Читать книгу Unbekannte Raumzeit: Das Science Fiction Abenteuer Paket auf 1200 Seiten - Alfred Bekker - Страница 25

3. Kapitel: Miijs Erlebnisse, Katzana ...

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Da war die undeutliche Erinnerung an einen dunklen Schemen und an eine Kraft, die ihn umschloss, gefangen nahm, fesselte ... Es war unmöglich, dafür einen passenden Begriff zu finden, der auch nur annähernd das auszudrücken vermochte, was Miij im Zusammenhang mit dieser Erinnerung empfand.

Danach war jedenfalls zunächst einmal alles dunkel gewesen.

So als hätte jemand einfach ein Stück aus seinem Leben herausgetrennt und gelöscht.

Miij erwachte.

Er stellte fest, dass sein Körper nach wie vor vom Wrabiss bedeckt wurde und ihm niemand die golden schimmernde Rüstung abgenommen hatte.

Offenbar war demjenigen, der ihn gefangen genommen hatte, nichts über die Kräfte bekannt, die dem Wrabiss innewohnten. Kräfte, mit deren Hilfe sich auch massive Steinwände durchdringen ließen ...

Umso besser, überlegte der Ellobarge in der Hoffnung, nicht lange in diesem Gefängnis zubringen zu müssen – wer auch immer ihn hier eingesperrt haben mochte.

Aber dass es sich bei seiner Umgebung tatsächlich nur um ein Gefängnis handeln konnte, daran bestand für ihn von der ersten Sekunde des Erwachens an nicht der geringste Zweifel.

Der Raum, in dem er sich befand, war kahl, die Wände glatt. An der Decke leuchtete eine mäßig helle Lichtquelle.

Einen Aus- oder Einfang schien es nicht zu geben, was nur bedeuteten konnte, dass er sehr geschickt verborgen worden war.

Der Ellobarge bewegte sich leicht, setzte sich auf und entdeckte in der anderen Ecke des etwa dreißig Quadratmeter großen Raumes eine kauernde Gestalt. Sie befand sich zunächst im Schatten, sodass Miij nicht viel mehr als die ausgefahrenen Rückenstacheln sowie die Umrisse des katzenhaften, raubtierhaften Kopfes erkennen konnte.

Ein Katzoide!, erkannte Miij sofort, denn diese Konturen erinnerten gleich an das Äußere des verstorbenen Riugerob.

Der Katzenartige erhob sich und musterte Miij mit einem Blick, der nach Interpretation des Ellobargen zunächst einmal Misstrauen ausdrückte.

Miij fiel auf, dass sich die Kleidung dieses Katzoiden, mit dem er seine Zelle und sein Schicksal als Gefangener zu teilen schien, sich deutlich von dem martialisch wirkenden Äußeren unterschied, das für Riugerob so kennzeichnend gewesen war. Statt der Montur eines Kriegers trug dieser Katzoide eine weit fallende Tunika aus grauem Stoff, die allerdings auf dem Rücken über spezielle Öffnungen für die ausfahrbaren Stacheln verfügte.

Schließlich unterlag das Ausfahren dieser Rückenstacheln bei Katzoiden nicht immer der willentlichen Kontrolle des Einzelnen, sondern geschah oft auch reflexartig.

Der Katzoide kam jetzt aus seiner Ecke hervor und näherte sich Miij zögernd. Als er in den Schein der Lichtquelle trat, fiel Miij auf, dass die Haut des Katzenartigen einen Farbton angenommen hatte, der dem Grau seines Gewandes ähnelte.

Möglicherweise, so glaubte Miij, war dies darauf zurückzuführen, dass sein Zellengefährte schon sehr lange in diesem Verlies vor sich hin vegetierte und vielleicht für lange Zeit kein einziger Sonnenstrahl seine Haut berührt hatte.

„Ich bin Miij“, stellte sich der Ellobarge vor. Er benutzte dabei die Sprache Riugerobs, deren Wortschatz und Grammatik auf dem Übersetzungschip gespeichert waren, den ALGO-DATA in Miijs Rüstung integriert hatte.

Die Reaktion des Katzoiden verlief jedoch alles andere als wunschgemäß.

Er wich ein Stück zurück und stieß einen unartikulierten Laut aus, den Miij als einen Ausdruck der Furcht interpretierte.

Vielleicht gehört die Gruppe, der dieser Katzoide zuzuordnen ist, einem anderen Dialekt an, überlegte Miij. Es konnte also sein, dass seine als freundliche Begrüßung gemeinten Worte von seinem Gegenüber völlig missverstanden worden waren.

Eine andere Möglichkeit bestand natürlich darin, dass dieses Wesen schon dermaßen lange hier gefangen gehalten wurde, dass es jegliches Vertrauen - gleichgültig ob in sich selbst oder in andere - verloren hatte.

Miij hob die von seinem Wrabiss bedeckten Hände.

Geöffnete und augenscheinlich waffenlose Hände waren als universelles Friedenszeichen kaum misszuverstehen, glaubte Miij. Gleichzeitig bewegten sich aber auch seine Flügel ein wenig, was den Katzoiden sehr zu beunruhigen schien.

Er kauerte in einer Haltung da, die man nur als Abwehrhaltung auslegen konnte. Er war zweifellos keine Kämpfernatur, so wie Riugerob es gewesen war. Zumindest deutete nichts an ihm darauf hin.

Miij war klar, dass er sehr behutsam vorgehen musste und seinen Zellengenossen wohl zunächst einmal am besten einfach in Ruhe ließ, bis dieser sich einigermaßen beruhigt hatte.

Unterdessen versuchte Miij die Zeit zu nutzen, indem er mit Hilfe des Wrabiss sein Gefängnis erkundete.

Zumindest versuchte er es.

Aber erschrocken stellt er fest, dass die Rüstung einfach nicht zu ihrer gewohnten Machtentfaltung kam.

