Читать книгу Sammelband 5 Krimis - Killer ohne Reue und andere Krimis - Alfred Bekker - Страница 20

11.

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Am nächsten Morgen ließ sie ihn an seinen geliebten Computer, turnte allein zum Strand hinunter und erschien pünktlich in seinem Häuschen. "Deine Rotblonde liegt unten wieder auf der Matte und scheint auf dich zu warten."

"Wie kommst du darauf?"

"Sie hat mich gemustert wie der Rausschmeißer einen mittellosen Krakeeler vor der Oben-Ohne-Bar."

"Wahrscheinlich hat sie nur deinen Bikini bewundert und sich gefragt, wie's kommt, dass der nicht rutscht."

"Das hättest du gerne, was?"

"Soll ich lügen?"

Als sie sich hinterher anzogen, meinte sie beiläufig. "Ich weiß wieder, wo ich deine Rotblonde gesehen habe. Ihr Bild, ihr Foto, meine ich."

"Und wo?"

"In der BILDzeitung, die ein Pax gelesen hat."

"Und? Aus welchem Grund war sie abgebildet?"

"Das habe ich vergessen." Dabei streifte ihn ein so merkwürdiger Blick, dass er sofort davon überzeugt war, Bine hatte ihn gerade belogen. Sie wusste ganz genau, warum Karins Bild in der Zeitung gestanden hatte, aber sie wollte es ihm nicht verraten. So, wie er sie kannte, war es zwecklos, von ihr hören zu wollen, warum sie damit hinter dem Berg hielt.

Als er mit Bine über den Strand Richtung Hotels lief, saß Vanessa Niegel neben Karin Demus im Sand und redete heftig auf sie ein. Beide Frauen nickten ihnen nur zu und er blieb absichtlich nicht stehen. Auf dem Rückweg nahm er Bine schweren Herzens mit in Pacos Bar, alle Männer verstummten sofort wie auf Befehl, aber Bine hatte den Vorteil, dass sie erstens nicht auf den Mund gefallen war und zweitens fast perfekt Spanisch sprach.

"Ich habe gehört, dass es hier die besten Tapas der Küste gibt. Warum sollen nur Männer, die doch alle nichts vom Essen verstehen und lieber saufen, so was Gutes bekommen?"

Damit hatte sie Marias Herz gewonnen, und alle wussten: Wenn sie jetzt protestierten und damit indirekt Maria beleidigten, hatte die tapa-Herrlichkeit ein Ende. Ohana stand mit dem Blonden an der Theke und sagte laut: "Tienes razon." Axel Kunz verstand nichts und sah etwa dümmlich, aber männlich entschlossen in die Gegend. Nach zweimal sechs Tapas und zweimal zwei blancos zogen Marholt und Bine ab. Vor der Tür begegneten sie zwei Männern, die er kannte: Leuscha und der Schwarzbärtige aus der Bar, über den Karin Demus so wenig erfreut gewesen war. Leuscha brummte "Buenos", der Bärtige knurrte nur unverständlich. Nach der Siesta bracht Marholt Bine zum Flughafen nach Malaga. Sie war überpünktlich da und er folgte Monika ins Büro. Für ihn war eine Mail eingetroffen. Gitte hatte sehr rasch gearbeitet.

"Lieber Peter, habe auf die Schnelle leider nicht alles herausbekommen, auch meine Leute machen Urlaub." Mit "meine Leute" meinte Brigitte die zahlreichen Informanten und Quellen, die sie anzapfen konnte. "Also: Das Auto ist zugelassen auf einen Kurt Leuscha, aus Leverkusen, mehrfach vorbestraft wegen Einbruch, schwerer Körperverletzung, Erpressung, Nötigung. Hat zuletzt in Rheinbach gesessen. Ihm droht beim nächsten Mal Sicherungsverwahrung. Axel Kunz biete ich zweimal an, einmal in Düsseldorf, gescheiterter Akademie-Maler, nennt sich heute Privatdetektiv, soll ein loverboy sein, steckt mitten in einer Privatinsolvenz, ein zweites dubioses Exemplar bevölkert Hamburg, gelernter Grafiker, Hochstapler und unter Vertrag bei einer Begleitservice-Agentur. Bis bald, Gruß, Gitte."

"Interessant?", fragte Monika, die an der Tür stand.

"Unter Umständen hilfreich."

"Es wird Zeit, Bine muss sich verabschieden."

"Wird es ein schlimmer Flug?"

"Mittelprächtig. In der Mehrzahl eher gesetztes Alter."

