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Als wenig später eine Fensterscheibe im Obergeschoss des HAPPY SINNER zerspringt und der nackte Körper einer Frau hinaus auf die Straße fliegt, kommen schnell Leute zusammen. Mit einem dumpfen Geräusch kommt der Frauenkörper auf und bleibt in eigenartig verrenkter Haltung liegen. In der rechten Hand befindet sich der Derringer, den Betty auch jetzt noch umklammert. Und ihre grünen Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen, ihr Blick zu einer Maske des Schreckens gefroren.

Wenig später kommt der Prediger durch die Schwingtüren und tritt ins Freie.

Unter den Menschen, die sich versammelt haben, bildet sich eine Gasse.

Der Prediger wirft einen Blick auf die Frau und sagt: “So spricht der Herr: Mein ist die Rache.”

Dann dreht er sich.

“Heh, Prediger!”, ruft einer der Männer. Ein großer Rothaariger mit Sommersprossen und einem dichten Bart. Und er trägt einen Revolver mit dem Griff nach vorn.

Der Prediger geht weiter.

Er beachtet den Rufer nicht.

“Prediger! Hörst du nur die Stimme Gottes oder auch das, was in der Welt gesagt wird?”

Er reagiert noch immer nicht.

“Oder hast du einfach nur Dreck in den Ohren?”

Jetzt bleibt er stehen. Langsam dreht er sich um.

Der Blick seiner dunklen Augen mustert den Mann von oben bis unten.

Aber er schweigt.

Keinen Ton sagt er.

“Warst du nicht mit der Toten auf dem Zimmer, Prediger?”, fragt der Rothaarige. “Und kaum bist du fertig mit ihr, fliegt sie aus dem Fenster!”

Das Gesicht des Predigers bleibt unbewegt. Vollkommen regungslos, sieht man einmal vom Zucken eines nervösen Muskels unterhalb seines linken Auges ab.

“Der Herr wird sich ihrer Seele erbarmen.”

“Ach, ja?”

“Ja.”

Der Prediger sagt dieses letzte Ja auf dieselbe Weise, auf die er vielleicht nach einem Gottesdienst ‘Amen’ sagt. Zumindest in der Zeit, da er noch aktiv gewesen war. Und wie lange das genau her ist, darüber schweigt er.

“Du hast sie umgebracht!”, stößt der Rothaarige hervor. Dessen Gesicht hat schon beinahe die Farbe seiner Haare angenommen. Gesund sieht das nicht gerade aus.

“Was Sie nicht sagen”, murmelt der fremde Mann zwischen den Zähnen hindurch und ohne kaum den Mund zu bewegen.

“Du scheinst ein Teufel zu sein! Ein Teufel im Predigerrock!”

“Mein ist die Rache, spricht der Herr.”

“Und du bist der Herr, ja? Der Herr über Leben und Tod? Bisschen aufgeblasen für einen dahergelaufenen Kerl.”

Einen Augenblick lang herrscht jetzt Schweigen.

Und der Prediger wendet ganz langsam den Blick zu dem Mann, der zu ihm gesprochen hat und der jetzt ganz bleich wird. Ein schöner Gegensatz zu seinen feuerroten Haaren. Der Rothaarige muss schlucken.

Der Prediger fragt: "Was hast du gesagt?"

"Ich sagte: Ein bisschen aufgeblasen für einen dahergelaufenen Kerl oder so ähnlich. Scheiße, wie soll ich mich an jedes Wort erinnern?" Er versucht lässig zu wirken.

Locker.

Souverän.

So als würde ihm das alles gar nichts ausmachen.

Als sei es ihm gleichgültig.

Aber das ist es nicht. Und alle spüren das.

Der Prediger aber weiß es sowieso.

Seine Augen werden schmal und die Daumen des Rothaarigen rutschen hinter die Schnalle seines Revolvergurts, so als müsse er sich daran festhalten.

"Wie heißt du, mein Sohn?", fragt der Prediger.