Es war ihm unmöglich, mit ihrer Hilfe die massiven Steinwände zu durchdringen, ja, er vermochte noch nicht einmal einen kleinen Teil ihrer verborgenen Kräfte zu aktivieren. Irgendetwas hinderte Miij daran, die Rüstung so einzusetzen, wie er es gewohnt war.

Das ist also der Grund dafür, dass man mir den Wrabiss gelassen hat!, erkannte er schaudernd, denn nun wurde dem Ellobargen zum ersten Mal bewusst, dass dieses Gefängnis für ihn tatsächlich fürs Erste ein Gefängnis bleiben würde.

Zum letzten Mal versuchte er, die Kräfte des Wrabiss wachzurufen. Seine von der Rüstung bedeckte Hand prallte mit einem metallischen Geräusch gegen die Wand, aber mehr als einen Kratzer hinterließ sie dort nicht.

Miij stieß einen unartikulierten Laut der Wut aus, ein heftiges Schlagen der Flügel folgte, woraufhin sie sich jedoch sogleich wieder auf dem Rücken zusammenfalteten.

Miij fühlte den halb misstrauischen, halb interessierten Blick seines katzoidischen Zellengenossen auf sich ruhen.

„Das ist sinnlos“, stellte der Katzoide schließlich nach einer längeren Zeit des Schweigens fest. „Was du tust, ist sinnlos.“

Da Miij die Sprache des Katzoiden mit Hilfe des in seine Rüstung integrierten Übersetzungschips mühelos verstand, stand auch fest, dass dieser Bewohner Katzanas keineswegs ein anderes Idiom benutzte, als es seinerzeit Riugerob getan hatte.

„Vielleicht hast du Recht“, sagte Miij schließlich, sichtlich darum bemüht, beim zweiten Versuch einer Kontaktaufnahme etwas behutsamer vorzugehen. Schließlich waren sie beide in gewisser Weise aufeinander angewiesen. Bislang hatte Miij nicht die geringste Ahnung davon, was eigentlich mit ihm geschehen war - und vor allem, warum! Was war die Absicht desjenigen, der ihn gefangen genommen und in dieses Verlies gesperrt hatte?

Gut möglich, dass der Katzoide ebenso ahnungslos ist, wie ich es bin, überlegte Miij. An den Gedanken, hier womöglich über lange Zeit hinweg festgehalten zu werden, wie er es im Fall seines Zellengenossen vermutete, mochte sich Miij erst gar nicht gewöhnen.

Es musste einen Weg hinaus geben, so sagte er sich. Und er nahm sich vor, alles zu unternehmen, um ihn zu finden.

„Mein Name lautet Miij“, erklärte der Ellobarge noch einmal, da er glaubte, jetzt ein günstigeres Gesprächsklima vorzufinden.

„Miij aus dem Volk der Ellobargen.“

„Du wiederholst dich“, war die kühle, überraschend abweisende Erwiderung des Katzoiden.

Sein Kommunikationsbedürfnis schien fürs Erste vollkommen gestillt zu sein. Jedenfalls setzte er sich in seiner Ecke nieder und wandte demonstrativ den Kopf zur Seite. Eine Geste, die kaum irgendwelchen Spielraum für Interpretationen ließ. Im Moment hatte er einfach genug von dieser Unterhaltung.

Miij kam zu dem Schluss, dass er dies akzeptieren musste. Wenn seine Annahme stimmte, und dieser Katzoide vielleicht tatsächlich schon unsagbar lange Zeit in diesem Kerker verbracht hatte, so war seine Reaktion sogar verständlich.

Er scheint die Gesellschaft anderer gar nicht mehr gewöhnt zu sein, wurde es Miij klar. Ich werde Geduld mit ihm haben müssen. Viel Geduld.

Mit ihm und auch mit mir selbst.

*


DIE ZEIT KROCH SO ZÄHFLÜSSIG dahin wie ein erkaltender Lavastrom - und drohte in Miijs subjektiver Wahrnehmung ebenso langsam aber sicher zu erstarren. Es geschah buchstäblich nichts.

Mehr als ein paar misstrauische Blicke tauschte er mit seinem katzoidischen Zellengenossen nicht aus. Dieser schien dem Ellobargen von Grund auf zu misstrauen und wenn er näher darüber nachdachte, so fand Miij, dass er es ihm auch kaum verübeln konnte.

Der Ellobarge dachte daran, was wohl aus seinen Gefährten geworden war, den anderen Mitgliedern des Außenteams, das mit einer Kapsel der CAESAR auf der verborgenen Katzoiden-Welt gelandet war. Marcus, Josephine, Fairoglan ...

Hatten sie sich retten und vielleicht sogar an Bord der CAESAR zurückkehren können oder wurden sie vielleicht an anderer Stelle gefangen gehalten?

Die Tatsache, dass er vollkommen zur Untätigkeit verurteilt war, ärgerte Miij und machte ihn innerlich fast rasend. Aber in diesem Punkt musste er den Worten seines Zellengenossen zumindest vom Verstand her Recht geben. Im Moment hatte es keinen Sinn, mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen. Diese Grenzen, die ihm die Mauern dieses düsteren Gefängnisses zogen, musste er zunächst einmal wohl einfach schlicht und ergreifend akzeptieren, bevor er seine Chance suchen konnte, sie zu überwinden.

Aber träumte davon der Katzoide mit dem vor Sonnenmangel grau gewordenen Gesichtszügen nicht ebenfalls schon seit langer Zeit und hatte es doch nicht geschafft?

Ein deprimierender Gedanke.