"Na dann, vielen Dank für das Mailen. Du hast was gut."

"Du könntest mich ja mal einladen in dein Laredo."

"Warum nicht? Ich gebe dir meine Handynummer und du rufst an, wenn du Zeit hast."

"Du müsstest mich aber abholen, ich habe kein Auto. Bine kommt so schnell nicht wieder nach Malaga. Sie muss ab Samstag auf die Kanarentour."

Immer noch besser als der Einsatz auf der Mallorca-Tour; die war immer stressig, wie er wusste. Aber dass Monika so betont hatte, Bine würde in nächster Zeit nicht mehr nach Malaga kommen, gefiel ihm nur mäßig. Die jungen Frauen taten zwar immer so, als seien sie die besten Freundinnen, aber einige gönnten der anderen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.

Mit Gittes ausgedruckter Mail fuhr er zurück. Nachdem man ihn herumbekommen hatte, sich ernsthaft mit Hakos Schicksal zu beschäftigen, hatte er zuerst Hakos Schwester Brigitte gesucht. Was nicht ganz einfach war, Vater Konradin war bereits an Krebs gestorben und neben seiner Frau beigesetzt worden.

Die Nachbarn wussten von nichts, und erst über die Todesanzeige für Dr. Waldemar Konradin bekam er den Namen der Schwester heraus. Brigitte Landau, geborene Konradin, Aachen. Sie bestätigte Marholt, nachdem sie Vertrauen gefasst hatte, was Marholt bereits in der Schulzeit vermutet hatte: Hako hatte sich verliebt, aber aus irgendwelchen Gründen diese Tatsache und den Namen des Mädchens vor so ziemlich jedermann geheim gehalten. Seiner Schwester hatte er nur vorgeschwärmt, sie sei ein selten wunderbares, ehrliches, begehrenswertes Geschöpf mit einem Engelsgesicht und einer Figur, die man gar nicht beschreiben könne, weil sie einem jungen Mann die Sprache verschlage. Gitte hatte nur gelächelt, von der Objektivität dieser Beschreibung ebenso wenig überzeugt wie ihr Zuhörer. Kein Name? Nein, kein Name. Und wo lebte dieses Wunder der Schöpfung? Also, nicht in Mülheim. Um sie zu sehen, lieh sich Bruder Hans regelmäßig ihr Auto und sie vermutete, dass er jeden Tag nach Düsseldorf fuhr. Bei einer späteren Sitzung wagte Marholt zu fragen, wie weit es denn zwischen Bruder Hans und der schönen Unbekannten gekommen sei, und Gitte wurde ganz komisch. "Manchmal habe ich das Gefühl, dass es zwischen den beiden noch nicht einmal zu einem Kuss gekommen ist, geschweige denn zum Petting oder so."

"Merkwürdig, finden Sie nicht auch?" Damals siezten sie sich noch und duzten sich erst, nachdem Brigitte mit ihrem Mann in das Haus ihrer verstorbenen Eltern nach Mülheim zurückgezogen war. Brigitte Landau war offenkundig bemüht, das Ansehen ihres Bruders zu wahren.

"Sehr merkwürdig."

"Eine verrückte Frage, Frau Landau. Wie nah kamen sich die beiden eigentlich körperlich bei seinen täglichen Besuchen?"

"Wenn ich das wüsste! Hoffentlich ist es nicht nur eine Schwärmerei aus der Ferne."

Marholt hatte nicht gesagt, dass er das mittlerweile auch vermutete, weil es vor allem erklären würde, warum Hans Konradin von dieser engelsgleichen Freundin unter den alten Klassenkameraden keine Silbe verlor – aus Angst, sich lächerlich zu machen oder sich als Weichei darzustellen? Viel später hatte Hako seiner Schwester gestanden, dass es sich bei der Angebeteten um eine Ausländerin handele, die wohl nicht für immer in Deutschland bleiben werde.

"Wissen Sie, aus welchem Ausland?"

"Nein, tut mir leid."

"Aber sie lebt in Düsseldorf?"

"Das vermute ich stark nach den Veränderungen auf dem Kilometerzähler meines Autos."

"Japanerin?" Düsseldorf hatte schon damals eine große japanische Kolonie. Brigitte Landau hatte nur die Achseln gezuckt.

