Читать книгу Unbekannte Raumzeit: Das Science Fiction Abenteuer Paket auf 1200 Seiten - Alfred Bekker - Страница 10
Aus den persönlichen Aufzeichnungen von Ras Dashan, abgespeichert in der Datenbank der TERRA NOVA:
ОглавлениеEs ist mitunter wirklich anstrengend, unter Zwergen leben zu müssen. Manchmal träume ich davon, dass die Schwerkraft von Micran angenehm auf mir lastet und mir ein hoher Luftdruck genug Sauerstoff in die Nase drückt, damit ich nicht so häufig atmen muss. Die Geräusche, die dabei entstehen, hören sich für Erdmenschen offenbar des Öfteren wie Unmutsbekundungen an, was den Umgang mit den Kleinen nicht gerade leichter macht. Dass ich mich mit meiner bescheidenen Größe von drei Metern nicht in allen Teilen des Schiffes aufrecht bewegen kann, wenn ich mir nicht den Kopf stoßen will, daran habe ich mich einigermaßen gewöhnt. Daran, dass ich auf zehn Milliarden oder mehr Lichtjahre der Einzige meiner Art bin, ehrlich gesagt noch nicht.
*
EIN RUCK GING DURCH das gewaltige Sternenschiff. Arn Polo wurde in den Sitz des Kommandanten hineingedrückt. Die Andruckabsorber schienen für den Bruchteil eines Augenblicks nicht mehr richtig zu funktionieren.
"Was ist los, Reiniger?", fragte Polo.
"Bislang keine Analyse möglich", sagte Reiniger, der zurzeit die Ortungskontrollen auf der Brücke der TERRA NOVA bediente.
"Steuerung und Hyperraumantrieb für eine halbe Sekunde außer Funktion!", meldete unterdessen Tell Gontro, der zurzeit die Funktion des Navigators und Steuermanns inne hatte.
"Erklärung?", fragte Polo.
"Negativ, Captain. Wir hätten zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Erklärung. Es sei denn..." Er hielt inne. Das Entsetzen schien ihn gepackt zu haben.
"Unbeabsichtigter Austritt aus dem Hyperraum!", meldete indessen Reiniger. "Fallen auf einen Wert unterhalb der Lichtgeschwindigkeit."
"Hindernis in einer Entfernung von 5,0 auf schräg Backbord", meldete Navigator Tell Gontro. "Absorber auf höchster Stufe. Kursänderung dreißig Grad aufwärts."
"Was zum Teufel ist das?", murmelte Arn Polo.
"Wir bekommen es jetzt auf den Schirm!", meldete Reiniger. Seine Finger glitten über eine virtuelle Tastatur. Er nahm ein paar Einstellungen vor, während sich vor ihm eine dreidimensionale Projektion bildete.
Im nächsten Augenblick erschien auf der zentralen Projektion zur Außensicht das Bild eines Felsbrockens. Er hatte die Form einer Kartoffel. Reiniger meldete dazu die Daten. Das Objekt hatte ungefähr die Größe des Mars, aber eine Masse, die der des Jupiter entsprach. Die Dichte war unwahrscheinlich hoch und entsprechend hoch musste nun auch die Leistungskraft der Andruck- und Gravitationsabsorber sein.
"Abstand weniger als 5,3", meldete Reiniger.
"Schaffen wir es, an dem Ding vorbeizukommen?", fragte Arn Polo.
"Positiv, Commander", bestätigte Tell Gontro.
Auf einer schematischen Darstellung war zu sehen, wie knapp der Rumpf der TERRA NOVA an dem so plötzlich aufgetauchten Objekt vorbeischrammte. Um Haaresbreite!, dachte Arn Polo. Zumindest im kosmischen Maßstab betrachtet...
Tell Gontros Gesicht war weiß wie die Wand.
Der Navigator atmete tief durch, als er sich schließlich zurücklehnte. "Das war sehr knapp", gestand er dann.
"Arbeitet der Hyperraum-Antrieb wieder?", fragte Arn Polo.
"Antrieb funktioniert einwandfrei", bestätigte Tell Gontro.
"Spricht irgend etwas dagegen, dass wir wieder auf Überlicht gehen?"
"Nein, Sir."
Arn Polo wandte sich auch noch an Reiniger, der ja die Ortungsanzeigen im Blick hatte. "Von meiner Seite auch nicht. Es gibt keine ungewöhnlichen Objekte in der Nähe. Die Beinahe-Kollision mit dem Felsbrocken hätte uns überall bei einem unkontrollierten Hyperraumaustritt passieren können."
"Gut", murmelte Arn Polo. Oder vielmehr: Gar nicht gut!, ging es dem Commander der TERRA NOVA durch den Kopf. Die Ursache für dieses Vorkommnis war schließlich noch nicht gefunden. "Reiniger, ich möchte, dass Sie die Ursache für unseren plötzlichen Hyperraum-Austritt finden. Verständigen Sie den Chefingenieur und führen Sie eine Selbstanalyse des Systems durch."
"In Ordnung, Sir", bestätigte Reiniger, dessen Finger bereits über ein weiteres, aus Arn Polos Perspektive leicht durchscheinend wirkendes virtuelles Tastaturfeld schnellten.
Reiniger war in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Er traute der Gedankensteuerung der Menues nicht. Manch einer konnte eben das holografische Zeitalter irgendwie einfach nicht innerlich hinter sich lassen. Aber hier draußen, buchstäblich am Ende des Universums, hatte das alles ohnehin nicht so eine große Bedeutung, wie Arn Polo fand.
Der Commander der TERRA NOVA erhob sich aus seinem Schalensitz aus reiner Formenergie. Der Sitz bildete sich daraufhin zurück und verschwand im Boden. "Mister Reiniger, Sie führen das Kommando hier. Verständigen Sie mich bitte über jede Unregelmäßigkeit. Und ich möchte außerdem darüber in Kenntnis gesetzt werden, wann wir nun tatsächlich die Grenze des Faahrg-Imperiums verlassen haben."
"Aye, aye, Sir!", bestätigte Reiniger.
Arn Polo verließ daraufhin die Brücke. Eine Schiebetür schloss sich hinter ihm und die Aufzugskabine brachte ihn in ein anderes Deck.
Glücklicherweise war der Commander der TERRA NOVA in diesem Augenblick allein.
Er schloss für einen Moment die Augen und wischte sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht.
Ich hoffe nur, dass unser Schiff nicht langsam anfängt, auseinanderzufallen, ging es ihm durch den Kopf.
––––––––
ARN POLO BETRAT DIE Offiziersmesse der TERRA NOVA. Marout Huisener und Jon Kamler warteten dort bereits. Der drei Meter große Micraner Ras Dashan traf etwas später ein und war dabei in eine heftige Diskussion mit Jarmila Manfredi verwickelt. Die Astrophysikerin wollte Dashan die Auswirkung irgend eines relativistischen Problems überzeugen, was der Micraner nur mit dröhnenden Knurrlauten quittierte.
Commander Polo setzte sich, nachdem die anderen bereits Platz genommen hatten.
Für Ras Dashan gab es ein Sitzmöbel aus Gestaltenergie, dass sich einer gewaltigen Körpermasse anpasste.
"Ich hatte um einen Situationsbericht gebeten", sagte Arn Polo.
"Die Situation an Bord ist stabil", meinte Huisener. "Es gibt keinen Anlass, sich über psychische Instabilität Sorgen zu machen, außer in Einzelfällen. Aber inzwischen sind wir bereits so lange fort, dass die meisten sich mit der Situation arrangiert haben, möglicherweise nie wieder in die heimatliche Galaxis zurückkehren zu können."
