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DIE GAWRIELOWITSCHE

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Wenn man sich abends auf ein Brett gelegt und nur einen Teppich als Matratze und einen Pelz als Decke hat, so steht man morgens nicht ungern auf. Ich verließ bei Tagesanbruch mein Lager, wusch mir Gesicht und Hände indem in Kasan gekauften kupfernen Waschbecken – denn ein solches findet man in Russland nur selten – und weckte meine Reisegefährten.

Die Nacht war ruhig verlaufen.

Wir mussten in aller Eile frühstücken und schleunigst abreisen; denn bis nach Schukowaja, unserem nächsten Nachtquartier, hatten wir einen weiten und teilweise äußerst gefährlichen Weg zurückzulegen.

Die gefährlichste Stelle war ein Wald, der sich von der Landstraße bis ans Gebirge erstreckt. Erst vor acht oder zehn Tagen war ein Offizier, der auf der Station Novo-Utschregdemaja keine Kosaken zur Bedeckung gefunden hatte, trotz der Warnungen weitergereist, um zeitig in Schukowaja einzutreffen. Er saß in einer Kibitka, die mit einem Lederdach versehen war. Mitten im Wald sprengte ein Tschetschene auf ihn zu. Er machte seine Pistole schussfertig; als ihm der Tschetschene auf vier Schritte nahegekommen war, drückte er ab. Die Pistole versagte. Der Räuber hatte ebenfalls eine Pistole in der Hand, er schoss aber nicht auf den Offizier, sondern auf das eine Pferd der Kibitka. Das Pferd stürzte, der Wagen musste halten. Zehn Tschetschenen zu Fuß kamen nun aus dem Dickicht hervor und griffen den Offizier an. Dieser verwundete zwei von ihnen mit seinem Säbel, wurde aber schnell überwältigt, ausgeplündert und mit dem Hals am Schweif des Pferdes festgebunden. Die Tschetschenen besitzen eine ungemeine Geschicklichkeit für solche Handstreiche. Sie haben immer einen Strick mit einer Schlinge in Bereitschaft; der Gefangene wird ans Pferd gebunden und der Reiter jagt im Galopp davon, ehe jener Zeit hat, um Hilfe zu rufen.

Zum Glück für den Offizier kamen die Kosaken, die er auf der letzten Station nicht gefunden hatte, von der nächsten Station zurück. Sie sahen von Weitem den Kampf, setzten ihre Pferde in Galopp, erreichten die Kibitka, erfuhren von dem Kutscher, was vorgefallen war, und eilten den Tschetschenen nach.

Die unberittenen Banditen warfen sich auf die Erde und ließen die Kosaken vorbeireiten; der Berittene trieb sein Pferd mit den Sporen und seinen Gefangenen mit der Peitsche an; aber dieser leistete Widerstand und hielt den Reiter auf.

Als der Räuber den Galopp der Kosakenpferde hinter sich hörte, zog er seinen Handschar. Der Offizier glaubte, es sei um ihn geschehen; aber der Räuber durchhieb nur den Strick, mit dem der Gefangene an den Schweif seines Pferdes festgebunden war.

Der Offizier fiel halb erdrosselt zu Boden. Der Räuber stürzte sich zu Pferde in den Terek. Die Kosaken feuerten auf ihn, trafen ihn aber nicht.

Der Tschetschene erreichte mit lautem Triumphgeschrei und seine Flinte hoch über dem Kopf schwenkend das andere Ufer und schickte den Kosaken eine Kugel herüber, die einem von ihnen den Arm zerschmetterte.

Zwei Kosaken leisteten ihrem Kameraden Hilfe, die beiden anderen dem Offizier. Ein Kosak gab ihm sein Pferd und seine Burka, und er kam halbtot in Schukowaja an. Frau Polnobokow hatte uns den Ort bezeichnet und die Geschichte erzählt, und wir hatten ihr versprochen, diesen womöglich am hellen Tage zu passieren.

Aber ohne gefrühstückt zu haben, konnten wir nicht abreisen. Als ich das eine Huhn rupfen ließ und die Bratpfanne hervorsuchte, kam der Polizeimeister und lud uns zum Frühstück ein. Es sei alles bereit, wir brauchten nur über die Straße zu gehen.

Ich wollte mich entschuldigen, aber er gestand mir, dass seine Frau meine Bekanntschaft zu machen wünsche, und er mache die Einladung in ihrem Namen. Sie habe den gestrigen Abend nicht bei ihrer Schwester, der Kommandantin, zubringen können, weil keine Kosaken zur Verfügung gestanden hatten.

Es blieb mir nichts übrig, als zu gehorchen.

Wir fanden zwei Damen statt einer. Eine Schwägerin hatte sich zum Frühstück eingefunden, um den Verfasser des »Monte-Christo« und der »Musketiere« kennenzulernen.

