas Malerischeres gesehen als diese bewaffnete Schar. Der Fürst galoppierte an der Spitze mit seinem etwa vierzehnjährigen Sohn. Beide waren in prächtiger Nationaltracht und trugen kostbare Waffen. Auf seiner anderen Seite ritt ein vornehmer Tatar namens Kuban. Als zwölfjähriger Knabe hatte er in einer von den Tscherkessen angegriffenen Festung den Platz des Hauptmanns, der gleich zu Beginn gefallen war, eingenommen und den Feind zurückgeschlagen. Der Kaiser, dem es gemeldet worden war, hatte ihn kommen lassen und ihm den St. Georgsorden verliehen. Einem zwölfjährigen Knaben!
Hinter ihnen ritten vier Falkner und sechs Pagen. Dann folgten fünfzig bis sechzig tatarische Reiter in ihrem schönsten Kriegsschmuck, Flinten schwenkend und uns mit lautem Hurra begrüßend.
Die beiden Scharen vereinigten sich, sodass wir nun eine Eskorte von hundertfünfzig Mann hatten.
So ging es wohl zwei Wegstunden im Galopp weiter. Der Wagen rollte auf dem Gras wie auf einem Moosteppich, hier und da an Gerippen von Menschen und Pferden vorüber.
Endlich tat sich eine tiefe Schlucht vor uns auf. In der Tiefe brauste der Fluss Aktasch. Oben auf dem vor uns liegenden Berg erblickten wir den Aul des Fürsten; rechts, im Hintergrund eines langen weiten Tals, glänzten die weißen Mauern eines feindlichen Dorfes.
Erst vor acht Tagen hatten die Tschetschenen einen Angriff auf den Aul versucht und waren zurückgeschlagen worden.
Auf der Seite, wo wir waren, erhob sich die Festung, die Oberst Kuban als zwölfjähriger Knabe verteidigt hatte. Es ist die von Peter I. auf seiner Reise im Kaukasus errichtete Zitadelle Heiligenkreuz.
Vor dem Aul erwartete uns der Kommandant der Festung.
Es war das erste wirkliche Tatarendorf, das wir auf der ganzen Reise fanden. Die Bewohner der Vorberge sind ein sehr schöner Menschenschlag. Sie gehören freilich zu den Mongolen, aber alle Völkerstämme, die dem Kaukasus nahe gekommen sind, haben sich mit den Eingeborenen vermischt, und aus dieser Kreuzung ist ein herrlicher Menschenschlag hervorgegangen. Die Augen zumal sind sehr schön; bei den Frauen sind es zwei strahlende Lichter, zwei Sterne, zwei große schwarze Diamanten.
Auch die Kinder sind sehr hübsch unter dem großen Papak und mit dem langen Messer, das man ihnen, sobald sie gehen können, in den Gürtel steckt. Oft bewunderten wir solche Gruppen spielender Kinder von sieben bis zwölf Jahren.
Wir kamen in den Aul des Fürsten Ali Sultan. Außer der Schönheit der Bewohner fiel uns die Erbitterung der Hunde gegen uns auf. Es schien fast, als hätten uns die vierfüßigen Untertanen des Begs als Christen erkannt.
Der Palast des Fürsten ist ein befestigtes Haus. Er war vorausgeritten und erwartete uns vor der Tür.
Er nahm uns die Waffen ab, um anzudeuten, dass er für unsere Sicherheit bürge, solange wir seine Gäste wären.
Der Empfangssaal war ein langes und verhältnismäßig schmales Gemach. Auf der linken Seite waren in eigens dazu angebrachten Nischen sechs vollständige Betten, mit Matratzen, Federbetten und Decken aufgerollt. Wir hatten so lange kein Bett gesehen, dass es uns fast fremdartig vorkam. An der Wand hingen Waffen; der Tür gegenüber befanden sich zwei große Spiegel und daneben offene Schränke mit Porzellan. Der Raum zwischen den Spiegeln war mit golddurchwirktem Stoff verziert.