"Die Anstrengungen, die wir unternommen haben, waren enorm", ergänzte Jarmila. "Und auch wenn sie letztlich nicht von Erfolg gekrönt waren, hatten sie doch den Effekt, dass weniger Zeit für depressive Gedanken blieb."
"Ja, aber das war eigentlich nicht der Hauptzweck dieser Übung", sagte Arn Polo.
"Wir sollten uns der Realität stellen", mischte sich nun Jon Kamler ein.
"Und die lautet Ihrer Ansicht nach, Jon?", fragte Polo.
Jon Kamler hob die Augenbrauen. "Ich habe mit Jarmila darüber lange gesprochen und wir sind einer Meinung."
"Und ich bin anderer Auffassung!", sagte Ras Dashan. "Es muss einen Weg zurück geben!" Der Micraner schlug mit der Faust auf den Tisch, der glücklicherweise ebenso aus formbarer, nachgiebiger Gestaltenergie war wie sein schalenförmiges Sitzmöbel, das im Fall des Micraners Ausmaße hatte, die fast an die Kapitänskabine an Bord der TERRA NOVA herankamen.
"Sie sollten sich mäßigen, Ras", sagte Arn Polo. "Vor allem für den Fall, dass eine Rückkehr entgegen Ihrer Ansicht doch definitiv ausgeschlossen sein sollte. Denn dann dürfte jegliche zerstörte Technik an Bord schwer zu ersetzen sein.”
Dashan strich über den Tisch aus Gestaltenergie, der inzwischen seine ursprüngliche Form wieder eingenommen hatte. "Ich will damit nur sagen, dass wir uns nicht zu früh zufrieden geben sollten..."
Arn Polo wandte sich an Jarmila. "Vielleicht führen Sie Ihren Standpunkt mal etwas aus", sagte der Kommandant der TERRA NOVA.
"Wir wurden von einem Augenblick zum anderen, also in Nullzeit oder einem Wert, der der Nullzeit sehr nahe kommen muss, an einen Ort versetzt, der Milliarden Lichtjahre von unserer Heimatgalaxis entfernt ist, weil wir wohl unbeabsichtigterweise in den Einflussbereich eines Transmittertransportsystems gerieten, das von einer unendlich überlegenen Spezies irgendwann installiert wurde. Möglicherweise hat es sogar das Ende dieser Spezies, die wir der Einfachheit halber mal Spezies X nennen wollen, überlebt."
"Vermutlich basiert das ganze auf der Quantenfernwirkung", sagte Huisener. "Dieses Phänomen ist relativ gut erforscht, nur konnte es bislang von unserer, im Vergleich zu Spezies X sicher unvergleichlich rückständigen Technologie, bisher nicht einmal ansatzweise nutzbar gemacht werden."
"Ein Problem ausreichender Energie", sagte Jarmila.
"Die vermutlich für die Übertragung einiger weniger Moleküle so groß sein müsste, wie die Energie des ganzen Universums", meinte Kamler.
"Nein, ich spreche eher von der Energie des menschlichen Willens. Von der Energie, mit der man an die entsprechenden Forschungen herangegangen ist - nicht von den Kleinigkeiten, die Sie erwähnt haben."
Huisener lächelte.
"Sicher..."
"Unser Problem ist nicht die Entfernung, sondern die Zeit", sagte Jarmila. “Versetzt man jemanden von Galaxis A nach Galaxis B, dann bewegen sich diese beide Galaxien möglicherweise relativ zueinander mit einem Wert nahe der Lichtgeschwindigkeit voneinander fort."
"Auf jeden Fall in einem Geschwindigkeitsbereich, in dem die Zeitdilatation relevant ist", stimmte Jon Kamler zu.
"Richtig", nickte Jarmila.
Arn Polo hob die Augenbrauen. "Das heißt, es können Millionen Jahre in unserer Heimatgalaxis vergangen sein, während wir an Bord der TERRA NOVA nur die wenigen Jahre erlebt haben, die wir nun schon durch diesen Abschnitt des Kosmos irren."
Jarmila sah Arn Polo an.
"Diese Jahre SIND vergangen", korrigierte sie. "Der Konjunktiv ist da unangebracht. Und davon abgesehen sind es wohl nicht nur Millionen Jahre, sondern möglicherweise Milliarden."
"Es könnte also sein, dass die Galaxis, aus der wir kommen, gar nicht mehr existiert", sagte Kamler.
"Sie müsste längst mit dem Andromedanebel kollidiert sein", ergänzte Marout Huisener. "Unsere Erde existiert ohnehin nicht mehr. Ebenso wie das Sol-System. Vorausgesetzt, diese Theorie entspricht der Wahrheit."
"Wir könnten durch einen Hyperbelflug die Gravitation einer Sonne ausnutzen und die Zeitschranke durchstoßen", meinte Ras Dashan. "Das ist riskant, aber immerhin wäre es möglich."
"Und was würde uns das helfen?", fragte Huisener. "Selbst, wenn wir zeitlich gesehen wieder mit der kosmischen Region, aus der wir kommen, gewissermaßen auf einer Ebene sind, bleibt die räumliche Distanz bestehen, bei deren Überwindung wiederum ähnlich gelagerte Temporalprobleme aufträten!"
Über Interkom meldete sich die Brücke.
Eine Projektion erschien vor Arn Polo. Sie zeigte Gesicht und Schultern eines Brückenoffiziers, der dort gerade das Kommando führte.
"Hier Reiniger."
"Was gibt es?", fragte Arn Polo.
"Wir verlassen gerade den Einflussbereich der Faahrgs. Sie baten darum, Ihnen Bescheid zu geben."
"Danke", sagte Arn Polo. "Gibt es irgend etwas Aufregendes von den Fernabtastern?"
"Negativ, Commander."
"Lassen Sie die erhöhte Alarmbereitschaft auf dem gesamten Schiff in Kraft, Reiniger."
"In Ordnung.
Reiniger unterbrach die Verbindung.
Arn Polo sagte: "Wir haben uns lange im Einflussbereich der Faahrgs aufgehalten, aber es jetzt lassen wir ihn hinter uns. Ich bin gespannt, was da draußen noch alles auf uns wartet."
"Wir sollten ein Entscheidung herbeiführen", dröhnte der Micraner Ras Dashan. "Und zwar die Richtige!"
"Und wenn wir beim Durchstoßen der Raumzeitschranke nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft landen?", fragte Jarmila an den Riesen gerichtet.
"Sie meinen: Noch weiter in der Zukunft", ergänzte Arn Polo.
Jarmila nickte. "Ja, so wäre die präzisere Formulierung", gab sie zu. "Und selbst wenn wir den richtigen Zeitvektor erwischen, so können wir diese Effekte kaum vorausberechnen. Die Risiken sind völlig unkalkulierbar."
"Commander?", wandte sich Ras Dashan an Arn Polo.
Dieser lehnte sich zurück.
Der Sessel aus Formenergie passte sich seinem Rücken an. "Wir werden unabhängig voneinander zwei Simulationen erarbeiten. Sie, Jarmila werden mit einem Team die erste übernehmen und Sie, Ras, die zweite. Und dann sehen wir weiter."
"Das wird einen erheblichen Teil unserer Rechnerkapazitäten verbrauchen", gab Jon Kamler zu bedenken.
Arn Polo sah ihn an. "Bevor wir so eine Entscheidung treffen, sollten wir zumindest eine klare Datenlage haben, finde ich", sagte Polo. "Risiko und Chancen müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen."
"Und Sie sollten die Besatzung nicht außer Acht lassen", fand Kamler.