Je weiter die Zeit fortschritt, desto schwerer fühlte Miij die wachsende Lethargie auf seinem Bewusstsein lasten. Er fühlte sich wie lebendig begraben. Langsam, aber sicher schien jegliche Hoffnung dahinzusiechen. Wie hatte der Katzoide, dessen finsteres Schicksal er nun zwangsweise teilte, es so lange aushalten können, ohne vollständig den Verstand zu verlieren, so fragte sich Miij irgendwann und war sich nicht mehr sicher, ob er seinen Zellengenossen nun wegen dem, was hinter ihm lag, bedauern oder seiner mentalen Stärke wegen bewundern sollte.

*


EIN GERÄUSCH RISS MIIJ aus seiner Lethargie heraus und sorgte auch bei dem Katzoiden dafür, dass er augenblicklich aktiv wurde und aufsprang.

Nach Miijs subjektiver Empfindung war seit seinem Erwachen in diesem Kerker eine unermesslich lange Zeitspanne vergangen. Die Zeit schien sich auf groteske Weise gedehnt zu haben und jeder einzelne Augenblick zu einer schieren Ewigkeit zu zerfließen. Genau das Gegenteil wurde durch das Geräusch ausgelöst. Alles schien sich auf einmal zu beschleunigen - bis hin zu den Biofunktionen des Ellobargen.

Das Geräusch wiederholte sich noch einmal. Es glich einem Schaben, so als würde Stein sich an Stein reiben und sich irgendwo eine Tür öffnen.

Miij ließ den Blick kreisen. Nirgends war allerdings auch nur eine Öffnung erkennbar. Der Raum war so kahl, leer und rundherum geschlossen wie zuvor.

Was geht hier vor?, fragte sich Miij. Wollte man ihn und seinen Mitgefangenen zum Narren halten?

Aber der Katzoide wusste natürlich mehr darüber, was das Geräusch zu bedeuten hatte.

Er sah Miij an.

In seinen Augen blitzte es herausfordernd.

„Beunruhigt?“, fragte er.

„Was war das?“, wollte Miij sofort wissen und erkannte sogleich, dass er wieder einmal im Umgang mit seinem Zellengenossen zu ungeduldig gewesen war.

Der Katzoide wich - wie schon bei anderer Gelegenheit - einer direkten Antwort auf Miijs Frage aus.

Stattdessen sagte er: „Du wirst sehen, es ist nicht schlimm.“

„So?“

„Nein. Dies nicht.“

„Eine Tür ist aufgegangen.“

„Keine Tür. Nur eine kleine Öffnung.“

„Wo ist sie?“

„Du kannst sie nicht sehen. Noch nicht ...“

Einige Augenblicke angespannten Schweigens folgten. Dann deutete der Katzoide plötzlich auf eine der Wände, in der sich eine Öffnung gebildet hatte, die vom Boden aus etwa zwanzig Zentimeter in die Höhe reichte. Zwei zylinderförmige Behälter waren offenbar durch diese Öffnung hindurchgeschoben worden.

„Wieso habe ich diese Öffnung vorhin nicht wahrgenommen?“, fragte Miij.

Der Katzoide vollführte mit seinem rechten Arm eine Geste, deren Bedeutung Miij natürlich nicht bekannt war und die ihm auch der Sprachchip in seiner Rüstung nicht zu übersetzen vermochte.

„Sie haben ihre Tricks“, erwiderte der Katzoide einsilbig.

„Und wer sind sie?“

Miij erhielt auf diese Frage keine Antwort.

Der Katzoide trat auf die beiden auf dem Boden stehenden, oben offenen Behälter zu, nahm sie beide an sich und wandte sich anschließend zu Miij herum. Erneut ertönte das schabende Geräusch.

Die Öffnung war auf einmal verschwunden.

Einen kurzen Moment nur hatte Miij sich nicht konzentriert ...

Der Katzoide trat jetzt auf Miij zu. Langsam, fast zögernd - und in jeder Hand hielt er einen der beiden Behälter.

Schließlich reichte er einen davon an Miij.

„Unsere Nahrung“, kommentierte der Katzoide diese Geste und zog sich sofort wieder einen Schritt zurück.

Miij warf einen Blick in den Behälter. Darin befanden sich keksähnliche Brocken, die in rechteckiger oder dreieckiger Form vorhanden waren.

Der Katzoide hatte sich bereits eines der Dreiecke genommen und es verschlungen.

Wenig später ertönte noch einmal das Geräusch, das das Öffnen der die meiste Zeit über unsichtbaren Tür ankündigte.

Diesmal gab es zwei krugähnliche Gefäße, in denen sich Wasser befand, von denen ganz offensichtlich je einer für Miij und einer für den Katzoiden bestimmt waren. Das Nahrungsangebot wurde anscheinend nicht je nach Spezies differenziert. Was das Wasser anging, so war es die Basis aller organischen Lebensformen, aber davon abgesehen konnte Miij nur hoffen, dass die Nährstoffe, die dem Katzoiden schmeckten, auch ihm guttaten.

Zögernd biss der Ellobarge in eines der keksartigen Dreiecke hinein.

Die Nahrung hatte keinerlei Geschmack.

Aber wählerisch sein konnte Miij hier nicht.

Es ging darum, zu überleben – und das war ohne ausreichende Nahrungszufuhr nun mal nicht möglich. Während Miij bereits den zweiten dreieckigen Keks verzehrte, überlegte er, inwieweit die ungesunde Hautfarbe des Katzoiden möglicherweise auch durch eine mangelhafte Ernährung verursacht worden war.

Der Katzoide beendete seine Mahlzeit schließlich. Anschließend ging er an eine bestimmte Stelle an der Wand und ritzte mit Hilfe einer seiner Krallen eine Markierung in den Stein. Das Geräusch, das dabei entstand, war unangenehm und wie man den Krallen des Katzoiden ansehen konnte, waren sie eigentlich nicht hart genug für diese Arbeit.

Aber er tat es trotzdem.

Miij sah auch schnell den Grund dafür.

