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EINE ABENDGESELLSCHAFT BEIM GOUVERNEUR VON KISLAR

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Der Kommandant wohnte auf der anderen Stadtseite, sodass wir ganz Kislar durchwandern mussten, um zu ihm zu gelangen.

Es war Markttag, und wir mussten uns durch die Wagen, Pferde, Kamele und Handelsleute einen Weg bahnen. Anfangs ging es recht gut. Als wir aber den Marktplatz betraten, fingen die Hindernisse an.


Schapzuge, Tschetschene, Imerer, Häuptling der Adighe mit Tochter, Perser aus Baku (v.l.n.r.)

Ich hatte unter dieser bis an die Zähne bewaffneten Volksmenge noch keine fünfzig Schritte zurückgelegt, da sah ich ein, wie gering sowohl diese Gesamtmasse als auch der Einzelne einen unbewaffneten Mann achten muss. Im Orient bewaffnet man sich nicht nur, um sich zu verteidigen, sondern auch, um abzuschrecken. Der Bewaffnete sagt sogar in seinem Stillschweigen: Achtet mein Leben, oder nehmt das eure in Acht! Und diese Drohung ist keineswegs überflüssig in einem Land, wo, wie Puschkin sagt, »der Totschlag nur eine Gebärde ist«.

Wir gingen über den Marktplatz und befanden uns nun in den Straßen der Innenstadt.

Diese Straßen bieten einen überaus malerischen Anblick mit ihren regellos gepflanzten Bäumen und ihren Kotlachen, in denen Gänse und Enten plätschern und die Kamele ihren Wasservorrat für die Reise einnehmen.

Wir ließen uns bei dem Kommandanten melden. Er kam uns entgegen.

Er sprach nicht Französisch, aber mit Kalinos Hilfe wurde das Hindernis beseitigt. Er sagte mir, dass seine Frau, die wir im dritten Zimmer finden würden, unsere Sprache spreche.

Ich habe festgestellt, dass die Frauen in Russland und im Kaukasus mehr Weltbildung besitzen als ihre Männer; diese haben in ihrer Jugend wohl etwas Französisch gelernt, aber später als Militärs oder Beamte wieder vergessen. Die vornehmen Russinnen, die nichts zu tun haben, lesen zum Zeitvertreib französische Romane und bleiben daher mit der Sprache vertraut.

Frau Polnobokow sprach in der Tat sehr gut französisch. Ich entschuldigte mich, dass ich in diesem kriegerischen Aufzug erschien, und scherzte über die Besorgnisse unseres jungen Wirtes; aber zu meinem großen Erstaunen wurde meine Heiterkeit keineswegs geteilt. Die Dame blieb ernst und sagte, unser Wirt habe vollkommen recht.

Als ich noch zu zweifeln schien, berief sie sich auf ihren Gemahl, der alles bestätigte, was sie sagte.

Da der Kommandant in diesem Punkt die allgemeine Ansicht teilte, kam mir die Sache doch bedenklich vor. Ich bat also um nähere Auskunft.

An haarsträubenden Vorfällen fehlte es nicht. Erst am Abend vorher war auf der Straße ein Mord begangen worden. Es war freilich ein Irrtum gewesen: Der Falsche war ermordet worden. Vier Tataren – so heißen im nördlichen Kaukasus alle Banditen – erwarteten, unter einer Brücke versteckt, einen reichen Armenier, der des Weges kommen musste. Ein armer Teufel, den sie für den reichen Kaufmann hielten, ging über die Brücke; sie erdolchten ihn, durchsuchten seine Taschen und bemerkten nun ihren Irrtum; sie mussten sich mit einigen Kopeken begnügen, die er bei sich hatte. Dann warfen sie den Leichnam in den Kanal, der zum Bewässern der Gärten dient.

Einige Monate vorher waren drei Armenier, die Brüder Kaskoith, die von Derbent kamen, mit einem Freund namens Bonjar gefangengenommen worden. Da sie als reiche Leute galten, wurden sie von den Räubern nicht getötet, sondern ins Gebirge geschleppt, um sich durch eine große Summe loszukaufen. Nachdem man ihnen ihre Kleider genommen und sie etwa fünfzehn Werst fortgeschleppt hatte, mussten sie durch den Terek schwimmen. Die drei Brüder starben an den Folgen dieser Erkältung, nachdem sie zehntausend Rubel Lösegeld bezahlt hatten.