Marholt kam noch rechtzeitig ins Granada, um den nächsten Laredo-Skandal höchstpersönlich zu erleben. Ohana saß mit dem Schwarzbärtigen an einem Tisch, sie diskutierten erregt miteinander, bis Ohana Glas und Teller zurückschob, mit der flachen Hand auf den Tisch schlug und aufsprang, sich wild im Restaurant umsah und dann auf Marholt zustürzte, als müsse er sie vor ihrem Mörder schützen. Natürlich stand er auf, rückte ihr einen Stuhl zurecht und lud sie ein, Platz zu nehmen. "Danke, Pedro."

"Was ist los?"

"Das ist vielleicht ein Arschloch."

Das "ojo de culo", stieß sie mit einer Lautstärke heraus, dass sich alle Einheimischen das laute Lachen verkneifen mussten. während sie auf den Bärtigen schauten, der bedrohlich langsam aufgestanden war und nun auf Ohana zukam. Er blieb neben ihr stehen und knurrte etwas Unverständliches. Marholt schaute hoch und sagte höflich: "Sie sehen doch, Sie sind hier unerwünscht."

"Halt's Maul, du Wichser, und misch' dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen."

Marholt sah rot: "Hau ab und fick dich, du Hurensohn."

Der Bärtige traute seinen Ohren nicht und schöpfte tief Luft. Das dauerte zu lange; als er dann mit einem Arm ausholte, stieß ihm Marholt die Gabel in den Bauch. Der Bärtige jaulte auf, ging aber nicht zu Boden, das besorgte dann Miguel, der plötzlich hinter dem Mann aufgetaucht war und ihm mit der Handkante ins Genick schlug, als wollte er ihm die Wirbelsäule brechen. Marholt sprang auf und riss das Knie hoch. Dem Doppelschlag von hinten und vorn war der Bärtige nicht gewachsen, er ging zu Boden, riss mehrere Stühle und einen Tisch mit und legte sich inmitten des gesplitterten Holzes zum Schlafen nieder.

"Danke, Miguel!"

"Keine Ursache, Don Pedro, ist doch gern geschehen. Beim nächsten Mal lasse ich ihn gar nicht erst rein." Und als Marholt etwas skeptisch auf den Asturier blickte, griff Miguel in die Tasche und zeigte einen Totschläger vor. Zwei Gäste kamen ihnen zu Hilfe, zu viert schleppten sie den Bewegungslosen vor die Tür des Granada und legten ihn sorgfältig auf der Gasse ab. Marholt bückte sich und fischte aus einer Tasche eine Geldbörse, die tatsächlich einen deutschen Personalausweis enthielt. Er schrieb sich die Angabe auf. Uwe Zindler, 48 Jahre alt, mit einer Adresse in Essen, Ruhrtalstraße. Ausweis und Börse steckte er zurück und ging mit Miguel ins Granada, wo sie erst einmal auf Einladung Maricarmens jeder einen Schluck tranken.

Miguel hatte noch was auf dem Herzen: "Deine rubia war heute schon zum Essen da."

"Alleine?"

"Nein, mit einer Frau, die aussah und sich benahm wie eine puta." "Hure" war ein sehr harter Ausdruck und die Frau musste sich bös daneben benommen haben, wenn Miguel einen Gast des Granda so titulierte. Nach seiner Beschreibung handelte es sich um Vanessa Niegel aus Leverkusen.

"Sie hat übrigens plato combinado bestellt, perfekt, ohne Fehler. Nur beim Trinkgeld war sie plötzlich sehr deutsch." Marholt machte es gut und glich den Demus‘schen Fehler aus, als er zahlte. Ohana hatte im Granada nichts erzählen wollen, sondern ihn in ihre Wohnung eingeladen, wo eine Flasche bereitstand.

Ohanas Wohnung lag im ersten Stock eines sehr an eine Mischung aus Bürogebäude und Fabrik erinnernden langgestreckten Baus, der wohl einmal ein Einkaufszentrum werden sollte, als Laredo noch von großen Hotelbauten und Touristenströmen träumte. Für Marholt war es eine große Ehre, ihre Wohnung betreten zu dürfen; Ohana hielt es sonst mit der spanischen Sitte, sich mit Freunden und Bekannten in Restaurants und Bars zu verabreden und nicht in den eigenen vier Wänden. Aber sie gab zu, dass sie Angst gehabt hatte, Zindler würde wieder im Granada auftauchen, allein oder mit seinem Freund.

"Welcher Freund?"

"Auch ein Deutscher. Er heißt Leuscha und ist mit der Frau nach Laredo gekommen, die heute deine Freundin ins Granada begleitet hat."

Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass mit "Freundin" Karin Demus gemeint war.

"Was wollte dieser Zindler von dir?"

"Er hat wissen wollen, wo meine Schwester ist."

"Ach nee. Und warum wollte er das wissen?"

"Das hat er mir nicht verraten", sagte Ohana fest und feierlich, "und ich hätte es ihm auch nicht sagen können. Ich weiß nämlich nicht, wo meine Schwester lebt." Obwohl sie ihn dabei fest ansah, glaubt er ihr kein Wort. Ohana brauchte vielleicht seine Hilfe, aber sie war nicht bereit, dafür im Gegenzug offen zu reden. Fassade, man ließ niemanden hinter die Fassade blicken, wenn der nicht zur Familie gehörte. Zindler und Leuscha kannten sich also, das immerhin hatte er erfahren, und Ohana hatte tatsächlich eine Schwester. Sabine war schon in der Luft Richtung Deutschland unterwegs und Monika würde ihn anrufen. Eigentlich war er nicht nach Laredo gekommen, um sich um so viele anderen Menschen zu kümmern. Hans Konradin respektive die spärlichen Zeugnisse seines Lebens warteten auf ihn. Er winkte ab, als Ohana den Korkenzieher ansetzen wollte, und ging. Er hörte noch, dass sie hinter ihm gründlich abschloss und einen Riegel vorschob. Ob er bei Paco noch irgendetwas Essbares bekommen würde?

Maria Jesus bot ihm an, noch eine Tortilla zu zaubern. Wenn sie wollte, konnte sie hervorragend kochen.

Marholt fuhr herum, als ein Mann plötzlich neben ihm auf Deutsch sagte: "Wie machen Sie das, so verwöhnt zu werden?"

Axel Kunz grinste neidisch.

"Ich kenne Paco und Maria schon lange", erklärte Marholt friedlich.

"Aha, ich bin das erste Mal in Laredo, und wie es aussieht, auch das letzte Mal."

"Wie hat es Sie überhaupt in diesen Ort verschlagen?" Dann fiel ihm ein, was Gitte gemailt hatte: "Kommen Sie aus Düsseldorf?"

"Woher wissen Sie das?"

"Eine Bekannte am Flughafen in Malaga hat sich an Sie erinnert", log er dreist. "Sie sind doch als Privatdetektiv tätig, nicht wahr?"

"Richtig. Und um gleich Ihre nächste Frage zu beantworten, ja, ich bin beruflich hier."

"Ausgerechnet in Laredo de la boca?"

"Ja. Die geschiedene Frau eines Kunden macht hier Urlaub, und der Ex möchte gerne wissen, mit wem sie sich so trifft und wohin der Unterhalt fließt, den er ihr zahlt." Danach sah er Marholt von der Seite an: "Aber den Namen meines Kunden und seiner Ex kann ich Ihnen nicht verraten, das verstehen Sie doch?"

"Na klar", sagt Marholt, der nichts verstand und vor allem nicht begriff, warum Kunz ihm das alles auf die Nase band.

"Que approveche", sagte Paco und stellte den Teller mit der Tortilla vor ihm ab.

"Vielen Dank, Paco. Soll ich versuchen, für Sie auch noch eine Tortilla zu bestellen?"

"Nein, vielen Dank für das Angebot. Guten Appetit."

Marholt wunderte sich über die plötzliche Höflichkeit seines Nachbarn, der noch einen blanco bestellte und dann ging. Paco sah ihm nach. "Ein ganz krummer Hund, Pedro."

Marholt ging ein Licht auf. Kunz wusste also immer noch nicht, dass Paco sehr gut Deutsch verstand. "Ist was passiert, Paco?"

Es dauert etwas, bis alle Unklarheiten ausgeräumt waren. Heute Nachmittag hatten sich zwei Deutsche an der Bar angeregt unterhalten, höchstwahrscheinlich Kurt Leuscha und Uwe Zindler. Wenn nun wirklich keine der Frauen etwas wusste? Holger, dieser krumme Hund, hatte ja Zeit genug gehabt, das Zeugs zu verstecken, bevor die Tussi in dem Haus auftauchte, und wer konnte schon wissen, wer noch Holger im Krankenhaus besucht hatte, bevor der abnippelte. Sie hätten ihn in der Nacht nie gehen lassen dürfen, Holger war schließlich bekannt dafür, dass er jeden über's Ohr haute, mit dem er zu tun hatte. Der Bärtige hatte daraufhin gesagt: "Hinterher ist man immer klüger." So hatte sich Paco völlig zutreffend den Satz des Bärtigen übersetzt "Wenn man vom Rathaus kommt, ist man klüger." Dann kamen kurz hintereinander zwei weitere Deutsche in die Bar. Die eine Frau setzte sich zu Kurt Leuscha und versuchte, wenn Paco alles richtig verstanden hatte, ihn zu überreden, noch einmal mit "der Frau" zu reden. "Das hat doch keinen Sinn", wehrte sich Leuscha hartnäckig, worauf die Frau erbost meinte: "Wenn du zu faul bist, soll sich Uwe mal um diese kleine Hure kümmern." Danach war sie aus der Bar gerauscht und der Blonde, Ohanas Verehrer, hatte sich an Leuscha gewandt: "Seid ihr auch hinter der Tussi her?"

