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6.

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Am nächsten Morgen fuhr er nach Malaga. Einmal in der Woche leistete er sich den Luxus, unter fremden Menschen zu sein und beim Einkaufen wirkliche Auswahl zu haben, manche Dinge gab es in Laredo einfach nicht. Außerdem war heute Telefontag, und Punkt elf Uhr rief er Brigitte in ihrem Büro an. Sie arbeitete als Rechercheurin und Dokumentaristin für eine Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft.

"Na, wie geht's denn der schuftenden Bevölkerung im kalten Norden?"

"Hallo, Peter, gut, dass du anrufst." Ihr ernster Ton irritierte ihn.

"Was ist los, Gitte?"

"Peter, bei dir ist eingebrochen worden."

"Wie bitte?" Der Satz traf ihn hart, wie ein Schlag unter die Gürtellinie. "Eingebrochen?"

"Ja, irgendwann in der vorigen Woche. Ich hab's erst am Wochenende bemerkt."

"Wieso eingebrochen?" Er konnte es immer noch nicht glauben.

"Das weiß ich doch nicht. Eingebrochen irgendwie ... nein, nein, so weit ich das sehe, ist nichts gestohlen worden, aber der oder die Kerle haben deine ganze Wohnung durchwühlt und dabei auf den Kopf gestellt, ich kann dir sagen, es war das reinste Schlachtfeld."

"Wieso durchwühlt?"

"Alle Schränke, dein Archiv, deine Ordner, alles."

"Was hat er denn gesucht?"

"Peter, woher soll ich das wissen? Ich hab' aufgeräumt, so gut ich konnte, und von deinen Wertsachen und den Bildern und Grafiken und deinen Büchern fehlt wohl nichts."

"Wie ist er denn in die Wohnung reingekommen?"

"Du, entweder hat er Schlüssel gehabt oder einen Dietrich benutzt. Das Schloss ist heil, ich hab' extra einen Schlosser kommen lassen, der hat ein neues eingebaut, aber behauptet, das alte wäre nicht beschädigt. Auch die Tür und die Fenster sind in Ordnung, kein Kratzer, nichts."

"Verdammt." Noch immer schnürte es ihm die Kehle zu.

"Blöd, was? Aber mach' dir keine Sorgen, ich hab' die Nachbarn gebeten, in Zukunft etwas aufzupassen, und morgen wird der Schlosser von draußen einen gewaltigen Riegel anbringen, mit einem Sicherheitshängeschloss der Marke Fort Knox."

"Mensch, Gitte – soll ich nach Hause kommen?"

"Nein, Peter, wirklich nicht, ich sag' dir doch, gestohlen scheint nichts, ich wüsste nicht, was du hier tun könntest."

"Was ist mit dem Computer?"

"Heil und unversehrt. Auch deine CDs." Sie zögerte und holte tief Luft: "Also, auf Geld oder Wertsachen hatten der oder die es bestimmt nicht abgesehen. Und von Kunst, Grafiken etwa, verstand er auch nichts."

"Hast du es der Polizei gemeldet?"

"Ja, die war da und hat ein Protokoll aufgesetzt. Ich hab' auch deiner Versicherung geschrieben und dann mit einem Herrn Kruse telefoniert. Der meinte auch, du solltest nicht extra deswegen deinen Urlaub abbrechen, wenn sich doch noch herausstellen sollte, dass etwas gestohlen worden ist, kannst du das später nachmelden und regeln."

"Ja, ja, gut", sagte er, immer noch wie in Trance. "Vielen Dank für die Mühe, die du gehabt hast."

"Keine Ursache. Und Kopf hoch, Peter, du kannst dich auf mich verlassen."

"Tschüss, bis zur nächsten Woche, Gitte." Sie las auch seine Post, damit er keine wichtigen Termine versäumte oder sie beim Finanzamt Fristverlängerung beantragen konnte. Gitte war eine echte Freundin und wenn sie nicht verheiratet gewesen wäre – wer weiß, was aus ihnen hätte werden können.