Arn Polo hob die Augenbrauen. "Habe ich das je getan, Jon?"
"Sie werden sie befragen müssen, Arn. Das können Sie nicht allein entscheiden."
"Das ist mir wohl bewusst", seufzte Arn Polo.
*
REINIGER SCHLUG DIE Beine übereinander, nachdem er im Sitz des Kommandanten Platz genommen hatte. Er führte derzeit das Kommando an Bord der TERRA NOVA.
"Raumzeitverzerrungen auf dreißig Grad Steuerbord", meldete die diensthabende Ortungsoffizierin. Sie hieß Telaa Nomlan und machte ihren Job mit besonderer Gewissenhaftigkeit, da sie noch neu auf diesem Posten war.
"Bestätige!", meldete Navigator Tell Gontro.
"Können Sie etwas zur Struktur dieser Verzerrungen sagen?", fragte Reiniger.
"Nein, Sir", sagte Telaa Nomlan. "Die Daten sind äußerst widersprüchlich. Die Analysevorschläge der Rechnersysteme ergeben keinen Sinn und widersprechen sich ebenfalls."
Reiniger runzelte die Stirn.
Eine Sekunde verstrich. Eine Zweite.
Er dachte darüber nach, ob er den Commander verständigen sollte. Aber das erübrigte sich. In diesem Augenblick öffnete sich eine der Schiebetüren, die zur Zentrale der TERRA NOVA führten. Commander Arn Polo trat ein, zusammen mit seinem Stellvertreter und Ersten Offizier, Subcommander Jon Kamler.
"Phänomen nicht mehr messbar!", meldete Telaa Nomlan dann.
"Leiten Sie eine Überprüfung der Daten und eine weitere Selbstüberprüfung der Systeme ein", verlangte Reiniger und dachte: Mal sehen, ob diesmal etwas dabei herauskommt.
Die letzte, von Commander Polo nach dem ungeplanten Hyperraumaustritt vorgenommene Selbstüberprüfung des Systems war ohne Ergebnis beendet worden.
Aber das hieß nur, dass die Prüfroutine nicht in der Lage war, den Fehler zu finden - nicht, dass kein Fehler existierte.
"In Ordnung, Sir", bestätigte die Ortungsoffizierin.
Ihre Finger glitten über die virtuellen Kontaktpunkte der Bedienungsoberfläche ihrer Konsole. Die entsprechenden Tests waren schnell abgeschlossen.
Das Ergebnis war eindeutig.
"Das Phänomen ist nicht mehr nachweisbar", erklärte sie.
"Aber es war doch da?", stellte Reiniger fest.
"Da bin ich mir nicht mehr sicher... Ich..." Die Ortungsoffizierin stutzte. Sie fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht.
"Ist Ihnen nicht gut?", fragte Reiniger.
"Nein, Sir, alles in Ordnung."
"Das sieht mir aber nicht so aus."
"Sir, es ist einfach nur so, dass es keinerlei Aufzeichnungen über die Anomalie in den Systemen gibt. So als hätte sie nie existiert!"
"Das könnte eine mögliche Folge einer sehr schweren Anomalie sein", mischte sich Tell Gontro ein. "Theoretisch ist das Problem oft genug beschrieben worden. Es ist als McFarlane-Paradox bekannt und wurde uns auf der Terranischen Raumakademie gelehrt."
"Wie schön, dass Sie da offenbar gut aufgepasst haben", sagte die Ortungsoffizierin.
Ihr Gesicht veränderte sich, während sie auf die Anzeigen blickte.
Reiniger wandte sich unterdessen an Polo und erhob sich aus dem Kommandantensitz. “Ich übergebe an Sie, Commander.”
“Verstanden”, sagte Polo.
In diesem Augenblick wurde der Alarm ausgelöst.
––––––––
ES WAR EIN EINDRINGLINGSALARM mit maximaler Gefahrenklasse. Holografische Anzeigen bauten sich auf und Meldungen wurden angezeigt.
"Commander, ein Objekt dringt ins Schiff ein. Position ist identisch mit...." Weiter kam die Ortungsoffizierin nicht.
Eine Erschütterung durchlief das gesamte Schiff.
"Teilweiser Ausfall der Andruckabsorber!", rief Tell Gontro.
"Bericht aus dem Maschinendeck!", verlangte Jon Kamler über Interkom. Aber dort meldete sich niemand. Die Verbindung blieb tot. Selbst nachdem Jon Kamler seinen Platz an einer der Konsolen eingenommen und einige Schaltungen vorgenommen hatte, trat keine Verbesserung ein.
Eine Holoanzeige baute sich auf und zerplatzte in einem blendend weißen Lichtblitz. Das passierte mehrfach hintereinander. So als ob ein System in einer Routine gefangen war, aus der das System nicht mehr herausfand.
"Reinitialisierung der Teilsysteme A, F und C3!", kündigte Tell Gontro an.
"Das geht nicht ohne Datenverlust!", gab Kamler zu bedenken. "Commander?"
"Führen Sie es durch, Gontro!", befahl Commander Polo.
Tell Gontro betätigte daraufhin die Schaltung.
Ein Großteil der Anzeigen auf der Brücke der TERRA NOVA verlosch daraufhin. Selbst der Haupt-Holoschirm, der eine Projektion der unmittelbaren kosmischen Umgebung anzeigte, war für einige Momente tot.
Dann erschien dort etwas.
Wie aus dem Nichts kam aus dem Hauptschirm eine Gestalt heraus, taumelte vorwärts, ging zu Boden und rollte sich auf dem Boden ab. Die Gestalt war humanoid und ähnelte einem Menschen. Der Körperbau erschien männlich. Die Schultern waren breit, das Becken schmal. Der Kopf hatte eine langgezogene Form.
Der Fremde bestand vollkommen aus einem silbern schimmernden Metall, das flüssig zu sein schien und dennoch eine Form bildete.
Eine Form, die sich immer wieder veränderte und offenbar auch nicht vollkommen festgelegt war.
Liquide!, dachte Arn Polo. Flüssig wie Quecksilber. Das ist das der passende Begriff.
Der Liquide erhob sich.
Er wandte den Kopf.
Es war nirgends erkennbar, ob er Augen besaß. Eine silberfarben-metallische Schicht bedeckte ihn plötzlich überall und schien ihn für einen kurzen Moment erstarren zu lassen. Man konnte sich in dieser Oberfläche spiegeln. Aber schon mit der ersten Bewegung gewann er seinen metallisch-liquiden Zustand zurück. Er bildete ein zusätzliches Armpaar aus, das sich dann aber wieder zurückzog und mit seinem Körper verschmolz.
“Analyse, Telaa!”, rief Polo. “Ich will wissen, was das für ein Ding ist.”
“Negativ. Es sind keine genauen Aussagen möglich”, erklärte Telaa Nomlan. Die Ortungsoffizierin runzelte die Stirn, während sie einen kurzen Blick auf die Anzeigen warf, die offenbar äußerst befremdlich waren. “Die Daten des Scans passen in kein Muster.”
“Könnte es sein, dass der unfreiwillige Hyperraumaustritt und die damit einhergegangen Störungen etwas mit diesem Eindringling zu tun haben?”
“Sehr wahrscheinlich. Die Struktur dieses Objekts widerspricht jeglichen Gesetzen von Chemie und Physik, so wie wir sie kennen... Es ist ein bisher unbekannter Zustand zwischen Energie und Materie, aber...”
“Sagen Sie Jarmila Bescheid und übermitteln Sie die Daten an ihr Astrolabor”, befahl Polo.
“Aye, Sir.”