"Was geht dich das an, du Schleimscheißer?", hatte Leuscha ihn abgefertigt.

"Ich dachte, wir können vielleicht ins Geschäft kommen."

"Verpiss dich!", hatte Leuscha gebrüllt. Paco war extra in die Wohnung hochgegangen und hatte in seinem Wörterbuch nachgeschlagen, was das hieß, und Marholt wunderte sich, welche Begriffe heutzutage in Wörterbücher aufgenommen wurden.

Leuscha und Zindler hatten also mit Axel Kunz nichts zu tun, so sah es zumindest aus. Aber alle drei Männer plus Vanessa Niegel wollten was von Karin Demus, vielleicht nicht alle dasselbe, aber verrückt war es schon. Und wie Ohana da hineinpasste, blieb ebenfalls ein Rätsel.

Marholt schlief unruhig und wurde mitten in der Nacht geweckt, weil jemand versuchte, seine Haustür einzutreten oder aus den Angeln zu brechen. Mit Mühe schleppte er sich zur Tür und brüllte: "Hau' ab!"

Eine Frauenstimme antwortete auf Deutsch: "Bitte machen Sie auf! Ich brauche Hilfe."

"Wer sind Sie?"

"Ich bin Karin Demus."

Ein vorsichtiger Mann würde jetzt in sein Bett zurückgegangen sein, aber wer hatte je behauptet, dass Peter Marholt ein vorsichtiger, vernünftiger Mann sei? Er öffnete die Tür und eine schluchzende Karin Demus fiel ihm in die Arme, verschmierte mit ihrer blutenden Nase und ihrer blutigen Stirn sein schönes, weißes Shirt, und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Er setzte sie in einen Sessel, weil sie schwankte, als würde sie jeden Moment hinfallen.

"Was ist Ihnen denn zugestoßen?", fragte er und holte einen feuchten Waschlappen und die Schachtel mit dem Pflaster. Es brauchte Zeit und Geduld, bis er aus ihren etwas wirren Sätzen die Geschichte rekonstruiert hatte. Sie war in ihrem Hotelzimmer überfallen worden. Jemand hatte heftig an ihre Zimmertür geklopft und mehrfach laut gesagt: Una carta, una carta, bis sie endlich öffnete. Vor ihr standen drei Personen, alle maskiert, aber sie hätte schwören können, dass es sich um zwei Männer und eine Frau handelte. Eine der Figuren hatte ihr sofort, ohne jede Warnung oder Grund, einen schweren Gegenstand über den Kopf geschlagen, sie war rückwärts ins Zimmer gefallen und dann hatten sich die unerwünschte Besucher über ihre Schränke, Koffer und Taschen hergemacht. Was sie suchten, hatten sie nicht gesagt, nur, als sie gingen, nachdem sie nichts gefunden hatten, sagte einer der Männer: "Wir kommen wieder, verlass' dich drauf. Wir finden, was dein Holger eingesackt hat, darauf kannst du Gift nehmen."

"Wer soll dieser Holger sein?"

"Hätten Sie vielleicht einen Schluck zu trinken für mich?"

Er hatte, er hatte aber auch verstanden, dass sie vor der Antwort Zeit gewinnen wollte. Also holte er eine Flasche, zwei Gläser und hockte sich vor ihr nieder. "Stillhalten!", befahl er, wischte ihr das Blut ab, so gut es ging und klebte dann ungeschickt zwei Pflaster über die Wunden auf der Stirn. Für die Nase, die zwar nur noch schwach, aber immer noch blutete, opferte er einen zweiten mit kaltem Wasser angefeuchteten Waschlappen. Nach zwei großen Schlucken Weißwein ging es ihr besser, und er sah sie lange an, bis sie merkte, dass jetzt an einem Geständnis kein Weg mehr vorbeiführte. Er zog sich einen Sessel heran, füllte sich auch ein Glas und wartete. Anfangs versuchte sie, in einer Art Telegrammstil möglichst wenig zu sagen, aber er blieb hartnäckig und fragte immer wieder nach, und sie musste schließlich doch auspacken.