Seine Einkäufe erledigte er anschließend wie im Traum. Ein Einbruch – natürlich hatte er Gitte, Hakos verheiratete Schwester, gebeten, sich während seiner Abwesenheit um seine Wohnung zu kümmern, aber da hatte er an einen Wasserrohrbruch oder Orkanschäden gedacht oder an einen Brand im Haus, aber doch nie an einen Einbrecher in einem Sechs-Parteien-Miethaus. Wer sollte bei ihm etwas holen?

Ob er doch nach Hause flog? Nur für ein paar Tage? Dann entschied er sich: Brigitte Landau war tüchtig, energisch, umsichtig; wenn sie sagte, das sei nicht nötig, durfte er sich darauf verlassen, auch wenn ein Rest von Unruhe blieb. Und was sollte er schon tun oder veranlassen?

Auf der Bank ließ er seine Chipkarte liegen, die junge Frau am Schalter musste ihm nachlaufen und kniff wütend die Lippen zusammen, weil er sich sichtlich geistesabwesend bei ihr bedankte. Wahrscheinlich war ja wirklich nichts passiert. Nur eine kleine dunkle Wolke schien am Himmel aufgezogen.

Mit der ganzen Computerei hatte er spät angefangen und sich nur schweren Herzens von seiner mechanischen Schreibmaschine getrennt, als es keine Ersatzteile mehr gab. Deswegen brachte er es auch jetzt nicht übers Herz, Notizen, Entwürfe, Briefe nur auf der Festplatte abzuspeichern; vieles druckte er aus und stellte es ganz altmodisch in Ordnern zu Dossiers zusammen. Die Ergebnisse der Recherchen für das Hako-Buch füllten drei Ordner, die er im Auto nach Laredo mitgenommen hatte, und zu Hause hatte er alles zusätzlich auf CD gesichert, die er in Brigittes Büro aufbewahrte. Gitte verlachte ihn, er sei der typische Hosenträger-Gürtel-Gummibund-Mann, aber in dem Punkt stellte er sich stur und taub.

Aber CDs ließen sich einspielen und am Bildschirm lesen. Und eine Möglichkeit festzustellen, ob der oder die Einbrecher sich CDs von seiner Festplatte gezogen hatten, gab es nicht. Dass er an einem Buch über Hakos Verschwinden arbeitete, war kein Geheimnis, aber über die Ergebnisse seiner Recherchen hatte er bis jetzt striktes Stillschweigen bewahrt.

In seinen Gedanken verpasste er die Ausfahrt zum Flughafen, musste umkehren und stand nachher auf dem Parkplatz, als habe er vergessen, was er hier eigentlich wollte.

Am Schalter herrschte noch viel Betrieb, er winkte Monika zu und wartete, bis die letzte Familie ihr Gepäck aufgegeben hatte. Warum die Menschen ihren halben Hausrat mit in die Ferien schleppten, verstand er nicht; er hasste Charterflüge, weil die Seltenflieger lärmten, pausenlos auf- und abliefen, sich und anderen das Leben erschwerten und einfach nicht begreifen wollten, dass man die vier oder fünf Stunden Sammelhaft in der engen Metallröhre nur durch Ruhe und Gelassenheit ertragen konnte. Auf Linienflügen schlief er oft schon, wenn die Maschine abhob, und mehr als einmal war er nach der Landung geweckt worden; an Schlaf war auf Charterflügen nicht zu denken.

"Hei, Peter." Monika lachte über das ganze Gesicht und kramte einen Zettel aus ihrer Umhängetasche. "Bine bleibt am kommenden Montag in Malaga. Ankunft 21 Uhr 30 aus München."

"Na, prima. Danke."

"He, he, ist das alles?"

"Meine ewige Verehrung umschlingt deine unvergleichlich hübschen Beine und Figur."

"Das klingt schon besser. Tschüss dann."

