Читать книгу Sammelband 5 Krimis - Killer ohne Reue und andere Krimis - Alfred Bekker - Страница 10
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Am nächsten Mittag traf er sie wieder am Strand, sie grüßte herzlich: "Guten Morgen, Herr Marholt", machte aber keine Anstalten, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, was ihm nur recht war.
Bei Paco führte wieder der große Blonde das Wort, Ohana hatte wohl beschlossen, es mit ihm zu versuchen, und unterbrach ihr Sphinx-Lächeln gelegentlich durch schmachtende Blicke, die ihm sichtlich schmeichelten. Dann zupfte sie an ihrem spitzen, tiefen Ausschnitt.
Maria Jesus hatte eine Pause im Ehekrieg eingelegt und Tapas gerichtet, Paco setzte das kleine, vor Kälte beschlagene Glas vor ihm ab und stichelte: "Miguel ist sehr, sehr zornig auf dich."
"Und ich erst auf ihn!"
"Ist sie nett, die Blonde?"
"Sehr schweigsam, Paco. Ich weiß nicht, was ich mit ihr reden soll!"
"Nein!" Paco glaubte ihm keine Silbe.
"Nicht jeder redet so gern wie dein neuer Gast."
"Das stimmt." Pacos Gesicht verdüsterte sich. "Er redet sehr viel und sagt dabei sehr wenig."
"Weiß er, dass du Deutsch verstehst?"
"Ich hoffe nicht."
"Ohana hat angebissen, wie?"
"Der arme Junge!" Nein, so wenig er den Blonden leiden konnte, bei Frauen wie Ohana mussten Männer zusammenhalten, aber der Blonde sah nicht so aus, als würde er einen gut gemeinten Rat annehmen. Sie lehnte sehr dekorativ an der Theke, das schwarze Oberteil war verheißungsvoll über eine Schulter gerutscht, aber das bedeutete noch gar nichts. Erst wenn sie den superkurzen, engen Rock anzog und dazu in ihre Sandalen mit den abenteuerlich hohen Absätzen stieg, durfte sich der Blonde wirkliche Chancen ausrechnen, und auch dann hing es im entscheidenden Moment von ihrer Laune ab, wie nah er ihr kommen würde. Das war viel zu spannend, um es durch einen guten Rat oder eine Warnung abzukürzen oder gar zu verhindern.
Diesmal verwickelten ihn zwei Männer in ein Gespräch, und wieder einmal spürte er, dass man ihn brauchte, gelegentlich ausnutzte, aber dass er nicht wirklich dazu zählte. Die Konjunktur in Deutschland. Sollte der arbeitslose Neffe in Spanien wie viele junge arbeitslose Leute auf einen Job warten oder sein Glück in Deutschland bei seinem Onkel in Hannover versuchen? Gab es dort wirklich Lehrstellen für Ausländer? Bekamen die wirklich kostenlosen Deutschunterricht?
Als er ging, redete ihn der Blonde an: "Du bist doch auch Deutscher?"
Wie angenagelt blieb er stehen und starrte den Grinsenden an, die Wut war so heiß in ihm hochgeschossen, dass sich seine trockene Kehle zusammenzog. Offenbar verriet sein Blick genug, der Blonde wich unwillkürlich einen Schritt zurück, und als Marholt sich endlich wieder unter Kontrolle hatte, flüsterte er: "Kennen wir uns?"
Ohana zupfte gelangweilt an ihrem Oberteil. Marholt wartete und presste die Lippen zusammen, bis der Blonde hörbar unsicher murmelte: "Nein."
"Na also!"
Noch auf der Straße musste Marholt sich zusammenreißen. Dieser blöde Hund! Wenn er eines hasste, dann war es diese plumpe Vertraulichkeit. Dieses Duzen! Solchen Kerlen würde er am liebsten links und rechts in die Schnauze schlagen!
Am Abend traf er Karin Demus wieder. Sie marschierte entschlossen auf den Eingang des Granada zu und stockte, als sie ihn bemerkte, sagte fröhlich "Guten Abend" und hielt ihm wortlos ein kleines Buch hin.
"Guten Abend. Was haben Sie denn da?"
"Raten Sie mal!"
"Es sieht aus wie ein Wörterbuch."
"Ist es auch. Heute im Laden von Ohana gekauft und heute bestelle ich, und wehe, Miguel versteht mich nicht."
"Das möchte ich erleben. Machen Sie mir das Vergnügen, mit mir zu essen?"
Bei seinem feierlichen Ton zwinkerte sie verlegen, er lachte, nahm ihren Arm und tröstete: "Das war nicht so ernst gemeint. Kommen Sie, ich helfe mit ein paar Schimpfworten aus, falls Miguel nicht spurt."
Doch Miguel ahnte wohl, welches Unheil sich über seinen schwarzen Locken zusammenbraute, er überschlug sich fast vor Höflichkeit und stellte die beiden Sherrys ab, bevor sie richtig saßen.
"Donnerwetter", murmelte sie verblüfft. "Können Sie schimpfen, auf Spanisch, meine ich?"