Ihr Mann Achim hatte sie verlassen, als ein irisches Au-Pair-Mädchen ins Haus gekommen war. Sehr jung, sehr schön, sehr naiv und sehr sexy für Männer, die auf jung standen, mit einer unschuldige Art und einem naiven Stolz auf ihre Figur, denen Achim nicht widerstehen konnte.

"Achim und wie weiter?"

"Achim van Borgh", buchstabierte sie. "Seine Familie ist aus den Niederlanden zugewandert."

Karin trennte sich von ihm und verließ sein Haus.

"Wo stand denn dieses Haus?"

"In Düsseldorf." Achim hatte sich sehr rasch bereit erklärt, für sie Unterhalt zu zahlen und einer Scheidung zuzustimmen, womit er ihren Eindruck verstärkte: Ihm schien es in erster Linie darauf anzukommen, einen Skandal zu vermeiden. Sie lernte dann sehr schnell einen gescheiterten Künstler kennen, Holger Udokeit, der einmal auf der Kunstakademie gewesen war, aber mit Gemälden nie eine Mark verdienen konnte, und sich auf Diebstahl und Einbruch verlegt hatte.

"Tolle Karriere!"

Holger hatte ihr verschwiegen, dass er wegen seiner neue "Berufs"-Tätigkeit bereits zweimal im Knast gesessen hatte. Er verheimlichte auch, dass er die beiden "alten Freunde" Kurt und Uwe, die er dann mit zu ihr brachte, in der JVA kennengelernt hatte. Und weil sie glaubte, er sei ein armer und erfolgloser, aber ehrlicher Mann, hatte sie ihm erzählt, dass Noch-Ehemann Achim, gelernter Goldschmied, der sein Geld hauptsächlich mit Schmuck- und Juwelenhandel verdiente, die wichtigsten und wertvollsten Stücke in einem verborgenen Tresor in seinem Haus in Oberkassel aufbewahrte, was Holger mit Vergnügen hörte, vor allem, als sie ihm genau zu erklären wusste, wo sich der Geldschrank befand, nämlich in einem fensterlosen Raum, den man nur durch eine hinter einem beweglichen Bücherregal versteckte Schiebetür erreichen konnte.

"So naiv waren Sie doch nicht wirklich", zweifelte er.

Das hatte ihr das Gericht auch nicht geglaubt.

"Gericht?"

"Eine große Strafkammer. Gleich, wenn schon, denn schon alles der Reihe nach."

Irgendwann war sie dann wohl selbst misstrauisch geworden und befürchtete, dass sie da was Dummes angerichtet hatte, worauf sie beschloss, Achim – Schuft hin, Seitenspringer her – zu warnen.

Marholt hörte fasziniert zu. Die besten Geschichten konnte man nicht erfinden, die – so der alberne Spruch – schrieb das Leben.

Es hätte ganz anders kommen können. Denn als sie eines Abends spät vor dem Haus stand, um Achim zu warnen und gleichzeitig etwas zu holen, was sie bei ihrem Auszug vergessen hatte, musste sie feststellen, dass ihre alten Schlüssel nicht mehr passten, der schuftige Seitenspringer hatte nach ihrem Auszug offenbar die Schlösser ausgewechselt. Aber dann gab sie sich einen Ruck, nun war sie schon einmal hier, also konnte sie auch klingeln. Was sie dann auch tat. Mehrfach sogar. Etwa eine Minute später hörte sie im Haus einen Schrei, unmittelbar danach einen Knall, den sie sich nicht erklären konnte, wenig später wurde die Haustür aufgerissen und ein maskierter Mann stürmte an ihr vorbei nach draußen, stieß sie dabei so heftig zur Seite, dass sie in die Blumenrabatten stürzte. Als sie sich wieder aufgerappelt hatte, war der Maskierte über alle Berge. Die Haustür war hinter dem Flüchtenden nicht richtig ins Schloss gefallen, und sie ging hinein. Was, wie sie damals schon wusste, nicht sehr klug war. Aber irgendwie war der Drang, drinnen nachzuschauen, unwiderstehlich. Die Tür zu Achims Arbeitszimmer stand weit offen, und ein Blick genügte, ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Das Bücherregal, das auf versteckten Schienen fuhr und den Eingang zu einem kleinen, fensterlosen Raum verbarg, war zur Seite geschoben, in dem Kämmerchen hatte der Maskierte den Tresor aufgeschweißt, die Safetür hing nur noch an einer Angel, und der Tresor war augenscheinlich leer. Das erschütterte sie weniger als das laute Stöhnen einer unbekannten Person, die am Fuße der Treppe in den ersten Stock lag und vor Schmerzen jammerte und wimmerte. Sie war zu der Gestalt hingegangen und hatte sich zu ihr gebückt. Es war Debby.