Der Aul führt den europäischen Namen Andrei. Der Fürst erbot sich, uns vor Tisch herumzuführen. Wir nahmen das Anerbieten mit Vergnügen an und verließen in Begleitung des Fürsten und seines Sohnes das Haus.
Außer dem Palast des Fürsten bestehen alle Häuser nur aus einem Erdgeschoss mit darüber befindlicher Terrasse. Diese ist im Allgemeinen ebenso bevölkert wie die Straße; sie dient den Frauen zum Aufenthalt und zum Spazierengehen. Die Tatarinnen sind verschleiert. Sie betrachten die Vorübergehenden durch ein im Schleier angebrachtes Sehloch.
Die Terrasse dient auch noch zu anderen Zwecken. Man reinigt hier den Mais, und oft wird das Heu aufgeschichtet. Der Mais wird an aufgespannten Stricken vor den Häusern aufgehängt und nimmt sich mit seinen goldgelben Kolben sehr hübsch aus.
Tatarenwohnung
Wir setzten unseren Spaziergang fort, bis uns gemeldet wurde, dass der Tisch gedeckt sei. Daraufhin begaben wir uns wieder in den Palast.
Es war nur für vier Personen gedeckt: für Oberstleutnant Coignard und uns drei. Der Fürst, sein Sohn und seine Hofkavaliere standen der Sitte gemäß um unseren Tisch, während seine Pagen uns bedienten.
Es wäre schwer zu sagen, was wir aßen: Die von der Natur zur Ernährung des Menschen bestimmten Gegenstände erleiden in der tatarischen Küche so große Umwandlungen, dass man wohltut, seinen Hunger zu stillen, ohne sich zu kümmern, was man isst. Ich glaube, dass die Suppe aus einem Huhn und Hühnereiern bestand. Dann kamen Koteletts mit Honig; Haselhühner mit gesottenen Früchten; ein Fischgericht wäre mir völlig rätselhaft geblieben, wenn mir nicht zufällig eine Gräte im Hals steckengeblieben wäre. Den Abschluss bildeten Äpfel, Birnen, Trauben, saure Milch und Käse.
Als wir vom Tisch aufstanden, war es zwei Uhr. Wir wollten Abschied nehmen; aber der Fürst antwortete mit großer Bestimmtheit, es sei nicht genug, dass er uns entgegengeritten sei und bewirtet habe, er werde uns auch das Geleit geben.
Die Pferde waren in der Tat noch gesattelt. Der Fürst, sein Sohn, Oberst Kuban, die Pagen, die Falkner scharten sich um den Wagen und die ganze Karawane setzte sich in Galopp.
Fünf bis sechs Werst von dem Aul wurde haltgemacht. Wir mussten scheiden. Wir fanden eine neue Eskorte von fünfzig Mann, die wahrscheinlich abends vorher von Kasafiurte fortgeritten waren und uns erwarteten.
Wir küssten uns herzlich; ich schied von dem Oberstleutnant mit einem warmen Händedruck, nachdem wir versprachen, uns in Paris oder Petersburg wiederzusehen; aber dieses Versprechen wird wohl schwerlich gehalten werden.
Wir setzten nun unsere Reise nach Tschiriurt fort, während Ali Sultan in seinen Aul und Oberstleutnant Coignard in seine Festung zurückkehrte.
Erst gegen Abend kam Tschiriurt in Sicht. Zugleich erblickten wir eine halbe Werst von uns, auf einem Berg, einen Posten der Tschetschenen. Er spähte umher, wie ein Geier von seinem Felsennest, um sich auf die Beute zu stürzen, wenn sie angreifbar ist. Aber wir waren mit unserer starken Bedeckung schwer zu verdauen. Der Tschetschene schien zugleich auch Telegraphendienste zu versehen; denn er fing an, mit Händen und Füßen zu gestikulieren, vermutlich um seinen Genossen anzuzeigen, dass wir Reiterei hatten und hob fünfmal beide Arme auf, um wahrscheinlich anzuzeigen, dass die Reiterei aus fünfzig Mann bestehe.
Wir ließen ihn telegraphieren und trieben unseren Kutscher zur Eile an.
Um sieben Uhr abends kamen wir nach Tschiriurt.