"Ich heiße Saul Lawson", sagt der Rothaarige. "Und wer bist du, Prediger?"

"Das weißt du doch", erwidert der Prediger.

Und sein Blick fixiert Saul Lawson auf eine Weise, die diesen schaudern lässt.

Sein Gesicht!, durchfährt es Lawson. Sein Gesicht sieht aus wie...

Er wagt es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.

Plötzlich hat Saul Lawson ein Gefühl, als ob sich eine kalte Hand auf seine Schulter legt.

Und er ahnt plötzlich, dass er dem Tod sehr nahe ist.

“Du wolltest noch etwas sagen?”, fragt der Prediger.

Und seine Stimme klirrt wie Eis, als er das sagt.

Aber nicht nur das. Sie klingt auch wie die Stimme von jemand anderem.

Jemandem, den Saul Lawson kannte und dessen Gesichtszüge er im Gesicht des Predigers wiederzuerkennen glaubte.

Hast du was mit Frank Bolan zu tun?, würde Saul Lawson am liebsten fragen.

Aber das tut er nicht.

Denn dann müsste er das begründen.

Er müsste erklären, was er mit Frank Bolan zu tun hat, der mit seiner Tasche voll Geld hier her kam.

Der Prediger sagt schließlich: “Nein, ich bin nicht der Herr. Aber der Herr schickt mich. Manchmal sendet er ein Schaf unter die Wölfe, so wie unseren Herrn Jesus Christus. Aber manchmal sendet er auch einen Wolf unter die Wölfe. Einen Wolf, der sie alle zerreißt. Einen nach dem anderen. Denn manchmal, so spricht der Herr, muss die Zahl der Wölfe reduziert werden. Verstehst du mich?”

“Komisch, von dieser Bibelstelle habe ich noch gar nichts gehört”, sagt der Rothaarige.

Der Prediger verzieht das Gesicht.

“Ach, wirklich?”

“Ja.”

“Ich bin hier, um dich zur Strecke zu bringen. Dich und noch einige andere, die dem Herrn ärgerlich sind. Früher oder später wird es so kommen. Der Herr will es. Und sein Wille geschieht. Amen.”

“Hör mal...”

“Regle deine Angelegenheiten. So viel Zeit hast du vielleicht noch. Wenn du nicht den Verstand verlierst. Danach wird es Zeit für dich. Deine Zeit ist abgelaufen.”

Der Prediger dreht sich wieder um. Aber aus den Augenwinkeln sieht er, wie der Rothaarige an den Gürtel greift.

Mag sein, dass Gott so etwas wie Gnade kennt.

Der Prediger aber nicht.

Und er wartet auch nicht, bis der Rothaarige sein Eisen gezogen hat. Aber hektisch wird er auch nicht. Er greift in aller Ruhe und Bestimmtheit zu seinen Mauser-Pistolen. Alle beide zieht er gleichzeitig und dann geht alles so schnell, dass keiner, der es mitansieht, genau nachvollziehen kann, was da eigentlich vor sich geht. Die Mauser-Pistolen spucken Mündungsfeuer.

Sie krachen los.

Ihr Klang erinnert an bellende Hunde.

Nur härter.

Metallischer.

Vierzig Kugeln hat er in den beiden Waffen. Vierzig Schuss, die er innerhalb von Sekunden auf den Weg schicken kann.

Die Bleigeschosse fetzen in den Oberkörper des rothaarigen Saul Lawson hinein. Er zuckt. Kaum zur Hälfte hat er seinen Revolver aus dem Holster reißen können.

Ob Saul Lawson ein guter Schütze ist, kann sich in diesem Moment gar nicht erweisen.

Gegen die Schnelligkeit des Predigers hat er nicht den Hauch einer Chance. Und gegen die Feuerkraft der beiden Mauser-Magazine auch nicht.

Saul Lawsons Hemd ist voller roter, blutiger Löcher, als er mit gefrorenem Blick in sich zusammensackt.

Wie viele Kugeln sind es, die ihn durchsiebt haben?