"Wer zum Henker ist oder war Debby?"

"Das Au-Pair-Mädchen aus Irland. Deborah, genannt Debby. Ein wirklich sehr hübsches Mädchen, in das sich mein Mann Achim so verguckt hatte."

"Offenbar wohl nicht nur verguckt."

"Nein, ihretwegen wollte er mich ja verlassen. Debby lag am Fuß der Treppe und konnte sich nicht bewegen, und ich bin einfach weggelaufen, ohne ihr zu helfen oder Hilfe zu holen."

"War sie die Treppe hinuntergefallen?"

"Ja, die letzten Stufen, nachdem Holger, wie sich später herausstellte, sie angeschossen und so unglücklich getroffen hatte, dass sie querschnittsgelähmt war. Und mehr noch, sie war zu der Zeit schwanger und hat das Kind in den nächsten Tagen verloren."

"Das heißt, sie hat Holgers Schuss und den Treppensturz überlebt?"

"Ja, wenig später, nachdem ich aus der Villa geflüchtet war, kam Achim nach Hause und hat Notarzt und Polizei alarmiert." Sie griff hastig nach dem Glas, aber Marholt fand, dass bis jetzt höchstens eine Hälfte der Geschichte erzählt war. Sie wollte sich sträuben, aber er blieb unerbittlich. Wer seine Nachtruhe so massiv störte, seine Pflastervorräte aufbrauchte, und seinen Weinvorrat reduziere, durfte und musste sich revanchieren.

"Wie es weiterging?"

Holger, dieser vorbestrafte Vollidiot, hatte soviel Spuren am Tresor und seinem zurückgelassenen Werkzeug verbreitet, dass ihn die Polizei wenig später festnahm. Und das Ferkel sagte auch prompt aus, dass seine Freundin Karin Demus, damals noch verheiratete van Borgh, ihm den Tipp mit dem Tresor und der verborgenen Kammer neben dem Arbeitszimmer gegeben, ihm aber verschwiegen habe, dass sich im Haus noch Achims schwangere Freundin Debby aufhielt. Wenn er das gewusst hätte, wäre er doch nie und nimmer eingebrochen. Van Borgh war an dem Abend bei einem Treffen des Verbandes der Schmuck- und Edelsteinhändler; das hatte er – Holger – aus dem Büro van Borgh gehört. Natürlich war er höllisch erschrocken, als es dann zwei-, dreimal an der Haustür klingelte. Und noch erschrockener, als wenig später im oberen Stockwerk eine Tür klappte und eine Frauenstimme rief: "Moment, ich komme ja schon."

Er – Holger Udokeit – habe noch versucht, die Tür zum Arbeitszimmer von innen zu verschließen, aber da war es schon zu spät, eine junge Frau kam die Treppe heruntergehuscht, bemerkte ihn und schrie auf. Da hatte er in einer Kurzschlusshandlung geschossen. Die Kugel verfehlte sie wohl, aber der Querschläger traf sie unglücklich in den Rücken. Sie stürzte die letzten Stufen hinunter und rührte sich nicht mehr. Daraufhin hatte er alles stehen und liegen lassen und war geflohen.

Als sie später der Polizei erzählte, der flüchtende Holger habe sie vor der Haustür über den Haufen gerannt, hatte der Kommissar nur schmal gelächelt, davon habe Holger nichts gesagt. Und selbst wenn das so gewesen war, sie war doch im Haus gewesen, man hatten ihre Schuhabdrücke direkt neben der verwundeten Debby gesichert. Hatte Karin sich überzeugen wollen, dass Holger seinen Auftrag richtig erledigt hatte, die Rivalin zu beseitigen?