Offenbar setzte der Katzoide nach jeder Essensausgabe eine Markierung, weil das die einzige Möglichkeit für ihn war, die Zeit zu messen und einigermaßen den Überblick darüber zu behalten, wie lange er schon hier war. Und auch das nur unter der Voraussetzung, dass die Nahrungsmittel- und Trinkwasserausgaben regelmäßig durchgeführt wurden.

Der Katzoide bemerkte Miijs Interesse.

Er machte eine Geste, die Miij nach anfänglichem Zögern so interpretierte, dass er sich nähern sollte.

„Viel Zeit ist vergangen“, sagte der Katzoide und deutete auf die Markierungen, die er bislang in die Wand geritzt hatte. „Sehr viel Zeit ...“

Unter der Voraussetzung, dass die Nahrungsmittelausgabe täglich stattfand, befand sich der Katzoide bereits seit mehr als einem halben Katzana-Jahr in Gefangenschaft.

„Mein Name ist Voscaguir“, erklärte der Katzoide schließlich.

Na endlich!, dachte der Ellobarge.

„Und ich bin Miij.“

„Du wiederholst dich.“

„Ein Gebot der Höflichkeit, wenn man sich gegenseitig vorstellt.“

„Ich verstehe nicht, was du sagst. Aber wir sind beide Gefangene in diesem Kerker. Besser, wenn jeder den Namen des anderen sagen kann.“

„Ja.“

*


DAS SCHWEIGEN DAUERTE diesmal bis zur nächsten Essens- und Trinkwasserausgabe, die sich exakt genauso abspielte wie beim ersten Mal. Voscaguir machte die nächste Markierung und Miij fragte sich, ob er vielleicht auch damit anfangen und sich darauf einstellen sollte, vielleicht Monate oder Jahre in diesem kahlen Raum zuzubringen.

„Du siehst seltsam aus“, erklärte Voscaguir in die Stille hinein und benannte damit vielleicht auch den Grund für die anfängliche übergroße Scheu, die er vor dem Ellobargen gezeigt hatte. „Wie ein Geschöpf der Legenden, die erzählt werden, um junge Katzoide zu erschrecken, von denen aber jeder Erwachsene eigentlich weiß, dass sie nur Ausgeburten der Fantasie sind.“

„Und du dachtest anfangs auch, ich sei eine Ausgeburt der Fantasie?“, fragte Miij.

„Ja. Ich war die ganze Zeit allein, dann erwachte ich und finde dich in ein- und demselben Kerker wieder wie ...“

„... wie was?“

„Es liegt nicht in meiner Absicht, dich zu beleidigen. Magst du äußerlich von ausgesprochener Hässlichkeit sein, so gönnt man selbst dem schlimmsten Monstrum der Legende nicht das, was uns in diesem Kerker widerfährt ...“

Miij rief sich ins Gedächtnis, dass bis zu dem Zeitpunkt seiner Entführung noch kein Erstkontakt zwischen den Katzoiden und dem Landeteam der CAESAR stattgefunden hatte. Da Voscaguir ja ohnehin bereits seit mehr als einem halben Jahr in Gefangenschaft war, konnte er noch weniger als jeder andere Katzoide von der Existenz einiger Fremdweltler wissen, die den Boden des katzoidischen Heimatplaneten betreten hatten.

„Du musst von sehr weit her kommen - denn du bist eine Missgeburt, die direkt aus den Alpträumen entsprungen ist. Zuerst hielt ich dich für einen bösen Geist, mit dem meine Entführer mich zu peinigen suchten.“

„Was hat dich davon überzeugt, dass ich kein böser Geist bin?“, fragte Miij.

„Die Tatsache, dass du offenbar in der Lage bist, dieselben Nahrungsmittel zu verdauen wie ich“, erklärte Voscaguir. „Geister verdauen nichts. Sie nehmen keine Nahrung zu sich und trinken auch kein Wasser.“

„Ich kann mir deine Angst gut vorstellen“, erklärte Miij nachsichtig. „Schließlich unterscheiden wir uns rein äußerlich ja in einigem.“

„Das kann man laut sagen!“, stieß der Katzoide hervor und ließ einen tiefen, kehligen Laut folgen, bei dem sich Miij nicht sicher war, ob es sich um eine Äußerung handelte, die Erleichterung oder Belustigung zum Ausdruck bringen sollte. Vielleicht auch eine Mischung aus beidem.

„Ich versichere dir, dass ich genau wie du ein Gefangener bin“, sagte Miij.

„Dann kommst du von weit her. Aus einer abgelegenen Gegend? Einem abgelegenen Tal oder einer entfernten Insel, auf der sich die Missbildung auf deinem Rücken über die Generationen verbreiten konnte, ohne dass man davon irgendwo anders etwas gehört hätte.“

„Das ist keine Missbildung auf meinem Rücken.“

„Es erinnert entfernt an Flügel, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ...“

„Warum nicht?“, unterbrach Miij seinen Gesprächspartner. „Es handelt sich tatsächlich um Flügel - auch wenn es dir schwerzufallen scheint, dies zu glauben.“

„Und du vermagst damit auch zu fliegen?“

„Natürlich - allerdings ist dies ein denkbar schlechter Ort, um dir das vorführen zu können.“

„Funktioniert es genau so wie bei den Tlamarillas der südlichen Täler?“

Miij musste zugeben, von diesen Tlamarillas noch nie etwas gehört zu haben. Die Aufenthaltsdauer des Außenteams war im Übrigen auch viel zu kurz gewesen, um sich bereits eingehend mit Fauna und Flora der Katzoiden-Welt befassen zu können, zumal das Ziel der Mission ja auch ein ganz anderes gewesen war.

Aber Miijs katzoidischer Mitgefangener schien inzwischen mehr und mehr Vertrauen gefasst zu haben und so sprudelte es nur so aus ihm heraus.