Mindestens ein Dutzend.

Vielleicht auch doppelt so viel.

Aber genau kann niemand sagen, wie viel Blei die Läufe der beiden Mauser-Pistolen gespien haben. Und egal, ob der Prediger nun ein oder zwei Dutzend Schuss abgegeben hat - er hat auf jeden Fall immer noch genügend Blei in seinen Magazinen, um auch noch den ganzen Rest derer über den Haufen zu ballern, die sich vor dem HAPPY SINNER Saloon versammelt haben.

Mit einem dumpfen Geräusch schlägt Saul Lawson auf dem Boden auf.

Wie ein Mehlsack, den man in den Staub geworfen hat, weil er zu schwer auf dem Rücken lastet.

Und genau so bleibt Saul Lawson auch liegen.

Der Prediger steht wie erstarrt. Die Mündungen der beiden Mauser-Pistolen sind noch immer waagerecht, sodass er nur die Abzüge durchziehen muss, um das Bleifeuer wieder beginnen zu lassen.

Mit bewegungslosem Gesicht sieht der Prediger die Furcht in den Augen der Leute. “Ja, fürchtet euch nur! Es ist die Furcht vor dem Zorn des Herrn, die euch erfüllt. Und ihr tut sehr gut daran, euch zu fürchten”, sagt er.

Genau so, denken vielleicht manche von ihnen, hat vielleicht in einer lange vergangenen Zeit der eine oder andere Prophet geklungen, von denen der Reverend in der Kirche manchmal sprach. Zumindest dann, wenn es in der Stadt gerade mal einen Reverend gibt.

Das ist längst nicht immer der Fall.

Im Moment zum Beispiel nicht.

Da bleibt die Kirche leer oder jemand aus der Gemeinde, der es sich zutraut, muss die Predigt halten.

Eine gottlose Stadt, würde der Dunkle Prediger dazu vielleicht sagen, der mit seinen Mauser-Pistolen Carson City, Nevada heimgesucht hat wie ein Racheengel eines Gottes, der das neue Testament vergessen zu haben scheint.

Langsam, sehr langsam, senkt der Prediger seine Waffen und steckt sie dann mit großer Ruhe in die Holster zurück. Man sieht, dass das eine geübte Bewegung ist. Und manch einer in der Menge fragt sich schaudernd, wie oft er das schon gemacht hat: Die Mauser-Pistolen ziehen, den Bleihagel auf den Weg schicken und die Waffen wieder zurück an ihren Ort gleiten lassen.

Der Prediger tritt auf den Toten zu.

Er sieht auf Saul Lawson herab.

Schweigt dann einige Augenblicke.

Dann nimmt er sogar den Hut ab.

"Der Herr sei deiner armen Seele gnädig, mein gefallener Sohn", sagt er und setzt den Hut anschließend wieder auf.

Wortlos dreht er sich um.

Wortlos und furchtlos.

Er scheint nicht anzunehmen, dass einer der anderen Männer ihm von hinten eine Kugel in den Rücken ballert.

Obwohl ihm die Wut in in den Gesichtern eigentlich nicht hätte entgehen können.

Nein, er hat diese Wut und und diesen Hass gewiss bemerkt. Und auch die Furcht, die in dieser Mischung enthalten ist.

Es ist eine explosive Mischung von Gefühlen und der Prediger weiß das. Aber es scheint ihn in keiner Weise zu beeindrucken.

Er weiß, dass das Quantum Furcht in dieser Mischung gerade groß genug ist, um dafür zu sorgen, dass ihre Eisen stecken bleiben. Keiner von ihnen wird ziehen. Nicht nach dem, was gerade mit Saul Lawson passiert ist.

Und wenn er sich an das Gesetz hält, dann kann nicht einmal der Town Marshal etwas gegen den Prediger unternehmen, denn Saul Lawson hat zuerst gezogen.

So ist es immer.

Der Prediger lächelt sehr verhalten.

Und sehr kalt.

Sammelband: 3 wüste Western

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