Beide Damen sprachen Französisch. Die Frau des Polizeimeisters setzte sich ans Piano und sang einige sehr hübsche russische Lieder, unter anderen Lermontows »Gornaja Werschini«.

Kalino kam bald mit den beiden Fuhrwerken, und da man nur auf ihn gewartet hatte, so setzten wir uns zu Tisch.

Dann nahmen wir Abschied von unseren liebenswürdigen Wirtinnen, die uns bis an den Wagen begleiteten.

Wir stiegen ein. Die Polizeimeisterin sah uns mit einiger Besorgnis an. Die sechs Kosaken, die wir zur Begleitung erhalten hatten, schienen sie nicht ganz zu beruhigen.

»Haben Sie außer Ihren Handscharen keine Waffen?«, fragte sie.

Ich hob eine über den Vordersitz gebreitete Decke hoch und zeigte ihr drei Doppelflinten, zwei Büchsen, deren eine mit Sprengkugeln geladen war, und einen Revolver.

»Das ist gut«, sagte sie; »aber solange Sie in der Stadt sind, halten Sie besser Ihre Gewehre in der Hand, damit man sieht, dass Sie bewaffnet sind. Unter den Leuten, die sich hier versammelt haben und Sie angaffen, sind vielleicht ein paar Spione der Tataren.«

Wir befolgten den guten Rat und stützten jeder den Kolben einer Doppelflinte aufs Knie und verließen Kislar in dieser wehrhaften Haltung, unter dem tiefen Stillschweigen von achtzig bis hundert Zuschauern.

Bald hielten wir am Ufer des Terek und erwarteten die Fähre, die zurückkam, um uns zu holen, nachdem sie eine Karawane von Pferden, Büffeln und Kamelen hinübergebracht hatte.


Tschetschene

Wir stiegen aus dem Wagen, weil das Flussufer sehr steil ist, und nahmen mit unserer Tarantasse und dem Führer der Eskorte auf der Fähre Platz. Die übrigen Kosaken bewachten die noch zurückbleibende Telege; ein Beweis, wie groß das Vertrauen auf die Ehrlichkeit der Einwohner ist. Es war immerhin möglich, dass der zweite Mietkutscher während unserer Überfahrt mit unserer Telege davonjagte, und es wäre sehr zweifelhaft gewesen, ob wir ihn wieder eingeholt hätten.

Unsere Telege kam inzwischen über den Fluss. Der Weg führte uns nun durch ein Sumpfland, das von einer Krümmung des Terek eingeschlossen ist. Wir fuhren durch den hier seichten Fluss zugleich mit den Pferden und Kamelen, die vor uns die Fähre benutzt hatten.

Das Durchwaten eines Flusses gewährt immer einen malerischen Anblick. Unsere beiden Fuhrwerke mit den Kosaken und der Karawane sahen zumal höchst interessant aus. Die Pferde und Büffel gingen willig ins Wasser; aber die Kamele, die eine fast unüberwindliche Wasserscheu haben, machten die größten Schwierigkeiten. Ihr entsetzliches Geschrei schien mehr einem Raubtier anzugehören als dem harmlosen Kamel.

Wie knapp auch die Zeit war, wenn wir den berüchtigten Wald noch bei Tage passieren wollten, so warteten wir doch, bis die ganze Karawane das andere Ufer erreichte. Dann ging es rasch weiter bis zur nächsten Station.

Dort konnte man uns nur vier Kosaken zur Begleitung geben; es waren nur sechs da, und zwei mussten doch als Wache zurückbleiben.

Wir waren übrigens noch nicht an der gefährlichen Stelle. Von hier an waren die Kosakenposten nur fünf Werst voneinander entfernt. Auf jedem Posten steht ein hohes Schilderhaus, das einem Taubenschlag ähnlich ist und in dem Tag und Nacht ein Kosak Wache hält. Ein geteertes Bündel Stroh liegt stets bereit, um in der Nacht als Alarmzeichen angezündet zu werden.

Wir fuhren mit unseren vier Kosaken weiter.

Das Wetter wurde immer trüber. Dichter Nebel breitete sich über die Ebene, sodass wir kaum zwanzig Schritte weit sehen konnten.

Es war ein wahres Tschetschenenwetter. Unsere Kosaken ritten dichter an den Wagen heran und gaben uns den Rat, unsere Gewehre mit Kugeln zu laden. Wir ließen es uns nicht zweimal sagen; in fünf Minuten waren die Schrotschüsse aus den Läufen gezogen und durch Kugeln ersetzt.

Da ich bei jedem Wechsel der Eskorte den Kosaken die Vortrefflichkeit unserer Waffen durch ein paar Schüsse zeigte, so bekamen sie zu uns ein Vertrauen, das wir nicht immer zu ihnen hatten, zumal wenn wir Gawrielowitsche als Begleiter hatten.