In blumigen, bildhaften Worten beschrieb Voscaguir eine Spezies, die etwa einen Meter großen Insekten ähnelte und offensichtlich flugfähig war.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du in der Lage bist, deine sogenannten Flügel schnell genug zu bewegen, um dich damit in die Lüfte zu erheben.“

Miij versuchte, seinem staunenden Gegenüber zu erklären, dass sich sein Flugstil von dem insektenähnlicher Flieger erheblich unterschied und nicht auf schnellen Bewegungen hauchdünner Flugmembranen basierte. Miij war ein Gleitflieger.

Für den Katzoiden schien dieses Flugprinzip jedoch schwer nachvollziehbar zu sein.

Miij versuchte, das Gespräch auf ein anderes, ergiebigeres Terrain zu lenken. Schließlich wollte er so viel wie möglich an Informationen sammeln. „Es gibt mehr Möglichkeiten, sich in die Lüfte zu erheben. Die Tlamarillas, von denen du sprachst, haben die ihre, ich die meine und dann gibt es da ja noch diese Flugmaschinen, die eure Dörfer angreifen.“

Aus irgendeinem Grund ging Voscaguir darauf nicht weiter ein. Miij fragte sich, was der Grund dafür sein mochte. Befanden sie sich möglicherweise in einer vom Landepunkt des Außenteams weit entfernten Region Katzanas, in der niemand etwas von den Flugmaschinen wusste?

Oder wollte Voscaguir ganz einfach nicht über diese Sache sprechen - aus welchen Gründen auch immer?

Miij fiel noch eine dritte Variante ein. Es war ja auch möglich, dass das Problem mit den angreifenden Flugmaschinen vor etwas mehr als einem halben Jahr, als Voscaguir in Gefangenschaft geriet, noch nicht virulent gewesen war.

Eine Phase des Schweigens schloss sich an.

Sie dauerte bis zur nächsten Nahrungsausgabe.

*


„DIE EINSAMKEIT TREIBT einen langsam, aber sicher in Wahnsinn“, bekannte Voscaguir, nachdem er sich gesättigt und ausgiebig getrunken hatte. „Deswegen bin ich froh, dass du da bist – auch wenn dieses Schicksal für dich ein Unglück bedeutet. Aber bedenke eins: Du bist zwar ein Gefangener, aber ich war ein Gefangener, der allein in seiner Zelle leben musste, während du Gesellschaft hast.“

Ein schwacher Trost!, dachte Miij, während der Katzoide ihm mit umständlichen und zunächst nur schwer verständlichen Umschreibungen deutlich zu machen versuchte, dass er bereits daran gedacht hatte, sich selbst das Leben zu nehmen. Seine seelische Stabilität war offenbar auf das Äußerste angegriffen.

Miij nahm sich daher vor, im Hinblick auf seinen Zellengenossen vorsichtiger und bedachter zu agieren.

Erneut entstand eine längere Phase des Schweigens.

Diesmal war es Miij, der die Stille brach. „Wie bist du hierhergeraten?“, fragte er Voscaguir. „Und weißt du vielleicht den Grund dafür, dass man dich hier festhält?“

„Zwei Fragen. Die Antwort auf die erste ist leicht. Ich war auf der Jagd, folgte einem Korallenläufer in die tiefsten Verästelungen eines Matang ...“

„Was ist ein Matang?“

Offenbar kannte nicht einmal der Übersetzungschip eine Entsprechung dafür, die Miij verstanden hätte.

„Das ist schwer zu erklären. Stell dir eine Höhle aus pflanzlichem, wurzelartigem Material vor. Korallenläufer benutzen sie als Wohnstätte. Zumeist sorgen sie dafür, dass ein Matang zwei Ausgänge besitzt, um eine Möglichkeit zur Flucht zu haben. Ich folgte dem Korallenläufer, aber er war zu schnell für mich. Er war durch den hinteren, von ihm selbst angelegten Ausgang verschwunden. Ich erreichte diesen Ausgang, bemerkte noch Bewegung ... dann sah ich einen Schatten, der sich von hinten über mich senkte. Mehr weiß ich nicht mehr. Die nächste Erinnerung ist mein Erwachen in dieser Zelle.“

Nach einer kurzen Pause, in der Voscaguir auf einem der dreieckigen Kekse herumgekaut hatte, die er sich aufzusparen pflegte, fragte er: „Du hast mir noch immer nicht gesagt, wo du eigentlich herkommst.“

Eine schlichte Feststellung.

Eigenartig, dachte Miij. Es schien den Katzoiden mehr zu interessiere, wo er herkam als die näheren Umstände der Gefangennahme.

„Ich wurde auf ganz ähnliche Weise gefangen genommen“, erklärte Miij. „Ist dir irgendwann gesagt worden, weshalb das geschehen ist, was man mit dir vorhat?“

„Nein.“

„Hast du ein Verbrechen begannen oder ein Tabu verletzt?“

„Nein.“

„Bist du irgendwann hier in diesem Kerker jemandem begegnet, der ...“

„Ich bin niemandem begegnet, außer dir, Fremder aus einer fremden Heimat.“

Miij hob leicht den Kopf. „Ich komme von viel weiter her, als du dir auch nur vorstellen kannst, Voscaguir!“, bekannte Miij.

