Читать книгу Sammelband 5 Krimis - Killer ohne Reue und andere Krimis - Alfred Bekker - Страница 16
Оглавление8.
Er schlief sehr unruhig und leicht und hörte deswegen wohl auch so deutlich das Geräusch eines Schlüssels, der ins Schloss der Haustür gesteckt wurde. Ein Schlüssel? Woher sollte einer seinen Schlüssel haben? Marholt hatte keinen weggegeben. Dann fiel ihm ein, was Brigitte Landau am Telefon erzählt hatte; ein Dietrich tat es auch, also kletterte er leise aus dem Bett, zog sich eine Hose an und stieg in seine Laufschuhe. Mit den Schnürsenkeln wurde er keine Sekunde zu früh fertig. Er hatte sich eben aus dem Schlafzimmer in den großen Wohn- und Arbeitsraum geschlichen, als die Tür zum Flur aufgeklinkt wurde, er konnte sich eben noch neben einen hohen Schrank an die Wand flüchten, als ein Paar hereinkam, beide trugen Trainingsanzüge und tief in die Stirn gezogene Baseballkappen. Dass die eine Person eine Frau war, erkannte er nur an ihrer Stimme.
"Glaubst du wirklich, er hatte alle Sachen mitgebracht?"
"Ja, das denke ich", murrte der Mann. "In seiner Bude war ja nichts mehr – oder?"
"Was soll dieses 'oder?' heißen?"
"Ich war ja nicht dabei."
"Du traust auch wirklich keinem."
"Nein, ich habe zu viele schlechte Erfahrungen gemacht."
Während des leisen, flüsterlauten Sprechens hatten beide angefangen, Fächer, Schubladen und Schränke, die sie erreichen konnten, leise und vorsichtig auszuräumen. Im Halbdunkel konnten sie nicht viel erkennen, das von draußen hereinfallende Licht war zu schwach, aber die Deckenlampe anzuknipsen, wagten sie offenbar nicht. Marholt lauschte und beobachtete, so gut es eben ging, es würde nicht mehr lange dauern, und einer der beiden musste den Schrank erreichen, an dessen eine Seitenwand er sich presste, um nicht gesehen zu werden. Immerhin hatte er ihnen einen Vorteil voraus. Er kannte den Grundriss des Häuschens, und deshalb ließ er sich geräuschlos auf den Boden nieder. Dann nahmen sich beide ein Regal vor, auf dem er ablegte, was er gerade nicht oder nicht mehr brauchte, Bücher, Papiere, Süßstoff, Staubtuch, es herrschte auf den Brettern in bequemer Griffhöhe ein wildes Durcheinander. Und prompt beschwerte sie sich: "Von Aufräumen hält er wohl nichts."
"Nein, er lebt ja auch nicht mit dir zusammen."
Marholt konnte sich jetzt in voller Länge auf dem Boden ausstrecken. Alte Erinnerungen an Indianertage seiner Jugend tauchten auf. Der erfahrene Apache stützte sich nur auf Fingerspitzen und Zehen ab. Dazu langten seine Kräfte nicht mehr, aber unhörbar leise konnte er immer noch voranrobben. Zum Glück war die Tür nur angelehnt und knarrte nicht, als er sie aufzog und sich auf den kleinen Flur hinausschlängelte. Warum sie auch die Haustür nur angelehnt hatten, konnte er sich nicht vorstellen – bloß keine Verzögerung, kein Hindernis, wenn sie fliehen mussten? Er kroch nach draußen und richtete sich auf. Was mochten sie bei ihm suchen? Geld? Danach sah er doch wirklich nicht aus, und das wenige Bargeld, das er für seine täglichen Einkäufe immer im Hause hatte, lohnte wahrlich keinen Einbruch.
Einkäufe! Endlich fiel ein Groschen. Ja, genau, das war die Stimme der Frau gewesen, die sich heute Morgen bei ihm erkundigt hatte, wo man denn hier im Ort was zum Mittagessen einkaufen könne. Wie hatte sie sich noch genannt? Eva? Nein, Vera? Nein, Vanessa, richtig, Vanessa Niegel. Und er, der sie später eingeholt hatte, hatte sich als Kurt Leuscha oder so ähnlich vorgestellt. Gefallen hatten sie ihm beide nicht. Aber das war die Chance, den Spieß umzudrehen. Sie hatten gestern das letzte Häuschen in der Viererreihe bezogen. Wenn sie sich unbefugt in seinem Haus umsahen, durfte er das auch in ihrem tun. Oder besser nicht? Wie würden sie reagieren, wenn sie ihn in ihrem Haus überraschten? Auch fortkriechen oder zuschlagen? Kurt hatte ganz den Eindruck gemacht, als pflege er Probleme bevorzugt mit der Faust oder dem Schlagring zu lösen. Aber ihr Autokennzeichen konnte er sich mal in aller Ruhe anschauen.
Der Himmel war dank der Sterne, des zunehmenden Mondes und fehlenden Wolken hell genug, um aufrecht über die Straße zu laufen. Sie hatten in dem Häuschen ein kleines Licht brennen lassen, und Marholt verzichtete auf den Versuch einzusteigen. LEV-XX 9387, ein grauer, schon etwas älterer Polo. Marholt machte kehrt und versteckte sich in der Nähe seines Hauses so, dass er den Eingang beobachten konnte. Gut eine Viertelstunde späte kamen sie heraus und er war jetzt sicher, dass es sich um Vanessa Niegel und Kurt Leuscha handelte. So weit er das beurteilen konnte, trugen sie nichts fort, und nach zwanzig Minuten traute er sich, sein Haus zu betreten und Licht zu machen. Nichts deutete darauf hin, dass hier zwei Menschen im Dunkeln was gesucht hatten, alles war tipptopp auf-, zusammen- und weggeräumt. Hatten sie nicht kontrolliert, ob er in seinem Bett lag? Oder scheuten sie das Risiko, ihn dabei aufzuwecken?