Monika – wie hieß sie eigentlich mit Nachnamen? – und Sabine Förster waren Kolleginnen und gute Freundinnen, aber Monika wollte nicht mehr fliegen und hatte sich für diese Saison in Malaga einsetzen lassen. Auch Bine klagte, dass sie sich schönere Tätigkeiten als den harten Job einer Stewardess vorstellen könne, und er hatte ihr versprochen, bei der Suche nach einem Job zu helfen. Sobald sie sich entschieden hatte, was sie in Zukunft machen wollte, und das fiel ihr schwerer, als sie zugab.

Auf der Rückfahrt hing ihm ein grauer Kleinwagen aufreizend dicht an der Stoßstange; zweimal fuhr er nach rechts, um ihn vorbeizulassen, aber der Fahrer nutzte die Chance nicht. Er oder sie trug eine übergroße Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern, die das Gesicht so gut wie eine Maske bedeckte. Erst als er für die Abfahrt nach Laredo de la Boca blinkte, gab der Verfolger Gas und schoss in einem waghalsigen Überholmanöver an ihm vorbei. Marholts Hände waren schweißnass geworden.

Während er seine Einkäufe verstaute, schaute er zufällig aus dem Fenster und begann leise zu fluchen. Der große Blonde kam den Pfad vom Strand hochgestiegen und schlenderte an seinem Grundstück vorbei, wobei er sich provozierend viel Zeit ließ und jede Einzelheit von Haus und Garten fast impertinent gründlich inspizierte. Dabei verriet seine Miene große Bereitschaft, Streit anzufangen, ganz gleich, mit wem und aus welchem Grund.

Wie das Schicksal so spielte, begegnete ihm der Blonde an dem Tag noch einmal. Marholt hatte Karin Demus vor ihrem Hotel getroffen, und sie hatte ihn auf einen Drink an die Hotelbar eingeladen. Noch in der Lobby überholte sie der Blonde, der an die Rezeption stürzte und lautstark seinen Zimmerschlüssel verlangte.

"Kennen Sie den Angeber?", fragte er seine Begleiterin.

"Nein, ich weiß nur, dass er auch hier im Hotel wohnt."

"Angeblich heißt er Axel und führt in Pacos Bar das große Wort." Er lachte leise: "Offenbar versucht er, die Ortsschöne zu erobern."

"Wird es ihm gelingen?"

"Möglich. Ohana ist nicht prüde, aber wählerisch, sie nimmt kein Geld, aber erwartet Geschenke."

"Wie heißt die Ortsschöne?"

"Ohana."

"Wissen Sie zufällig ihren Familiennamen?"

Er sah sie erstaunt an: "Ja. MacGregor. Der Vater war Ire."

"Das ist gut zu wissen", bemerkte sie geistesabwesend. "Wenn der Vater Ire war, spricht sie bestimmt Englisch."

"Ja, tut sie." Was sollte das? Aber Karin Demus registrierte wohl sein fragendes Gesicht, aber wollte nichts erklären.

Sie trafen die Ortsschöne in der Hotel-Bar; Ohana unterhielt sich eifrig mit einem älteren Mann, den Marholt nicht kannte, hatte – was alle Laredanos zu deuten wussten – den kurzen Rock und die Sandalen mit den waghalsig hohen Absätzen angezogen. Der Mann und sie sprachen Englisch miteinander. Er war groß und hager, hatte nur noch einen dünnen, grauen Flaum auf seinem Schädel und erinnerte mit seinem länglichen Gesicht und seinem breiten Kinn an ein Pferd. Seit wann interessierte sich Ohana für Männer jenseits der sechzig?

"Das ist Ohana", sagte er leise zu Karin Demus und deutete auf die eifrig plaudernde Ortsschöne. "Eine hochbrisante Mischung aus Irisch und Italienisch."

"Die gibt's beim Euro auch."

Sie tranken sich zu. Der Sherry war trocken und genau richtig temperiert, er erzählte ihr, dass die Briten in Gibraltar diesen Wein als Aperitif schätzten, aber den Name der Stadt Jerez de la frontera nicht aussprechen konnten und zu Sherry zusammenzogen.