“Außerdem: Sicherheitsdienst auf die Brücke und präzisieren Sie das Alarmsignal für Eindringlinge fremder Lebensformen.”
Die metallisch-flüssige Gestalt nahm jetzt immer stärker eine humanoide Form an. Fast schien es so, als versuchte der Fremde, die Körperformen der auf der Brücke der TERRA NOVA befindlichen Menschen so gut es diesem Wesen möglich war, nachzuahmen.
"Commander, er versucht auf einer ungewöhnlichen Frequenz mit uns in Kontakt zu treten!", meldete Jon Kamler. "Ich habe hier ein paar eigenartige Parameter..."
"Benutzt er einen Code, den wir entschlüsseln können?", fragte Arn Polo.
"Negativ, Sir."
In diesem Augenblick öffnete sich die Schiebetür, die zur Brücke der TERRA NOVA führte.
Marout Huisener betrat die Brücke.
Der Liquide drehte sich zu ihm um. Vielleicht hatte das plötzliche Auftauchen Huiseners den Liquiden irritiert. Jedenfalls machte die metallisch-flüssige Gestalt eine blitzschnelle Bewegung, zerfloss dann vor aller Augen und löste seine Form vollkommen auf. Der Liquide zerrann zu einer Lache glänzenden, flüssigen Metalls auf den Boden und zog dann in diesen ein. Und obwohl es sich dabei um ein für menschliche Verhältnisse absolut sicheres, undurchlässiges Material handelte, schien es diese Flüssigkeit geradezu aufzusaugen.
Wie ein Schwamm.
Augenblicke später war nichts mehr davon zu sehen.
Der Fremde war einfach verschwunden, seine Materie vom Boden völlig absorbiert.
“Was ist hier los?”, fragte Marout Huisener irritiert.
Aber die entsprechenden Warnleuchten für den Eindringlingsalarm machten Huisener schon einen Sekundenbruchteil später klar, wie naiv seine Frage war - und dass die Lage wirklich sehr ernst sein musste.
“An alle Decks!”, sagte Polo. “Hier spricht der Commander. Wir haben ein Wesen an Bord, das aus einer flüssigen, metallisch wirkenden Substanz besteht und dessen genaue Eigenschaften uns bislang unbekannt sind. Es vermag Materie zu durchdringen und seine Körperform zu verändern. Wer irgendeine verdächtige Beobachtung macht - und dazu zählen auch anormale Messwerte an Kontrollsystemen aller Art, verständigt sofort die Brücke. Ich wiederhole: Es wird sofort die Brücke verständigt. Wir wissen bisher weder etwas über die Absichten dieses Wesens, noch ob eine Gefahr von ihm ausgeht und wenn ja, welches Ausmaß diese Gefahr hat! Polo Ende.”
Polo holte tief Luft.
“Da sind wir gerade dem Imperium der Faahrgs entkommen, da fliegen wir geradewegs in diesen Irrläufer herein”, meinte Jon Kamler, der dann für ein paar Augenblicke ziemlich intensiv mit den Kontrollen seiner Konsole beschäftigt war. “Ich habe mir hier die Ortungsdaten anzeigen lassen”, fuhr er dann fort. “Das sind wirklich höchst eigenartige Daten...”
Über eine Holoprojektion erschien das Gesicht von Jarmila Manfredi. “Commander?”
“Sagen Sie bloß, Sie haben aus dem spärlichen Datenmaterial bereits etwas herausfiltern können, was uns weiterbringen könnte!”, staunte Arn Polo nicht schlecht. Aber bei Jarmila Manfredi brauchte man sich da nicht unbedingt zu wundern. Sie war äußerst schnell und hoch begabt. Dass sie selbst unter ungünstigsten Bedingungen sehr schnell zu Resultaten kam, war allseits bekannt.
Ihr feingeschnittenes Gesicht blieb nahezu unbewegt. Die Projektion schien Polo anzusehen. “Es hat eine schwere Raumzeitverzerrung gegeben. Anders lassen sich die Messwerte nicht erklären, aber wenn man das zu Grunde legt, dann ergeben sie vielleicht einen Sinn”, war Manfredi zuversichtlich.
“Können Sie das etwa näher erläutern?”, fragte Arn Polo.
“Nun, Commander, möglicherweise ist diese Kreatur - wenn der Begriff von biologischem Leben, das wir zu Grunde legen überhaupt auf ihn oder es zutreffen, was noch längst nicht sicher ist - nicht nur von weit her zu uns gekommen, sondern auch aus einer anderen Zeit.”
Arn Polo atmete tief durch.
“Sowas hat uns gerade noch gefehlt”, seufzte er.
Der unfreiwillige Sturz aus dem Hyperraum und dieser liquide Fremde mussten in irgendeiner Weise zusammenhängen. Hatte allein das Auftauchen dieses Wesens für die schwere Raumzeitverzerrung gesorgt?
Die Gedanken rasten nur so durch Polos Kopf.
Wir werden auf der Hut sein müssen, dachte der Commander der TERRA NOVA.
Das war nicht nur die Invasion eines einsamen Aliens aus einer entlegenen Gegend des Kosmos.
Es war vielleicht auch ein Eindringling aus einer anderen Dimension, einem anderen Kontiniuum oder...
...einer anderen Zeit?, fragte sich Arn. Dass es zu dieser schweren Raumzeitverzerrung gekommen ist, könnte genau darin eine Ursache haben.
Aber das war ein Problem, um das sich Leute wie Jarmila Manfredi und Ras Dashan den Kopf zerbrechen sollten.
––––––––
DER LIQUIDE WARTETE.
Er verteilte seine Körpersubstanz in den Zwischenräumen des dichten Polymolekülgitters, aus dem die Substanz bestand, die die Brücke der TERRA NOVA von den darunterliegenden Decks trennte. Eine Substanz, die dicht genug war, um Sauerstoff zu halten, feinste Partikel davon abzuhalten, diese Barriere zu passieren und selbst Nanostäuben keine Chance ließ. Eine Substanz, die so isolierend war, dass sie als Außenhaut des Raumschiffs hätte dienen können und diese Funktion sogar erfüllen musste, für den Fall, dass das gewaltige Raumschiff durch feindlichen Beschuss sehr stark beschädigt worden wäre.
Was soeben geschehen war, hatte nicht einmal der überlegene Geist des Liquiden voll und ganz verstanden. Er war noch dabei, die Situation zu analysieren.
Und je nach dem, zu welchen Ergebnissen er dabei gelangte, würde er daraus die nötigen Schlüsse ziehen und dann entsprechend handeln.
EIN ZUSAMMENSTOSS, dachte er. MAN KANN ES AM BESTEN MIT DEM ZUSAMMENSTOSS ZWEIER KÖRPER VERGLEICHEN. ICH UND DIESES RAUMSCHIFF...
Aber diese eher aus dem Gefühl gewonnene Erkenntnis brachte ihn kaum weiter.
Auch nicht, was die Beurteilung jener Wesen anging, in deren Raumschiff er sich jetzt befand.
KEINE HANDLUNG OHNE ANALYSE.
Das war ein Grundsatz, den man ihm vor unvorstellbar langer Zeit einmal beigebracht hatte. Ein Grundsatz, dem zu folgen nicht immer ganz einfach war.
JETZT GILT ES ERSTMAL, SICH ZU VERBERGEN.
Der Liquide verteilte seine Materie weiter, dehnte sie so weit aus, dass sie selbst durch verfeinerte Messmethoden, wie er sie diesen humanoiden Raumfahrern durchaus zutraute, nicht aufzuspüren war.
So hoffte er zumindest.