So nennt man die Kosaken vom Don, die nicht mit den Linienkosaken zu verwechseln sind. Der Linienkosak ist an Ort und Stelle angesichts des zu bekämpfenden Feindes aufgewachsen und seit seiner Kindheit mit der Gefahr vertraut. Er wird mit zwölf Jahren Soldat, lebt nur drei Monate im Jahr in seiner Staniza, dem Kosakendorf, und bleibt bis zum fünfzigsten Jahr zu Pferde und unter Waffen. Er ist äußerst tapfer, er kennt keine Gefahr, der Krieg ist sein Element.

Aus diesen Linienkosaken, die unter Katharina II. aufgestellt wurden, und den von ihnen geraubten Töchtern der Tschetschenen und Lesghier ist ein ungemein kriegerischer, kühner, lebhafter und gewandter Menschenschlag entstanden.

Der Donkosak dagegen wird aus seinen friedlichen Gefilden an den Terek oder an die Kuma versetzt, seiner Ackerbau treibenden Familie entrissen und an seine lange Lanze gefesselt, die ihm mehr eine Last als eine Wehr ist. Im Felde ist er ein ziemlich guter Soldat, aber ganz unbrauchbar bei unerwarteten Angriffen und leichten Scharmützeln, wie sie im Gebirge, Wald und Tälern und Schluchten so oft vorkommen und in denen der Sieg durch Gewandtheit und Geistesgegenwart entschieden wird.

Die »Gawrielowitsche« sind daher auch ein beständiger Gegenstand des Spotts für die Linienkosaken und die tatarische Miliz. Über den Ursprung dieses Spitznamens erzählt man Folgendes: Eines Tages wurden Donkosaken, die einen Reisewagen zu begleiten hatten, von den Tschetschenen angegriffen und flohen. Ein junger Kosak, der besser beritten war als die anderen, sprengte, nachdem er Lanze, Pistolen und Schaska weggeworfen hatte, in den Stationshof und schrie aus Leibeskräften: »Sostupies sa nas, Gawrielowitsch!« (Rette uns, Sohn Gabriels!), dann fiel er ohnmächtig vom Pferd. Seit jener Zeit werden die Kosaken vom Don spöttisch »Gawrielowitsche« genannt.

Zurzeit hatten wir also Gawrielowitsche als Begleiter, und dies war, zumal bei dem Nebel, keineswegs beruhigend.

So legten wir, unsere schussbereiten Gewehre auf den Knien, die zehn bis zwölf Werst bis zur nächsten Station zurück. Dabei passierten wir die beiden befestigten Dörfer Kargatemkaja und Scherbakowskaja. Die erste Schutzwehr dieser Dörfer, die beständig in Gefahr sind, von den Tschetschenen angegriffen zu werden, ist ein breiter Graben, der das Dorf ganz umgibt. Eine dichte Dornenhecke vertritt die Stelle der Mauern und ist mindestens ebenso schwer zu ersteigen. Außerdem ist jedes Haus mit sechs Fuß hohen Palisaden umgeben. Hier versieht man auch eine niedrige Mauer mit Schießscharten.

Vor jedem Tor des Dorfes steht eines jener hohen Schilderhäuser, von denen man die ganze Nachbarschaft übersehen kann. Tag und Nacht steht auf diesem luftigen Posten ein Posten, der alle zwei Stunden abgelöst wird.

Die Gewehre sind stets geladen; die Hälfte der Pferde ist Tag und Nacht gesattelt.

Vom zwölften bis zum fünfzigsten Jahr ist jeder Bewohner dieser Dörfer Soldat. Jeder von ihnen weiß blutige Geschichten zu erzählen, die an Coopers poetische Schilderungen der Indianerkämpfe erinnern.

Danach erreichten wir die Station Sukoiposch. Hier erwartete uns ein prächtiger Anblick. Die Sonne, die eine Zeitlang mit dem Nebel gekämpft hatte, durchbrach ihn mit ihren Strahlen. Der Dunst zerteilte sich und man bemerkte immer deutlicher hervortretende Umrisse. Ob es aber Berge waren, ob Wolken? Der Zweifel dauerte noch einige Augenblicke. Endlich brach die Sonne vollends durch, der Nebel zerstreute sich in glänzenden Flocken, und die ganze majestätische Kette des Kaukasus, vom Schat-Abrus bis zum Elbrus, dehnte sich vor uns aus. Der Kasbeck, an den sich die poetische Sage von Prometheus knüpft, ragt mit seinem beschneiten Gipfel mitten aus der Gebirgskette hervor.

Wir staunten das prachtvolle Gemälde eine Weile schweigend an. Es waren weder die Alpen noch die Pyrenäen; es war ganz verschieden von allem, was wir gesehen, was unsere Phantasie geschaffen hatte; es war der Kaukasus, der Schauplatz, auf dem der erste dramatische Dichter des Altertums sein erstes Drama spielen lässt – ein Drama, dessen Held ein Titan, dessen handelnde Personen Götter sind.

Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus

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