„Von einem fernen, unerforschten Kontinent?“

„Nein, weiter ... Ich komme von einem Schiff, das zwischen den Sternen zu reisen vermag. Wir nennen es Raumschiff. Mit ihm sind wir hierhergeflogen.“

Der Katzoide schien Mühe zu haben, Miijs Worte zu begreifen. „Du sprichst von einem fliegenden Schiff?“

„Wenn du es so ausdrücken willst, ja. Dieses Schiff vermag von einem Stern zum nächsten zu fliegen.“

„Warum schwimmt es nicht? Der Himmel ist blau und unsere Weisesten haben immer schon behauptet, dass dort die Urflut des Himmels zu finden sei, die nur vom löchrigen Firmament davon abgehalten wird, vollständig herunterzuregnen.“

„Nein, das entspricht nicht den Tatsachen“, erwiderte Miij. „Da draußen zwischen den Sternen ist das Nichts. Man nennt es Weltraum. Unser Schiff ist in der Lage, durch diesen Weltraum zu fliegen.“

„Ist dieses Schiff deine Heimat?“, fragte Voscaguir.

„In gewisser Weise ist es das im Augenblick“, bekannte Miij. „An Bord befinden sich unterschiedlichste Wesen, die von verschiedenen Welten stammen.“

„Welten?“, echote der Katzoide. „Gibt es denn mehr Welten, als diese eine, auf deren Scheibe wir alle stehen?“

„All die Sterne, die du siehst, wenn du in der Nacht in Himmel schaust, sind Welten wie die eure!“

Voscaguir stieß einen unartikulierten Laut aus, der einem Seufzen sehr ähnlich war.

„Ich weiß nicht, ob ich alles verstehe, was du sagst. Aber etwas so Erstaunliches habe ich bislang noch nie gehört.“

„Es ist aber die Wahrheit.“

„Vielleicht muss ich einfach nur noch mehr darüber hören, um es wirklich begreifen zu können, Miij.“

„Das wäre ein Weg, da stimme ich dir zu.“

„Mal vorausgesetzt, deine seltsame Geschichte entspricht der Wahrheit – aus welchem Grund hat euer Schiff diese Welt angeflogen? Warum seid ihr hier gelandet und nicht auf einer der unzähligen anderen Welten, die da draußen in der Dunkelheit der Nacht angeblich existieren sollen?“

„Das kann ich dir erklären. An Bord unseres Schiffes befand sich ein Krieger mit dem Namen Riugerob. Er war ein Katzoide, so wie du. Aber er starb während eines Kampfs. Da er allen an Bord ein wertvoller Freund gewesen war, beabsichtigten wir, ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Er wollte auf seiner Heimatwelt Katzana die letzte Ruhe finden. Um seine sterblichen Überreste zurückzuführen, deswegen landete ich mit zwei weiteren Gefährten auf der Oberfläche dieses Planeten.“

Voscaguir schwieg daraufhin eine Weile.

Er schien darüber nachzudenken, ob er dieser Geschichte Glauben schenken oder sie als wahnhafte Idee eines Verrückten abtun sollte.

„Du sagtest, dass dieser getötete Krieger Riugerob hieß“, vergewisserte sich der Katzoide schließlich.

„Ja.“

„Das ist ein hier üblicher Name.“

„Du glaubst mir noch immer nicht.“

„Verzeih mein Misstrauen, Miij. Das ist wohl eine Folge der Gefangenschaft. Ich war zu lange ein Spielschwert in den Händen von Unbekannten.“

„Ein Spielschwert?“, echote Miij etwas erstaunt.

„Damit werden Turnierkämpfe ausgefochten. Die Klinge ist stumpf, um Verletzungen soweit wie möglich zu vermeiden ...“

„Wie kommst du jetzt auf Schwerter?“

„Ich benutzte eine bei uns übliche bildliche Redeweise, Miij.“

*


MIIJ STELLTE IM LAUF der Zeit fest, dass sein Zellengenosse ein ausgesprochen systematischer und hartnäckiger Fragensteller war. Dinge, die ihn interessierten, verlor er nicht aus den Augen.

„Warum weilte dieser Krieger namens Riugerob an Bord eures Sternenschiffs?“, wollte Voscaguir wissen.

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Wir haben viel Zeit und eine Geschichte – gleichgültig ob lang oder kurz – wird bei mir den drohenden Wahnsinn vielleicht etwas hinauszögern.“

Miij versuchte zunächst, auszuweichen und dafür seinerseits an zusätzliche Informationen über das Leben auf Katzana zu gewinnen, aber Voscaguir ließ nicht locker.

Er kam immer wieder auf Riugerobs Schicksal zurück.

Miij berichtete so knapp und zusammenfassend wie möglich von dem, was er über Riugerobs fantastische Odyssee wusste. Er sprach über die Noroofen, die von überall her sogenannte Proben genommen hatten. Lebewesen, die sie in Stase-Schlaf versetzten und mitnahmen, um sie zu untersuchen. So war Riugerob seiner Heimatwelt entrissen worden.

Plötzlich schwieg Voscaguir.

Miij hielt in seiner Erzählung inne und wartete ab.

Das Interesse seines Gesprächspartners schien auf einmal abgerissen zu sein.

Die Gestalt des Katzoiden begann sich plötzlich zu verändern. Sie zerfloss regelrecht.

„Voscaguir!“, stieß Miij hervor.

Der Ellobarge wich erschrocken zurück, während sich sein Mitgefangener vollständig aufgelöst hatte. Lediglich ein golden schimmernder Lichtpunkt war noch zu sehen.

Was war geschehen?

Hatten die geheimnisvollen Herren dieses einsamen Kerkers ihren Gefangenen aus irgendeinem Grund bestraft und desintegriert? Ein rasch per Energieblitz vollzogenes Todesurteil, wobei Miij der Grund dafür in keiner Weise einsichtig war.

Mit Schrecken dachte der Ellobarge daran, dass nun er möglicherweise über sehr lange Zeit hinweg allein in diesem Gemäuer bleiben würde, dem Wahnsinn nahe vor Monotonie und Einsamkeit.

Miij hatte eigentlich erwartet, dass der goldene Lichtpunkt verschwand, das tat er nicht. Er schwebte in einer Höhe von etwa einen Meter fünfzig in der Luft und begann sich wieder auszudehnen, wobei er an Helligkeit verlor.