Denn alles andere hätte nur das Auftreten unvorhergesehener Probleme begünstigt. Und das wollte er nach Möglichkeit vermeiden.
Er veränderte die Struktur seiner ausgedünnten Körpersubstanz, als er die Abtastung durch die Ortungssysteme des Schiffes registrierte. Herr sein über die Materie des eigenen Körpers - das war ein Ideal, dem nachzustreben er sich ebenso sehr bemüht hatte, wie viele andere von seiner Art. Kein Sklave der eigenen Molekularstruktur sein. Leben heißt Veränderung. So hatte man es ihm beigebracht und er hatte es darin zu einem Grad an Beherrschung gebracht, der selbst für Seinesgleichen der Perfektion schon recht nahekam.
JETZT, so dachte er, SOLLTET IHR NICHTS MEHR VON MIR BEMERKEN. SELBST MIT DER BESTEN TECHNISCHEN UNTERSTÜTZUNG EURER UNVOLLKOMMENEN SINNE NICHT.
Er war jetzt in eine Zustand, der außerordentlich fragmentiert war. Die kleinsten Nanopartikel seiner Körpersubstanz hörten trotz allem nicht auf, sich als Teile eines Ganzen zu empfinden und ihre Zusammengehörigkeit stets wirksam bleiben zu lassen. Auch dann, wenn die Fragmentierung selbst die Molekular-Ebene erfasst hatte und vielleicht sogar bis zur der Ebene der Elementarteilchen voranschritt. Nichts ging an der enthaltener Information verloren. Auf Quantenebene waren all diese Teilchen nur ein einziger Organismus und blieben miteinander verschränkt, so lange der Eigenwille des Liquiden stark genug blieb, um dies zu gewährleisten.
Notfalls konnte er auf diese Weise als dahinschießender Plasmastrom im freien Weltraum überleben. Und zwar selbst dann, wenn zwischen den kleinsten Teilchen, aus denen er bestand, ein Abstand war, der seine Erscheinung für eine Spezies mit oberflächlichem Sensorium als veritables Vakuum erscheinen ließ mit einer mittleren Dichte von nur wenigen Elementarteilchen pro Kubikmeter Raum.
ES IST ETWAS GESCHEHEN, WAS ICH NICHT VORHERGESEHEN HABE, dachte der Liquide und drosselte sogleich seine Gedankenkraft auf ein Minimum. Auch wenn er nicht annahm, dass die Spezies, auf deren Raumschiff er gelandet war, telepathisch begabt war (um das anzunehmen, bauten sie einfach zu schlechte Raumschiffe, wie der Liquide fand), so war es doch besser, in diesem Punkt auf Nummer sicher zu gehen.
DIE ANALYSE DES GESCHEHENS IST EXTREM SCHWIERIG, erkannte er inzwischen. ABER DAS SOLLTE FÜR JEMANDEN, DER DOCH IMMERHIN DIE PRÜFUNG EINES LICHTWÄCHTERS ABGELEGT HAT, WIE DU, KEIN UNÜBERWINDBARES HINDERNIS DARSTELLEN.
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ZWEI IRDISCHE STANDARD-Bordtage vergingen, ohne dass der Eindringling geortet werden konnte.
Es gab keinerlei Messdaten, die noch auf die Anwesenheit des Liquiden an Bord der TERRA NOVA hingewiesen hätten. Trotzdem hatte Commander Arn Polo den Eindringlingsalarm noch nicht aufgehoben. Er war weiterhin in Kraft.
Zwar war keine messbare Aktivität von dem Eindringling ausgegangen, aber ebenso wenig war es möglich gewesen, auch nur das geringste Anzeichen dafür zu finden, dass der Liquide die TERRA NOVA wieder verlassen hatte.
Reiniger saß während seiner Freischicht zusammen mit Ras Dashan in einem der Aufenthaltsräume, die das gewaltige Schiff bereithielt und in denen sich ein Großteil des Soziallebens der über dreißigtausend Besatzungsmitglieder abspielte. Die Kabinen waren schließlich auf Grund der großen Zahl von Besatzungsmitgliedern, alles andere als paradiesische Bedingungen. Sie waren eng und klein und boten nur ein Minimum an Privatheit in diesem Schiff, wo nichts knapper war als das.
Reiniger spielte mit Dashan Schach. Annähernd unverändert hatte dieses alt-terranische Spiel die Jahrtausende überlebt.
Ein Spiel, bei dem der Geist und die Fähigkeit zu strategischem Denken zueinander gemessen wurde und letztlich über Sieg oder Niederlage entschied.
Auf dem breite Gesicht des drei Meter großen (und ebenso breiten) Micraners erschien nach Reinigers letztem Zug eine tiefe Furche.
“Ich hoffe nicht, dass ich Sie vor ein unlösbares Problem stelle, Ras”, sagte Reiniger.
“Ich beherrsche die Regeln dieses Spiels noch nicht so lange wie Sie, Bount, und bin Ihnen gegenüber deswegen im Nachteil.”
“Spielt man kein Schach auf Micran?”, fragte Reiniger.
“Es ist nicht sehr verbreitet dort”, sagte Ras Dashan und bemühte sich dabei, seine Stimme in Verbindung mit seinem massigen Körper so wenig Infraschall wie möglich erzeugen zu lassen, da er wusste, dass der von Menschen zwar nicht gehört werden, aber als unangenehmes Drücken in der Magengegend empfunden werden konnte.
Micran lag eigentlich außerhalb der habitablen Zone seiner Sonne. Aber da es sich um eine Supererde mit fünffacher Erdgravitation handelte, blieb dort Wasser bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt flüssig und es hatte sich Leben entwickeln können. An Bord der TERRA NOVA herrschte künstliche Gravitation auf Erdniveau - und diese für micranische Verhältnisse sehr geringe Schwerkraft macht Ras Dashan hin und wieder gesundheitlich zu schaffen. Nur in seinem eigenen Quartier - das aufgrund von Dashans körperlichen Ausmaßen nur ein umgebauter Lagerraum sein konnte und keine der Standardkabinen - war die künstliche Bordschwerkraft auf micranisches Niveau hochgeregelt worden. Dort erholte sich Dashan von den Strapazen des leichten Lebens, wie er es oft scherzhaft formulierte. Und außerdem trainierte er dort seine Muskulatur, die ansonsten in ständiger Gefahr war, innerhalb kurzer Zeit durch mangelnde Beanspruchung massiv zu schrumpfen.
Reiniger machte einen Zug. Dashan sah sich grübelnd das vom Bordrechner auf den Tisch projizierte Spielfeld an und versuchte dann, angemessen zu reagieren - nur um im nächsten Moment zu begreifen, dass sein Gegenüber ihn mattgesetzt hatte.
Zum dritten Mal hintereinander in weniger als fünf Zügen matt.
Das ist deprimierend, fand Dashan.
Der gewaltige Micraner lehnte sich zurück. Der Sitz aus Formenergie, der in Dashans Fall einige ganz besondere Anpassungsleistungen vollbringen musste, schmiegte sich dabei perfekt an den Körper des nahezu quadratisch gebauten Riesen.
“Sie sind clever, Bount”, stellte Dashan dröhnend fest.
“Tja, meine Eltern haben mich nach einem alt-irdischen Krimihelden benannt: Bount Reiniger, ein Privatdetektiv aus New York zu Beginn der frühen Weltraum-Ära, als die Menschheit stolz darauf war mit einem Shuttle ins Erdorbit zu kommen und zum Mond geflogen zu sein. Sie dachte wohl, ich sollte so clever wie dieser Detektiv werden, und was soll ich sagen? Bis auf den hässlichen mittlere Vornamen, den mir meine Eltern noch zusätzlich vermachten, gibt es kaum einen Unterschied zwischen Bount Reiniger dem Detektiv und mir!” Reiniger grinste.