Miguel empfahl einen plato combinado; sie lachte lange, zum Glück leise über die Bezeichnung, hatte alles Mögliche erwartet. Immerhin langte sie kräftig zu und als er ihr riet, zum Nachtisch einen Flan zu nehmen, zögerte sie zuerst. "Im Hotel schmeckt der sehr nach Chemie."

"Hier nicht, den Flan macht Maricarmen eigenhändig jeden Tag frisch."

"Tatsächlich", lobte sie dann, "ein Unterschied wie Tag und Nacht."

Das übersetzte er Maricarmen, die sich aufrichtig freute und sofort Miguel vergatterte, die deutsche rubia in Zukunft immer besonders höflich und zuvorkommend zu behandeln. Miguel nickte, er wusste, wann und wem er zu gehorchen hatte, und Maricarmen war, das stand fest, seine zukünftige Chefin.

Marholt brachte Karin Demus noch ins Hotel und ging dann über die Straße nach Hause. Heute ließ er Pacos Bar links liegen; die alte Frau, bei der er seinen Schinken kaufte, hatte ihn heute Morgen zu einer Flasche Rotwein überredet, den ihr Sohn für die Familie anbaute. Dabei hatte sie ihm wieder einmal das Leid aller Frauen geklagt, die hier vormittags verkauften. Im Ort sollte ein Supermercado entstehen, angeblich von einer deutschen Discounter-Kette, wie es hieß, und zwar in der Baugrube, die für das dritte Hotel ausgehoben worden war und nun als wilde Abfallkippe langsam verfüllt wurde. Er versprach, die Ohren aufzusperren.

Der Rote war nicht schlecht, und Marholt hatte die Flasche zur Hälfte geleert, als es an seine Tür klopfte. Ohana strahlte ihn an und ließ ihr Top verheißungsvoll über eine Schulter gleiten: "Was habe ich dir versprochen?"

Sie nahm ein Glas an und war seiner Meinung: "Er hat viel gelernt."

"Wer?"

"Alonso, der Sohn von Dona Subia."

"Was kann ich für dich tun?" Der enge, kurze Rock und die Schuhe galten mit Sicherheit nicht ihm, aber wo war der Glückliche?

"Ich wollte dich um was bitten."

"Ja?"

"Axel möchte mit dir reden, aber er hat Angst, dass du sauer auf ihn bist und ihn nicht reinlässt."

"Weißt du auch, was er von mir will?"

"Nein", zögerte sie und er glaubte ihr nicht so ganz. "Bitte, Pedro, rede mit ihm. Wenn du mit ihm redest, will er mir fünfzig Euro geben. Und das ist viel Geld für mich, jetzt, wo noch keine Touristen da sind."

"Na schön", gab er nach. "Sag ihm, er soll morgen Abend zu mir kommen, nach dem Essen."

"Du bist ein Schatz", jubelte sie und sprang auf. Ob aus Versehen oder von Ohana geschickt geübt – das über die eine Schulter geglittene Topteil rutschte noch etwas weiter und weil Ohana es nicht nötig hatte, einen BH zu tragen, wurde ihm ein kurzer Blick auf einen prachtvollen Busen vergönnt. Er sagte nichts, und sie zog wortlos das Top hoch. Dabei lächelte sie vergnügt.

"Sag mal, Ohana, wer war eigentlich das Englisch sprechende Pferdegesicht, mit dem du dich in der Hotelbar unterhalten hast?"

"Das war Jim", erklärte sie unbefangen. "Wir kennen uns aus meiner Heimat."

Es stellte sich heraus, dass sie mit "Heimat" jetzt London meinte, wo sie drei oder vier Jahre gelebt hatte und wo Jim sein Geld, viel Geld sogar, an der Börse verdiente. Marholt wollte sie nicht fragen, ob sie mit Jim schlief, und sie machte keinerlei Andeutung, wie eng ihre Beziehung zu dem alten Mann war.

"Und was treibt ihn ausgerechnet nach Laredo de la boca?"

"Irgendwas Privates." Das konnte man, aber das musste man nicht glauben.

Als Ohana dann ging, war die Rotweinflasche leer.

Sammelband 5 Krimis - Killer ohne Reue und andere Krimis

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