Schon nach wenigen Augenblicken war der Umriss eines Humanoiden, aber androgynen Körpers erkennbar. Mit der Gestalt des Katzoiden Voscaguir hatte dieses Wesen nicht das Geringste gemein.

Fassungslos starrte Miij zu ihm - oder ihr, ganz wie man wollte - hin und wartete ab, bis die Verwandlung abgeschlossen war.

„Verzeih mir“, sagte die Stimme des Androgynen.

In Miij lösten diese Worte nichts als Verwirrung aus. Was wurde hier gespielt? War alles nur eine optische Täuschung gewesen, die einzig und allein dem Zweck gedient hatte, ihm so viele Informationen wie möglich zu entlocken?

Die Gedanken rasten nur so in Miijs Kopf.

Daher also die vielen Fragen nach dem Sternenschiff und dessen Herkunft sowie den Zielen, die das Außenteam mit seiner Landung verfolgt hatte.

Der Androgyne fuhr fort: „Ich weiß jetzt, dass du nicht zu IHNEN gehörst. Verzeih, dass du dies alles hast erleiden müssen, aber es gab keinen anderen Weg. Ich musste mir erst sicher sein. Zu viel steht auf dem Spiel und ich durfte kein Risiko eingehen.“

„Wer bist du?“, fragte Miij.

„Mein Individualname ist Naryavo.“

„Und wer sind SIE - vor denen du dich so sehr zu fürchten scheinst?“

Die Beantwortung dieser Frage blieb Naryavo dem Ellobargen schuldig.

„Lass uns keine Zeit verlieren.“

„Ich verstehe nicht, was du jetzt meinst!“

„Ich bin schon viel zu lange auf diesem Planeten.“

„Aber ...“

„Lass uns gehen, Miij.“

„Gehen?“, echote der Gefangene. Er vollführte eine ausholende Geste. Ringsum waren sie von massiven Mauern umgeben. Es war unmöglich, diesen Ort zu verlassen. „Ich kann nirgendwohin gehen“, erklärte Miij. „Und außerdem ...“

Der Bhalakide schnitt Miij das Wort ab und sagte: „Ich weiß, was du sagen willst, Miij. Und ich kenne jeden Einwand, den du nun vorbringen könntest. Aber du solltest zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, dass dies keineswegs ein Gefängnis ist, auch wenn es dir im Moment noch so erscheinen mag. Und wir sind auch keine Gefangenen. Ich habe dich hierhergebracht, um dich kennenzulernen.“ Der Bhalakide trat näher an Miij heran und fuhr nach ein paar Augenblicken des Schweigens fort: „Ja, ich war der Schatten, der dich gefangen nahm, Miij. Aber nun hast du nichts mehr zu befürchten.“

„Was geschieht jetzt?“

„Warte es ab, Miij.“

*


ES ERTÖNTE DAS GERÄUSCH, das bis dahin stets die Essensausgabe angekündigt hatte.

Aber diesmal waren es weder Nahrungsmittel noch Trinkwasser, die ins Innere des Gefängnisses geschoben wurden.

Die Öffnung, die jetzt in der Wand entstand - oder vielleicht auch schon immer dort vorhanden gewesen und nur durch irgendeine ganz bewusst eingesetzte Sinnestäuschung verborgen worden war - wirkte sehr viel größer als diejenige, die bei den Essensausgaben jeweils für ein paar Augenblicke zu sehen gewesen war.

Sie war so groß, dass Miij hätte hindurchgehen können, wenn er die Flügel zusammenfaltete und den Kopf etwas einzog. Ein dichter Klangteppich von Geräuschen drang von draußen herein. Stimmen, Rufe, Schreie, Rascheln, Surren, das an Insekten erinnerte ... Das alles ergab eine einzigartige Melange aus akustischen Eindrücken.

„Folge mir“, forderte Naryavo den Ellobargen auf, der einige Momente wie erstarrt dastand, innerlich noch ganz gefangen von den Eindrücken des Erlebten.

*


MIIJ UND NARYAVO TRATEN ins Freie. Das Zentralgestirn stand im Zenit und strahlte exakt senkrecht auf die Oberfläche des Planeten Katzana herab, aber nur ein Bruchteil des Lichtes erreichte auch den Boden. Schuld daran waren die korallenartigen Strukturen, die große Teile der Oberfläche von Katzana bedeckten. Es waren regelrechte Wälder aus verhärtetem, zum Teil abgestorbenem organischen Material, das den nachwachsenden Organismen als Behausung, Schutz oder Stütze diente, um sich daran emporranken zu können. Das galt sowohl für das pflanzliche als auch das tierische Leben des Planeten.

Mangrovenartige Strukturen hatten sich im Laufe von Zeitaltern gebildet und boten mannigfachen Lebensformen Platz.

Miij war schier überwältigt von dem Anblick wimmelnden Lebens, das ihn umgab.

Miij drehte sich herum und sah nun, worum es sich bei seinem Gefängnis tatsächlich gehandelt hatte: um eine etwa zehn Meter große, golden schimmernde Kuppel.

Eine metallisch schimmernde Schleusentür schloss sich hinter ihm.

Die Tatsache, dass Miij in seiner Umgebung alle Wände so wahrgenommen hatte, als würde es sich um Bestandteile eines massiven Steingebäudes handeln, war offensichtlich auch nichts weiter als eine optische, speziell für ihn eingerichtete Täuschung.

An der oberen Hälfte der Kuppel waren schwere Beschädigungen sichtbar. Mehrere Hüllenbrüche und einige mäandernde Risse, die sich weitläufig über die Oberfläche zogen und immer stärker verzweigten, konnte man schon auf den ersten Blick erkennen.