Die Frauen haben in dieser Hinsicht weniger zu befürchten als die Männer. Die Tataren müssen, um sich wieder ins Gebirge zu begeben, ihre Gefangenen durch den Terek schleppen, und die Frauen können dieses kalte Bad nur selten ertragen. Neulich starb eine Frau unterwegs; zwei andere starben an Erkältung, ehe ihr Lösegeld angekommen war, und ihre Verwandten, die ihren Tod erfuhren, wollten die Verhandlungen wegen der Leichen nicht fortsetzen.

Daher haben die Tataren den wenig einträglichen Frauenraub fast ganz aufgegeben; im südlichen Kaukasien hingegen wird er immer noch mit Erfolg betrieben.

Die folgende Geschichte beweist übrigens, dass der Frauenraub in anderer Weise ausgeübt wird.

Ein Tatarenfürst liebte eine vornehme Russin. Der junge Beg fand Gehör und verabredete mit ihr eine Entführung.

Sie war in Kislar. In Abwesenheit ihres Mannes verlangte sie von dem Kommandanten Pferde, und zwar zu einer Stunde, wo Herr Polnobokow die Gewährung ihrer Bitte gefährlich fand. Er verweigerte sie daher. Die Frau aber gab nicht auf; sie schützte die Krankheit eines ihrer Kinder vor. Der Kommandant ließ sich endlich überreden und gab ihr einen Paderogen, und die Frau reiste ab.

Der Beg erwartet sie unterwegs, entführt sie, bringt sie in seinen Aul, der einige Werst von Petigorsk wie ein Adlerhorst auf einem Felsen liegt, und behält sie drei Monate bei sich, ohne dass der Gemahl erfährt, was aus ihr geworden ist. Nach drei Monaten wird der Beg – der ein sehr schöner Mann sein soll – dieses zärtlichen Verhältnisses überdrüssig; er teilt ihrem Gemahl mit, dass ihm der Aufenthalt seiner Frau bekannt sei, und erbietet sich ihren Loskauf zu vermitteln. Der Gemahl nimmt das Anerbieten an. Einen Monat später schreibt ihm der Beg, er habe das Geschäft um den Preis von dreitausend Rubel abgeschlossen. Der Gemahl schickt die dreitausend Rubel, und acht Tage nachher hat er die Freude, seine Frau so wohlfeil zurückzubekommen.

Es war noch wohlfeiler, als er glaubte, denn er hatte nicht bloß seine Frau zurückgekauft, sondern auch das Kind, mit dem sie ihn ein halbes Jahr nachher beschenkte.

Wir plauderten eine Stunde mit Frau Polnobokow, die einen prächtigen Perserteppich unter den Füßen hatte. Sie lud uns für den Abend zum Tee ein, und ihr Gemahl versprach, uns zwei Kosaken zur Bedeckung zu senden.

Vor der Tür fanden wir die Droschke des Kommandanten. Eine so zarte Aufmerksamkeit findet man nur in Russland.

Der Wagen führte mich nach Hause. Ich wollte die Stiefel wechseln, um mich zu dem Polizeimeister zu begeben. Er erwartete mich jedoch bereits in meinem Zimmer.

Ich bat ihn um Entschuldigung, meinen Besuch so lange aufgeschoben zu haben und zeigte ihm meine bis an die Waden mit Kot bedeckten Stiefel.

Der Polizeimeister beschämte uns durch seine Zuvorkommenheit; wir hatten seine Güte schon missbraucht, wir hatten ihn um nichts mehr zu bitten, sondern ihm nur zu danken.

Vier bis fünf Flaschen Wein, die am Fenster standen, waren ein neuer Beweis seiner Freundlichkeit.

Er versprach uns, sich abends beim Kommandanten einzufinden.

Um halb acht Uhr hielt die Droschke des Kommandanten vor der Tür. Zwei Laternenträger gingen voran. In ihren Gürteln sah man die Pistolenkolben und die Griffe der Handschare blitzen. Zwei mit Säbeln und Karabinern bewaffnete Kosaken ritten auf beiden Seiten der rasch durch Wasser und Kot fahrenden Droschke. Unterwegs glaubte ich, einige Schüsse zu hören.

Wir waren die ersten der erwarteten Gäste. Die Dame des Hauses hatte uns am Morgen empfangen, ohne zu wissen, wer wir waren; mein Geleitschein und zumal mein Anzug hatte sie getäuscht; sie hatte mich wie andere für einen französischen General gehalten und war aus bloßer Gastfreundschaft so artig gewesen, dass ich glaubte, sie könne nicht freundlicher sein.