"Doch, ja, für mittelschwere Beleidigungen reicht es schon."
"Ich muss noch viel lernen", gab sie zu und schlug ihr Wörterbuch auf. Miguel riss die Augen weit auf und sprach so langsam und deutlich, als habe er es mit einer debilen Schwerhörigen zu tun, die von seinen Lippen ablesen musste. Offenbar hatte sie sich schon im Hotel überlegt, was sie bestellen wollte, Marholt klemmte die Mundwinkel ein und schwieg eisern. Hinterher lachte sie erleichtert, Miguel schnaufte und zuckte zusammen, als Marholt kurz sagte: "Für mich dasselbe bitte."
"Natürlich, natürlich", stotterte er und drehte sich auf dem Weg zur Theke zweimal ungläubig um. Maricarmen, das kleine Luder, kicherte.
Der Erfolg hatte sie ermutigt, sie schaute ihn offen an. "Leben Sie hier in Laredo?"
"Nein, ich habe hier nur ein Häuschen gemietet, für drei Monate."
"Aber Sie sprechen sehr gut Spanisch."
"Es geht. Ich bin sehr oft hier."
"Sie haben es gut, wenn Sie sich drei Monate Ferien erlauben können."
Nicht schlecht, lobte er sie heimlich, diese indirekte Frage hatte sie gut vorgebracht.
"Es sind nicht reine Ferien", erwiderte er deshalb amüsiert. "Ich arbeite, doch, ja, allerdings nur am Vormittag."
"Arbeiten?"
"Ich schreibe", erklärte er. "Und dafür habe ich mir drei Monate Freizeit zusammengespart."
"Dann schreiben Sie also etwas Größeres?"
"Ja, das habe ich vor."
Sie nickte und wechselte zu seinem Erstaunen das Thema. Wie er sich gedacht hatte – sie war auf Distanz bedacht und scheute sich, einen Fremden mit neugierigen Fragen unter Umständen zu belästigen.
Auf dem Weg zum Hotel schlug sie vor: "Darf ich Sie wenigstens zu einem Wein einladen? Es geht doch nicht, dass Sie mich immer zum Abendessen ausführen."
"Es war mir ein Vergnügen, Frau Demus."
Unwillig schüttelte sie den Kopf: "Danke. Trotzdem – ach, ich würde mich – Herr Marholt, den ganzen Tag mit keinem Menschen reden zu können, ist auch nicht schön."
"Gibt es keine Deutschen im Hotel?"
"Doch, doch, aber die – die gefallen mir nicht."
"Gut, dann schlage ich Ihnen eine Bar vor. Nicht erschrecken, der Wein dort ist ausgezeichnet, und die Leute sind zwar laut, aber nett."
Trotz dieser Warnung schnappte sie nach Luft. Alfonsos Bar konnte in jedem Spielfilm als wüste Poker-Spelunke und Banditen-Hauptquartier benutzt werden, der Lärm war ohrenbetäubend, der Boden übersät mit Papier, Zahnstochern und Erdnussschalen, früher hatten auch die Kippen zentimeterhoch am Boden gelegen. Die Männer brüllten, um sich zu verständigen, gestikulierten wie vor einer Schlägerei. Der Fernseher, von niemandem beachtet, dröhnte auf höchster Lautstärke.
"Die Treppe rauf!"
In das kleine Zimmer über der Bar passten gerade drei winzige Tischchen, aber die Fenstertür stand weit offen, und um diese Tageszeit kühlte es angenehm ab. Von dem Betrieb unten war erstaunlich wenig zu hören, noch hatten sie den Raum für sich, und sie prustete erleichtert.
"Da hätte ich mich nicht reingetraut", gestand sie.
"Es wäre Ihnen nichts passiert, man hätte Sie nur so lange stumm angestarrt, bis Sie freiwillig gegangen wären."
"Ein Treffpunkt für Machos."
Das Wort ärgerte ihn ein wenig. "Nein, für Männer. Es gibt Lokale, in die man die Familie mitnimmt, wo zum Bespiel Kinder sehr willkommen sind, und es gibt Lokale, in denen Männer unter sich sein wollen. In Madrid und Barcelona haben schon Cafés nur für Frauen eröffnet."
Einen Moment runzelte sie die Stirn, bevor sie kläglich lächelte: "Ich muss wirklich noch viel lernen."
Luisa war erst acht Jahre alt, aber bediente mit dem Ernst einer Erwachsenen, und er lobte sie angemessen, wofür sie sich würdevoll bedankte: "Es muy amable, Don Pedro." Den Wein hatte er durch Zufall entdeckt, auf der verstaubten Flasche klebte nur ein Zettel mit einer Jahreszahl, und bisher hatte ihm keiner verraten wollen, woher dieses Gewächs stammte und wer es so perfekt kelterte. Man bestellte nur "den guten Weißen", und auch er hatte sich angewöhnt, dabei leise zu sprechen, wenn Fremde zuhören konnten. Selbst Paco kam ab und zu hierher, um "den Guten" zu trinken, und litt unter massiven Anfällen von Schwerhörigkeit, wenn Marholt sich bei ihm ganz beiläufig nach "dem guten Weißen" erkundigte. So weit ging seine Liebe zu seinem Pedro nun doch nicht.