„Dies ist mein Sternenschiff“, erklärte Naryavo. „Wie auch für dich sicherlich leicht erkennbar ist, weist es erhebliche Schäden auf.“

„Wie kam es zu deiner Havarie?“, wollte Miij wissen.

Der Bhalakide schien jedoch nicht gewillt zu sein, darauf näher einzugehen.

„Ich weiß nicht, ob sich das mit den Beobachtungen deines Landeteams deckt, aber es scheint so zu sein, dass hoch entwickelte Technologie auf diesem Planeten entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt funktioniert. Auf jeden Fall war es bislang unmöglich für mich, diese Welt wieder zu verlassen.“

„Aber was habe ich mit alledem zu tun? Wenn du einen Notruf gesendet hättest, wäre unsere Besatzung mit Sicherheit bereit gewesen, dir zu helfen. Warum musstest du mich stattdessen gefangen nehmen und glauben lassen, mir stünde ein langer, einsamer Aufenthalt in einem unfreundlichen Verlies bevor - einer Umgebung, die andere Insassen bereits an den Rand des Wahnsinns getrieben hat!“

„Ich kann mich nur wiederholen und dafür um Verzeihung bitten. Aber ich hatte keine andere Wahl, das musst du mir glauben.“

„Dann erkläre es mir!“, verlangte Miij.

„Wie gesagt, ich versuchte vergeblich, mein Raumschiff wieder startklar zu bekommen. Aber einige technisch entscheidende Komponenten ließen sich einfach nicht wieder in Betrieb nehmen. Da seid ihr auf dieser Welt gelandet ... Ich wurde rasch auf deine Rüstung aufmerksam. Sie wird von einer Energiequelle gespeist, die offenbar von den allgegenwärtigen schädlichen Einflüssen, die auf dieser Welt wirksam sind, nicht beeinflusst wird! Das ist doch richtig, oder?“

„Ja“, bestätigte Miij.

„So habe mir also gedacht, mir diesen Umstand irgendwie zu Nutze machen zu können, um vielleicht doch in die Lage versetzt zu werden, diesen Planeten endlich zu verlassen.“

„Langsam verstehe ich“, gestand Miij. Ein deutliches Unwohlsein verbreitete sich in ihm. Was mochten Naryavos weiteren Pläne mit ihm sein?

„Mein Ziel war es, dich und deine Rüstung zur Flucht von diesem zurückgebliebenen Planeten zu benutzen“, gestand Naryavo.

Miij war konsterniert.

„Der Wrabiss ist nicht weltraumtauglich“, wandte der Ellobarge ein. „Zumindest habe ich das nie probiert.“

Der Bhalakide schien die emotionale Aufgewühltheit seines Gegenübers zu spüren und versuchte Miij daher zu beruhigen.

„Vertrau mir“, sagte er.

Offenbar wollte er sich nicht weiter mit weitschweifigen Erklärungen aufhalten. Er löste seine androgyne Gestalt auf und verwandelte sich wieder in golden schimmerndes Licht. Dieses Licht wurde im nächsten Moment vom Wrabiss absorbiert.

Im nächsten Augenblick begannen sich Miijs Flügel wie von selbst zu bewegen.

Er schwebte empor, beschleunigte dabei auf atemberaubende und nie gekannte Weise. Mit traumwandlerischer Sicherheit schnellte er zwischen den Verästelungen des korallenartigen Waldes hervor.

Das gleißende Sonnenlicht blendete Miij im ersten Moment. Höher und höher stieg er – und das in einer Geschwindigkeit, die immer noch weiter anzusteigen schien.

Miij konnte nichts dagegen tun.

Er war Spielschwert einer fremden Macht, wie der Katzoide Voscaguir es ausgedrückt hätte, von dem Miij inzwischen hatte erfahren müssen, dass er nichts weiter als eine Täuschung gewesen war, um ihn gefügig zu machen und besser manipulieren zu können.

Der Abstand zur Oberfläche wurde immer größer. Die korallenartigen Strukturen waren aus der Höhe deutlich erkennbar.

Miij stieg inzwischen in die Stratosphäre auf.

Die den Planeten Katzana umgebende Lufthülle war schon recht dünn, eine Existenz für ein Sauerstoff atmendes Wesen ohne raumtaugliche Ausrüstung eigentlich unmöglich.

Sollte es tatsächlich der Fall sein, dass ich die Möglichkeiten des Wrabiss bisher unterschätzt habe?, fragte sich Miij. Naryavo hingegen hatte das Potenzial der Rüstung des geflügelten Ellobargen offenbar sehr viel besser eingeschätzt.

Das Licht Naryavos, das in seine Rüstung eingedrungen war, quoll nun wieder daraus hervor und bildete eine schimmernde Aura, die sich um den Wrabiss – und damit auch um Miij – schloss.

Einen Moment später befand sich Miij bereits im Weltraum.

Im Nichts.

Dort, wo die Kälte regierte und organisches Leben nicht ohne Hilfsmittel zu existieren vermochte.

Aber Miij spürte nichts von dieser Kälte, wie auch das Vakuum keinerlei Auswirkungen auf ihn hatte. Was ist es, was mich vor der Lebensfeindlichkeit des Alls schützt?, fragte sich der Ellobarge. Ist es wirklich nur der Wrabiss, der mich schützt?

Noch immer bewegten sich Miijs Schwingen wie automatisch. Offenbar vermochten sie selbst im freien Raum seinen Körper voranzutreiben. Auf welche Weise das geschah, davon hatte Jim nicht die geringste Vorstellung.

Der Planet Katzana verschwand.

Miij war allein – mitten in der Leere des Alls.

Und er beschleunigte noch immer – bis plötzlich ein gewaltiges Objekt vor ihm auftauchte.

Die CAESAR.

Miij bremste abrupt ab.

Ein Traktorstrahl erfasste ihn und zog ihn auf das Schott der Außenschleuse zu.

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