“Ich werde das mal überprüfen”, sagte der Micraner. “Vermutlich sind die Abenteuer dieses Detektivs in der Bibliothek unseres Bordrechners enthalten.”
“Das sind sie.”
“Und was ist das für ein zweiter Vorname, mit dem Sie gestraft wurden?”
“Verraten Sie es nicht weiter?”
“Ich nehme an, dass das ohnehin jeder erfahren könnte, der Zugang zu Ihrem Datenprofil hat.”
“Ja, aber man muss ja niemanden auf die Idee bringe, dort nachzusehen.”
“Wie Sie meinen.”
Reiniger hob die Augenbrauen.
Er zögerte.
Dann sagte er: “Bount Tiberius Reiniger. So heiße ich vollständig. Und fragen Sie mich bitte nicht, wer in unserer Familie Tiberius genannt wird oder woher dieser Schwachsinn wohl gekommen sein mag.”
“Der Grund für Ihr Entsetzen entzieht sich meiner Vorstellungskraft”, sagte Dashan. “Aber was hindert Sie daran, Ihren Namen zu ändern?”
“Der Respekt gegenüber meinen Eltern.”
“Denen Sie vermutlich ebenso wenig wieder begegnen werden wie ich meinem Clan auf Micran.”
“Ja, schon deswegen, weil sie tot sind. Sie starben bei einem der Angriffe der Invasoren aus Magellan.”
Die beiden Besatzungsmitglieder der TERRA NOVA schwiegen eine Weile.
Schließlich ergriff Bount Tiberius Reiniger als erster wieder das Wort. “Das alles ist bedeutungslos geworden. Sie haben es gerade so beiläufig dahingesagt, aber Sie haben natürlich recht, Ras.”
“Mit meiner Feststellung, dass wir unsere Heimatwelten nicht mehr wiedersehen werden?”
“Ja”, sagte Reiniger tonlos.
“Die Aussichten stehen jedenfalls nicht besonders gut, da haben Sie zweifellos recht”, bestätigte Dashan.
“Für Sie muss es noch viel schlimmer sein, als für mich und die anderen”, glaubte Reiniger. “Von meiner Art gibt es schließlich dreißigtausend Nasen an Bord der TERRA NOVA. Aber Sie sind quasi der einzige Micraner im Umkreis von was weiß ich wie vielen Lichtjahren.”
Ras Dashan nickte.
“Der letzte meiner Art. Vielleicht werde ich mich daran gewöhnen müssen, auch wenn es mir nicht gefällt.”
Reiniger deutete auf das Schachbrett.
“Noch eine Partie?”
Dashan schüttelte den Kopf.
“Lieber nicht. Sie sind mir zu clever, Tiberius.”
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PLÖTZLICH VERSCHWAND der Sitz aus Formenergie, der sich gerade noch an den gewaltigen Körper des umweltangepassten Micraners geschmiegt hatte. Ras Dashan stieß einen lauten, dröhnenden Schrei aus, der Bount Tiberius Reiniger für einen Augenblick schmerzverzerrt das Gesicht verziehen ließ.
Der riesenhafte Micraner stürzte zu Boden. Er rollte sich geradezu panikartig herum, als er bemerkte, dass sich eine bronzefarbene Struktur aus dem Boden heraushob. Diese Struktur veränderte sich, zerfloss, bildete Lachen wie eine vergossene Flüssigkeit. Eine Hand mit sechs Fingern hob sich aus dem Boden heraus, dann ein Gesicht.
Der Liquide!, durchfuhr es Reiniger.
Er aktivierte seinen Kommunikator.
“Energetisches Eindämmungsfeld auf Deck 55!”, rief er. “Eindringling in der Bodenstruktur lokalisiert! Verkürzte biometrische Autorisationsabfrage für Subcommander Bount Tiberius Reiniger für den Alarmfall starten.”
Von der Decke senkte sich ein bläuliches Schimmern.
Es hüllte sowohl Dashan als auch Reiniger ein - und darüber hinaus einen Großteil des Aufenthaltsraums von Deck 55.
Auch der Liquide war innerhalb des Feldes.
Offenbar konnte er nicht daraus entkommen.
Oder er wollt gar nicht. In diesem Punkt war sich Reiniger nicht sicher, als der Fremde sich nun aus dem Boden heraus erhob und die quasi-humanoide Gestalt annahm, in der er zuvor bereits auf der Brücke erschienen war.
Das Gesicht des Liquiden veränderte sich, während er Reiniger ansah.
Oder anzusehen schien, wie man wohl exakter sagen musste, denn ob die Vertiefungen in der Mitte seines Kopfes wirklich Augen waren, stand natürlich überhaupt nicht fest. Menschen neigten dazu, in allen möglichen Strukturen Gesichter und Augen zu erkennen.
Reiniger fiel es dann plötzlich wie Schuppen von den Augen.
Er bildet meinen eigenen Gesichtsausdruck mit Hilfe seines liquiden Körpers nach, erkannte er.
Ras Dashan stieß einen tiefen, grollenden Laut aus.
Der Liquide wandte den Blick (oder vielleicht auch nur seine Aufmerksamkeit) in Dashans Richtung. Sein Gesicht und wenig später auch der ganze Kopf des Fremden veränderten sich abermals. Der Kopf wurde kantiger, die Züge gröber. Sie ähnelten dann im nächsten Moment denen des umweltangepassten Micraners.
Der Liquide öffnete den Mund.
Laute kamen daraus hervor. Laute, die fast so dumpf klangen, wie man es von der Stimme des Micraners gewohnt war.
Er streckte die Hände auf.
Das energetische Eindämmungsfeld flackerte bläulich auf. Blitze zuckten in die Fingerspitzen des Liquiden hinein. Als er den Mund noch weiter öffnete, tat sich dort eine dunkle Öffnung auf und auch dort zuckten jetzt bläuliche Blitze hin, die aus dem Eindämmungsfeld zu stammen schienen. Es wurde für einen kurzen Moment so hell, dass Reiniger vollkommen geblendet wurde. Und Ras Dashan erging es nicht besser. Der riesige Micraner schützte seine Augen mit den Händen.
Einen Augenblick später war sowohl das Eindämmungsfeld, als auch der Liquide verschwunden.
Reiniger glaubte seinen Augen nicht zu trauen.
“Eindringling verschwunden”, meldete er über den Kommunikator an die Brücke. “Eindämmungsfeld ebenfalls.”
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INZWISCHEN ERSCHIENEN Marout Huisener und Jon Kamler zusammen mit einigen Angehörigen des Sicherheitsdienstes im Aufenthaltsraum von Deck 55.
Ras Dashan hatte sich inzwischen einigermaßen erholt.
Huisener hielt ein Analysemodul in die Luft. Die Daten ließ er sich über ein Implantat direkt auf sein durch Gedanken gesteuertes Netzhautdisplay projizieren.
“Vom Eindämmungsfeld ist nichts mehr übrig”, stellte er fest. “Liegt wirklich kein technische Problem vor?”
Die Frage war an Jon Kamler gerichtet, der über seinen Kommunikator auf die Bordsysteme zugriff und eine schwebende Holoprojektion erzeugte, auf der die entsprechenden Parameter angegeben waren. Datenkolonnen erschienen und verschwanden, drehten sich, kippten zur Seite oder wurden plötzlich größer.