Auftrag? Was denn sonst, zur Belohnung oder als Honorar habe sie ihm doch verraten, wie und wo er den Tresor finden und die Alarmanlage ausschalten könne. Für diese Interpretation der Vorgänge konnten sich später auch der Staatsanwalt und eine große Strafkammer erwärmen. Unter anderem wegen ihrer Aussage, der Flüchtende habe nichts in Händen getragen: Da aber der Inhalt des Tresors verschwunden war, lag der Verdacht doch sehr nahe, dass sie sich zuerst die am Boden liegenden Debby angeschaut und dann aus der Bunkerkammer den Beutel oder Koffer mit dem Tresorinhalt genommen und für ihren Freund und Geliebten Holger in Sicherheit gebracht hatte. Was Holger Udokeit bei allen Verhören bestritt, er habe den Tresorinhalt bei seiner Flucht zurückgelassen und nie mehr gesehen. Der Tresorinhalt aber blieb verschwunden. Und eine Chance, Holger vor Gericht dazu zu bringen, die Wahrheit auszusagen, gab es dann nicht mehr. Das zurückgelassene Werkzeug vor dem aufgeschweißten Tresor war so gut wie eine Visitenkarte mit schriftlichem Geständnis. Holger wurde mit Haftbefehl gesucht, und als zwei Zivilfahnder ihn stellten, zog der Idiot eine Pistole und schoss auf die Beamten. Er traf einen, der andere schoss zurück und verletzte Holger schwer. Der kam zwar noch lebend im Krankenhaus an, verstarb aber keine Woche später.

"Hat er vor seinem Tod noch gesagt, was aus der Beute geworden ist?"

"Keine Silbe. Er hat bei einer Vernehmung nur noch gesagt, dass ich ihm geraten hätte, an dem bewussten Tag in das Borgh-Haus einzubrechen und den Tresor auszuräumen. Damit sei er gerade beschäftigt gewesen, als es klingelte und wenig später zu seiner maßlosen Verblüffung eine junge Frau im Nachthemd die Treppe hinuntergekommen sei und ihn in der Bunkerkammer vor dem Tresor gesehen habe. Deswegen habe er auf sie geschossen.

"Er war nicht intelligent, dein Holger?"

"Das verstehe ich nicht?"

"Der Versuch, einen Zeugen für eine eigene Straftat zu beseitigen, führt automatisch zu einer Mordanklage."

"Das hat mein Anwalt mir später auch erzählt. Aber diese Anklage gegen Holger Udokeit wurde nicht mehr erhoben, weil er vorher starb."

Doch sie musste vor eine große Strafkammer. Holger hatte in den Tagen, in denen er noch im Krankenhaus zwischen Leben und Tod schwebte, seinem Besucher erzählt, dass seine Freundin Karin Demus respektive van Borgh ihn angestiftet hatte, bei ihrem Noch-Ehemann einzubrechen. An diesem Abend. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass sich eine junge schwangere Frau im Hause aufhielt. Und genau im "richtigen" Moment stand Karin dann vor der Haustür, klingelte Sturm und weckte damit die junge Schwangere. Womit, so hatte der todkranke Holger seinem Besucher erläutert, sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen habe. Holger erledigte die Rivalin und besorgte Karin eine "Abfindung", die Achim van Borgh in dieser Höhe nicht zu zahlen bereit war.

"Hat man denn bei Ihnen den Tresor-Inhalt gefunden?"

"Nein, kein Stück."

"Diese Debby kann ihn ja wohl nicht beiseite geschafft haben."

"Nein, allenfalls Achim, als der wenig später nach Hause kam. Bis Notarzt und Polizei eintrafen, hatte er Zeit genug, den Beutel, die Tasche, den Koffer vorübergehend zu verstecken. Irgendwann hat er den Inhalt dann in sein Geschäft auf der Schadowstraße mitgenommen und dort unauffällig verschwinden lassen. So, jetzt bekomme ich noch einen Schluck, und dann muss ich schlafen."

"Soll ich Sie ins Hotel bringen?"

"Um Gottes willen, damit die mich dort noch einmal überfallen? Nein, ich bleibe heute Nacht hier."

Eine Frau, ein Wort, ein Mann, ein "Zu Befehl".

Sie beschlagnahmte sein schönes Bett, er holte seine Luftmatratze und schlief eher schlecht als recht auf dem Fußboden in seinem Arbeits- und Wohnzimmer. Ihre Nachtruhe wurde nicht gestört. Was er insgeheim befürchtet hatte, nämlich dass die Eindringlinge aus dem Hotel Karin Demus zu seinem Häuschen gefolgt wären, war nicht eingetroffen.

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