Ich irrte mich. Jetzt, da sie erfahren hatte, dass ich der Mann sei, dem sie ihre beste Unterhaltung zu verdanken glaubte, wusste sie nicht, wie sie mir für die geistigen Genüsse danken sollte, die ich ihr angeblich bereitet hatte.

Fünf bis sechs Personen, die sich bald darauf einfanden, sprachen gut Französisch, besonders die Damen.

Ich sah mich nach dem Kommandanten um. Frau Polnobokow kam meiner Frage zuvor.

»Haben Sie auf dem Wege hierher keine Schüsse gehört?«, fragte sie.

»Jawohl, drei Schüsse«, antwortete ich.

»Ganz recht; sie fielen in der Richtung des Terek, und dort haben sie immer eine gefährliche Bedeutung. Mein Mann ist beim Polizeimeister. Ich glaube, man hat Kosaken abgeschickt.«

»Dann werden wir bald etwas Näheres darüber erfahren.«

»Gewiss, sehr bald.«

Die übrigen Gäste schienen an die Schüsse nicht im Mindesten zu denken; man plauderte und lachte wie in einem Pariser Salon.

Bald kam der Kommandant mit dem Polizeimeister, und beide nahmen am Gespräch teil, ohne dass sie im Mindesten zerstreut oder aufgeregt schienen.

Zum Tee wurde verschiedenes armenisches Backwerk gereicht, das wegen der Zutaten einen sonderbaren, für europäische Gaumen fremdartigen Geschmack hatte.

Ein Diener, der mit einer Tscherkesska bekleidet war, flüsterte dem Kommandanten etwas zu. Dieser gab dem Polizeimeister einen Wink, und beide entfernten sich.

»Ist die Antwort angekommen?«, fragte ich die Frau des Hauses.

»Wahrscheinlich«, antwortete sie. »Nehmen Sie noch eine Tasse Tee?«

»Sehr gern.«

Ich tat Zucker in meine Tasse, schüttete Rahm auf den Tee und begann langsam zu schlürfen, denn ich wollte nicht neugieriger scheinen als die anderen. Aber mein Blick war beständig auf die Tür gerichtet.

Der Kommandant kam allein zurück.

Da er kein Französisch sprach, so musste ich warten, bis Frau Polnobokow meine Neugierde befriedigte. Sie erriet meine Ungeduld, die sie wahrscheinlich für übertrieben hielt.

»Man hat zweihundert Schritte von Ihrer Wohnung die Leiche eines Mannes gefunden«, sagte sie; »er ist von zwei Kugeln getroffen worden; aber da er völlig ausgeplündert war, so weiß man nicht, wer er ist. Es ist vermutlich ein Kaufmann, der heute seine Waren in der Stadt feilgeboten und sich verspätet hat. Heute Abend vergessen Sie nicht Ihre Fensterläden zu schließen, wenn Sie Licht behalten; man könnte durchs Fenster auf Sie schießen.«

»Was könnte es aber einem Räuber nützen?«, erwiderte ich; »die Tür ist doch verschlossen.«

»Er würde es vielleicht zum Zeitvertreib tun. Es sind sonderbare Leute, die Tataren.«

Ich schrieb einige Verse in das Album und dachte an den Toten nicht mehr als die anderen.

Vierzehn Tage nachher begriff ich diese Gleichgültigkeit, die mich anfangs so in Erstaunen gesetzt hatte.

Um elf Uhr gingen alle Gäste fort. Die Abendgesellschaft hatte länger gedauert als üblich; man war vielleicht seit Jahr und Tag nicht so lange beisammengeblieben.

Das Vorzimmer sah aus wie eine Wachstube; jede der zum Tee geladenen Personen war mit einem bis an die Zähne bewaffneten Diener gekommen.

Die Droschke des Kommandanten hielt wieder vor dem Haus mit den beiden Laternenträgern und den beiden Kosaken. Sie kostete mich drei Rubel: einen für den Kutscher, einen für die zwei Laternenträger und einen für die zwei Kosaken; aber die Sache war mir neu, das Geld reute mich nicht.

Ich brauchte meine Fensterläden nicht zu schließen. Unser junger Wirt, der ungemein aufmerksam war, hatte schon dafür gesorgt.

Ich legte mich auf meine Bank und hüllte mich in meinen Pelz. Mein Mantelsack diente mir als Kopfkissen.

Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus

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