“Negativ”, sagte Kamler schließlich. “Die Energieversorgung des Eindämmungsfeldes ist vollkommen in Ordnung gewesen. Es gibt keine Systemschäden. Nicht einmal Anomalien innerhalb der übliche Toleranz.”
“Und wieso ist das Feld dann verschwunden, sodass uns der Eindringling zum zweiten Mal durch die Lappen gegangen ist?”, wunderte sich Marout Huisener.
“Eine Gesamtanalyse lässt noch auf sich warten”, meinte Kamler. “Es lässt sich nur so viel sagen: Es hat einen plötzlichen, unerklärlichen Energieabfall gegeben.”
“Und der Liquide hat sich wieder verflüchtigt”, stellte Reiniger fest.
“Signatur des Eindringlings lässt sich nicht mehr nachweisen”, erklärte jetzt einer der Sicherheitsdienstler, der ebenfalls mit einem Analysetool im Aufenthaltsraum umherwanderte und über die Netzhautanzeige den eingehenden Datenstrom im Auge behielt.
Sein Name war Pron Danso.
Die dunkle Kombination lag eng an und er war - ebenso wie die anderen anwesenden Angehörigen des Sicherheitsdienstes der TERRA NOVA - mit einem schweren Blaster ausgerüstet, den er in einer Magnethalterung an der Seite trug.
Der Einsatz von schweren Blastern war an Bord eines Raumschiffs immer mit großen Risiken behaftet und konnte zu schweren Schäden führen. Aber andererseits konnte niemand vorhersagen, wie aggressiv der Fremde, der sich zur Zeit an Bord des Raumschiffs aufhielt, bei einer Entdeckung sein würde. Und so hatte Commander Polo angeordnet, dass die Angehörigen des Sicherheitsdienstes diese schweren Waffen zurzeit bei ihren Patrouillen an Bord zu tragen hatten.
“Geringe Strukturanomalie - sichtbar im Infrarotspektrum”, meldete Pron Danso, während er seinen Blaster auf eine bestimmte Stelle am Boden richtete. “Genau hier!”
“Ich hoffe, Sie haben nicht vor, uns ein Loch in den Boden zu brennen”, meinte Jon Kamler.
“Keine Sorge, Sir. Daten sind an die Brücke übermittelt.”
“Gut.”
Dansos Blaster war mit einem Breitbandscanner ausgerüstet, dessen Daten über ein Implantat auf seine Netzhaut übertragen wurden. Aber dass man eine so starke Waffe wie einen schweren Blaster an Bord eines Raumschiffs nur im äußersten Notfall einsetzte, war Danso natürlich klar.
“Brücke! Hier Huisener”, meldete sich Marout Huisener über einen Kommunikator. “Invasor befindet sich noch immer hier auf Deck 55. Haben wir eine Möglichkeit der Eindämmung?”
Commander Polo meldete sich. “Wir könnten es mit einem stärkeren Eindämmungsfeld versuchen”, meinte dieser.
“Ich würde abraten”, äußerte sich Huisener. “Unser erster Versuch hatte schon eine Feldstärke, die um den Faktor 200 über den gewöhnlich verwendeten Werten lag. Wenn wir noch höher gehen, dann riskieren wir bleibende Strukturschäden auf dem ganzen Deck - und abgesehen davon müsste der ganze Schiffssektor dann evakuiert werden, da gesundheitliche Schäden für Menschen bei dieser Feldstärke nicht ausgeschlossen werden könnten.”
“Bleibt also doch nur der Blaster”, meinte Pron Danso.
“Bevor wir den Fremden erschießen, sollten wir vielleicht versuchen, mit ihm zu kommunizieren”, meinte Huisener.
Pron Danso veränderte etwas die Ausrichtung einer Waffe. “Glauben Sie nicht, dass dieses Wesen oder worum es sich auch immer handeln mag, nicht längst mit uns in Kontakt getreten wäre, wenn das in seiner Absicht läge?”
“Das ist Spekulation”, meinte Huisener.
“Dieses Wesen scheint uns in vieler Hinsicht haushoch überlegen zu ein. Warum nicht auch, was die Kommunikationsfähigkeit betrifft”, äußerte sich Bount Tiberius Reiniger.
“Infrarot-Anomalien nicht mehr nachweisbar!”, stellte Pron Danso jetzt fest.
Der Sicherheitsmann nahm eine Modifizierung an dem Multiscanner seiner Waffe vor. Offenbar vergeblich. “Unser Freund ist nicht mehr erfassbar.”
“Es gibt auch keine Strukturanomalien mehr im Material”, stellte Jon Kamler fest.
Ras Dashan stieß einen wütenden Schrei aus, der alle anderen Anwesenden zusammenzucken ließ.
“Dieser verfluchte Eindringling!”, brüllte er. Er humpelte etwas, nachdem er sich wieder zu voller Größe aufgerichtet hatte, was bedeutete, dass sein Kopf nur wenige Zentimeter von der Decke des Aufenthaltsraums von Deck 55 entfernt war. “Er hat mir den Stuhl buchstäblich unter dem Hintern weggerissen!”
“Dann hat das Wesen offenbar Hunger auf Formenergie”, stellte Marout Huisener fest.
“Ein Aspekt, den wir bei seine nächsten Auftauchen beachten sollten”, fand Jon Kamler.
“Dieser Unbekannte absorbiert Energie”, stellte Ras Dashan jetzt fest. “Das muss es sein! Er hat den Stuhl aus Formenergie verschlungen und anschließend auch die Energie des Eindämmungsfeldes in sich aufgenommen.”
“Eine gewagte Hypothese”, meinte Jon Kamler skeptisch.
“Aber die eigenartigen Messwerte meines Blaster-Scanners könnten dadurch erklärt werden”, ergänzte Pron Danso.
“Das bedeutet, wir würden den Eindringling mit weiteren energieintensiven Maßnahmen nur anfüttern”, stellte Jon Kamler fest.
Marout Huisener nickte. “Die Schlussfolgerung liegt nahe.”
“Dann werden wir Konsequenzen daraus für die weiteren Maßnahmen ziehen müssen”, folgerte Kamler.
Pron Danso schwenkte noch einmal den Blaster mit seinem besonders leistungsfähigen Scanner suchend herum. “Nichts mehr”, stellte er noch einmal fest. “Diese liquide Bronzestatue ist uns wohl erstmal durch die Lappen gegangen.”
In diesem Augenblick leuchteten rote Alarmsignale auf. Sowohl an der Ecke des Aufenthaltsraums als auch deutlich verkleinert in den Anzeigen der Netzhautanzeigen, der Displays, der Holoprojektionen und jeder anderen Darstellungsformen, die vom Kommunikations- und Rechnersystem der TERRA NOVA unterstützt wurde.
Huisener und Reiniger tauschten einen kurzen Blick.
Ras Dashan prustete laut vor sich hin, so überrascht war er.
Roter Alarm.
Das bedeutete, es musste ein akutes und sehr schwerwiegendes Problem geben.
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AUF DER BRÜCKE DER TERRA NOVA herrschte helle Aufregung. Einzig und allein Commander Polo wirkte wie eine Insel der Ruhe in diesem Meer aus hektischer Aktivität. Polo saß wie erstarrt in seinem Kommandantensitz und starrte auf die Panorama-Projektion des nahen, die TERRA NOVA umgebenden Raums.
Auch wenn er es nicht nach außen dringen ließ: Ihn schauderte unwillkürlich, als er die zahllosen Raumer sah, die scheinbar urplötzlich aus dem Nichts aufgetaucht waren.