"Den ersten Schluck ganz langsam trinken", empfahl er ihr, und sie gehorchte.
"Phantastisch", urteilte sie, sichtbar beeindruckt. "Wenn ich den mit dem Tischwein im Hotel vergleiche ..."
"Besser nicht." Er lachte sie an, und diesmal senkte sie den Blick nicht. Wenn sie wollte, war sie eine sehr hübsche Frau, die auf Männer wirkte.
Wie war sie ausgerechnet nach Laredo gekommen? Eine Freundin hatte es ihr empfohlen, vor vielen Jahren schon, sie hatte auch gewarnt, dort sei nicht viel los, und als sie das Bedürfnis nach Ruhe und vor allem nach Wärme und Sonne verspürte, war ihr der Name Laredo de la Boca wieder eingefallen. Weil er sie prüfend anschaute, erklärte sie leise: "Ich bin lange krank gewesen", und ihr Tonfall verbot weitere Fragen. Aber wie hatte es ihn hierhin verschlagen?
"Ein Kollege hat sich hier ein Haus gebaut. Da war das dritte Kind unterwegs, und nach der Geburt fand seine Frau, er sei doch nicht der rechte Mann für sie. Aber der andere entsprach auch nicht allen ihren Erwartungen, also legte sie sich eine Freundin zu, bis sie entdeckte, dass sie vielleicht doch keine Lesbe sei. Jetzt himmelt sie irgendeinen Sektenguru an, hat sich scheiden lassen, mein Kollege zahlt sich tot für sie und drei schulpflichtige Kinder und vermietet das Haus, das er bei seinem Kontostand eigentlich verkaufen müsste. Aber davon bekäme sie die Hälfte."
"Das ist bitter", murmelte sie. "Ich bin auch geschieden, er hat sich eine Jüngere zugelegt, die dem Alter nach seine Tochter sein könnte."
"Und? Ist er glücklich geworden?"
"Ich weiß es nicht, ich habe seit Jahren nichts mehr von ihm gehört."
Danach trat eine unbehagliche Pause ein, sie trank hastig und seufzte schließlich auf. "Wie sind wir darauf gekommen?"
"Sie wollten wissen, was mich nach Laredo geführt hat."
"Ja. Das Haus Ihres Kollegen." Ganz echt klang ihre Heiterkeit nicht, und er begann von dem dritten, dem nie gebauten Hotel zu erzählen, mit dem sich die Laredanos stundenlang aufhalten konnten.
Eine zweite Flasche lehnte sie nach reiflichem Überlegen ab: "Ich spüre den Alkohol schon."
"Dann bringe ich Sie zum Hotel."
Die Brise hatte sich gelegt, das Meer lag fast regungslos glatt und der zunehmende Mond spiegelte sich auf dem Wasser wider. Die Stille rauschte in seinen Ohren. Sie ging sehr langsam und schwieg, schaute manchmal zu den Sternen hoch und hatte wieder ihr trauriges, verschüchtertes Gesicht aufgesetzt.
"Es war ein wunderschöner Abend, vielen Dank", verabschiedete sie sich und sah dabei wieder zu Boden.
"Schlafen Sie gut!"
"Danke, auch für Sie eine gute Nacht."
Kurz vor der Brücke hörte er zum ersten Mal die Schritte hinter sich, aber als er sich umdrehte, war niemand zu sehen. Achselzuckend ging er weiter, aber lauschte auf der Brücke nach hinten. Kein Geräusch. Um diese Zeit war hier normalerweise kein Mensch mehr unterwegs, und ein Laredano hätte ihn erkannt und angerufen. Am Horizont funkelten ein paar Lichter von den Fischerbooten, die nachts hinausfuhren. Jenseits von Pacos Bar verlief die Straße in einer Kurve, und kaum war die Brücke hinter den Häusern verschwunden, vernahm er eilige Schritte; jemand sprintete über die Brücke. Wieder blieb er stehen, das Geräusch verstummte, und als er den Kopf drehte, glaubte er für den Bruchteil einer Sekunde einen Schatten zu sehen, der mit dem Dunkel eines Hauses verschmolz. Er überlegte, ob er zurückgehen und sich den Spaß verbitten sollte, aber die Mühe schien es nun doch nicht wert. Bis zu seinem Haus horchte er aber auf das, was sich in seinem Rücken abspielte. Keine Schritte mehr.
In der Nacht fuhr er hoch, alarmiert von einem scharfen Knacken und Rauschen, das sich aber nicht wiederholte.
Am nächsten Morgen bemerkte er, dass zwei starke Zweige seines Orangenbäumchens abgebrochen waren, und neben den Bougainvillien, die sich an der Hauswand hochrankten, fand er zwei tiefe Schuhabdrücke in der weichen Erde.