“Gut zweihundert Faahrg-Einheiten sind annähernd zeitgleich aus dem Hyperraum getreten”, meldete Telaa Nomlan. “Die Ortungssysteme zeigen ständig den Hyperraumaustritt weiterer Einheiten an. Außerdem zeichnen unsere Sensoren multidimensionale Raumspannungen auf.”
“Das bedeutet, es kommen noch mehr”, murmelte Arn Polo.
“Ist zu befürchten Sir”, stimmte Telaa Nomlan zu. Sie nahm ein paar Modifizierungen an den Einstellungen der Ortungssysteme vor. “Zahl der Faahrg-Schiffe, die aus dem Hyperraum kommen, steigt noch. Es scheint eine wirklich große Flotte zu sein.”
“Und ich frage mich, weshalb wir denen so wichtig sind”, meinte Arn Polo.
In diesem Moment erreichten auch Kamler und Reiniger die Brücke.
“Wo ist Huisener?”, fragte Polo.
“Analysiert noch zusammen mit Dashan die Vorgänge um das letzte Auftauchen des Liquiden”, antwortete Kamler.
“Geschütze gefechtsklar”, meldete Waffenoffizier Lefty Jandro. “Energieniveau hat Gefechtsniveau vor wenigen Sekunden erreicht. Wir sind feuerbereit.”
“Ich würde dringend davon abraten, es auf einen Kampf ankommen zu lassen”, äußerte sich Telaa Nomlan, während sie angestrengt auf die Anzeigen ihrer Konsole sah. Ein Datenstrahl aus bläulich schimmerndem Licht schoss einem dünnen Faden aus bläulichem Schimmer gleich aus einem Adaptermodul der Konsole und traf exakt die Stelle an ihrer Schläfe, unter der sich ein Implantat befand, das nicht nur ein Translatormodul zur sprachlichen Kommunikation in unbekannten Idiomen enthielt, sondern vor allem auch die Steuerung der Netzhautprojektion. Manchmal ließen sich eintreffende Datenkolonnen eben besser beurteilen, wenn sie in einer Art und Weise veranschaulicht wurden, die sofort das Augenmerk auf das Wesentliche richtete.
“Schutzschilde auf Maximum”, befahl Arn Polo.
“Aye, Aye”, meldete Lefty Jandro.
“Energieschuss von fremder Einheit Nummer 6”, rief Telaa Nomlan. Auf einem Teilfenster des große Panoramaschirms war die dreidimensionale Lagedarstellung zu sehen. Die georteten Faahrg-Schiffe wurden dabei schlichtweg der Reihe nach durchnummeriert. Bezugspunkt war dabei ihre Position im Verband sowie ihre Nähe zur TERRA NOVA.
Arn Polo spürte wie im nächsten Moment ein ganz leichtes Vibrieren den Boden zu seinen Füßen erzittern ließ. Dieser Impuls schien das gesamte Schiff zu durchdringen.
“Wir werden mit Meta-Energie beschossen”, meldete Telaa Nomlan. “Intensität 5, steigt auf 6.”
“Schutzschilde sind wirkungslos”, ließ sich indessen Waffenoffizier Lefty Jandro vernehmen. “Wiedererlangung der Schutzfähigkeit ist erst nach Neu-Modifikation zu erwarten.”
“Dann tun Sie das!”, befahl Polo. “Mister Gontro?”
“Ja, Sir?”, rief der Navigator und Steuermann.
“Ausweichmanöver mit maximaler Beschleunigung! Dreißig Grad aufwärts, dann vierzig Grad Steuerbord.”
“Wird durchgeführt!”, versicherte Tell Gontro. Er wirkte dabei ziemlich angespannt.
Es wäre besser, wenn Marout Huisener dieses Manöver fliegen würde, ging es Arn Polo dabei durch den Kopf. Aber Huisener war nunmal im Moment nicht auf der Brücke und so war es nutzlos, weiter über diesen Punkt nachzugrübeln. Gontro war schließlich ein fähiger Schiffspilot, auch wenn er sich in einer derart brenzligen Situation noch nicht hatte bewähren müssen. Das wird er schon schaffen, dachte Polo, während die Vibrationen jetzt immer stärker wurden und in den nächsten Augenblicken auch die Konsolen und die Decke der Zentrale erfasste. Meta-Energie. Sie wird das ganze Schiff zerreißen, wenn wir ihr zu lange ausgesetzt sind, wusste Polo. Molekül für Molekül. Er sah auf seine Hand, die ebenfalls zu vibrieren schien. Aber das war eine Illusion, wie er wusste. In Wahrheit waren es die menschlichen Wahrnehmungsorgane, die mit dem Einfluss von Meta-Energie nicht zurecht kamen. Die Faahrgs wissen diese Kraft offenbar sehr effektiv als Waffe einzusetzen, dachte Polo, während ein dumpfes Brummen nun das ganze Schiff erfüllte. Die Unterlicht-Triebwerke der TERRA NOVA beschleunigten mit Maximalwerten.
Gontro lenkte die TERRA NOVA geradewegs in den Pulk der Faahrg-Einheiten hinein.
“Optimale Feuerreichweite erreicht!”, stellte Lefty Jandro fest.
“Dann schießen Sie, was unsere Geschütze hergeben!”, verlangte Polo.
Während die TERRA NOVA durch die Reihen der Faahrg-Schiffe schnellte, feuerte das Schiff aus allen Geschützblastern. Mehrere Treffer mussten die Faahrgs hinnehmen. Eines ihrer Schiffe explodierte. Der Kollaps des Fusionsreaktors an Bord verwandelte das Faahrg-Schiff innerhalb kurzer Zeit in eine gleißende Mini-Sonne. Ultraheißes Plasma wurde in tropfenartigen Gebilden durch das All geschleudert. In der Nähe befindliche Faahrg-Schiffe gingen so gut es ging auf Ausweichkurs.
Mehrere Erschütterungen durchliefen indessen die TERRA NOVA.
Der Ortungsoffizier meldete mehrere Treffer in verschiedenen Sektionen des Schiffs.
Polo saß in sich zusammengesunken in seinem Kommandantensessel und hörte der Aufzählung zu. Aber es war kein entscheidender Treffer dabei. Nichts war beschädigt worden, was sie nicht aus eigener Kraft wieder reparieren konnten - oder was vielleicht einen Überlichtflug ausschloss.
Die TERRA NOVA hatte jetzt die nötige Geschwindigkeit erreicht, um in den Hyperraum überzuwechseln. Die Energiepegel zeigten ein maximales Niveau an.
Eines der Faahrg-Schiffe versuchte noch, die TERRA NOVA frontal entgegenzukommen und das gewaltige Raumschiff abzufangen. Selbst eine Kollision schienen die Faahrgs dafür in Kauf zu nehmen.
Doch dazu kam es nicht.
Zuvor entschwand die TERRA NOVA in den höherdimensionalen Hyperraum. Für ihre Gegner war sie einfach nicht mehr da.
“Maximale Geschwindigkeit!”, befahl Arn Polo dem Steuermann.
“Ich versuche aus den Hyperraumtriebwerken herauszuholen, was möglich ist”, versicherte Tell Gontro.
Polo erhob sich aus seinem Sessel.
“Großartiges Manöver, Gontro”, stellte er fest.
“Danke”, gab der Steuermann zurück.
Polo wandte sich an Jon Kamler. “So lange wir im Hyperraum sind, können die Faahrgs uns nur schwer angreifen.”
“Nein, aber sie werden unseren subdimensionalen Spuren folgen und uns stellen, sobald wir ins Normaluniversum zurückkehren”, stellte Kamler fest.
“Bis dahin fällt uns hoffentlich was ein, Jon”, sagte Polo.